Chaga oder das Ufer der Evolution (eBook)

Die Chaga-Saga, Band 1 - Roman

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-17505-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Chaga oder das Ufer der Evolution -  Ian McDonald
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Die Aliens landen nicht vor dem Weißen Haus
Der erste Besuch fremder Lebensformen aus dem All lief ganz anders, als man ihn sich vorgestellt hatte: Die Aliens lassen Tausende kleine biologische Bomben auf dem Äquator niedergehen, besonders betroffen ist Kenia. Wo immer diese Bio-Asteroiden niedergehen, verändern sie die Umwelt, entziehen Mensch und Tier den Lebensraum. Die Journalistin Gaby McAslan untersucht nicht nur die Aliens, sondern auch die Auswirkungen der UN-Sperrzonen auf die Menschen in Afrika - und macht dabei eine ungeheuerliche Entdeckung ...

Ian McDonald, 1960 in Manchester geboren, ist langjähriger Fernsehredakteur und Schriftsteller. Mit 22 veröffentlichte er seine erste Story, seit 1987 lebt er hauptberuflich vom Schreiben. Viele seiner Science-Fiction- und Fantasy-Romane sind mit Genre-Preisen wie dem Hugo, dem Locus und dem Nebula Award ausgezeichnet. Ian McDonald lebt in Nordirland.

Das Licht war jetzt beinahe weg. Spätsommerlicher Purpurschein lag über dem Heideland und der salzigen Marsch des Point. Ein Rand von Kumuluswolken begrenzte die Hügel entlang des Meeresarms. Die Flugzeugwarnlichter auf dem Fernsehmast blinkten.

Die Hunde sprangen ungestüm hinaus in die sich herabsenkende Dunkelheit. Befreite Geister. Ur-Kräfte. Kaninchen stoben davon in ihre sandigen Schlupflöcher zwischen den Ginsterwurzeln. Horace war zu alt und zu arthritisch, um zu töten. Er rannte aus Spaß am Rennen, solange er noch rennen konnte. Der Tierarzt hatte eine degenerative Nervenkrankheit diagnostiziert, die unaufhaltsam fortschritt. Die Rückenmarkshülle der unteren Wirbelnerven bildete sich immer weiter zurück, bis irgendwann seine Hinterläufe gelähmt sein würden. Er würde nicht mehr gehen können. Er würde den Urin nicht mehr halten können. Er würde den Kot nicht mehr halten können. Das nächste wäre der Weg zu dem gummibezogenen Tisch, ein Weg ohne Rückkehr. Das Mädchen hoffte, das nicht miterleben zu müssen.

Bis dahin sollten sie rennen. Sollten sie jagen. Sollten sie fangen, was sie fangen konnten. Falls sie es konnten.

»Los, Horace! Los, Paddy!«, rief Gaby McAslan. Die Hunde rasten wie Zwillingsgeschosse davon, der große weiße und hellbraune, der kleinere schwarze. Als sie eine Fährte witterten, stürzten sie sich in das dichte Ginstergestrüpp und wühlten zwischen den trockenen braunen, raschelnden, im letzten Sommer gewachsenen stacheligen Zweigen herum.

Die Hügel von Antrim hoben sich schwarz gegen den indigoblauen Himmel ab. Knockagh mit seinem Kenotaph; Carnmoney; Cave Hill, der angeblich ein Profil wie Napoleon hatte, obwohl Gaby das nie so gesehen hatte; Divis; Black Mountain. Belfast war eine Halbkugel aus bernsteinfarben schimmerndem Licht am oberen Ende des Meeresarms; schmutzig, phototoxisch. Unter den schwarzen Hügeln schmiegte sich eine Kette aus gelben und weißen Lichtern an die Küstenlinie. Fort William. Greenisland. Carrickfergus mit seiner großen normannischen Burg. Kilroot, Whitehead, und am Ende das gleichmäßige Blinken des Leuchtturms, der letzte Punkt vor dem offenen Meer. Sein Gegenüber auf Lighthouse Island und das in Donaghadee antworteten. Es gibt einen Augenblick, einen einzigen Augenblick, so hatte ihr Vater gesagt, in dem alle Lichtstrahlen gleichzeitig aufblitzen. Sie beobachtete die Leuchttürme nun schon ihr ganzes Leben lang, und dennoch hatte sie diesen einen bestimmten Augenblick nie erlebt.

Der Himmel wirkte heute Abend weit und hoch, durchbohrt von den ersten wenigen Sternen. Das Sommer-Dreieck: Altair, Deneb, Wega. Arcturus im Untergehen, der Leitstern der alten arabischen Seefahrer. Sindbads Stern. Corona Borealis, die Krone des Sommers. Einer dieser sanften Juwelen war eine Anhäufung von vierhundert Galaxien. Ihr Licht hatte eine Reise von einer Milliarde Lichtjahren zurückgelegt, um auf Gaby McAslan zu fallen. Es prallte mit einer Geschwindigkeit von achtzigtausend Kilometern pro Sekunde von ihrer Haut ab.

Das Wissen um ihre Namen und Eigenheiten konnte ihnen nichts nehmen. Es waren Sterne, entfernt, Gesetzen und Vorgängen unterliegend, die größer waren als menschliche Lebensspannen. In ihrem uralten erhabenen Licht erblickte man die eigene Natur. Man war nicht der Gipfel der Schöpfung unter einem schützenden Himmelsschleier. Man war ein ungebändigtes, helles Atom der Selbstsucht, eingekreist von Feuer.

Die Hunde sprangen aus dem Dickicht heraus, japsend, lächelnd, mit leeren Lefzen. Sie pfiff sie heran. Der Weg verlief entlang einer zerfallenen Trockenmauer an dem marschigen Untergrund vorbei. Gelbe Schwertlilien und windzerzauste Dornbüsche. Diamantförmige Spuren von Geländemotorrädern in der Erde, aber auch die tieferen Furchen von allradbetriebenen Autos. Ihrem Vater würde das nicht gefallen. Sollten sich die Leute doch zu Fuß oder mit dem Fahrrad am Point erfreuen; das war der Geist, den er an diesem Ort hatte bewahren wollen. Das Knattern von Motorrädern, das Dröhnen von Off-Road-Wagen übertönte ihn.

Marky hatte nie die Besonderheit dieses Ortes begriffen. Er konnte nicht verstehen, wie ein Tag roch oder was es hieß zu wissen, dass man etwas Winziges und dennoch Bedeutendes unter den entsetzlich weit entfernten Sternen war. Er hinterließ Allrad-Spuren auf der Welt, keine Abdrücke von Fahrradreifen oder nackten Füßen.

Sie stieg auf die flachen, flechtenbewachsenen Felsen und stand am Rand des Landes. Die Hunde planschten und tobten in einem kiesigen Becken und taten so, als ob sie schwämmen. Paddy, der kleine schwarze, rannte mit einem Stecken im Maul im Kreis herum und forderte Gaby zum Spielen auf. Später. Sie atmete die Luft ein. Meersalz, tote Dinge, die am Strand verwesten, die süßen Düfte von Ginster und Sumpflilien, der Geruch der Erde, die getränkt war von der Hitze und dem Licht des Tages und dem zarten Atem der Dämmerung.

Unten am Meeresrand baute sie einen Ring aus Steinen und entzündete darin ein kleines Feuer. Das war auf dem Point eine schlimme Sünde, aber der Tochter des Leuchtturmwärters müsste es doch wohl ausnahmsweise gestattet sein. Sie saß auf einem Stein und fütterte die Flammen mit Treibholz. Gebleichte Äste, Bretter von alten Fischkisten, teerig und mit Nägeln gespickt, Stücke von Gabelstapler-Paletten und alte Angelkorken. Das Holz knallte und knisterte. Funken stoben in die duftende Nacht auf.

»Nein, ich möchte lieber nicht, heute Abend nicht, Marky«, hatte sie ihm am Telefon gesagt. Der Video-Kompressions-Chip verstärkte die Regungen seines Gesichts. Gaby fielen dabei immer Stummfilm-Schauspieler ein. Schrecklich schweres Make-up, schrecklich großer Ausdruck. Liebe. Hass, Angst. Abweisung. Markys Gefühle entsprachen seinem Videophon-Gesicht, das war das Problem. »Ich muss nachdenken. Ich brauche etwas Zeit für mich selbst, für mich ganz allein. Ohne jemand anderes. Ich muss zu allem etwas Abstand gewinnen, dann kann ich vielleicht zurückblicken und entscheiden, was ich tun möchte. Verstehst du?«

Sie wusste, dass er nur das eine verstand: Wenn sie ihm an einem Sonntagabend nein sagte, bedeutete das, dass sie ihm für immer nein sagte. Er sah sie bereits die Treppe zum Flugzeug hinaufgehen.

Die Hunde kamen zu ihr. Wasser tropfte stalaktitenartig von ihrem Bauchfell. Sie keuchten. Sie wollten, dass sie ihnen eine Aufgabe stellte.

»Tut mir leid, Jungs. Gleich, ja? Lauft los und tötet was auf eigene Faust.«

Draußen auf dem Meer säumten schwarze Seetaucher das Wasser und riefen einander mit flötenden, nörgelnden Stimmen etwas zu.

Man hatte es ihr nicht gegönnt, an jenem Tag, als die Ergebnisse bekanntgegeben wurden, lange zu schlafen. Zuerst ihr Vater, zurück von seiner morgendlichen Inspektion seines kleinen Reiches, mit Tee, den sie kalt werden ließ. Dann die Hunde, kalte Nasen unter der warmen Steppdecke, schwere Pfoten auf ihren Rippen. Dann die Katzen, die um einen Platz zwischen ihren Brüsten kämpften. Und schließlich Reb, die an einer Ecke ihrer Steppdecke zog und rief: »Los, du musst gehen und nachsehen!«

Die alte Schule ist etwas Seltsames, wenn man nicht mehr Teil davon ist. Die Räume und Flure sind plötzlich kleiner als in der Erinnerung. Die Lehrer, denen man begegnet, haben sich auf subtile Weise verändert; es sind keine Autoritätsgestalten mehr, sondern Mitüberlebende. Sie hatte den dünnen braunen Umschlag nicht vor ihren Freunden öffnen wollen. In der Abgeschiedenheit des Saab-Wracks ihres Vaters hatte sie das einzelne Blatt Papier entfaltet. Die Noten waren gut. Mehr als gut genug für die Ausbildung zur Network-Journalistin. Und das war vielleicht schlimmer, als wenn sie nicht gut genug gewesen wären, denn jetzt würde sie sich entscheiden müssen, ob sie nach London ginge oder bliebe.

Rebecca und Hannah hatten sie umarmt, beziehungsweise mit den Achseln gezuckt. Ihr Vater hatte eine Flasche echten Champagner, die er auf gut Glück gekauft hatte, knallend entkorkt. Seine langjährige Freundin Sonja, die zu klug war, um in ein Haus mit so vielen Frauen zu ziehen, erschien zu dem zur Feier des Anlasses stattfindenden Abendessen. Und auch Marky. Alle waren überzeugt davon gewesen, dass sie nach England gehen würde, außer Marky und sie selbst.

Ihr Feuer war zu rotglühenden Kohlen heruntergebrannt, überkrustet mit einer Schicht staubiger weißer Asche.

Marky. Er hatte eine Stelle in einer Bank. Er hatte einen Ford. Er hatte Geld, wenn alle anderen pleite waren. Er hatte gute, teure Kleidung, er hatte Musik, die gerade erst aus der Mode war, und Geräte, die viel zu teuer waren, als dass man darauf etwas hätte spielen können. Im Winter spielte er Hockey, im Sommer machte er Windsurfing. Sowohl zur einen als auch zur anderen Jahreszeit erwartete er von seinen Freundinnen, dass sie sich im Hintergrund hielten und ihn bewunderten. Eines Tages würde er ein hübsches Haus haben und eine hübsche Frau und hübsche Kinder und ein Leben so tot tot tot wie der leere Krebspanzer, der mit nach oben gerichteten Krallen auf dem Kiesstrand lag.

Gaby schnippte den toten Krebs ins Feuer. Sein Chitinpanzer schnarrte und zischelte, seine Beine kräuselten sich im Feuer und zerfielen.

Marky bildete sich ein, dass das dreimal wöchentlich stattfindende Gefummel an ihrem BH und ein Kondom, das aus dem Autofenster geworfen wurde, sie von London und vom Network-Journalismus abhalten würden. Er war ein Narr. Niemals wäre sie wegen eines Mannes hiergeblieben. Sie hatte ihn als Vorwand benutzt. Es war dieser Ort, dieser Point, den sie ihr ganzes Leben lang schon kannte, zu allen Jahreszeiten und bei jedem Wetter. Es waren die dicken Mauern des Leuchtturm-Hauses auf der Landzunge, das über das Land und das Meer und das Leben wachte, das diese Mauern beherbergten. Es war...

Erscheint lt. Verlag 30.7.2015
Übersetzer Irene Bonhorst
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Chaga oder das Ufer der Evolution (Chaga / Evolution’s Shore)
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Afrika • Alien • Chaga Saga • eBooks • Ian McDonald • Invasion • Nanotechnologie • Saturn
ISBN-10 3-641-17505-4 / 3641175054
ISBN-13 978-3-641-17505-4 / 9783641175054
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