Die Galaktische Dampflokomotive (eBook)

Roman
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2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-17349-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Galaktische Dampflokomotive -  Michael Coney
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Spielball einer mächtigen Fantasie
Im Jahr 143624 Zyklus ist die Erde eine Welt, die nur noch ihre Vergangenheit besitzt. Vor Äonen haben die Wahren Menschen, die sich der Auswanderung in die Galaxis nicht anschlossen, sondern es vorzogen, in der 'Wiege der Menschheit' zu bleiben, sich in Kuppeln zurückgezogen, wo sie in ihrer eigenen Welt leben - einer Art Schlaraffenland der Fantasie, gelenkt von einem Computer, in dem sich jeder Wunsch scheinbar auf magische Weise erfüllt. Und eines Tages dringt Manuel in diese Welt ein. Er ist nicht wegzuwünschen, denn er kommt aus der Wirklichkeit - was auch immer das sein mag ...

Michael Coney wurde 1932 in Birmingham geboren und besuchte die King Edward's School. Er wurde zunächst Buchhalter, übte dann eine Reihe unterschiedlicher Berufe aus: Unter anderem betrieb er ein Pub in Devon, später leitete er ein Hotel auf der Karibikinsel Antigua. Anfang der Siebzigerjahre siedelte er mit seiner Familie nach Kanada über und wurde Feuerwächter der Columbia Forestry Commission. Seit 1966 schrieb er Science Fiction, mit seinen grandiosen Schilderungen außerirdischer Welten wurde er schnell zu einem der zentralen Autoren der Siebziger und Achtziger. Die beiden 'Pallahaxi'-Romane gelten als seine bedeutendsten Werke. Michael Coney starb 2005 an Krebs.

Die Schneller


 

Manuel hatte die Hütte im Alter von vierzehn Jahren gebaut. Das war nun fünf Jahre her. Pu’este bestand schon seit ungezählten Jahrhunderten, und die Leute dort lebten in Steinhäusern, an denen sie alle fünfzig Jahre oder so die Dächer neu deckten. Aber Manuels Hütte war eben anders, genau wie sein Erbauer. Er hatte sie im Schweiße seines Angesichts sorgfältig aus Treibholz und Walbein, Schlamm, getrocknetem Tang und Reben errichtet, eine zähe, zusammenhängende Masse, die sich fest gegen die niedrige braune Klippe am Nordende der Bucht drängte.

Manuel war stolz auf seine Hütte und freute sich, wenn jemand ihn besuchen kam. In seiner Naivität glaubte er, sie wollten sein Bauwerk bewundern. Es beunruhigte ihn ein wenig, wenn die Schneller vorbeieilten; wie sie miteinander rangen, wie sie knurrten und wie sie ständig irgendwo dagegenliefen und die Vicunas erschreckten. In der ersten Zeit hatte Manuel einige fruchtlose Versuche unternommen, den Schnellern in Freundschaft zu begegnen, und einmal war es ihm sogar gelungen, ein sanfteres weibliches Wesen von ihnen dazu zu bewegen, aus seiner Hand Nahrung anzunehmen. Aber wieder war das geschehen, was die Wildmenschen stets verwirrte: Am nächsten Morgen war der weibliche Schneller viel langsamer gelaufen und dann gestorben. Die Artgenossen hatten sie angegriffen und tödlich verwundet.

Manuel legte auf seinem Feuer Treibholz nach und beruhigte dann seine Vicunas, die aufstampften und den Kopf hin und her warfen, weil sie sich vor den Funken und dem Prasseln fürchteten. Er blickte nach Osten, wo sich jetzt am Horizont dicke schwarze Wolken ballten. Manuel ging zur Wasserlinie und drehte sich um. Von hier aus konnte er über die niedrige Klippe auf die abgelegenen Hügel sehen. Winzige Gestalten bewegten sich dort. Die Guanacos trieben immer noch durch das Tal. Staubwolken stiegen auf, als der Wind über die Talfelder wehte. Die weise Ana – die plumpe, herzliche Frau, die allein in einer Sandsteinhöhle neben der Straße zum Dorf lebte – sammelte ihre Ware ein und schloss ihren kleinen Stand für die Nacht. Sapastoff flatterte. Nachdenklich kehrte Manuel in seine Hütte zurück und holte sein Essen, einen Riff-Fisch, der in Blätter und Lehm eingepackt war. Er legte das Bündel ins Feuer.

Manuel leckte sich gerade seine Finger sauber, als er das zwitschernde Gelärme vom Strand hörte. Die Schneller kamen. Wahrscheinlich waren sie auf der Jagd. Er ging in seine Hütte und nahm dort den Rest seines Fangs, drei Schnabelfische, die er sich fürs Abendbrot aufgehoben hatte. Er legte sie auf den Strand, kehrte dann aus einem Impuls heraus in die Hütte zurück und schob seinen wertvollsten Besitz nach draußen, den Simulator. Er setzte sich vor den Apparat und schaltete ihn ein.

Manuel stellte häufiger fest, dass er Dinge tat, für die es im Verhaltenskodex der Menschen im Jahre 143624 Zyklus keine rechte Erklärung gab. Wildmenschen brachten sich rasch in Sicherheit, wenn sie hörten, dass sich die Schneller näherten. Im Laufen sammelten sie Stöcke, Steine oder sonst was auf, mit dem sie sich gegen die huschenden Wesen verteidigen konnten. Die Schneller galten als das Scheußliche schlechthin, und Gerüchte wollten wissen, dass sie einen ausgewachsenen Mann binnen fünfzehn Sekunden bis auf die Knochen abnagen konnten. Allerdings konnten diese Gerüchte nicht mit konkreten Beweisen aufwarten, da ja auch niemand einen solchen Überfall überlebt hatte, aber sie genügten vollauf als Erklärung für das merkwürdige Verschwinden einiger Menschen, das den fetten Häuptling Chine schon seit vielen Jahren beschäftigte.

»Elacio ist verschwunden«, hatte Chine eines Tages verkündet. »Die Schneller haben ihn erwischt. Ich habe seine abgenagten Knochen in der Brandung entdeckt.«

Manuel, der gerade zufällig im Dorf weilte, unterbrach das gleichklingende abergläubische Geheul der anderen. »Elacio ist ins Becken gefallen«, sagte er unter Hinweis auf ein besonders markantes Gebiet. »Ich habe ihn gestern noch auf dem Grund gesehen. Er hat sich den Hals gebrochen, und die Sirenen haben bereits damit angefangen, ihn zu fressen. Aber gestern konnte man ihn noch erkennen.«

»Geh zurück an den Strand, wo du hingehörst!«, entgegnete Chine barsch. »Uns allen würde es besser gehen, wenn die Schneller eines Tages dich erwischten.«

»Möge Gott mit dir sein, du armer, junger Sünder«, sagte der Priester, Vater Ose, salbungsvoll.

Chine hatte dem Priester mit seinem Schweinsgesicht einen wütenden Blick zugeworfen, weil er ihn verdächtigte, für den Jungen göttlichen Schutz gegen die raubgierigen Schneller zu erbitten.

An diesem stürmischen Abend riskierte Manuel wieder einmal sein Leben, oder zumindest die Zerstörung seines Simulators, des wunderbarsten Gegenstands, den er je besessen hatte.

Nebelschwaden trieben um die Maschine: ein dreidimensionales Bild, das eine Batterie von Projektoren an der Frontseite des Apparats entwarf. Die Schwaden nahmen Form, Substanz und Gestalt an. Dies war Manuels Lieblingsbild: Der Sturm. Er hatte es ganz allein geschaffen, ganz aus seinem Kopf komponiert, nur mit der Hilfe eines Helms, der seine Gedanken in den Simulator übertrug.

»Jaa-hiii!«

Der Schrei besagte, dass die Schneller Manuel entdeckt hatten. Wie herumwirbelnde Elektronen waren sie ziellos über den Strand gerast – so rasch, dass das menschliche Auge ihnen kaum folgen konnte –, hatten Sand hochgeworfen, hatten Wasser hochgespritzt und waren schließlich wie im Sturmlauf gegen die Brandung angerannt und hatten die Wellen übersprungen. Sie schrien und hüpften und verfielen gelegentlich in einen erbitterten Streit. Während Manuel ihnen zusah, wurde einer von ihnen, der ein bisschen kleiner war als die anderen, immer langsamer, alterte und starb. Das Wesen fiel in den Sand. Der Junge erkannte es jetzt als schimpansenartigen Humanoiden mit einem großen und dünnen, haarlosen Kopf.

»Jaa-hiii!«

Die Schneller kamen näher. Manuels Kehle trocknete wie gewöhnlich vor nervöser Erregung aus. Er schluckte und schob die Schnabelfische mit dem Fuß zu einem aufgewühlten Stück Sand. Hastig zog er den Fuß dann wieder zurück. Man konnte nicht vorsichtig genug sein, und trotz seiner Skepsis gegenüber Chines Theorien konnte Manuel sich nicht gegen die plötzliche Vorstellung wehren, seinen Fuß von einem Augenblick zum anderen abgenagt und als glänzenden weißen Knochen zu sehen.

Aber stattdessen war von den Fischen von einem Augenblick zum anderen nichts mehr bis auf das Skelett übrig. Manuel hatte nicht mitbekommen, wie die Schneller sie gegessen hatten. Eben noch glitzerten die schillernden Schuppen in der feuchten Luft, und im nächsten Moment lagen die Knochen aufgeschichtet in kleinen Häufchen da. Der außergewöhnliche Metabolismus der Schneller hatte das Fleisch bereits absorbiert.

Dann standen einige der Schneller, wie es hin und wieder vorkam, plötzlich verhältnismäßig reglos da. Sie beobachteten den Jungen und blinzelten so unfassbar rasch, dass man glaubte, ihre großen Augen würden aus den Höhlen quellen. Auch die Umrisse ihrer Körper ließen sich nicht erkennen, denn für einen Schneller ist es unmöglich, völlig still zu stehen.

Sie plapperten etwas. Ein hohes Rasseln, in dem Manuel nie einzelne Laute hatte unterscheiden können. Es wollte ihm so vorkommen, als würden sie von Mal zu Mal schneller sprechen, und er hatte einen sonderbaren Gedanken: Vielleicht wurden sie in allem immer schneller, bis zu dem Punkt, an dem sie für die Umwelt unsichtbar waren und dann tun und lassen konnten, was sie wollten.

Sie setzten sich! Das hatte Manuel noch nie erlebt. Eine nach der anderen verschwanden die aufrechten Gestalten und wurden im selben Augenblick durch eine sitzende ersetzt. Sie ließen sich in einem Halbkreis um den Simulator nieder und starrten ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Einer von ihnen kippte zur Seite und starb. Seine Gestalt wurde sichtbar. Es handelte sich bei ihm um einen uralten, dünnen und bemitleidenswerten Mann, von dem nicht die geringste Bedrohung ausging. Der Körper blieb eine Sekunde lang sichtbar und verschwand dann spurlos. Manuel wollte lieber nicht darüber nachdenken, was aus ihm geworden sein mochte. Die anderen Schneller starrten ungerührt weiter auf den Simulator.

Die Farben von Manuels Gedankenbild gerieten in Bewegung. Sie wirbelten in einem merkwürdigen Spiralmuster wie Rauchfäden oder Wolken herum. Darin war Türkis und Grau, Freude und Trauer, und die Farben wurden am unteren Rand des Bildes so reflektiert, dass sie an nassen Sand und das Meer, an längst Verlorenes und an endlich Wiedergefundenes erinnerten. Sie waren in jedem Augenblick wunderbar und einzigartig. Die perfekte Amalgamierung von Kunst und Technik, geschaffen vom sonderbaren Verstand eines jungen, träumenden Wildmenschen namens Manuel und von der Erfindung eines längst vergessenen Wissenschaftlers, der eine Methode entwickelt hatte, solchen Träumen Substanz zu verleihen.

Und die Schneller weinten.

Blinzelnd und an den Rändern schimmernd saßen sie da, und es war befremdlich anzusehen, wie Tränen über diese niemals ruhigen Gesichter rannen, genauso langsam und tröpfelnd wie bei normalen Menschen. Die Schneller saßen da und alterten, verbrauchten die wenigen kostbaren Stunden ihres Lebens mit der Betrachtung von Manuels Meisterwerk. Und die Schönheit des Bildes löste immer neue Tränen aus ihren Augen. Dennoch – und so verhält es sich stets mit der Kunst – waren sie noch nicht vollständig zufriedengestellt. Eine Schnellerfrau versuchte, mit Manuel in Verbindung zu treten. Sie hob die Hand. Eine Frau in den mittleren Jahren, die mit peinigendem Bemühen sprach....

Erscheint lt. Verlag 30.6.2015
Übersetzer Marcel Bieger
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Celestial Steam Locomotive
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Computer • eBooks • Ferne Zukunft • Michael Coney • Science Fantasy • Virtuelle Welt
ISBN-10 3-641-17349-3 / 3641173493
ISBN-13 978-3-641-17349-4 / 9783641173494
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