Der Monitor im Orbit (eBook)

Erzählungen
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-17346-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Monitor im Orbit -  Michael Coney
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Kann man den Wert eines Lebens messen?
Ruth Villiers ist beim Einsturz eines alten Stollens verschüttet worden. Ihr Sozialwert-Kredit deckt aber die Kosten der Rettung nicht, und Fremdhilfe ist nach den strengen darwinistischen Gesetzen verboten. Wo kämen wir schließlich hin, wenn jeder in Not Geratene öffentliche Hilfe erwarten könnte?
In Höhlen auf einer Insel haben die Menschen die Atomkatastrophe überlebt und sich eine neue Gesellschaft errichtet, die vor allem vor der Angst vor dem Draußen lebt. Denn Draußen, das sagen die Ältesten, lauert der Tod. Doch die Höhlen platzen mittlerweile aus allen Nähten ...
Hugo Johnson langweilt sich zu Tode. Er interessiert sich für nichts mehr, geht nicht mehr aus dem Haus. Sein Psychiater fürchtet, dass er Selbstmord begehen könnte, deswegen verordnet er Hugo einen Roboter, der auf ihn aufpassen soll ...

In insgesamt neun Erzählungen erweist sich Michael Coney einmal mehr als Kritiker mit scharfem Blick auf Missstände und Fehlentwicklungen, aber auch als Meister im Erschaffen fremder Welten.

Michael Coney wurde 1932 in Birmingham geboren und besuchte die King Edward's School. Er wurde zunächst Buchhalter, übte dann eine Reihe unterschiedlicher Berufe aus: Unter anderem betrieb er ein Pub in Devon, später leitete er ein Hotel auf der Karibikinsel Antigua. Anfang der Siebzigerjahre siedelte er mit seiner Familie nach Kanada über und wurde Feuerwächter der Columbia Forestry Commission. Seit 1966 schrieb er Science Fiction, mit seinen grandiosen Schilderungen außerirdischer Welten wurde er schnell zu einem der zentralen Autoren der Siebziger und Achtziger. Die beiden 'Pallahaxi'-Romane gelten als seine bedeutendsten Werke. Michael Coney starb 2005 an Krebs.

Der wirkliche Wert von Ruth Villiers


 

Geliehener Wohnwagen und ein klarer, sonniger Morgen am Englischen Kanal. Drinnen der Geruch von gebratenem Speck, draußen die Wiese, die sich sanft zu den Uferklippen neigt. Zwei Jungen gehen vorbei, um die vierzehn Jahre alt, in dem Alter, wo das Leben nichts oder alles bedeutet; und sie wollen jetzt an den Felsen zum Strand hinabsteigen, der zweihundert Fuß tiefer liegt. Und wenn sie stecken bleiben? Na und? Es wird schon jemand kommen. Ein Spaziergänger mit einem Seil. Die Feuerwehr. Die Küstenwache. Die Männer vom Seerettungsdienst. Helikopter. Ad infinitum, oder nicht? Angenommen, jemand säße irgendwo fest, ich meine, er säße wirklich fest, so dass keine rasche Rettung möglich wäre, sondern ein langer, langwieriger und ungeheuer kostspieliger Prozess dazu notwendig wäre, der nur dadurch gerechtfertigt werden könnte, dass es um die Rettung eines Menschenlebens geht und das Leben eines Menschen soviel wert ist, wie alles Gold in Fort Knox, nicht wahr? – Nicht wahr?

 

Es waren nur wenige Neugierige um diese Stunde da, nur eine Handvoll glotzender Kerle umstand das eingezäunte Rechteck der Schutthalde. Ein leichter Nieselregen filterte das Zwielicht, fein aber durchnässend, und er dämpfte den Enthusiasmus selbst des eifrigsten Gaffers. Hin und wieder klickte eine Kamera und gravierte auf die Silberbromidschicht des Films ein Abbild des aufgegebenen Stollens, der wie ein Steinbruch offen in der Bergflanke lag, unmarkiert, mit Ausnahme des kleinen Schuppens oberhalb des Stollens. Ich stand wie alle anderen, die Ellbogen auf den neuerrichteten Zaun gestützt, obwohl ich im Gegensatz zu ihnen als einziger das Recht hatte, die Abzäunung zu übertreten und in die Hütte zu gehen, wenn ich das wollte.

Ich wollte es jedoch nicht. Ich blieb vor dem Zaun stehen, als ob ich auch nur ein Neugieriger sei. Wenn ich die Absperrung überschritten und in den Stollen hinabgestiegen wäre, hätte ich mich zu erkennen gegeben. Die Zuschauer hätten mich angestarrt, gemustert, wenn ich zur Stollenöffnung ging, und einer oder zwei hätten mein Gesicht nach den Zeitungsberichten der letzten Monate wiedererkannt.

Und dann würden sie mich anklagen, verdammen als den Mann, der Ruth Villiers sterben ließ. Wenn ich wieder heraustrat, würde ich das auf ihren Gesichtern lesen können: Mörder, würde in ihren Gesichtern stehen.

Doch Ruth Villiers lebte noch, etwa fünfzehn Fuß unterhalb des Schuppens …

 

Vor etwa sechs Monaten saß ich in meinem Büro, ein durchschnittlich zufriedener Mann ohne größere Sorgen. Wenn ich mich richtig erinnere, war ich an jenem Tag mit einem alltäglichen Vorgang befasst, der die höhere Einstufung eines Klempners betraf. Solche Dinge bilden die Grundlage meines Jobs. Für ihre Lösung benötigt man ein Minimum an klarem Verstand, kombiniert mit jahrelanger Erfahrung. Vor sechs Monaten hatte ich meine Arbeit als nicht anspruchsvoll betrachtet, aber vor sechs Monaten hatte ich Ruth Villiers noch nicht gekannt. Auch jetzt habe ich sie noch nicht von Angesicht zu Angesicht getroffen, und ich wünschte um alles in der Welt, dass ich das könnte …

Der Klempner saß mir gegenüber und drehte seine Mütze in den Händen, als ob sie eine Wünschelrute wäre; er trug seine fleckige Arbeitskleidung.

»Mein Einkommen während des vergangenen Jahres, Mr. …« – er warf einen Blick auf das Namensschild auf meinem Schreibtisch – »Archer, betrug eintausenddreihundert Kredite. Meine derzeitige Sozialwert-Einstufung ist zweitausenddreihundertsiebzig Kredite.« Er machte ein trauriges Gesicht. Aber das tun sie alle. Es ist Teil des Handwerkzeugs meiner Kunden, diese Trauermiene, als ob sie allein inmitten einer reichen Welt zur Armut verurteilt seien.

»Sie meinen also, dass Ihnen eine höhere Einstufung zusteht?«, fragte ich. Ich wusste natürlich, was er antworten würde, aber mir machte es Spaß, die Leute ein wenig schwitzen zu lassen – vor sechs Monaten.

»Ja«, erwiderte er mit schüchterner Aggressivität, wie ein in die Ecke getriebenes Schaf.

Ich zog seine Akte zu mir heran und schlug sie auf, wobei ich so tat, als ob ich meine Zweistärkenbrille zurechtrücken müsste. Er hatte Recht, was sein Einkommen betraf, auf jeden Fall sah ich es schwarz auf weiß vor mir: Kr. 1370, nach Angaben des Finanzamtes.

Ich zog meinen Kugelschreiber heraus und stellte die bekannte Rechnung auf:

 

Einkommensberechtigungen gleich 1½ mal brutto Jahreseinkommen gleich 1½ mal 1370: Kr. 1955

Plus Individual-Berechtigung (allgemein unter der Bezeichnung ›Geburtsrecht‹ bekannt): Kr. 600

zusammen Kr. 2555

 

Offensichtlich hatte der nervöse, kleine Klempner einen berechtigten Anspruch. Er würde in zwei Stufen auf eine Sozialwert-Einstufung von Kr. 2500 gebracht werden. Er musste sich im vergangenen Jahr das Fell von den Pfoten geschunden haben, der arme Teufel, und wollte jetzt seinen Bonus dafür haben.

»Ich werde mich darum kümmern«, versprach ich. »Sie bekommen Nachricht. Der nächste!« Ich drückte ostentativ den Klingelknopf auf meinem Schreibtisch, um jeden möglichen Einwand abzuschneiden. Er ging rückwärts zur Tür, als ob ich ein König wäre. Statt des nächsten Kunden stürzte mein Sekretär Eccles herein, völlig außer Atem.

»Ein Notfall, Mr. Archer!«, keuchte er. Notfälle hatten wir fast jeden Tag, doch er konnte sich einfach nicht an sie gewöhnen. Er zitterte noch immer beim ersten Anzeichen einer Notfall-Forderung und deshalb war er noch immer mein Sekretär und nicht Bezirks-Manager.

»Schick ihn herein«, sagte ich ruhig, in der Erwartung, einen gramgebeugten Pensionär zu sehen, der einen Vorschuss für die Beerdigung seiner Frau haben wollte. Es kommen oft trauernde Hinterbliebene zu mir, um einen Zuschuss zu erbetteln, aber Trauer ist relativ – um einen kleinen Scherz zwischen Eccles und mir zu zitieren –, und jeder Fall wird individuell behandelt. Tränen der Trauer machen einen Menschen nicht blind für die Möglichkeit, seinen Nutzen daraus zu ziehen, und im Allgemeinen haben wir festgestellt: je nasser die Wangen, desto unverschämter soll unser Amt gemolken werden.

»Ah … es handelt sich nicht um einen Todesfall, Mr. Archer«, korrigierte Eccles mich. »Es ist ein wirklicher Notfall. Eine Unfall-Forderung. Es gibt keine Angehörigen. Da ist nur dieser Bursche – heißt Jack Griffith, sagte er –, Freund der Antragstellerin.«

»Oh.« Ich überlegte kurz. »Na ja, schicken Sie ihn herein, auf alle Fälle.« Ausgerechnet heute musste ich eine Unfall-Forderung bekommen, wo Forbes zu jeder Stunde eintreffen konnte.

Forbes, sollte ich erklären, ist unser Regional-Direktor. Sein Job, der ihn zutiefst befriedigt, wie ich mir vorstelle, besteht darin, innerhalb seiner Region umherzureisen und Ärger zu machen. Seine Lieblingsbeschäftigung ist, Akten mit einer Lupe zu kontrollieren und festzustellen, dass ich durch zu starkes Mitgefühl öffentliche Gelder verschleudert hätte.

Vielleicht sollte ich auf diesen Punkt ein wenig genauer eingehen, da nicht jeder mit der Arbeit des Amtes für Sozialwert vertraut ist. Sie sieht so aus:

Angenommen, jemand liegt im Krankenhaus und wartet auf eine kostspielige Operation. Es erhebt sich die offensichtliche Frage: Ist der Patient es wert, behandelt zu werden, wenn man seinen Wert für die Gesellschaft zugrunde legt? Also schickt mir das Krankenhaus einen Kostenvoranschlag.

Dann rufe ich die Nationalbank an und stelle fest, dass der Patient Ersparnisse von (angenommen) Kr. 2000 besitzt.

Und ich konsultiere meine eigenen Unterlagen und finde dort, dass er eine Sozialwert-Einstufung von (angenommen) Kr. 1500 hat.

Dieser Mensch ist der Gesellschaft folglich Kr. 3500 wert, nicht mehr und nicht weniger.

Wenn die Operationskosten also unter Kr. 3500 liegen, blitzen die Skalpelle, und er wird wahrscheinlich geheilt entlassen.

Wenn aber die Operation (einschließlich vor- und postoperativer Behandlung) auf Kr. 3501 kalkuliert worden ist, bleibt sein Fleisch ungeschnitten. Er kann jedoch eine weniger kostspielige Behandlung erhalten, ärztliche Maßnahmen und Medikamente im Wert bis zu Kr. 3500, und wenn die aufgebraucht sind, wird er aus dem Krankenhaus entlassen. Was er dann tut, ist seine Sache; aber wenn er wieder arbeitsfähig sein sollte, muss er den auf Grund seiner Sozialwert-Einstufung erhaltenen Vorschuss von Kr. 1500 zurückerstatten, bevor es wieder etwas auf sein (nun leeres) Sparkonto einzahlen darf. Bei der Eintreibung dieser Schuld wird ihm nur ein Minimum seines Gehalts zur Bestreitung des Lebensunterhalts belassen. Er wäre mehr oder weniger darauf angewiesen, von Freunden untergebracht und verköstigt zu werden, wenn die nicht dabei erwischt werden. Übertriebenes Mitgefühl ist ein strafbares Vergehen, und mit Recht, denn warum sollte ein Mensch ohne eigenes Verdienst Vorteile gegenüber den anderen genießen?

Vor vielen Jahren, Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, gab es einen Nationalen Gesundheitsdienst, und alle Ärzte- und Krankenhausrechnungen wurden vom Staat bezahlt. Es gab noch weitere Sozialdienste, wie Arbeitslosenunterstützung, Rentenkassen, und so weiter. Mit anderen Worten, die Menschen wurden vorsätzlich dazu ermuntert, ihre Zeit in Krankenhäusern oder sonst ohne Arbeit zu verbringen und davon abgehalten, für ihr Alter zu sparen.

Dieses unglückselige System lastete über fünfzig Jahre lang auf dem Rücken der Engländer, bis zu der Bevölkerungskrise kurz nach dem Jahr 2000 und der Formierung der Darwinistischen Partei, deren örtlicher Sekretär ich bin. Widersacher unserer Partei mögen behaupten, dass wir für...

Erscheint lt. Verlag 30.6.2015
Übersetzer Hans Maeter
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Monitor Found in Orbit
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte eBooks • Erzählungen • Ferne Zukunft • Michael Coney • Social Science Fiction • Space Opera • Stories
ISBN-10 3-641-17346-9 / 3641173469
ISBN-13 978-3-641-17346-3 / 9783641173463
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