Dictator (eBook)
528 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-17647-1 (ISBN)
Cicero, größter Redner seiner Zeit, weilt mit seinem Sekretär Tiro im Exil. Da er seinen politischen Feind Caesar zu unterstützen verspricht, kann er nach Rom zurückkehren, wo er sich wieder zu ö entlichem Ansehen emporkämpft. Genial und fehlbar, angsterfüllt und doch unbändig mutig - der mit sich ringende Mensch hinter dem Politiker Cicero macht die Geschichte so unwiderstehlich.
Dictator umfasst bedeutsame Momente der Menschheitsgeschichte: den Untergang der römischen Republik, den folgenden Bürgerkrieg, die Enthauptung von Pompeius und den Meuchelmord an Caesar. Das Thema jedoch ist zeitlos: Wie lässt sich politische Freiheit gegen skrupellosen Ehrgeiz, korrumpierte Wahlen und den verderblichen Einfluss endloser Auslandseinsätze schützen?
Robert Harris wurde 1957 in Nottingham geboren und studierte in Cambridge. Seine Romane »Vaterland«, »Enigma«, »Aurora«, »Pompeji«, »Imperium«, »Ghost«, »Titan«, »Angst«, »Intrige«, »Dictator«, »Konklave«, »München«, »Der zweite Schlaf«, »Vergeltung« und zuletzt »Königsmörder« wurden allesamt internationale Bestseller. Seine Zusammenarbeit mit Roman Pola?ski bei der Verfilmung von »Ghost« (»Der Ghostwriter«) brachte ihm den französischen »César« und den »Europäischen Filmpreis« für das beste Drehbuch ein. Die Verfilmung von »Intrige« - wiederum unter der Regie Pola?skis - erhielt auf den Filmfestspielen in Venedig 2019 den großen Preis der Jury, den Silbernen Löwen. Robert Harris lebt mit seiner Familie in Berkshire.
KAPITEL II
Wie leicht rümpften Menschen, die keine Rolle in öffentlichen Angelegenheiten spielten, die Nase über Kompromisse, die jenen abverlangt wurden, die die Entscheidungen trafen. Zwei Jahre lang war Cicero seinen Prinzipien treu geblieben und hatte eine Zusammenarbeit mit dem »Triumvirat« aus Caesar, Pompeius und Crassus bei der Lenkung des Staates abgelehnt. Er hatte ihre kriminellen Methoden öffentlich verurteilt, und sie schlugen zurück, indem sie Clodius den Weg zum Volkstribunen ebneten. Als Caesar ihm einen Legatsposten in Gallien anbot, der ihm Immunität gegen Clodius’ Angriffe verschafft hätte, lehnte Cicero ab, weil es ihn zu einem Geschöpf Caesars gemacht hätte.
Der Preis für seine Prinzipientreue waren Verbannung, Armut und seelischer Zusammenbruch gewesen. »Ich habe mich selbst um jeden Einfluss gebracht«, sagte er zu mir, nachdem Milo zu Bett gegangen war und wir allein über Pompeius’ Angebot diskutierten. »Und was hat es gebracht? Was nutzt es meiner Familie oder meinen Prinzipien, wenn ich für den Rest meines Lebens in diesem Loch festsitze? Sicher, eines Tages könnte man mich gelangweilten Schülern als leuchtendes Beispiel empfehlen: der Mann, der sich weigerte, jemals gegen sein Gewissen zu handeln. Vielleicht errichten sie, wenn ich stumm in meinem Grab liege, hinter der Rostra eine Statue von mir. Aber ich will kein Denkmal sein. Mein Talent liegt in der Staatskunst, aber mit diesem Talent muss man am Leben und in Rom sein.« Er verstummte. »Andererseits ist mir allein der Gedanke, das Knie vor Caesar zu beugen, fast unerträglich. Nach all den Strapazen vor ihm kriechen zu müssen wie ein Hund, der seine Lektion gelernt hat …«
Als er sich in sein Zimmer zurückzog, war er immer noch unentschlossen, und als Milo am nächsten Morgen seine Aufwartung machte, um sich die Antwort für Pompeius zu holen, hätte ich immer noch keine Voraussage gewagt, wie er sich entschieden hatte. »Sag ihm Folgendes«, begann Cicero. »Mein ganzes Leben war dem Dienst am Staat gewidmet, und wenn der Staat von mir verlangt, mich mit meinem Feind zu versöhnen … dann werde ich mich versöhnen.«
Milo umarmte ihn und machte sich dann mit seinem Gladiator umgehend auf den Weg zurück zur Küste. Beim Anblick des Streitwagens mit dem derben, kampfeslustigen Pärchen konnte man nur um Rom bangen und ob des Blutes erschauern, das unweigerlich vergossen werden würde.
•
Es wurde beschlossen, dass ich gegen Ende des Sommers, sobald die Zeit der Feldzüge vorüber war, Thessalonica verlassen und meine Mission zu Caesar antreten sollte. Vorher abzureisen wäre sinnlos gewesen, da Caesar sich noch tief in Gallien befand und seine Angewohnheit, sich mit seinen Legionen in schnellen Gewaltmärschen fortzubewegen, eine Voraussage über seinen Aufenthaltsort unmöglich machte.
Cicero feilte viele Stunden an seinem Brief. Jahre später, nach seinem Tod, wurde eine Kopie davon zusammen mit der restlichen Korrespondenz zwischen Cicero und Caesar von den Machthabern beschlagnahmt, vermutlich für den Fall, sie widerspräche der offiziellen Geschichtsschreibung, die den Diktator als Genie und seine Gegner als dumm, gierig, undankbar, kurzsichtig und reaktionär darzustellen pflegt. Ich nehme an, der Brief ist vernichtet worden, jedenfalls habe ich nie wieder von ihm gehört. Allerdings befinden sich meine Aufzeichnungen in Kurzschrift, die fast die gesamten sechsunddreißig Jahre meiner Arbeit für Cicero abdecken, noch in meinem Besitz – eine gewaltige Menge an unverständlichen Hieroglyphen, die die ignoranten Beamten, die meine Archive durchwühlten, vermutlich kaum eines Blickes gewürdigt haben. Aus diesen Aufzeichnungen konnte ich die vielen Gespräche, Reden und Briefe rekonstruieren, aus denen sich diese Memoiren Ciceros zusammensetzen – auch seine demütigende Bittschrift an Caesar aus jenem Sommer:
THESSALONICA,
VON M. CICERO AN G. CAESAR, PROKONSUL.
Sei gegrüßt.
Ich hoffe, du und deine Armee schlagen sich gut.
In den letzten Jahren sind zwischen uns viele Missverständnisse entstanden, unter denen es jedoch eines gibt, das ich, so es denn überhaupt existiert, vor allen anderen aus der Welt schaffen möchte. In meiner Bewunderung für deinen Einfallsreichtum und Patriotismus, deine Intelligenz, Tatkraft und Führungsstärke habe ich nie geschwankt. Zu Recht bist du in unserer Republik in eine Stellung von außerordentlicher Bedeutung aufgestiegen. Mögen deine Bemühungen, ob auf dem Schlachtfeld oder in den Belangen des Staates, von Erfolg gekrönt sein – woran ich keinerlei Zweifel hege.
Erinnerst du dich an den Tag, Caesar, als ich Konsul war und wir im Senat über die Bestrafung der fünf Verräter debattierten, die sich zur Zerschlagung der Republik und meiner Ermordung verschworen hatten? Die Gemüter waren erhitzt. Gewalt lag in der Luft. Jeder misstraute jedem. Zu meinem Erstaunen traf ein ungerechtfertigter Verdacht sogar dich, und wäre ich nicht eingeschritten, wäre die Blume deines Ruhmes möglicherweise abgeschnitten worden, noch bevor sie hätte erblühen können. Du weißt, dass dies die Wahrheit ist, und nur ein Lügner könnte etwas anderes behaupten.
Inzwischen hat die Schicksalsgöttin unser beider Stellung ins Gegenteil verkehrt – jedoch mit einem Unterschied: Anders als du damals bin ich heute kein junger Mann mit strahlenden Zukunftsaussichten mehr. Meine Karriere ist vorüber. Sollte das römische Volk jemals für meine Rückkehr aus dem Exil stimmen, so würde ich nie mehr nach einem Amt streben. Ich würde mich nie mehr an die Spitze einer Partei oder Gruppierung stellen, vor allem keiner, die deinen Interessen abträglich wäre. Nie mehr würde ich danach streben, ein Gesetz aufzuheben, das während deines Konsulats in Kraft gesetzt wurde. In der kurzen irdischen Spanne, die mir noch bleibt, werde ich mein Leben allein der Wiederherstellung des Vermögens meiner armen Familie, der Unterstützung meiner Freunde in den Gerichtshöfen und dem Wohlergehen des Gemeinwesens widmen. Dessen sei versichert.
Ich sende dir diesen Brief durch meinen treu ergebenen Sekretär M. Tiro, an den du dich vielleicht noch erinnerst. Ihm kannst du jede Antwort, die du mir zukommen lassen möchtest, anvertrauen.
»Es ist vollbracht«, sagte Cicero, als er fertig war. »Ein beschämendes Dokument, aber wenn es denn eines Tages vor einem Richter verlesen werden sollte, brauche ich wohl nicht zu sehr zu erröten.« Er fertigte eigenhändig eine Abschrift davon an, versiegelte sie und überreichte sie mir. »Halte die Augen offen, Tiro. Beobachte ihn und die Personen, die bei ihm sind. Ich will einen genauen Bericht. Wenn er fragt, wie es mir geht, tu so, als wolltest du mit der Sprache nicht recht raus, und sage ihm dann ganz im Vertrauen, dass ich am Ende bin, geistig und körperlich. Je sicherer er sich ist, dass ich erledigt bin, desto eher lässt er mich zurückkehren.«
Zu jener Zeit, als der Brief geschrieben wurde, war unsere Lage gerade wieder sehr viel unsicherer geworden. In Rom wurde nach einer – von Clodius manipulierten – öffentlichen Abstimmung der Erste Konsul Lucius Calpurnius Piso, Caesars Schwiegervater und ein Feind Ciceros, zum Statthalter von Macedonia bestimmt. Er würde mit Beginn des neuen Jahres sein Amt antreten, und ein Vorauskommando seines Stabs wurde in Kürze in der Provinz erwartet. Wenn Cicero ihnen in die Hände fiel, würden sie ihn auf der Stelle töten. Eine weitere Tür schloss sich langsam für uns. Meine Abreise duldete keinen Aufschub mehr.
Mir graute vor einem emotionalen Abschied, und ich wusste, dass es Cicero nicht anders erging. Also richteten wir es in stummer Übereinkunft so ein, dass es nicht dazu kam. Am Abend vor meiner Abreise, als wir zum letzten Mal zusammen gegessen hatten, schützte er Müdigkeit vor und ging früh zu Bett. Ich versicherte ihm, dass ich mich am Morgen von ihm verabschieden würde. Tatsächlich verließ ich das noch dunkle und stille Haus vor Morgengrauen. Ich wusste, dass es in seinem Sinne war.
Plancius hatte eine Eskorte für mich organisiert, die mich über die Berge zurück nach Dyrrhachium geleitete. Dort ging ich an Bord eines Schiffes, das mich nach Italien brachte – diesmal nicht auf direktem Weg nach Brundisium, sondern in nordwestlicher Richtung nach Ancona. Die Überfahrt dauerte viel länger als auf dem Hinweg, fast eine Woche. Trotzdem ging es schneller als auf dem Landweg und hatte zusätzlich den Vorteil, dass ich nicht auf Clodius’ Leute treffen konnte. Nie zuvor hatte ich eine so lange Reise allein unternommen, und schon gar nicht mit dem Schiff. Mir graute vor dem Meer, wenn auch nicht wie Cicero, der Angst vor Schiffbruch und Ertrinken hatte. Bei mir war es die endlose Leere des Horizonts bei Tag und das gewaltige, gleichgültig glitzernde All bei Nacht, was mir zusetzte. Zu jener Zeit war ich sechsundvierzig, und ich war mir nur zu gut des Nichts bewusst, das wir alle ansteuerten. Während ich auf Deck saß, dachte ich oft an den Tod. Ich hatte viel erlebt, mein Körper war nicht mehr der jüngste, aber mein Geist erschien mir noch viel älter. Ich ahnte damals nicht, dass ich erst weniger als die Hälfte meines Lebens hinter mir hatte und es mir bestimmt war, Dinge zu erleben, die alle bisherigen Wunder und Dramen ziemlich blass und unbedeutend erscheinen lassen würden.
Das Wetter war günstig, und so erreichten wir ohne...
Erscheint lt. Verlag | 12.10.2015 |
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Reihe/Serie | Cicero | Cicero |
Übersetzer | Wolfgang Müller |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Dictator |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Schlagworte | Altes Rom • Caesar • Cicero • eBooks • Griechenland • Historische Romane • Historischer Roman • Julius Cäsar • Politthriller • Redner • Römer • Römische Geschichte • Römische Republik • Römisches Reich • spiegel bestseller • SPIEGEL-Bestseller • Thriller • Tiro |
ISBN-10 | 3-641-17647-6 / 3641176476 |
ISBN-13 | 978-3-641-17647-1 / 9783641176471 |
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Größe: 4,3 MB
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