Der Seelentourist (eBook)

Roman
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2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-16230-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Seelentourist -  Robert Sheckley
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Mittvierziger vom Mars wünscht Körpertausch mit interessiertem Herrn von der Erde
Im 21. Jahrhundert ist es durchaus üblich, auf Seelentourismus zu gehen: Man lässt seinen Geist einfach in den eines anderen Wesens auf einem fremden Planeten transferieren und erlebt so all die Wunder hautnah mit. Marvin träumte schon immer davon, so auf eine große Reise zu gehen. Doch der Seelentourismus ist nicht ganz ungefährlich, vor allem dann, wenn man die ausgetretenen Touristenpfade verlässt und sich bei allzu abgelegenen Kulturen einnistet. So wird auch Marvins große Reise schnell zu einem Horrortrip durch die seelischen Abgründe der Galaxis ...

Robert Sheckley, 1928 in New York geboren, studierte Englisch und Philosophie an der New York University. Bereits während des Studiums begann er erste Kurzgeschichten zu veröffentlichen, und in kürzester Zeit machte er sich einen Namen als einer der intelligentesten und humorvollsten Science-Fiction-Autoren. Parallel zu seiner Schreibtätigkeit arbeitete er als Literaturredakteur und hatte Gastdozenturen an verschiedenen Universitäten. Sheckley starb im Dezember 2005.

2


 

Wie er erwartet hatte, saß Billy Hake, sein bester Freund, beim Sodabrunnen auf einem Stuhl und trank ein mildes Halluzinogen, das als LSD-Shake bekannt war.

»Alles klar, Herr Kommissar?«, fragte Hake im zu jener Zeit gerade üblichen Slang.

»Reine Sahne, Kumpane«, gab Marvin die obligatorische Antwort.

»Du koomen ta de la klipje?«, fragte Billy. (Spanisches Pidgin-Afrikaans war in jenem Jahr der neueste Gag.)

»Ja, Mijnheer«, antwortete Marvin ein bisschen schwermütig. Er war einfach nicht in der Stimmung für solche Sprüche.

Billy spürte, dass Marvin Kummer hatte. Er steckte eine Nebelpille in den Mund, biss darauf und spürte, wie der grüne Rauch sich in seinem Mund ausbreitete. »Nun denn, wo liegt der Hund begraben?«, erkundigte er sich. Die Frage war etwas verschwommen formuliert, aber zweifelsohne sehr teilnahmsvoll.

Marvin setzte sich neben Billy. Da er seinen Freund nicht mit seinen Sorgen belasten wollte, hob er beide Hände und redete in der Zeichensprache der Prärieindianer. (Viele intellektuelle junge Männer waren noch immer stark durch die Projectoscope-Produktion des Dakota-Dialogs beeinflusst. Bjorn Rakradish hatte Crazy Horse gespielt und Milovar Slavivowitz Sitting Bull, und sie hatten sich ausschließlich in Zeichensprache unterhalten.)

Marvin ahmte die Gesten nach und beklagte sich doch ernsthaft, indem er Das-Herz-das-bricht, Das-Pferd-das-wandert, Die-Sonne-die-nicht-scheinen-will und Den-Mond-der-nicht-aufgehen-kann darstellte.

Er wurde von Mr. Bigelow unterbrochen, dem Besitzer der Stanhope-Apotheke. Mr. Bigelow war siebenundvierzig, hatte eine beginnende Glatze und einen kleinen, aber unübersehbaren Bauch. Trotzdem gab er sich in seinem Auftreten sehr jugendlich. Er sagte zu Marvin: »Eh, Mijnheer, querenzie tomar la klopje immensa de la cabeza vefrouvens in forma de ein Skoboldash-Eisbecher?«

Es war typisch für Mr. Bigelow und andere Vertreter seiner Generation, den Jugendslang zu übertreiben, so dass er überhaupt nicht mehr komisch wirkte, mit Ausnahme des unbeabsichtigten Pathos.

»Subito«, sagte Marvin und ließ Bigelow mit jugendlich unbedachter Grausamkeit abblitzen.

»Nun, nicht dass ich stören wollte«, sagte Mr. Bigelow, und gekränkt entfernte er sich mit jenem trippelnden Gang, den er in der Show Abbild des Lebens gesehen hatte.

Billy hatte Verständnis für das Leid seines Freundes, und zugleich verwirrte es ihn. Er war vierunddreißig, ein gutes Jahr älter als Marvin, fast schon ein Mann. Er hatte einen guten Job als Vorarbeiter am Montageband 23 in Petersons Waggonfabrik. Natürlich neigte er noch sehr stark zu jungenhaftem Benehmen, aber er war sich doch bewusst, dass sein Alter ihm gewisse Verpflichtungen auferlegte. Deshalb überwand er die Angst vor verwirrenden Problemen und sprach offen und klar mit seinem ältesten Freund.

»Marvin – was bedrückt dich?«

Marvin zuckte die Achseln, verzog den Mund und wippte nervös mit dem Fuß. Er sagte: »Also hör mal, Hombre, meine momentane gefühlsmäßige Großwetterlage ist ein absoluter Doublefuck in the Morningtime. Dingensnochmal, totales Tief …«

»Du kannst normal sprechen«, sagte Billy mit der Würde eines beinahe Erwachsenen.

»Tut mir leid«, sagte Marvin in Normalsprache. »Es ist nur – oh, Billy, ich möchte so gerne reisen!«

Billy nickte. Er kannte die Reisebesessenheit seines Freundes. »Klar«, sagte er. »Mir geht es genauso.«

»Aber bei dir ist es nicht so schlimm. Billy – ich sterbe vor Fernweh.«

Sein Skoboldash-Eisbecher wurde serviert. Marvin nahm keine Notiz davon und schüttete seinem Freund sein Herz aus. »Ehrlich, Billy, ich bin wirklich total von den Socken. Ich denke nur noch an Mars und Venus und wirklich weit entfernte Welten wie Aldebaran und Antares. Ich meine, verflucht noch mal, ich kann einfach an gar nichts anderes mehr denken. Der sprechende Ozean von Procyon IV, und die dreigliedrigen Hominiden von Allua II; ich werde eingehen, wenn ich diese Dinge nicht zu sehen bekomme.«

»Klar«, sagte sein Freund. »Ich möchte sie auch gerne sehen.«

»Nein, du begreifst nicht«, sagte Marvin. »Es geht nicht bloß ums Sehen – es ist – es ist wie – es ist schlimmer als – ich meine, ich kann nicht den Rest meines Lebens in Stanhope verbringen, wenn es hier auch schön ist und ich einen guten Job habe und eine Menge scharfe Pflaumen hier rumlaufen. Ich will nicht bloß heiraten und Kinder großziehen und – und – es muss doch noch mehr im Leben geben!«

Dann verfiel Marvin in jungenhaftes, inkohärentes Gestammel. Doch etwas von seinen Gefühlen war durch den wilden Strom seiner Worte gedrungen, und sein Freund nickte verständnisvoll.

»Marvin«, sagte er leise. »Deine Problematik kommt bei mir echt voll rüber. Aber selbst für eine interplanetarische Reise brauchst du doch einen Haufen Kohle. Und ein interstellarer Trip ist ganz einfach nicht drin.«

»Doch, es ist beides drin«, sagte Marvin, »wenn man vom Körperaustausch Gebrauch macht.«

»Marvin! Das ist doch wohl nicht dein Ernst!« Sein Freund war ernstlich schockiert.

»Doch, das ist es!«, sagte Marvin. »Und bei des Teufels Avocado, ich werde es tun!«

Nun waren sie beide schockiert. Marvin gebrauchte fast nie Schimpfwörter. Daran, dass er es nun tat, konnte Billy sehen, unter welchem psychischen Druck sein Freund stand. Und Marvin wurde sich schlagartig der Tragweite seiner Entscheidung bewusst. Jetzt, wo er es einmal ausgesprochen hatte, war der Gedanke, es auch in die Tat umzusetzen, weniger furchterregend.

»Aber das kannst du nicht«, sagte Billy. »Körperaustausch ist – nun, es ist etwas Schmutziges!«

»›Schmutzig ist, wer schmutzig denkt, Cabrón.‹«

»Nein, im Ernst. Du willst doch wohl nicht einen alten marsianischen Sandbuddler in deinem Kopf haben? Der deine Arme und Beine bewegt, aus deinen Augen guckt, dich berührt, und vielleicht sogar …«

Marvin schnitt ihm das Wort ab, ehe er etwas wirklich Schlimmes sagen konnte. »Immerhin bin ich ja zur gleichen Zeit in seinem Körper, auf dem Mars, also ist es für ihn genauso unangenehm.«

»Ach was, von solchen Dingen haben Marsianer doch keinen Schimmer«, sagte Billy.

»Das ist nicht wahr«, sagte Marvin. Obgleich jünger, war er doch in vielen Dingen reifer als sein Freund. Er hatte mit viel Fleiß Vergleichende Interstellare Ethik studiert. Durch seinen Wunsch zu reisen war er in seinen Einstellungen weit weniger provinziell als sein Freund und eher bereit, die Meinung anderer Wesen zu respektieren. Seit er mit zwölf Jahren lesen gelernt hatte, beschäftigte Marvin sich mit den Sitten und Gebräuchen vieler verschiedener Rassen der Galaxis. Immer hatte er danach gestrebt, diese Geschöpfe durch ihre eigenen Augen zu sehen und ihre andersartige Psyche zu begreifen. Zudem hatte er in Projizierender Empathie eine Erfolgsquote von 95 Prozent erreicht und somit seine Befähigung zu erfolgreicher Kontaktaufnahme mit Außerirdischen unter Beweis gestellt. Kurz gesagt, für einen jungen Mann, der sein ganzes Leben im Hintergrund der Erde zugebracht hatte, war er bestens fürs Reisen präpariert.

 

An diesem Nachmittag öffnete Marvin, allein in seinem Dachzimmer, sein Lexikon. Es war sein Freund und Begleiter, seit seine Eltern es ihm zum neunten Geburtstag geschenkt hatten. Nun stellte er den Verständnisgrad auf »einfach«, tippte seine Fragen ein und lehnte sich zurück, während die roten und grünen Lämpchen zu blinken begannen.

»Hallo, Leute«, sagte der Kasettenrecorder mit seiner Plauderstimme. »Heute – möchte ich euch etwas über Körperaustausch erzählen!«

Es folgten ein paar historische Anmerkungen, die Marvin ignorierte. Er wurde wieder aufmerksam, als er den Kassettenrecorder sagen hörte:

»Also stellen wir uns den Geist als so 'ne Art elektroformes oder sogar subelektroformes Wesen vor. Wie vorhin schon gesagt, war der Geist ja ursprünglich vermutlich eine Projektion unserer Körperfunktionen und hat sich dann zu einem quasi unabhängigen Wesen entwickelt. Sicher ist euch schon längst klar, was das bedeutet, Jungs. Es ist, als hättet ihr einen kleinen Mann im Ohr – oder jedenfalls so ähnlich. Ist das nicht ein dolles Ding?«

Der Kassettenrecorder lachte kurz über seinen kleinen Scherz, dann fuhr er fort.

»Und was ist also die Folge dieses Mischmaschs? Nun, Kinder, wir sind in einer Art symbiotischem Zustand, von dem Geist und Körper profitieren, wenngleich sich auch unser Mr. Geist ein bisschen parasitär benimmt. Aber trotzdem kann – theoretisch – jeder der beiden ohne den anderen existieren. Na, jedenfalls sagen die Großen Denker das.«

Marvin spulte vor.

»Was nun das Projizieren des Geistes angeht – nun, Leute, stellt euch einfach vor, ihr werft einen Ball …«

»Geist in Körper, und umgekehrt. Letzten Endes sind sie lediglich unterschiedliche Formen derselben Sache, so wie Materie und Energie. Natürlich müssen wir uns nun noch ansehen, wie …«

»Natürlich ist unser Wissen darüber rein pragmatischer Natur. Wir könnten uns dazu kurz Van Voorhes' Agglutinierende Reform und die Theorie der relativen Absoluta ansehen. Allerdings werfen diese beiden Theorien mehr Fragen auf, als sie beantworten …«

»… und die ganze Geschichte ist nur möglich durch das etwas überraschende Fehlen einer Immuniform-Reaktion.«

»Für den Körperaustausch werden mechanische Hypnosetechniken benutzt, wie zum Beispiel hypnotischer Tiefschlaf oder die...

Erscheint lt. Verlag 28.5.2015
Übersetzer Thomas Görden
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Mindswap
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Der widerspenstige Planet • eBooks • Reise • Robert Sheckley
ISBN-10 3-641-16230-0 / 3641162300
ISBN-13 978-3-641-16230-6 / 9783641162306
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