Erwin, Enten & Entsetzen (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
368 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-15352-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Erwin, Enten & Entsetzen -  Thomas Krüger
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Erwin Düsediekers Freundin Lina Fiekens ist verschwunden. Sie wollte ihre Schwester auf der Insel Oddinsee besuchen. In den Zeitungen wird von einer unbekannten Toten berichtet. Erwin muss in den Norden, ans Meer, um sie zu finden. Selbstverständlich reist Erwin nicht ohne seine Laufenten Lothar und Lisbeth und deren Nachwuchs Alfred. Auf Oddinsee erleben sie eine Welt voller Mythen & Morde.

Thomas Krüger, geboren 1962 in Ostwestfalen, arbeitete zunächst als Journalist für Tageszeitungen und Magazine. Heute ist er Hörbuch- und Kinderbuchverleger, Autor von Kinderbüchern (»Jo Raketen-Po«) und zahllosen Sonetten - u.a. an Donald Duck. Thomas Krüger lebt mit seiner Familie in Bergisch Gladbach bei Köln.

Erwin allein zu Haus

Erwin Düsedieker nahm ein Schaumbad und dachte an den kommenden Sommer. Es war Juni, Ende Juni, das Wetter war herrlich. Es würden helle, warme Tage werden. Vielleicht würden sie in diesem Sommer sogar zusammen baden gehen, Lina und er. Die Wanne in Erwins Wintergarten, zwischen Regalen voller Bücher, war ein Ort, der zu kühnen Gedanken ermunterte.

Gedanken, die Erwin nie zuvor gedacht hatte.

Natürlich würden sie nicht gemeinsam in der Wanne sitzen. So weit wagte er sich nun doch nicht. Zumal die Wanne – ein vergoldetes Modell mit nostalgischem Charme – kaum größer war als eine normale Badewanne, Lina 71 Jahre alt war und Erwin 100 Kilo wog. Aber die Wanne war ein passender Ort, um über das Baden nachzudenken. Der alte Wassergraben am Barthelweddebüx’schen Gutshof war in den vergangenen Wochen von einzelnen Dörflern zweckentfremdet worden. Der Mai war warm gewesen, und der Hof stand seit Monaten leer. Da passierte so was wohl. Außerdem gab es da nah dem Süllbach einen kleinen, versteckten Teich …

Erwin fühlte sich beim Gedanken an einen Sommertag mit Lina ganz verwegen. Überhaupt, seine Stimmung war gut. Das Haus am Grenzweg 2, die alte Polizeiwache von Versloh-Bramschebeck, war nicht länger ein düsterer Ort für Erinnerungen an eine düstere Kindheit. Erwin, Sohn des ehemaligen Dorfpolizisten Friedhelm Düsedieker und dessen Frau Gertrude, hatte nach dem Tod der Eltern allein gelebt – als Mann, der in Gummistiefeln, Trainingshose und altem Parka übers Land stapfte und die Polizeimütze seines Vaters trug. Erwin war ein Original, ein Mensch, den man im Ort belächelte. Anders als sein Vater war Erwin kein Polizist. Er konnte gar kein Polizist sein. Obwohl er schon Kriminalfälle gelöst hatte. Mysteriöse Fälle, die den Landstrich erschüttert hatten.

Erwin war und blieb in Bramschebeck der Dorftrottel mit der Mütze.

Nun, die Sache mit der Polizeimütze war Geschichte. Erwin trug sie nicht mehr. Zu vieles war passiert. Und zu viel hatte er herausgefunden über die Vergangenheit seines Vaters, die keine saubere, sondern eine ziemlich braune gewesen war. Erwin hatte beschlossen, sich nicht länger zum Gespött der Leute zu machen. Er hatte die Mütze in einem alten Schrank auf dem Dachboden deponiert. Lange hatte er gebraucht, um aus den Schatten seiner Eltern herauszutreten. Jetzt war es geschafft. Erwin war fast 59 Jahre alt, und seit dem 1. Mai lebte Lina Fiekens bei ihm im Haus. Was man im Dorf nicht verstand.

Aber die Liebe war eine wunderbare Macht.

Erwin ließ warmes Wasser nach, atmete den Duft von Rosenblüten ein, der aus dem Schaum stieg. Dann blickte er auf die Regalwände. Bücher waren, neben der vergoldeten Wanne, sein zweites Geheimnis. Erwin, der Dummkopf, liebte Bücher. Das wusste in Bramschebeck kaum jemand. Die Wände des Wintergartens waren bis unter die Decke vollgestellt mit Werken der Literatur, mit Bildbänden, Folianten, Klassikern, auch Sachbüchern. Die Wanne stand sozusagen im Brennpunkt eines Kosmos, dessen Fixsterne Shakespeare hießen, Milton, Goethe, Dante oder Homer.

Da Erwin ein Mensch ohne Dünkel war, fanden sich hier auch der Struwwelpeter und diverse Comics. Doch seit Wochen bestimmte Homer den Geist seiner Bibliothek: die Ilias und vor allem die Irrfahrten des Odysseus. Jetzt, wo er die Regale betrachtete, sah Erwin in den Buchrücken bunte Segel.

Manchmal überwältigten ihn solche Bilder.

Immer wieder gingen ihm die alten griechischen Seefahrer-Geschichten durch den Kopf. Sie passten gut zur Wanne. Eine Wanne war ein bisschen wie das Meer und ein bisschen wie ein Schiff. Aber die Wanne war nicht der Grund für Erwins seltsame Gedanken.

Der Grund war Lina.

Lina hatte vor acht Tagen ihre Koffer gepackt, hatte sie vom Gepäckservice der Bahn abholen lassen und war auf die Insel Oddinsee gereist, wo ihre Schwester Theresa in der Nähe eines Dorfes namens Grübchen einen Ferienbauernhof betrieb. Den Hof ihrer Eltern. Lina und Theresa hatten sich lange nicht gesehen. Früher, so hatte Lina erzählt, hatte sie im Sommer immer einige Wochen bei Theresa verbracht, hatte zur Ferienzeit auf dem Hof geholfen. Aber dann war der Kontakt abgebrochen. Als Lina zu Erwin in die alte Wache zog, war sie auf die Idee gekommen, ihre Schwester zu besuchen, ihr alles zu erzählen. Lina hatte gestrahlt. Sie sei glücklich, hatte sie gesagt. Und Erwin hatte gemerkt, dass Lina auch Theresa glücklich sehen wollte. Sie hatte angedeutet, dass Theresas Leben auf der Insel nicht immer einfach gewesen war.

Lina war also losgefahren, vom Dettbarner Bahnhof aus. Mit ihrem Fahrrad im Gepäck. Erwin hatte versucht, ihr die Reise auszureden. Ohne Erfolg. Das Einzige, was er hatte tun können, war, den Hinterreifen des alten Damenrades Marke Torpedo zu wechseln. Der war ziemlich runtergefahren. Über den Dorfladen bestellte er einen Reifen mit Blockprofil. Der hieß Explorer und war die richtige Wahl für ein Rad, dessen Besitzerin hinaus in die Wildnis wollte. Als Erwin den Reifen aufgezogen hatte, hatte Lina gelächelt. Er selbst hatte einen Kloß im Hals gehabt.

»Ach, Erwin. Das wird schon«, hatte sie gesagt.

Er hatte genickt.

Der Stolz der Frauen.

Ja, die Idee mit der Reise hatte ihn enorm verunsichert. Er selbst hatte Versloh-Bramschebeck, das Universum seiner Fußmärsche, selten verlassen. Erwin reiste nicht, er wanderte. Und er blieb mit jedem Schritt ein Teil der klebrigen Äcker, der fladenreichen Wiesen, der dunklen Wälder. Erwin benutzte niemals ein Fahrzeug, nicht einmal ein Fahrrad. Nun war Lina davongefahren, mit Zug und Fähre, auf eine ferne Insel. Eine Insel in einem Meer, das so groß war wie der Himmel.

Anfang Juli wollte sie wieder bei ihm sein. So war es versprochen.

Erwin lehnte sich in der Wanne zurück und blickte durch die Fensterfront des Wintergartens. Wie um sich abzulenken, betrachtete er den Gartenteich und die Blumen. Die Tage ohne Lina hatten dafür gesorgt, dass Alfred ungestört in der Teichrandbepflanzung hatte marodieren können. Alfred war erst wenige Monate alt, eine Laufente, wie Lothar und Lisbeth. Doch Alfred unterschied sich grundlegend von seinen Eltern. Lothar und Lisbeth waren schneeweiß. Leuchtend weiß. Ihr Gefieder strahlte etwas aus, das Erwin immer mal wieder ein Signal war, ein Licht in der Dunkelheit des Lebens. Alfred hingegen war schwarz. Vom Schnabel bis zu Bürzel und Füßen. Pechschwarz. Wie auch immer das geschehen konnte und welche Gesetze der Vererbung die Natur herangezogen haben mochte: Alfred war anders – vielleicht nicht das schwarze Schaf, aber doch die schwarze Ente der Familie. Er hatte weder die vornehme, manchmal scheue Zurückhaltung Lothars noch die sachliche Art seiner Mutter Lisbeth. Alfred war ein jugendlicher Heißsporn mit einer Impulsivität, die Lothar und Lisbeth allein in Krisenmomenten, beim Lösen von Kriminalfällen zeigten.

Lothar und Lisbeth waren immerhin so was wie Ermittlungsenten.

Wann immer Erwin in den vergangenen zwei Jahren, ohne es zu wollen, in einen Kriminalfall geraten war, hatten sie ihm geholfen. Eine Ente, die vor einem Problem stand, war immer bereits ein erster Schritt zur Lösung des Problems.

So dachte Erwin bisweilen.

Alfred, der junge Erpel hingegen, gefiel sich darin, immer mal wieder ein erster Schritt zu einem Problem zu sein. Die Farbe Schwarz tarnte ihn im dunklen Landstrich namens Versloh. Er wurde bei allem, was er tat, später ertappt als andere.

Das kam seiner Neigung zum Risiko entgegen.

Nun, vielleicht würde er im Alter ruhiger werden, und das Alter begann bei Enten ja schon recht früh. Erwin konnte Alfred jedenfalls nie böse sein. Die Enten genossen im Garten hinter dem Haus Narrenfreiheit.

Trotzdem gedachte Erwin vor Linas Heimkehr noch ein wenig Ordnung in die beschädigte Bepflanzung zu bringen. Das wollte er nicht auf die lange Bank schieben. Die Geräte lagen bereit. Frauen – das wusste Erwin nicht allein von seiner verstorbenen Mutter Gertrude – hatten ein strenges Verhältnis zur Ordnung. Ein weit strengeres jedenfalls als eine junge, pechschwarze Ente.

So erhob sich Erwin aus der Wanne, stieg vorsichtig auf das bereitgelegte Frotteetuch auf dem Holzfußboden, trocknete sich ab und trat, noch nackt, an das Lesepult neben den Regalen.

Ein Brief lag auf der geneigten Fläche. Ein Brief von Lina. Abgeschickt kurz nach ihrer Ankunft auf Oddinsee. Erwin las die so akkurat und voller Schwung gesetzten Zeilen:

Grübchen, 22. Juni. Lieber Erwin. Bin gut angekommen. Die Insel ist unbeschreiblich. Eines Tages reisen wir zusammen hierher. Gib Dir einen Ruck. Hier fahren keine Autos. Hier kannst Du wandern, stundenlang. Du wanderst, ich begleite Dich. Es würde Dir gefallen. So viel Grün. So viel Sand. Auch Wälder. Und es gibt viele Vögel hier. Ich hatte fast vergessen, wie schön Oddinsee ist. Theresa hat was auf dem Herzen. Das fühle ich. Werde Dir berichten. Aber alles wird gut. Sie hat es nicht leicht. Ich vermute, das Geld ist knapp. Morgen kommen neue Feriengäste. Viel Arbeit! Und ich will auch lesen. Wie versprochen. Unser Buch! Unsere Bücher! Jetzt geht die Sonne auf. Herrlich! Ich bin aufgeregt wie ein junges Mädchen. Habe nur vier Stunden geschlafen. Die Frühe erwacht – mit Rosenfingern! Ja, ich bin angekommen. Ich freue mich. Und ich vermisse Dich sehr! Wie verrückt das Leben ist. »Einiges wird dein Herz dir selber sagen, o Jüngling; Anderes wird dir ein Gott eingeben. Ich denke, du bist nicht ohne waltende Götter geboren oder erzogen.« Und nun Du!...

Erscheint lt. Verlag 12.10.2015
Reihe/Serie Erwin Düsedieker
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Dietmar Bär • eBooks • Heimatkrimi • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Laufenten • Mord • Tatort
ISBN-10 3-641-15352-2 / 3641153522
ISBN-13 978-3-641-15352-6 / 9783641153526
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