Wild Cards - Der Sieg der Verlierer - (eBook)

Roman
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2015 | 1. Auflage
576 Seiten
Penhaligon (Verlag)
978-3-641-17123-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wild Cards - Der Sieg der Verlierer - -  George R.R. Martin
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Wie weit darf ein Held im Namen der Gerechtigkeit gehen?
Eine Atomexplosion erschüttert Texas! Doch es handelt sich nicht um einen Akt des Terrors, sondern um einen schrecklichen Unfall. Ein kleiner Junge namens Drake kann sein mächtiges Wild-Cards-Talent nicht beherrschen und hat die Katastrophe ausgelöst. Die aus Assen und Jokern bestehende Eingreiftruppe der UNO - genannt Das Komitee - will den Jungen unter ihren Schutz stellen. Doch als seine Mitglieder in Texas eintreffen, ist Drake verschwunden ...

Gleichzeitig versucht Drummer Boy, die Krise in der arabischen Welt zu beenden. Aber während des Einsatzes kommen ihm Zweifel. Kämpft er für die richtige Seite?

George Raymond Richard Martin wurde 1948 in New Jersey geboren. Sein Bestseller-Epos »Das Lied von Eis und Feuer« wurde als die vielfach ausgezeichnete Fernsehserie »Game of Thrones« verfilmt. 2022 folgt der HBO-Blockbuster »House of the Dragon«, welcher auf dem Werk »Feuer und Blut« basiert. George R.R. Martin wurde u.a. sechsmal der Hugo Award, zweimal der Nebula Award, dreimal der World Fantasy Award (u.a. für sein Lebenswerk und besondere Verdienste um die Fantasy) und fünfzehnmal der Locus Award verliehen. 2013 errang er den ersten Platz beim Deutschen Phantastik Preis für den Besten Internationalen Roman. Er lebt heute mit seiner Frau in New Mexico.

Double Helix

Einem Hungrigen ist alles Bittre süß.

Melinda M. Snodgrass

Ich lasse die Abschnitte über Asche und Würmer aus. Die Seiten sind dünn. Sie fühlen sich fast wie Federn an, wenn ich sie umblättere und nach Stellen suche, bei denen mir nicht die Galle hochkommt. Ich weiß, dass mein Vater stirbt. Ich muss nicht erst darüber lesen.

Hier ist eine Stelle. Sie klingt mehr nach Lord Dunsany als nach den Weisheiten längst verstorbener Hebräer. »Du baust deine Gemächer über den Wassern. Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen und kommst daher auf den Fittichen des Windes.« Ich habe eine gute Stimme und verstehe sie zu gebrauchen. Jetzt setze ich sie ein, um die letzten Worte tiefer und weicher zu färben. Zwar ist mir bewusst, dass er schlafen sollte, aber ich will ihn nicht schlafen lassen. Ich will mit ihm reden. Seine Stimme hören, bevor sie für immer schweigt.

Dieser verdammte Kloß ist wieder da. Andauernd schlucke ich, damit er kleiner wird. Durch das Zwillingsfenster erkenne ich auf dem trägen Cam ein paar Sonnenstrahlen glitzern. Es ist August, und es kommt einem vor, als wolle dieser Sommer kein Ende nehmen. Im Zimmer ist es entsetzlich stickig, und die Luft ist schwer vom eklig süßen Geruch einer tödlichen Krankheit. Ich spüre, wie mir das Hemd am Rücken festklebt. Draußen knattert irgendwo ein Rasenmäher, und ein Hund kläfft verärgert. Wahrscheinlich werde ich den Rasen meiner Eltern selbst mähen müssen. Oder ich heure einen Teenager an. Durchs offene Fenster rieche ich das Gras. Die Zweige des Apfelbaums werden niedergedrückt von der rosafarbenen Last. Vielleicht geht es allen Lebewesen so, wenn sie sich vermehren.

Mein Vater berührt meinen Handrücken. Seine Haut fühlt sich an wie die hauchdünnen Seiten der Bibel, die jetzt in meinem Schoß liegt. »Danke …« Seine blauen Augen in dem Gesicht, das nur noch aus kantigen, von gespannter Haut überzogenen Knochen besteht, sind erstaunlich wach. »Da steht eine Menge Weisheit drin«, fügt er hinzu und legt seine Hand auf die Bibel. »Wenn du mir vorliest, findest du vielleicht etwas davon.«

Märchen und Fantastereien, denke ich, lasse mir jedoch nichts anmerken. »Dann hältst du mich also für einen Toren.« Ich grinse ihn an. »Danke.«

»Nein.« Er sieht mich ernst an. »Aber ich weiß, dass irgendwas nicht stimmt. Ich habe dich aufgezogen, Noel, vor mir kannst du das nicht verheimlichen.«

Er lächelt, aber wie bei jedem Kind, das mit der übernatürlichen Allwissenheit seiner Eltern konfrontiert wird, krampfen sich mir die Eingeweide zusammen. Genauso schnell vergeht es wieder. Schließlich bin ich achtundzwanzig, und für einen Augenblick bereitet es mir Vergnügen zu rätseln, was ich seiner Meinung nach getan habe. Ich habe keine Groupies geschwängert, denn als Hermaphrodit bin ich unfruchtbar. Schulden habe ich auch keine. Sowohl mein offizieller als auch mein geheimer Job bringen mir gutes Geld ein. Was glaubt er nur, was ich angestellt habe? Kurz spiele ich mit dem Gedanken, es ihm zu verraten.

Du weißt, Dad, dass ich Mitglied der Silver Helix bin, einer Abteilung des MI-7. Was du aber nicht weißt, ist, dass ich für sie töte. Ich könnte dir nicht mehr sagen, wie viele Leute ich umgelegt habe. Man behauptet immer, dass man sein erstes Opfer nie vergessen wird. Aber von dem habe ich genauso wenig ein Gesicht vor Augen wie von den anderen.

Natürlich tu ich das nicht. Ich stehe auf, lege die Bibel zur Seite und strecke mich. »Tee? Es gibt Zitronentörtchen und gekochte Zunge für Sandwichs. Isst du etwas?«

»Ich versuch’s.«

Unsere Küche ist klein und vollgestopft, in der Spüle türmt sich das Geschirr mehrerer Tage. Eine fette Fliege schwirrt träge zwischen dem Mülleimer und dem schmutzigen Geschirr hin und her. Ihr Summen hat fast etwas Hypnotisierendes. Nein, nein, nein. Mit einem heftigen Kopfschütteln vertreibe ich die Müdigkeit. Wie es aussieht, muss ich nicht nur einen Teenager, sondern auch eine Haushaltshilfe anheuern.

Die Zunge, tiefrot und mit Geschmacksknospen gesprenkelt, hat einen Fettüberzug, der im Kühlschranklicht schimmert. Die riesigen, mit Nahrungsmitteln überquellenden Kühlschränke in amerikanische Küchen sind fast schon obszön. Aber wir Engländer tasten uns langsam in dieselbe Richtung vor. Wer hat schon die Zeit, jeden Tag aufs Neue Essen einzukaufen?

Ich frage mich, wer die Zunge gekocht hat – meine Mutter bestimmt nicht. Sie kocht nie. Mein Vater hat sich um das Haus und ums Kind gekümmert und alle Mahlzeiten zubereitet. Dabei hat er alle Klischees der britischen Küche erfüllt. In meinem Innern flackert Wut auf, doch ich weiche ihr aus. Es ist nicht Mamas Schuld, dass er stirbt. Sie hat die Brötchen verdient, von daher hatte sie schon das Recht, sich zu Hause um die Arbeit zu drücken. Allerdings hatte ich den Verdacht, dass sie auch dann nicht gekocht oder geputzt hätte, wenn sie keinen Job gehabt hätte.

Ihr Engagement für den radikalen Feminismus hatte ihr Leben bestimmt. Verdammt, sie war sogar so militant, dass sie absolut alles tat, um mich als Jungen zu erziehen. Das ist nur schwer begreiflich, denn auch wenn meine Geschlechtsteile einigermaßen ulkig aussehen, besitze ich doch zweierlei Arten davon. Man hätte mich genauso gut als Mädchen erziehen können, ohne dass ich einen neuen Namen gebraucht hätte. Man hätte ihn nur anders aussprechen müssen.

Mein Funkmeldeempfänger vibriert. Ich balanciere in der einen Hand die Zunge, während ich mit der anderen nach dem richtigen Pager krame. Seit ich öfter nicht in England bin, habe ich einen Textmelder für medizinische Notfälle bei mir, dazu den Pager, über den mein Manager meine Auftritte mit mir abspricht, einen vom Komitee für Lilith und einen von Prinz Siraj, der Bahir gilt. Dazu noch den von der Silver Helix. Im Moment meldet sich der von Siraj.

Leck mich, denke ich fiebrig, ziehe jedoch mein Handy hervor und rufe ihn an. Natürlich will er mich sehen. Natürlich muss es gleich sein. Natürlich gehe ich.

Der einzige Grund, weshalb Bahir dem Premierminister der Vereinigten Arabischen Emirate einen Besuch abstattete und nicht dem Präsidenten, war eine unglückliche Bemerkung, die Al Maktum gegenüber Prinz Siraj in einem Pariser Restaurant fallen gelassen hatte. Denn der Premierminister hatte erwähnt, dass er gern bei einem heißen Bad entspannte und dabei durch die Fensterwand den Sonnenuntergang betrachtete. Nackte sind besonders verwundbar, und Badezimmer sind auf Gebäudeplänen besonders leicht ausfindig zu machen. Und die Tatsache, dass das Zimmer nach Westen gehen musste, machte es vollends zu einem Kinderspiel, meine Zielperson mithilfe von Google Earth aufzuspüren. Die Tageszeit war weniger günstig. Während der Morgen- oder Abenddämmerung kann ich meine Kräfte nicht einsetzen, und nach Sonnenuntergang kann ich mich nicht mehr in Bahir verwandeln. Wenn Siraj sich an das Gespräch allerdings recht erinnerte, dann las Al Maktum vor Sonnenuntergang noch gern eine Weile in der Badewanne. Und ich sollte schließlich nur eine Warnung überbringen, was selten viel Zeit in Anspruch nahm.

Durch das gekräuselte Wasser in der tiefen, mit Glasfliesen verkleideten Wanne lässt es sich nicht genau erkennen, aber die Hoden des Premierministers scheinen sich in seinen Bauch zurückgezogen zu haben. Er starrt zu mir auf, und Entsetzen steht in seinen dunklen Augen. Ich riskiere einen Blick in das Spiegelpaar an einer Wand des mit Marmor verkleideten Badezimmers. In meinem schwarzen Dischdascha und mit der Pistole am Gürtel gebe ich eine einigermaßen furchterregende Erscheinung ab. Auf eine Kopfbedeckung habe ich verzichtet, da die Fransen die Sicht aus den Augenwinkeln beeinträchtigen. Außerdem schwitze ich darunter in der Wüstenhitze, und mein Kopf fängt an zu jucken. Deshalb leuchtet mein rot-goldener Haarschopf im Lampenlicht. Mit der Spitze meines Krummsäbels kratze ich mich am Bart. Der Blick des Premierministers weicht nicht von der Klinge. Ich würde mir wirklich wünschen, dieses Genie in Whitehall, das den Einfall hatte, meinen männlichen Avatar als Ass im Nahen Osten einzusetzen, hätte nicht auf den Säbel als Teil von Bahirs Erscheinungsbild bestanden. Das sieht so absurd nach Tausendundeine Nacht aus, aber jetzt habe ich ihn nun mal an der Backe. Bahirs Klinge hat schon etliche Menschen einen Kopf kürzer gemacht – unter anderem den letzten Kalifen.

»Prinz Siraj lässt seinem Bruder Grüße bestellen und ist betrübt, dass sein Bruder den Ölpreis, den der Kalif festgesetzt hat, nicht respektiert.«

»Das sind doch nur ein paar Dollar.« Seine Stimme zittert, und er winselt. Ich kann sehen, wie ihm eine Gänsehaut über Schultern und Oberarme läuft.

»Einhundert Dollar.«

»Die vom Kalifen festgelegten dreihundert sind zu viel. In Europa und Amerika geht die Wirtschaft in die Knie. Was haben wir davon, wenn wir sie in den Ruin treiben? Wenn niemand mehr unser Öl kaufen kann, woher sollen dann unsere Profite kommen?«

»Diese Argumente hättest du dem Prinzen ins Gesicht sagen sollen, anstatt dich wie ein Dieb hinter seinem Rücken herumzuschleichen. Seine Hoheit ist kein Narr. Er wird mit den Preisen wieder nachlassen, aber erst, wenn der Westen mächtig in die Tasche gegriffen hat.«

»Mit dem Krieg in Ägypten hatten wir nichts zu tun. Warum sollten wir dafür Rache nehmen? Keiner unserer Soldaten hat dabei sein Leben verloren.« Er wird wütend und fragt sich allmählich, ob er wirklich um sein Leben bangen muss. Ich...

Erscheint lt. Verlag 22.6.2015
Reihe/Serie Wild Cards - American Heroes
Übersetzer Simon Weinert
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Wild Cards 2. Busted Flash
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Asse • Casting • Castingshow • das lied von eis und feuer • eBooks • Fantasy • Joker • Marvel • Mutant • spiegel besteller • spiegel bestseller • SPIEGEL-Bestseller • Superhelden • Superhero • Urban Fantasy • Virus • X-Men
ISBN-10 3-641-17123-7 / 3641171237
ISBN-13 978-3-641-17123-0 / 9783641171230
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