Blindflug (eBook)

Roman

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-17250-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blindflug -  Peter Watts
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Ich denke, also bin ich.
Eines Tages werden rätselhafte Signale aus den Tiefen des Alls aufgefangen. Ein Erkundungsschiff wird losgeschickt, um der Sache auf den Grund zu gehen. Man hofft auf eine friedliche Begegnung mit den Außerirdischen, ist aber auch für andere Eventualitäten gerüstet. Doch dann stehen die Astronauten plötzlich einem Wesen gegenüber, so fremdartig, dass es mit menschlichen Maßstäben nicht zu fassen ist ...

Peter Watts wurde 1958 in Kanada geboren und studierte Naturwissenschaften und Zoologie an de University of Guelph, Ontario, und der University of British Columbia, Vancouver. Er arbeitete unter anderem auch für die Film- und Game-Industrie und verfasste bereits zahlreiche Science-Fiction-Romane. Mit seinem Roman Blindsight war er für den Hugo Award nominiert. Peter Watts ist mit der kanadischen Schriftstellerin Caitlin Sweet verheiratet.

Prolog


Versuch, den Kontakt zur Vergangenheit zu halten.
Versuch, mit ihr klarzukommen.
Sie ist nicht real.

Sie ist nur ein Traum.

– Ted Bundy

Angefangen – nein, angefangen hat es nicht hier draußen. Nicht mit den Scramblern oder Rorschach, nicht mit Big Ben oder Theseus oder den Vampiren. Die meisten Leute würden sagen, es begann mit den Irrlichtern, aber das stimmt nicht. Damit hat alles aufgehört.

Für mich begann es mit Robert Paglino.

Im Alter von acht Jahren war er mein bester und einziger Freund. Wir waren beide Außenseiter und Leidensgenossen, die ein ähnliches Missgeschick zusammengeschmiedet hatte. Meines war entwicklungsbedingt, seines genetischer Natur – ein unkontrollierter Genotypus, der ihm eine Veranlagung zur Kurzsichtigkeit, zu Akne und (wie sich später herausstellen sollte) eine besondere Empfänglichkeit für Drogen bescherte. Seine Eltern hatten ihn nie optimieren lassen. Die wenigen Fossile aus dem 20. Jahrhundert, die noch an Gott glaubten, vertraten auch die Ansicht, dass man Ihm nicht ins Handwerk pfuschen sollte. Obwohl man uns beide also hätte reparieren können, wurde das nur bei einem von uns tatsächlich getan.

Ich kam auf den Spielplatz und sah, dass Pag von einem halben Dutzend Kinder umringt war. Die Wenigen, die das Glück hatten, ganz vorn zu stehen, schlugen ihm ins Gesicht, während sich die anderen damit begnügen mussten, ihn als Mischling oder Blindschleiche zu beschimpfen, bis sie selbst an der Reihe waren. Ich sah, wie er beinahe zögerlich die Arme hob, um die schlimmsten Schläge abzuwehren. Ich konnte seine Gedankengänge fast besser nachvollziehen als meine eigenen. Er befürchtete, seine Angreifer könnten glauben, dass er die Hände hob, um zurückzuschlagen, dass er sich ihnen widersetzen wollte, und ihm dann noch mehr wehtun. Schon damals, im zarten Alter von acht Jahren und nach dem Verlust einer Gehirnhälfte, entwickelte ich mich zu einem ausgezeichneten Beobachter. Aber ich wusste nicht, was ich tun sollte.

Ich hatte Pag in letzter Zeit nicht mehr so oft gesehen und war mir ziemlich sicher, dass er mir aus dem Weg ging. Doch wenn der beste Freund in Schwierigkeiten ist, dann hilft man ihm, nicht wahr? Selbst wenn die Chancen schlecht stehen – und welcher Achtjährige würde sich schon mit sechs älteren Kindern anlegen, um einem Sandkastenkumpel zu helfen? Man holt wenigstens Verstärkung. Ruft einen Wachmann herbei. Tut irgendetwas!

Ich dagegen stand einfach nur da und empfand nicht einmal das Bedürfnis, ihm zu helfen.

Das war vollkommen absurd. Selbst wenn er nicht mein bester Freund gewesen wäre, hätte ich zumindest mit ihm fühlen müssen. Ich hatte weniger unter Übergriffen zu leiden als Pag; meine Anfälle hielten die anderen Kinder auf Abstand und jagten ihnen Angst ein, obwohl ich in diesen Augenblicken völlig hilflos war. Doch auch mir waren die Spötteleien und Beschimpfungen vertraut, genauso wie der Fuß, der einem unerwartet ein Bein stellt, damit man stolpert. Ich konnte das durchaus nachempfinden.

Jedenfalls hatte ich es früher einmal gekonnt.

Dieser Teil von mir war jedoch zusammen mit den schadhaften Gehirnverbindungen herausgeschnitten worden. Ich arbeitete noch an den Algorithmen, um ihn wiederzuerlangen, lernte aus der Beobachtung. Die Mitglieder eines Rudels stürzen sich stets auf die Schwächsten in ihrer Mitte. Instinktiv weiß das jedes Kind. Vielleicht sollte ich den Dingen einfach ihren Lauf lassen, der Natur nicht dazwischenfunken. Allerdings hatten auch Pags Eltern diesen Standpunkt vertreten, und was war dabei herausgekommen? Ein Sohn, der sich im Dreck krümmte, während ihm ein Haufen genetisch optimierter Supergören in die Rippen trat.

Am Ende siegte die Propaganda, wo das Mitgefühl versagte. Damals beobachtete ich eher, als dass ich nachdachte, erinnerte mich eher, anstatt logische Schlüsse zu ziehen – und ich erinnerte mich an Tausende mitreißender Geschichten, deren Helden sich für die Schwächeren einsetzten.

Also hob ich einen Stein von der Größe meiner Faust auf und schlug damit zwei von Pags Angreifern gegen den Hinterkopf, bevor irgendjemand überhaupt meine Anwesenheit bemerkte. Ein Dritter, der sich umdrehte, um die neue Bedrohung in Augenschein zu nehmen, bekam einen Schlag ins Gesicht ab, der ihm mit einem deutlich hörbaren Knirschen die Wangenknochen zerschmetterte. Ich erinnere mich, dass ich mich fragte, warum ich bei diesem Geräusch keine Genugtuung empfand, warum es mir nicht mehr bedeutete, außer dass ich mir um einen Gegner weniger Gedanken machen musste.

Sobald sie Blut sahen, ergriffen die Übrigen die Flucht. Einer der Mutigeren schwor Rache und schrie »Scheiß Zombie!« über die Schulter, bevor er um die Ecke verschwand.

Es sollte drei Jahrzehnte dauern, bis ich die Ironie dieser Bemerkung verstand.

Zwei der Gegner lagen zuckend zu meinen Füßen. Ich trat einem der Dinger gegen den Kopf, bis es aufhörte, sich zu bewegen, und wandte mich dann dem anderen zu. Etwas packte mich am Arm, und ich schlug danach, ohne nachzudenken, ohne hinzuschauen, bis Pag aufschrie und in Deckung ging.

»Oh«, sagte ich. »Tut mir leid.«

Eins der Dinger lag bewegungslos am Boden. Das andere stöhnte, hielt sich den Kopf und krümmte sich.

»O Mist«, keuchte Pag. Blut floss ihm aus der Nase und tropfte auf sein Shirt, ohne dass er darauf geachtet hätte. Seine Wange begann sich blau und gelb zu verfärben. »O Mist o Mist o Mist …«

Ich überlegte, was ich sagen sollte. »Hat es dich schlimm erwischt?«

»O Mist, du – ich meine, du hast noch nie …« Er wischte sich den Mund ab. Sein Handrücken war blutverschmiert. »O Mann, sitzen wir in der Tinte.«

»Die haben angefangen.«

»Ja, aber du – ich meine, schau sie dir an!«

Das stöhnende Ding kroch auf allen vieren davon. Ich fragte mich, wie schnell es ihm gelingen würde, Verstärkung zu holen. Vielleicht sollte ich es besser gleich töten?

»So was hast du vorher nie getan«, sagte Pag. Vor der Operation, meinte er.

In diesem Moment empfand ich tatsächlich etwas – schwach und dumpf, aber unverkennbar. Ich war wütend. »Die haben angefangen …!«

Mit weit aufgerissenen Augen wich Pag vor mir zurück. »Was machst du denn da? Leg das weg!«

Ich hatte die Fäuste erhoben. Ohne mir dessen bewusst zu sein. Ich öffnete sie, was eine Weile dauerte. Lange Zeit musste ich konzentriert auf meine Hände schauen.

Der Stein fiel zu Boden, glitschig und glänzend von Blut.

»Ich wollte dir helfen.« Ich begriff nicht, warum er das nicht kapierte.

»Du, du bist nicht mehr, wie du früher warst«, sagte Pag aus sicherer Entfernung. »Du bist nicht einmal mehr Siri

»Natürlich bin ich das. Red keinen Scheiß.«

»Sie haben dir das Hirn rausgeschnitten!«

»Nur die Hälfte. Wegen der Epi…«

»Schon klar, wegen der Epilepsie! Glaubst du, ich wüsste das nicht? Aber das war die Hälfte, in der du gesteckt hast – oder zumindest ein Teil von dir …« Er rang mit den Worten, mit den Vorstellungen, die ihnen zugrunde lagen. »Und jetzt bist du anders. Als hätten deine Mutter und dein Vater dich ermordet …«

»Meine Mutter und mein Vater«, sagte ich plötzlich ganz ruhig, »haben mir das Leben gerettet. Ich wäre gestorben.«

»Ich glaube, du bist tatsächlich gestorben«, sagte mein bester und einziger Freund. »Ich glaube, Siri ist gestorben. Sie haben ihn rausgekratzt und weggeworfen, und jetzt bist du ein ganz anderer Junge, nachgewachsen aus dem, was noch übrig war. Du bist nicht mehr derselbe. Seit damals bist du nicht mehr derselbe.«

Ich weiß immer noch nicht, ob Pag wirklich eine Ahnung hatte, wovon er da redete. Vielleicht hatte seine Mutter auch einfach den Stecker an dem Spiel gezogen, das er die letzten achtzehn Stunden gespielt hatte, und ihn an die frische Luft geschickt. Und nachdem er die ganze Zeit im Spiel gegen die Körperfresser gekämpft hatte, sah er sie nun überall. Vielleicht.

Aber in gewisser Weise hatte er recht. Ich erinnerte mich daran, dass Helen sich beklagt hatte, wie schwierig es sei, sich umzustellen. Als hättest du eine ganz neue Persönlichkeit, sagte sie. Und warum auch nicht? Nicht umsonst nannte man es eine totale Hemisphärenresektion: Die Hälfte des Gehirns wurde auf den Müll geworfen mitsamt dem ganzen Krill von gestern, was die verbliebene Hälfte zwang, die doppelte Leistung zu erbringen. Kaum vorstellbar, wie viele neue Verbindungen die eine einsame Gehirnhälfte knüpfen musste, um das alles wiedergutzumachen. Offenbar hat es funktioniert. Das Gehirn ist ein äußerst flexibler Körperteil; es hat einige Zeit gedauert, aber es hat sich angepasst. Ich habe mich angepasst. Wenn man allerdings überlegt, was im Zuge der Restaurierung alles gequetscht, verformt und umgestaltet worden sein musste! Man konnte durchaus behaupten, dass nun ein anderer Mensch in meinem Körper hauste.

Irgendwann tauchten natürlich die Erwachsenen auf. Medikamente wurden verabreicht, der Notarzt gerufen. Eltern waren empört, und ein diplomatisches Scharmützel begann. Es ist jedoch schwierig, bei den Nachbarn um Mitgefühl für sein verletztes Kind zu werben, wenn die Überwachungskameras des Spielplatzes den kleinen Sonnenschein – und fünf seiner Kumpel – aus drei verschiedenen...

Erscheint lt. Verlag 24.3.2015
Illustrationen Franz Vohwinkel
Übersetzer Sara Riffel
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Blindsight
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte diezukunft.de • eBooks • Firefall • Hard SF • Hard SF, Peter Watts, Firefall, diezukunft.de • Peter Watts
ISBN-10 3-641-17250-0 / 3641172500
ISBN-13 978-3-641-17250-3 / 9783641172503
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