Die Chroniken der Zeitpatrouille (eBook)

Erzählungen
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2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-11643-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Chroniken der Zeitpatrouille -  Poul Anderson
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Geschichte ist ein zerbrechliches Gebilde
Immer wieder gibt es Bestrebungen einzelner oder ganzer Gruppen, die Geschichte durch Eingriffe zu manipulieren, um sich Vorteile zu verschaffen. Deswegen wacht die Zeitpatrouille über das Muster des Zeitstroms und greift ein, wenn es zu verdächtigen Kräuselungen kommt, die auf Störungen hindeuten. Sie schickt ihre Spezialisten in die betroffenen Jahrhunderte, sorgfältig getarnt, die unauffällig und mit minimalstem Aufwand die Eingriffe rückgängig machen sollen. Doch oft ist das Aufspüren der Veränderungen gar nicht einfach, und immer wieder bedeutet die Arbeit der Zeitpatrouille, grausam in menschliche Schicksale einzugreifen und tragische Verluste hinzunehmen.

'Die Chroniken der Zeitpatrouille' versammelt neun längere Erzählungen von Poul Anderson.

Poul Anderson (1926-2001) begann schon während seines Physikstudiums in den Vierzigerjahren mit dem Schreiben von Science-Fiction-Stories, um sich das Studium zu finanzieren. 1952 erschien dann sein erster Roman, und bis zu seinem Tod im Jahr 2001 veröffentlichte er sowohl Fantasy- als auch Science-Fiction-Texte, hielt dabei jedoch immer die Trennung der Genres aufrecht. Er gehörte zu den produktivsten SF-Schriftstellern in den USA und wurde mehrfach ausgezeichnet; unter anderem gewann er sieben Mal den Hugo Award. Vor allem seine Geschichten und Romane um die Zeitpatrouille machten ihn auch international bekannt. Anderson starb am 31. Juli 2001 in Orinda, Kalifornien.

1

 

An einem Abend in New York in der Mitte des 20. Jahrhunderts hatte sich Manse Everard einen abgewetzten Hausanzug angezogen und mixte sich einen Drink. Die Türklingel unterbrach seine Tätigkeit. Er fluchte laut, denn er hatte ein paar anstrengende Tage hinter sich und wünschte sich keine andere Unterhaltung als die der verlorengegangenen Erzählungen von Dr. Watson.

Nun, vielleicht konnte man den Besucher schnell loswerden. Er schlurfte durch sein Apartment und öffnete mit verdrießlicher Miene die Tür. »Hallo«, sagte er kalt.

Und dann war es plötzlich, als befände er sich an Bord eines Raumschiffes, das gerade in den freien Fall eintrat. Er fand sich schwere- und hilflos im Glanz heller Sterne wieder.

»Oh«, meinte er. »Ich wusste nicht … Komm rein.«

Cynthia Denison wartete einen Augenblick und sah an ihm vorbei zur Bar hinüber. Er hatte zur Dekoration zwei gekreuzte Speere und einen Pferdekopf-Helm aus der achäischen Bronzezeit über ihr angebracht. Sie schimmerten dunkel und waren unglaublich schön. Sie versuchte, ihrer Stimme Festigkeit zu verleihen, schaffte es aber nicht. »Könnte ich einen Drink haben, Manse – jetzt sofort?«

»Natürlich.« Er machte den Mund zu und half ihr aus dem Mantel. Sie schloss die Tür und setzte sich auf die moderne schwedische Couch, in ihrer Form ebenso klar und funktional gestaltet wie die Waffen aus der Zeit Homers. Ihre Finger nestelten nervös an ihrer Tasche und entnahmen ihr eine Schachtel Zigaretten. Längere Zeit sah sie ihn nicht an, und auch er mied ihren Blick.

»Trinkst du immer noch Irish Whisky on the Rocks?«, fragte er schließlich. Seine Worte schienen von weit her zu kommen, und sein Körper wirkte zwischen den Flaschen und Gläsern unbeholfen und plump, schien völlig vergessen zu haben, was ihm beim Training der Zeitpatrouille beigebracht worden war.

»Ja«, antwortete sie. »Du hast es also noch nicht vergessen.« Ihr Feuerzeug klickte. Das Geräusch hallte überraschend laut durch das Zimmer.

»Es ist ja gerade ein paar Monate her«, erwiderte er in Ermangelung einer besseren Antwort.

»Nach entropischer Zeit, dem regulären, ungebeugten 24-Stunden-Tag.« Sie blies den Rauch aus und schaute ihm nach. »Nicht viel länger für mich. Ich lebe nun fast ständig in ihr seit … seit meiner Hochzeit. Gerade mal achteinhalb Monate meiner persönlichen biologischen Lebenslinie, seit Keith und ich … Aber wie lange ist das für dich gewesen, Manse? Wie viele Jahre hast du abgerissen, in wie vielen Epochen bist du gewesen, seitdem du Keiths bester Mann geworden bist.«

Sie hatte immer eine hohe, dünne Stimme gehabt. Dies war der einzige Makel, den er jemals an ihr bemerkt hatte, sah man einmal von ihrem kleinen Wuchs – sie war kaum fünf Fuß groß – ab. Das war auch der Grund, weshalb sie ihren Worten kaum Gefühl und Ausdruck verleihen konnte. Trotzdem hörte er, dass sie ein Weinen unterdrückte.

Er brachte ihr einen Drink. »Runter damit«, sagte er. »In einem Zug.« Sie gehorchte und rang hinterher nach Atem. Erneut füllte er ihr Glas und mixte seinen eigenen Scotch und Soda. Dann zog er sich einen Sessel heran und förderte aus den Tiefen seiner mottenzerfressenen Hausjacke Tabak und Pfeife zutage. Seine Hände bebten immer noch leicht, doch er hoffte, dass sie es nicht bemerkte. Sie war so klug gewesen, nicht sofort damit herauszuplatzen, welche Nachrichten auch immer sie mitbrachte. Sie beide brauchten einen Moment, um ihre Fassung wiederzufinden.

Immerhin wagte er jetzt, sie direkt anzuschauen. Sie hatte sich nicht verändert. Ihre zierliche Figur war perfekt, was durch ihr einfaches schwarzes Kleid noch betont wurde. Ihr sonnengoldenes Haar fiel ihr in weichen Wellen auf die Schultern, und unter den feingeschwungenen Brauen schauten große blaue Augen aus dem schmalen Gesicht mit den vollen Lippen, die immer ein wenig geöffnet waren. Wegen ihres Makeups konnte er sich nicht sicher sein, ob sie noch vor kurzem geweint hatte, aber sie schien den Tränen nahe.

Everard stopfte umständlich seine Pfeife. »Okay, Cyn«, sagte er schließlich. »Was willst du mir erzählen?«

Sie zuckte zusammen. »Keith. Er ist verschwunden.« Sie hatte Mühe, die Worte auszusprechen.

»Was?« Everard fuhr in seinem Sessel hoch. »Bei einer Mission?«

»Ja, wo sonst? Im alten Iran. Er ging dorthin zurück und kam nicht mehr wieder. Das ist jetzt eine Woche her.« Sie setzte ihr Glas auf der Couchlehne ab und legte die Hände zusammen. »Natürlich hat die Patrouille nach ihm gesucht. Heute habe ich die Einzelheiten erfahren. Sie können ihn nicht finden. Sie können nicht mal herauskriegen, was mit ihm geschehen ist.«

»Judas«, murmelte Everard.

»Keith hielt dich immer … immer für seinen besten Freund«, stieß sie erregt hervor. »Du würdest nicht glauben, wie oft er von dir gesprochen hat. Ehrlich, Manse, ich weiß, dass wir dich vernachlässigt haben, aber du schienst ja auch nie da zu sein, und …«

»Natürlich«, unterbrach er sie. »Für wie kindisch hältst du mich? Ich war beschäftigt. Und außerdem wart ihr beide frisch verheiratet.«

Nachdem ich euch miteinander bekanntgemacht hatte in jener Nacht unter dem Mauna Loa und dem Mond. Die Zeitpatrouille kennt da keinen Snobismus. Einer jungen Frau wie Cynthia Cunningham, einer kleinen Angestellten frisch von der Akademie mit Gebundenen-Status an ihr eigenes Jahrhundert, ist es mehr oder weniger freigestellt, einen hochrangigen Veteranen … wie mich zum Beispiel … außerhalb der Dienstzeit zu treffen, so oft beide dies wollen. Es gibt keinen Grund, warum er nicht seine Geschicklichkeit in der Auswahl der Tarnung nutzen sollte, um mit ihr im Strauss'schen Wien einen Walzer zu tanzen oder eine Theatervorführung im Shakespeare'schen London zu besuchen, in Tom Lehrers New York exotische kleine Bars aufzustöbern, oder unter der Sonne Hawaiis 1000 Jahre vor dem Tag, an dem die Einbaumfahrer dort eintrafen, am Strand zu liegen oder zu surfen. Auch einem Kameraden aus der Patrouille steht es frei, die beiden jederzeit zu treffen. Und die Frau dann später zu heiraten. Klar doch!

Everards Pfeife brannte schließlich. Als sein Gesicht beinahe hinter den dicken Qualmwolken verschwand, meinte er: »Erzähl mir alles ganz von vorn. Fast drei Jahre in meiner eigenen Lebenszeitrechnung hatte ich keinen Kontakt mehr mit euch und weiß daher nicht genau, woran Keith gearbeitet hat.«

»So lange?«, fragte sie erstaunt. »Du hast in diesem Jahrzehnt nicht mal deinen Urlaub genommen? Wir wollten doch, dass du uns besuchst.«

»Hör auf, dich zu entschuldigen!«, knurrte er. »Natürlich hätte ich vorbeischauen können, wenn ich das gewollt hätte.«

Ihr Elfengesicht wurde bleich, als habe er ihr einen Schlag versetzt. Hastig entschuldigte er sich. »Tut mir leid. Natürlich wollte ich euch besuchen. Aber wie ich schon sagte … wir Ungebundenen Agenten sind so beschäftigt, im Raum-Zeit-Geflecht herumzuhüpfen wie die Fliegen auf einem Misthaufen … Ach, zum Teufel!« Er versuchte ein Lächeln. »Du kennst mich doch, Cyn, taktlos wie immer. Aber das hat nichts zu bedeuten. Ich habe im Klassischen Griechenland eine Schimären-Legende in Umlauf gesetzt … Man kannte mich dort als das dilaiopod, ein seltsames Monster mit zwei linken Füßen, die ihm aus dem Maul wuchsen.«

Sie zwang sich zu einem Lächeln und nahm ihre Zigarette vom Aschenbecher. »Ich bin immer noch Angestellte in der Verfahrensforschung, komme aber dadurch in engen Kontakt mit all den anderen Büros in diesem gesamten Milieu, das Hauptquartier inbegriffen. Daher weiß ich genau, was wegen Keith unternommen wurde … und das genügt mir nicht! Sie haben ihn einfach abgeschrieben. Manse, Keith ist tot, wenn du nichts unternimmst.«

Sie schwieg, sichtlich mitgenommen. Um ihnen beiden ein wenig Zeit zu geben, ließ Everard noch einmal Keith Denisons Lebenslauf Revue passieren:

1927 in Cambridge, Massachusetts, als Sohn wohlhabender Eltern zur Welt gekommen, promovierte er schon mit 23 Jahren aufgrund einer Dissertation, die weltweit Beachtung fand, zum Doktor der Philosophie und Archäologie, nachdem er die College-Meisterschaften im Boxen gewonnen und in einer Dreißig-Fuß-Ketch allein den Atlantik überquert hatte. 1950 eingezogen, kämpfte er im Korea-Krieg mit einer Tapferkeit, die ihn in einem populäreren Krieg viel Ruhm eingebracht hätte. Aber um diese Einzelheiten von ihm zu erfahren, musste man ihn schon ziemlich lange kennen. Meist sprach er, wenn nichts zu tun war, über unpersönliche Dinge, wobei er einen ziemlich trockenen Humor offenbarte. Seine Arbeit erledigte er unauffällig und ohne übertriebenen Aufwand. Na klar, dachte Everard, der beste Mann bekam das Mädchen. Keith hätte mühelos den Ungebundenen-Status erlangen können, wenn er gewollt hätte. Aber er besaß hier Bindungen, die ich nicht hatte. War halt bodenständiger als ich.

Nach seiner Entlassung 1952 frei und ungebunden, wurde Denison von einem Agenten der Patrouille entdeckt und rekrutiert. Schneller als die meisten anderen hatte er die Möglichkeit von Zeitreisen akzeptiert. Sein Verstand war flexibel, und zudem war er Archäologe. Nach seinem Training schaffte er es, seine eigenen Interessen erfolgreich mit den Aufgaben bei der Patrouille zu verknüpfen; er wurde ein Spezialist für die Ost-Indoeuropäische Urgeschichte – und in vielen Bereichen ein viel wichtigerer Mann als Everard.

Denn der Ungebundene Beamte konnte zwar die Zeitstraßen hin und her springen, den Verzweifelten helfen, die Gesetzesbrecher festnehmen und so das Geflecht der menschlichen Bestimmung sichern. Aber wie konnte er festhalten, was er tat, ohne einen Bericht...

Erscheint lt. Verlag 31.3.2015
Übersetzer Peter Pape, Hans Maeter
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Time Patrol
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte eBooks • Future History • Poul Anderson • Poul Anderson, Zeitreise, Zeitpatrouille, Future History • Zeitpatrouille • Zeitreise
ISBN-10 3-641-11643-0 / 3641116430
ISBN-13 978-3-641-11643-9 / 9783641116439
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