Meine Freunde (eBook)

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
209 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-74156-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Meine Freunde - Emmanuel Bove
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'In seinem Roman schildert Bove einen Abschnitt aus dem Leben des Victor Baton, eines Kriegsinvaliden, der mit seiner niedrigen Rente im Paris der zwanziger Jahre lebt und sich nichts sehnsüchtiger wünscht, als einen Freund zu haben, um seiner Einsamkeit zu entrinnen. Die Versuche, die Baton in dieser Richtung; unternimmt, scheitern jedoch alle: am Ende lebt er, nachdem ihm sein Dachzimmer gekündigt wurde, in einem heruntergekommenen Hotel.'



<p>Emmanuel Bove wurde 1898 geboren; er starb, 47j&auml;hrig, in Paris. Im Alter von 23 Jahren schrieb er<em> Meine Freunde</em>, das als sein Hauptwerk gelten kann.</p>

Emmanuel Bove wurde 1898 geboren; er starb, 47jährig, in Paris. Im Alter von 23 Jahren schrieb er Meine Freunde, das als sein Hauptwerk gelten kann. Peter Handke wird am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten) geboren. Die Familie mütterlicherseits gehört zur slowenischen Minderheit in Österreich; der Vater, ein Deutscher, war in Folge des Zweiten Weltkriegs nach Kärnten gekommen. Zwischen 1954 und 1959 besucht Handke das Gymnasium in Tanzenberg (Kärnten) und das dazugehörige Internat. Nach dem Abitur im Jahr 1961 studiert er in Graz Jura. Im März 1966, Peter Handke hat sein Studium vor der letzten und abschließenden Prüfung abgebrochen, erscheint sein erster Roman Die Hornissen. Im selben Jahr 1966 erfolgt die Inszenierung seines inzwischen legendären Theaterstücks Publikumsbeschimpfung in Frankfurt am Main in der Regie von Claus Peymann. Seitdem hat er mehr als dreißig Erzählungen und Prosawerke verfaßt, erinnert sei an: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1970), Wunschloses Unglück (1972), Der kurze Brief zum langen Abschied (1972), Die linkshändige Frau (1976), Das Gewicht der Welt (1977), Langsame Heimkehr (1979), Die Lehre der Sainte-Victoire (1980), Der Chinese des Schmerzes (1983), Die Wiederholung (1986), Versuch über die Müdigkeit (1989), Versuch über die Jukebox (1990), Versuch über den geglückten Tag (1991), Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994), Der Bildverlust (2002), Die Morawische Nacht (2008), Der Große Fall (2011), Versuch über den Stillen Ort (2012), Versuch über den Pilznarren (2013). Auf die Publikumsbeschimpfung 1966 folgt 1968, ebenfalls in Frankfurt am Main uraufgeführt, Kaspar. Von hier spannt sich der Bogen weiter über Der Ritt über den Bodensee 1971), Die Unvernünftigen sterben aus (1974), Über die Dörfer (1981), Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land (1990), Die Stunde da wir nichts voneinander wußten (1992), über den Untertagblues (2004) und Bis daß der Tag euch scheidet (2009) über das dramatische Epos Immer noch Sturm (2011) bis zum Sommerdialog Die schönen Tage von Aranjuez (2012) zu Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße (2016). Darüber hinaus hat Peter Handke viele Prosawerke und Stücke von Schriftsteller-Kollegen ins Deutsche übertragen: Aus dem Griechischen Stücke von Aischylos, Sophokles und Euripides, aus dem Französischen Emmanuel Bove (unter anderem Meine Freunde), René Char und Francis Ponge, aus dem Amerikanischen Walker Percy. Sein Werk wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Die Formenvielfalt, die Themenwechsel, die Verwendung unterschiedlichster Gattungen (auch als Lyriker, Essayist, Drehbuchautor und Regisseur ist Peter Handke aufgetreten) erklärte er selbst 2007 mit den Worten: »Ein Künstler ist nur dann ein exemplarischer Mensch, wenn man an seinen Werken erkennen kann, wie das Leben verläuft. Er muß durch drei, vier, zeitweise qualvolle Verwandlungen gehen.«

I


Wenn ich aufwache, steht mir der Mund offen. Meine Zähne sind belegt: es wäre besser, sie am Abend zu putzen, aber das bringe ich nie über mich. In meinen Augenwinkeln eingetrocknete Tränen. Die Schultern tun mir nicht mehr weh. Ein Haarschwall bedeckt meine Stirn. Mit gespreizten Fingern streiche ich ihn zurück. Ohne Erfolg: wie die Seiten eines neuen Buches richtet er sich auf und fällt mir wieder über die Augen.

Den Kopf senkend, merke ich, daß mir der Bart gewachsen ist: er sticht am Hals.

Ein Wärmegefühl im Nacken, bleibe ich auf dem Rücken liegen, die Augen offen, die Leintücher bis zum Kinn, damit das Bett nicht auskühlt.

Der Plafond ist bedeckt mit Feuchtigkeitsflecken: er ist so nah am Dach. Die Papiertapete wirft sich hier und da. Meine Einrichtungsgegenstände gleichen jenen der Trödler auf den Trottoirs. Das Rohr meines kleinen Ofens ist umwickelt mit Lappen wie ein Knie. Am oberen Rand des Fensters hängt schief ein Rollvorhang, außer Funktion.

Indem ich mich ausstrecke, spüre ich an den Fußsohlen – ein bißchen wie ein Seiltänzer – die vertikalen Stangen des Gitterbetts.

Die Kleidungsstücke, die flach auf meinen Unterschenkeln liegen, sind nur auf einer Seite warm. Meine Schuhbänder haben keine Eisenstifte mehr.

Wenn es regnet, ist das Zimmer kalt. Es ist, als hätte niemand da gelegen. Das Wasser, das durch alle Fensterkaros eindringt, nagt am Kitt und bildet eine Lache auf dem Boden.

Wenn dann die Sonne – nichts sonst am Himmel – aufstrahlt, wirft sie ihr gelbes Licht mitten ins Zimmer. Jetzt ziehen die Fliegen auf der Diele tausend gerade Linien.

Jeden Morgen, beim Aufräumen, singt meine Nachbarin, ohne Worte. Ihre Stimme wird gedämpft durch die Mauer. Ich habe den Eindruck, mich hinter einem Grammophon zu befinden.

Oft begegne ich ihr auf der Stiege. Sie ist Milchfrau. Um neun Uhr kommt sie, Tropfen von Milch auf ihren Filzpantoffeln, und bringt ihr Zimmer in Ordnung.

Ich mag die Frauen in Pantoffeln: die Beine wirken nicht so unnahbar.

Im Sommer: die Träger ihres Hemds unter der Bluse, und eine Ahnung ihrer Brüste.

Ich habe ihr gesagt, daß ich sie liebe. Sie hat gelacht, sicher weil ich nichts gleich sehe und arm bin. Sie zieht die Männer vor, die eine Uniform tragen. Sie wurde beobachtet, wie sie die Hand unter dem weißen Koppel eines garde républicain hatte.

Ein anderes Zimmer ist belegt von einem alten Mann. Er ist schwer krank und hustet. Sein Stock hat unten einen Gummiaufsatz. Seine Schulterblätter bilden hinten zwei Höcker. Eine Ader läuft über seine Schläfe, zwischen der Haut und dem Knochen, reliefartig. Sein Rock reicht nicht mehr bis an die Hüften und flattert, als seien die Taschen leer. Dieser arme Kerl schleppt sich von einer Stapfe zur andern, ohne dabei das Geländer loszulassen. Kaum daß ich ihn bemerke, atme ich tief ein, um an ihm vorbeizukommen, ohne dabei Luft holen zu müssen.

Sonntags besucht ihn seine Tochter. Sie ist elegant. Das Futter ihres Mantels gleicht dem Federkleid eines Papageis. Es ist derart schön, daß ich mich frage, ob sie den Mantel nicht verkehrtherum trägt. Und ihr Hut muß viel wert sein, denn seinetwegen nimmt sie bei Regen ein Taxi. Diese Dame duftet nach Parfum, nach dem echten Parfum, nicht nach jenem, das in Glasröhrchen verkauft wird.

Meine Mitmieter schauen auf sie herab. Sie sagen: statt das große Leben zu führen, täte sie besser daran, ihrem Vater aus der Misere zu helfen.

Sonst wohnt auf der Etage noch die Familie Lecoin. Früh am Morgen schallt von dort ein Weckerrasseln.

Der Mann mag mich nicht, obwohl ich doch höflich zu ihm bin. Er hat etwas gegen mich, weil ich so spät aufstehe.

Seine Arbeitsmontur zusammengerollt unter dem Arm, kommt er jeden Abend gegen sieben nach Hause und raucht dabei eine Zigarette aus englischem Tabak – was die Leute sagen läßt, daß die Arbeiter gut verdienen.

Er ist groß und stark, und seine Kraft kann, so man zu einem entsprechenden Kompliment bereit ist, von Nutzen sein. Im letzten Jahr hat er den Reisekoffer einer Dame aus der dritten Etage hinuntergetragen, wenn auch unter Schwierigkeiten, denn der Deckel ging nicht zu.

Wenn jemand mit ihm redet, fixiert er ihn, weil er argwöhnt, der andre wolle sich über ihn lustig machen. Beim kleinsten Lächeln sagt er:

– Sie müssen wissen … vier Jahre Krieg … ich. Die Deutschen haben mich nicht gekriegt … Und auch Sie werden mich jetzt nicht drankriegen …

Eines Tages, im Vorbeigehen, hat er gemurmelt: »Nichtstuer!« Ich bin blaß geworden und habe keine Antwort gewußt. Die Angst, einen Feind zu haben, ließ mich eine Woche lang nicht schlafen. Ich bildete mir ein, daß er eine Gelegenheit suchte, mich zu schlagen; daß er mir ans Leben wollte.

Wenn doch M. Lecoin von meiner Zuneigung zu den Arbeitern wüßte, von meinem Erbarmen mit ihnen. Wenn er wüßte, mit wieviel Entbehrungen ich meine kleine Unabhängigkeit bezahle.

Er hat zwei Töchter. Wenn er sie schlägt, dann mit den bloßen Händen, zu ihrem Wohl. In ihren Kniekehlen zeigen sich die Sehnen. Ihre Hutbänder sind aus Gummi.

Ich mag Kinder. Auch wenn ich diesen zwei Mädchen begegne, spreche ich sie an. Dann weichen sie zurück, und flüchten plötzlich, ohne Antwort.

Jeden Dienstag wäscht Madame Lecoin im Flur die Wäsche. Der Wasserhahn rinnt den ganzen Tag. Das Geräusch wechselt, je nach dem, ob die Kessel voll oder leer sind. Mme. Lecoins Rock ist aus der Mode. Ihr Haarknoten ist so dürftig, daß man darin alle Haarnadeln sieht.

Oft starrt sie mich an, aber ich bin mißtrauisch, denn wahrscheinlich stellt sie mir eine Falle. Im übrigen hat sie keinen Busen.

Kaum habe ich die Leintücher zurückgeschlagen, setze ich mich auf die Kante. Meine Beine baumeln von den Knien abwärts. Die Poren meiner Schenkel sind schwärzlich. Meine langen, kantig-spitzen Zehennägel: ein Fremder fände sie häßlich.

Ich stehe auf. Mir dreht sich der Kopf, aber dieses Schwindelgefühl vergeht schnell. Wenn die Sonne scheint, steigt eine Staubwolke vom Bett auf und glänzt für kurze Zeit in den Strahlen, wie Regen.

Zuerst ziehe ich mir die Socken an; sonst würden Streichhölzer an meinen Sohlen haften. Mich an einem Stuhl festhaltend, steige ich in die Hose.

Bevor die Schuhe drankommen, prüfe ich ihr Unterleder: wird es noch eine Zeitlang halten?

Hernach stelle ich auf den Kübel die Wasserschüssel, die einen Ring zeigt vom schmutzigen Wasser des Vortags. Ich habe die Eigenart, mich gekrümmt zu waschen, mit gespreizten Beinen, die Hosenträger lose an den hinteren Knöpfen. Beim Regiment wusch ich mich so im engen Feldkessel. Meine Schüssel ist derart klein, daß, wenn ich beide Hände zugleich eintauche, das Wasser übergeht. Meine Seife schäumt nicht mehr: so winzig ist sie.

Für Gesicht und Hände habe ich ein einziges Tuch. Käme ich zu Reichtum, so wäre das nicht anders.

Einmal gewaschen, fühle ich mich besser. Ich atme durch die Nase. Meine Zähne können sich sehen lassen. Meine Hände werden sauber bleiben, bis zum Mittag.

Ich setze mir den Hut auf. Die Ränder sind gewellt vom Regen. Der Bandknoten befindet sich, gemäß der Mode, hinten.

Ich befestige den Spiegel am Fenster. Ich habe es gern, mich von vorn zu betrachten, im Licht. So gefalle ich mir besser. Meine Backenknochen, meine Nase, mein Kinn sind beleuchtet, das übrige ist im Schatten: als würde ich photographiert bei Sonnenschein.

Besser, sich nicht vom Spiegel zu entfernen, denn dieser taugt nicht viel. Wenn ich weiter weg stehe, verzerrt er mein Bild.

Ich überprüfe sorgfältig meine Nasenlöcher, meine Augenwinkel, meine Backenzähne. Diese sind kariös. Sie fallen nicht aus: sie brechen ab. Mit Hilfe eines anderen Spiegelscherbens erspähe ich mein Profil. Dabei habe ich das Gefühl einer Verdoppelung. Die Filmschauspieler dürften solch ein Vergnügen gut kennen.

Dann öffne ich mein Fenster. Die Tür rührt sich. Ein 1914/18-Druck schabt gegen die Wand. Teppiche, die ausgeschüttelt werden. Bläuliche Blechdächer, Rauchfänge, ein Nebelstreifen, der sich bewegt, wenn ihn ein Sonnenstrahl quert, und der Eiffelturm mit dem Aufzug in der Mitte.

Bevor ich gehe, ein kurzer Blick auf das Zimmer. Mein Bett ist schon kalt. Ein paar Federn schauen halb aus der Decke. In den Beinen meines Stuhls Löcher für Querstäbe. Die zwei Segmente eines Rundtisches hängen herab.

Dieses Mobiliar gehört mir. Ein Freund hat es mir geschenkt, vor seinem Tod. Ich habe es persönlich desinfiziert, mit Schwefel, denn ich fürchte die ansteckenden Krankheiten. Trotz dieser Vorsichtsmaßnahme habe ich lange Zeit Angst gehabt. Ich hänge am Leben.

Ich schlüpfe in den Überzieher; eine recht schwierige Angelegenheit, denn das Ärmelfutter ist zerrissen.

Ich stecke mein Dienstbuch, meinen Schlüssel, mein schmutziges Taschentuch, welches kracht, wenn ich es entfalte, in die linke Tasche. Meine Schultern sind schief: das Gewicht dieser Dinge soll das ausgleichen.

Die Tür läßt sich nicht ganz öffnen. Ich krümme mich zusammen und schlängele mich durch.

Die Kachelung des Flurs ist abgesplittert. Eine Eisenschiene, mit drei Löchern, hängt am Oberlichtfenster. Das Geländer endet an der Mauer, ohne Glaskugel als Abschluß.

Ich steige die Treppe hinunter, entlang der Wand, wo die Stapfen am breitesten sind. Ich halte mich nicht am Geländer fest, damit meine Hände nicht schmutzig werden. Hinter den Türschlössern klappern Schlüsselbünde.

Ich fühle mich leicht, wie sonst nur am ersten Tag des Ausgehens ohne Überzieher. Das Wasser aus der Schüssel befeuchtet noch meine...

Erscheint lt. Verlag 7.3.2015
Übersetzer Peter Handke
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Mes Amis
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Belletristische Darstellung • Bibliothek Suhrkamp 744 • BS 744 • BS744 • Geschichte 1920-1930 • Kriegsbeschädigter • Paris
ISBN-10 3-518-74156-X / 351874156X
ISBN-13 978-3-518-74156-6 / 9783518741566
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