Das Schwert des Liktors (eBook)

Das Buch der Neuen Sonne, Band 3 - Roman

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-12643-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Schwert des Liktors -  Gene Wolfe
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Eine gefährliche Suche
Severian, der junge Henker, ist endlich in Thrax angekommen und nimmt seinen Posten als Liktor, als oberster Vollstrecker des Gesetzes, ein. Er bezieht seine Wohnung im Gefängnis, und mit ihm seine Lebensgefährtin Dorcas, die er auf der langen und abenteuerlichen Reise nach Thrax kennenlernte. Doch sie hält es in der erdrückenden Atmosphäre nicht lange aus und verlässt ihn, und auch Severian macht sich bald erneut auf den Weg, denn nach wie vor ist er im Besitz der Klaue des Schlichters, dessen wahre Besitzer er in den Bergen zu finden hofft. Mystische Kreaturen sollen es sein, die nicht menschlich sind ...

Gene Wolfe wurde 1931 in New York City geboren. Schon während seiner Studienzeit veröffentlichte er seine erste Fantasy- und Science-Fiction-Geschichten. Doch er dauerte noch, bis er sich hauptberuflich dem Schreiben widmete: Jahrelang arbeitete er als Ingenieur und entwarf unter anderem die Maschine, die Pringles-Chips ihre Form gibt. Vor allem mit seinem Zyklus 'Das Buch der Neuen Sonne' erlangte Gene Wolfe große Bekanntheit; die einzelnen Romane wurden mehrfach ausgezeichnet. Wolfe lebt in Peoria, Illinois.

I. Meister im Haus der Ketten


 

»Es war in meinem Haar, Severian«, sagte Dorcas. »Also stellte ich mich unter den Wasserfall im heißen Raum aus Stein. Und jedes Mal, wenn ich wieder heraustrat, konnte ich hören, dass man über mich redete. Und dich nannte man den schwarzen Schlachter und andere Dinge, die ich nicht wiederholen möchte.«

»Das ist ganz normal«, entgegnete ich. »Du bist bestimmt seit Monaten die erste Fremde, die diesen Ort betreten hat, also ist es nur zu erwarten, dass man über dich redet und dass die wenigen Frauen, die dich kennen, stolz ihre Geschichten erzählen. Was mich angeht, so bin ich daran gewöhnt, und du wirst auf dem Weg hierher gar oft solche Namen gehört haben; ich hab' sie zu Ohren bekommen.«

»Ja«, räumte sie ein und setzte sich auf das Fensterbrett der Laibung. In der Stadt darunter erfüllten die Lichter der dicht gedrängten Läden das Tal des Acis allmählich mit einem narzissengelben Schein, aber Dorcas schien nicht darauf zu achten.

»Nun leuchtet dir ein, warum die Regeln der Zunft mir versagen, ein Weib zu nehmen – auch wenn ich sie deinetwegen missachten werde, wie ich dir oft gesagt habe, wann immer du willst.«

»Du meinst, es wäre besser, wenn ich irgendwo anders lebte und du mich ein- oder zweimal wöchentlich besuchtest oder ich wartete, bis du zu mir kämst.«

»So wird's für gewöhnlich gehandhabt. Und schließlich merken die Frauen, die heut' über uns geredet haben, dass eines Tages sie selbst oder ihre Söhne oder Gatten sich unter meiner Hand wiederfinden mögen.«

»Siehst du denn nicht, dass es darum gar nicht geht? Es ist …« – Dorcas verstummte, und nach längerem Schweigen erhob sie sich und schritt mit verschränkten Armen im Zimmer auf und ab. Das hatte sie noch nie getan, und es beunruhigte mich.

»Worum geht es dann?«, fragte ich.

»Dass es damals nicht gestimmt hat, jetzt aber schon.«

»Ich praktizierte die Kunst, wann immer es Arbeit für mich gab. Verdingte mich an Städte und Landgerichte. Mehrmals sahst du von einem Fenster aus zu, obwohl du nie unter der Menge stehen wolltest – was ich dir kaum verübeln kann.«

»Ich sah nicht zu. Nicht beim eigentlichen Akt. Du warst so eifrig mit deinem Werk beschäftigt, dass du nicht bemerktest, wenn ich hineinging oder mir die Augen bedeckte. Ich habe immer zugeschaut, wie du aufs Schafott gesprungen bist, und dir gewinkt. Du hast so stolz gewirkt und so gerade gestanden wie dein Schwert und ein so schönes Bild abgegeben. Du bist ehrlich gewesen. Ich erinnere mich, wie einmal neben dem Verurteilten und einem Hieromonachus irgendein Beamter mit oben gewesen ist. Dein Gesicht ist das einzige ehrliche gewesen.«

»Das konntest du unmöglich gesehen haben. Gewiss hatte ich die Maske auf.«

»Severian, ich brauchte es nicht zu sehen. Ich weiß, wie du aussiehst.«

»Seh' ich jetzt nicht genauso aus?«

»Ja«, meinte sie schweren Herzens. »Aber ich bin unten gewesen. Ich hab' sie gesehn, die Leute in Ketten in den Stollen. Wenn wir, du und ich, nachts in unserem weichen Bett liegen, schlafen wir direkt über ihnen. Wie viele sind's, hast du gesagt, als du mich runtergeführt hast?«

»Ungefähr sechzehnhundert. Glaubst du denn allen Ernstes, diese sechzehnhundert wären frei, wenn ich als ihr Wächter nicht mehr da wäre? Wohlgemerkt sind sie schon dagewesen, als wir gekommen sind.«

Dorcas mied meinen Blick. »Wie ein Massengrab«, entgegnete sie. Ich bemerkte, dass ihre Schultern bebten.

»Soll's ja sein«, erklärte ich ihr. »Der Archon könnte sie auf freien Fuß setzen, aber wer könnte jene wiederauferstehen lassen, die sie umgebracht haben? Du hast noch nie jemand verloren, nicht wahr?«

Sie gab keine Antwort.

»Frag die Frauen und Mütter und Schwestern der Männer, die diese Gefangenen im Hochland unter die Erde gebracht haben, ob Abdiesus sie aus dem Kerker entlassen solle.«

»Nur mich selbst«, sagte Dorcas und blies die Kerze aus.

 

Thrax ist wie ein ins Herz der Berge eindringender Säbel. Es liegt in einem Engpass des Acis-Tales und reicht hinauf bis zur Burg Acies. Die Arena, das Pantheon und die übrigen öffentlichen Bauten bedecken die ganze Ebene zwischen der Burg und der Mauer (›Capulus‹ genannt), welche das untere Ende des schmalen Tals abgrenzt. Die Privathäuser der Stadt bekleiden die Hänge zu beiden Seiten, und viele sind großzügig in den Fels gehauen, wovon Thrax einen seiner Beinamen ableitet – die Stadt der fensterlosen Zimmer.

Seinen Reichtum verdankt es der Lage am Scheitel des schiffbaren Teils des Flusses. Zu Thrax müssen alle Güter, die auf dem Acis nach Norden transportiert worden sind (wovon viele neun Zehntel des Gyoll befahren haben, bevor sie zur Mündung des kleineren Flusses, der vielleicht wirklichen Quelle des Gyolls, gelangt sind), auf Packtiere verladen werden, soll die Reise weiter gehen. Umgekehrt lassen die Hetmans der Gebirgsstämme und die Grundbesitzer der Gegend ihre Wolle und ihr Korn zu Thrax unterhalb der Wasserfälle, die sich in den überwölbten Abflusskanal von Burg Acies ergießen, verschiffen.

Wie immer, wenn eine Festung in einer turbulenten Region für Recht und Ordnung sorgen muss, so war auch für den Archon von Thrax die Rechtspflege ein Hauptanliegen. Zur Durchsetzung seines Willens außerhalb der Mauern, wo man sich nur ungern einer Obrigkeit beugte, konnte er auf sieben Dimarchi-Schwadronen unter jeweils eigenem Kommando zurückgreifen. Das Gericht tagte monatlich, vom ersten Neumond bis zum Vollmond gerechnet, begann mit der zweiten Morgenwache und endete erst, wenn alle anhängigen Fälle erledigt waren. Als oberster Vollstrecker der Urteile hatte ich diesen Sitzungen beizuwohnen, auf dass der Autarch die Gewissheit habe, die erlassenen Strafen würden durch solche, die sie mir andernfalls hätten übermitteln müssen, weder gemildert noch verstärkt; gleichfalls oblag mir in allen Einzelheiten die Leitung der Vincula, worin die Gefangenen einsaßen. Meine Verantwortung entsprach auf einer geringeren Stufe der des Meister Gurloes in unserer Zitadelle, und in meinen ersten Wochen zu Thrax lastete sie schwer auf mir.

Es war ein Grundsatz von Meister Gurloes, dass kein Gefängnis ideal gelegen sei. Wie die meisten der klugen Lebensregeln zur Erbauung der Jugend, war sie unwiderlegbar und nutzlos. Alle Ausbrüche fallen unter drei Kategorien – das heißt, sie werden entweder heimlich, durch offene Gewalt oder durch Verrat des Wachpersonals bewerkstelligt. Ein abgelegener Ort hilft sehr, heimliche Ausbrüche zu erschweren, und wird deshalb von den meisten, die sich darüber lange Gedanken machen, bevorzugt.

Unglücklicherweise bieten Wüsten, Berggipfel und einsame Inseln ein höchst fruchtbares Betätigungsfeld für gewaltsame Ausbrüche – werden sie von den Freunden der Gefangenen belagert, ist es schwer, das in Erfahrung zu bringen, ehe es zu spät ist, und beinahe unmöglich, die Besatzung zu verstärken; und wenn die Gefangenen sich erheben, ist es gleichfalls höchst unwahrscheinlich, dass man rasch Truppen zusammenziehen kann, bevor die Sache entschieden ist.

Eine Anstalt in einer dichtbesiedelten und wehrhaften Region schaltet diese ungünstigen Umstände aus, bedingt aber noch größere Nachteile. An einem solchen Ort braucht ein Gefangener nicht tausend Freunde, sondern einen oder zwei; und diese müssen keine Krieger sein – es genügt schon eine Putzfrau oder ein Straßenhändler, wenn sie schlau und entschlossen vorgehen. Des weiteren taucht der Gefangene, ist ihm die Flucht erst gelungen, sofort in der anonymen Masse unter, so dass seine Wiederergreifung keine Sache für Jäger und Hunde, sondern für Spitzel und Informanten ist.

In unserem Fall wäre ein abgelegenes Gefängnis in einer unwegsamen Gegend nicht in Frage gekommen. Selbst wenn es zusätzlich zu den Wächtern mit einer genügend starken Truppe ausgestattet gewesen wäre, um sich der umherstreifenden Autochthonen, Zoanthropen und Cultellarii (von den stets unberechenbaren kleinen Beglückten ganz zu schweigen) zu erwehren, wäre die Versorgung ohne ein stehendes Heer als Geleit für die Nachschublieferungen unmöglich gewesen. Die Vincula von Thrax befinden sich deshalb notgedrungen innerhalb der Stadt – genauer gesagt etwa auf halber Höhe der Steilhänge am Westufer und ungefähr eine halbe Meile vom Capulus entfernt.

Es ist ein uraltes Gebäude, das meiner Meinung nach von Anfang an als Gefängnis gedacht gewesen ist, obwohl die Sage geht, es sei einmal eine Grabesstätte gewesen und erst vor ein paar Jahrhunderten erweitert und für seine neue Bestimmung umgestaltet worden. Einem Beobachter auf dem geräumigeren Ostufer erscheint es als ein aus dem Fels ragender, rechteckiger Turm mit vier Stockwerken an der Seite, die er sieht, und einem flachen, zinnenbewehrten Dach, das am Steilhang endet. Dieser sichtbare Teil des Bauwerks – den bestimmt viele Besucher der Stadt für das ganze Gebäude halten – ist in Wirklichkeit der kleinste und unwichtigste Teil. Zu der Zeit, in der ich Liktor war, beherbergte er lediglich unsere Schreibstuben, die Unterkünfte der Wärter und meine eigene Wohnung.

Die Gefangenen waren in einem schrägen, in den Fels getriebenen Stollen untergebracht. Es waren weder Einzelzellen wie in unserer Oubliette daheim noch ein Gemeinschaftsraum eingerichtet, wie ich ihn im Haus Absolut erlebt hatte, als ich mich selbst in Haft befand. Vielmehr waren die Gefangenen entlang der Stollenwände an kräftigen eisernen Halsbändern angekettet, und zwar so, dass in der Mitte genügend Freiraum blieb, damit zwei Wärter Seite an Seite hindurchgehen könnten, ohne befürchten zu müssen, es würden ihnen die Schlüssel...

Erscheint lt. Verlag 26.2.2015
Reihe/Serie Das Buch der Neuen Sonne-Reihe
Übersetzer Reinhard Heinz
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Sword of the Lictor
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Das Buch der Neuen Sonne • Das Buch der Neuen Sonne, Gene Wolfe, Science Fantasy, diezukunft.de • diezukunft.de • eBooks • Fantasy • Gene Wolfe • Science Fantasy
ISBN-10 3-641-12643-6 / 3641126436
ISBN-13 978-3-641-12643-8 / 9783641126438
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