Die Zitadelle des Autarchen (eBook)

Das Buch der Neuen Sonne, Band 4 - Roman

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-12642-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Zitadelle des Autarchen -  Gene Wolfe
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Jenseits von Raum und Zeit
Severian reist durch die Gebirge, in denen seit Jahrhunderten ein Krieg wütet. Er wird verwundet und von einem der mysteriösen Autarchen gerettet. Doch der Autarch stirbt kurz danach, und vor seinem Tod bittet er Severian, sein Nachfolger zu werden. Als er die dafür notwendigen Rituale ausgeführt hat, stellt der ehemalige Folterer und Henker fest, dass sein Bewusstsein verändert wurde und nichts mehr so sein wird, wie es einmal war ...

Gene Wolfe wurde 1931 in New York City geboren. Schon während seiner Studienzeit veröffentlichte er seine erste Fantasy- und Science-Fiction-Geschichten. Doch er dauerte noch, bis er sich hauptberuflich dem Schreiben widmete: Jahrelang arbeitete er als Ingenieur und entwarf unter anderem die Maschine, die Pringles-Chips ihre Form gibt. Vor allem mit seinem Zyklus 'Das Buch der Neuen Sonne' erlangte Gene Wolfe große Bekanntheit; die einzelnen Romane wurden mehrfach ausgezeichnet. Wolfe lebt in Peoria, Illinois.

I. Der tote Soldat


 

Ich hatte noch keinen Krieg erlebt und nicht einmal viel aus erster Hand darüber gehört, aber ich war jung und wusste einiges von Gewalt, also glaubte ich, der Krieg sei für mich nicht mehr als eine neue Erfahrung, wie andere Ereignisse – meine hohe Stellung in Thrax, zum Beispiel, oder meine Flucht aus dem Haus Absolut – neue Erfahrungen gewesen sind.

Der Krieg ist keine neue Erfahrung, sondern eine neue Welt. Ihre Bewohner unterscheiden sich mehr von den Menschen als Famulimus und ihre Freunde. Ihre Gesetze sind neu, und neu ist sogar ihre Geographie, handelt es sich doch um eine Geographie, in der unwichtige Hügel und Mulden die Bedeutung von Städten erlangen. Gleichsam wie unsere vertraute Urth solche Ungetüme wie Erebus, Abaia und Arioch birgt, so hausen in der Welt des Krieges Monstren namens Schlachten, deren Zellen aus Individuen bestehen, die aber eigenes Leben und eigene Intelligenz haben und zu denen man durch eine immer dichter werdende Schar unheilvoller Vorboten gelangt.

Eines Nachts erwachte ich lange vor dem Morgengrauen. Alles schien still, aber ich befürchtete, irgendein arglistiger Feind habe sich mir genähert und mich aus meiner Ruhe gerissen. Ich erhob mich und blickte mich um. Die Berge waren in Dunkelheit getaucht. Ich stand in einem Nest aus hohem Gras, das ich mir ausgetreten hatte. Grillen zirpten.

Etwas tief im Norden stach mir ins Auge: ein Blitz, wie ich glaubte, von violettem Licht, unmittelbar am Horizont. Ich starrte auf die Stelle, von der er gekommen war. Als ich schon glaubte, mich lediglich getäuscht zu haben, vielleicht einer Nachwirkung der Droge, die mir im Haus des Hetmans verabreicht worden war, aufgesessen zu sein, schlug ein klein wenig links von der vermeintlichen Stelle eine magentarote Lohe empor.

Eine Wache oder länger blieb ich dort stehen, hin und wieder mit diesen mysteriösen Lichterscheinungen belohnt. Nachdem ich mich schließlich davon überzeugt hatte, dass sie weit entfernt waren und nicht näher kamen und sich auch an der Häufigkeit nichts änderte (sie wiederholten sich durchschnittlich alle fünfhundert Herzschläge), legte ich mich wieder hin. Und weil ich inzwischen hellwach war, wurde ich gewahr, dass unter mir der Boden leicht bebte.

 

Es hatte aufgehört, als ich am Morgen wiedererwachte. Aufmerksam beobachtete ich beim Weitergehen den Horizont, bemerkte aber nichts Außergewöhnliches.

Schon seit zwei Tagen hatte ich nichts mehr gegessen, und obgleich ich keinen Hunger mehr empfand, spürte ich, dass ich schwächer denn je war. Zweimal an diesem Tag stieß ich auf verfallene Häuschen und suchte darin nach Nahrung. Falls etwas zurückgeblieben war, war es längst genommen worden; nicht einmal mehr Ratten waren da. Das zweite Häuschen hatte einen Brunnen, in den allerdings irgendein Kadaver geworfen worden war; außerdem hatte ich sowieso keine Möglichkeit, an das stinkende Wasser zu gelangen. Ich zog weiter mit dem Wunsch nach etwas Trinkbarem und einem besseren Stock als den vielen morschen Ästen, derer ich mich nacheinander bedient hatte. Dass es viel einfacher ist, mit einem Stock zu gehen, hatte ich erfahren, als ich in den Bergen Terminus Est als Wanderstab benutzt hatte.

Gegen Mittag gelangte ich zu einem Pfad, dem ich folgte, und hörte bald Hufgeklapper. Ich verbarg mich an einer Stelle, von wo aus ich den Weg überblicken konnte; im nächsten Moment erklomm ein Reiter den nächsten Hügel und galoppierte an mir vorüber. Ich bekam ihn nur flüchtig zu sehen, erkannte aber, dass er eine ähnliche Rüstung wie die Hauptleute von Abdiesus' Dimarchi trug, wenngleich sein wehender Umhang nicht rot, sondern grün und sein Helm offenbar mit einem Visier wie dem Schirm einer Mütze versehen war. Wer immer er auch sein mochte, er war vorzüglich beritten: Sein Renner hatte Schaum vor dem Maul und triefende Flanken, dennoch flog er dahin, als hätte das Leuchtzeichen eben erst aufgeblitzt.

Da ich auf dem Weg einem Reiter begegnet war, erwartete ich noch weitere. Es kamen keine mehr. Eine lange Zeit wanderte ich, von Vogelstimmen und Wildspuren begleitet, durch die Stille. Dann stieß ich (zu meiner unaussprechlichen Freude) auf einen jungen Wasserlauf, durch den eine Furt führte. Ich ging ein Dutzend Schritt flussaufwärts, wo tieferes, klareres Wasser durch das Bett aus weißem Kies floss. Elritzen huschten vor meinen Stiefeln davon – stets ein Zeichen für reines Wasser –, und es war noch kalt von den Berggipfeln und süß vom Andenken an den Schnee. Ich trank und trank immer wieder, bis ich nichts mehr hinunterbrachte, zog mich dann aus und wusch mich, so kalt es auch war. Nachdem ich mein Bad beendet, mich wieder angekleidet und zur Stelle zurückgekehrt war, wo der Weg den Strom überquerte, entdeckte ich dicht beieinander zwei Abdrücke am anderen Ufer, wo sich ein Tier zimperlich zur Tränke gebückt hatte. Sie lagen über den Hufspuren, die der Renner des Offiziers hinterlassen hatte, waren groß wie ein Suppenteller und wiesen keine Krallen an den weichen Zehenballen auf. Der alte Midan, Jagdaufseher meines Onkels, als ich das kleine Mädchen Thecla war, hatte mir einst erklärt, ein Smilodon trinke nur, wenn er gesättigt sei, und sei nicht mehr gefährlich, sobald er gesättigt sei und getrunken habe, es sei denn, er werde gereizt. Ich ging weiter.

Der Weg wand sich durch ein bewaldetes Tal und dann zu einem Sattel zwischen zwei Bergen empor. Als ich mich der höchsten Stelle genaht hatte, fiel mir ein zwei Spannen dicker Baum auf, der in Augenhöhe offenbar entzweigebrochen war. Das Ende des stehenden Stumpfes und gefallenen Stammes war schartig, was bestimmt nicht von den glatten Schlägen einer Axt herrührte. Auf den nächsten zwei oder drei Meilen meiner Wanderschaft begegnete ich mehreren Dutzend davon. Anhand des fehlenden Laubes, der zum Teil abgebröckelten Borke an den gefällten Stämmen und den frischen Trieben an den Baumstümpfen schloss ich, dass der Schaden schon mindestens ein Jahr alt war.

Schließlich mündete der Weg in eine richtige Straße, wovon ich schon so oft gehört hatte, auch wenn ich bislang nur halb verfallene vorgefunden hatte. Sie glich jener alten Straße, welche die Ulanen versperrt hatten, als ich beim Verlassen von Nessus von Dr. Talos, Baldanders, Jolenta und Dorcas getrennt worden war, allerdings war mir die Staubwolke, die über ihr schwebte, etwas Neues. Kein Gras wuchs darauf, obgleich sie breiter als die meisten städtischen Straßen war.

Ich hatte keine andere Wahl als ihr zu folgen; sie war dicht von Bäumen und undurchdringlichem Unterholz umstanden. Ich hatte zunächst noch Angst beim Gedanken an die Feuerlanzen der Ulanen, obgleich das Gesetz, das die Benutzung der Straßen untersagte, hier vermutlich keine Gültigkeit mehr hatte und diese wohl nicht mehr so häufig begangen wurde wie dereinst; aber als ich kurz darauf hinter mir Stimmen und eine aufmarschierende Truppe hörte, trat ich nur an den Straßenrand und sah offen zu, wie die Kolonne vorüberzog.

Den Zug führte ein Offizier an, der einen feinen, am Gebiss kauenden Blauen ritt, dessen Fänge lang belassen und mit Türkis besetzt waren, so dass sie farblich zum Rossharnisch und Schwertheft des Besitzers passten. Die Soldaten, die ihm zu Fuß folgten, waren Antepilani der schweren Infanterie, breitschultrige, schmalhüftige Männer mit sonnengebräuntem, ausdruckslosem Gesicht. Sie trugen dreispitzige Korseken, Halbmonde und schwere Knüttel. Diese Waffenmischung und gewisse Unstimmigkeiten in Uniform und Ausstaffierung legten nahe, dass sich diese Schar aus den Resten früherer Truppen zusammensetzte. Wenn dem so wäre, hatten die Schlachten, die sie geschlagen, sie phlegmatisch gemacht. Sie zogen, insgesamt an die viertausend Mann, ohne Aufregung, Widerwillen oder ein Zeichen der Erschöpfung vorwärts, mit unbekümmertem Gebaren, aber doch nicht schlampig, und schienen ohne Überlegung oder Mühe Schritt zu halten.

Ihnen folgten Wagen, die grunzende, trompetende Trilophodonten zogen. Ich rückte näher, als diese vorüberzottelten, denn die Lasten, womit sie bepackt waren, bestanden zum Großteil eindeutig aus Nahrungsmitteln; jedoch wurden die Wagen von berittenen Männern begleitet, wovon einer mich ansprach und fragte, zu welcher Einheit ich gehörte, und mich zu sich rief. Allerdings ergriff ich das Hasenpanier, und obschon ich mir ziemlich sicher war, dass er in diesem Gehölz nicht reiten könnte und nicht von seinem Renner stiege, um mich zu Fuß zu verfolgen, rannte ich, bis mir die Luft ausging.

Als ich endlich stehenblieb, befand ich mich in einer stillen Lichtung, in die fahles Sonnenlicht durch das Laub der spindeldürren Bäume drang. Der Waldboden war mit weichem Moos bedeckt und fühlte sich an wie der dicke Teppich in der verborgenen Gemäldekammer, worin ich dem Herrn des Hauses Absolut begegnet war. Eine Zeitlang lehnte ich mich an einen der dünnen Stämme und lauschte. Bis auf mein keuchendes Atmen und das Pochen meines fliegenden Pulses in den Ohren war kein Laut zu hören.

Schließlich bemerkte ich ein drittes Geräusch: das schwache Summen einer Fliege. Ich wischte mir mit dem Saum meines Gildenmantels das schweißüberströmte Gesicht ab. Dieser Mantel war nun arg abgetragen und gebleicht, und mit einemmal wurde ich gewahr, dass es derselbe war, den Meister Gurloes um meine Schulter gehängt hatte, als ich Geselle wurde, und dass ich wahrscheinlich in ihm sterben würde. Der Schweiß, den er aufgesogen hatte, war kalt wie Tau, und die Luft war schwer mit dem Duft feuchter Erde beladen.

Das Summen der Fliege verstummte und erklang abermals – vielleicht ein bisschen lauter, vielleicht lediglich lauter wirkend, weil ich nicht mehr außer Atem war. Geistesabwesend...

Erscheint lt. Verlag 26.2.2015
Reihe/Serie Das Buch der Neuen Sonne-Reihe
Übersetzer Reinhard Heinz
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Citadel of the Autarch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Das Buch der Neuen Sonne • Das Buch der Neuen Sonne, Gene Wolfe, Science Fantasy, diezukunft.de • diezukunft.de • eBooks • Fantasy • Gene Wolfe • Science Fantasy
ISBN-10 3-641-12642-8 / 3641126428
ISBN-13 978-3-641-12642-1 / 9783641126421
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