Die Urth der Neuen Sonne (eBook)

Das Buch der Neuen Sonne, Band 5 - Roman

(Autor)

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2015 | 1. Auflage
Heyne (Verlag)
978-3-641-12641-4 (ISBN)

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Die Urth der Neuen Sonne -  Gene Wolfe
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Alles oder nichts!
Eine Million Jahre in der Zukunft: Die Menschheit ist auf eine primitive Stufe herabgesunken und lebt wie im Mittelalter. Alles, was von den Hochtechnologien früherer Kulturstufen übrig geblieben ist, gilt als magisches Artefakt. Die einzige Hoffnung ist die Ankunft der Neuen Sonne, die die Menschheit in ein neues Zeitalter überführen soll. Severian, einst Henker, jetzt Autarch von Urth, ist nach seiner Suche, die ihn durch das ganze Land geführt hat, diesem Ziel so nahe wie noch nie: In einem Raumschiff durchquert er Raum und Zeit, um zur Neuen Sonne zu werden - oder zu sterben ...

Gene Wolfe wurde 1931 in New York City geboren. Schon während seiner Studienzeit veröffentlichte er seine erste Fantasy- und Science-Fiction-Geschichten. Doch er dauerte noch, bis er sich hauptberuflich dem Schreiben widmete: Jahrelang arbeitete er als Ingenieur und entwarf unter anderem die Maschine, die Pringles-Chips ihre Form gibt. Vor allem mit seinem Zyklus 'Das Buch der Neuen Sonne' erlangte Gene Wolfe große Bekanntheit; die einzelnen Romane wurden mehrfach ausgezeichnet. Wolfe lebt in Peoria, Illinois.

I. Der Großmast


 

Nachdem ich ein Manuskript ins Meer der Zeit geworfen habe, beginne ich nun abermals. Sicherlich ist es absurd; ich indes will nicht – werde nicht – so absurd sein und glauben, dass dieses je einen Leser finden wird, selbst in meiner Person. So will ich denn für niemanden und nichts schildern, wer ich bin und was ich für die Urth getan habe.

Mein richtiger Name ist Severian. Von meinen Freunden, wovon es nie viele gab, wurde ich Severian der Lahme genannt. Von meinen Soldaten, wovon ich einst sehr viele befehligte, wenngleich niemals genug, Severian der Große. Von meinen Feinden, wovon es wimmelte wie von Fliegen und die als Geschmeiß aus den Leichen hervorgingen, womit die Schlachtfelder übersät waren, Severian der Folterer. Ich war der letzte Autarch unseres Freistaates und als solcher der einzige legitime Beherrscher der Welt, als sie Urth hieß.

Aber wie krankhaft diese Schreiberei doch ist! Vor einigen Jahren (falls Zeit noch eine Bedeutung hat) schrieb ich in meiner Kabine auf dem Schiff Tzadkiel und erzählte aus dem Gedächtnis das Buch nach, das ich in einem Lichtgaden im Haus Absolut verfasst hatte. Da hockte ich und führte die Feder übers Papier wie irgendein Kanzlist und kopierte einen Text, den ich mir ohne Mühe ins Gedächtnis zurückrufen konnte, in dem Gefühl, das letzte bedeutungsvolle – oder vielmehr bedeutungslose – Werk meines Lebens zu vollbringen.

Ich schrieb und schlief und stand auf, um weiterzuschreiben, und während die Tinte übers Papier flog, erlebte ich schließlich den Augenblick wieder, als ich Valerias Turm betrat und ihn und alles andere zu mir sprechen hörte, die stolze Bürde des Mannseins auf den Schultern spürte und wusste, dass ich kein Jüngling mehr war. Das war wohl zehn Jahre zuvor. Zehn Jahre waren verstrichen, als ich es im Haus Absolut niederschrieb. Jetzt ist das ein Jahrhundert oder länger her. Wer weiß?

Ich hatte eine schmale bleierne Schatulle mit einem dicht schließenden Deckel an Bord gebracht. Diese fasste, wie beabsichtigt, mein Manuskript. Ich klappte den Deckel zu und verschloss ihn, stellte meine Pistole auf kleinste Leistung und verschmolz den Deckel und Schatulle mit ihrem Strahl zu einer Masse.

Um an Deck zu gelangen, passiert man seltsame Gänge, die oft von einer widerhallenden Stimme erfüllt sind, die man, gleichwohl sie nicht deutlich vernehmbar ist, immer versteht. Wenn man an eine Luke gelangt, muss man eine Lufthülle anlegen, eine eigene unsichtbare Atmosphäre, die aufrechterhalten wird von einem Ding, das nichts weiter als ein glänzendes Halsband aus zylindrischen Gliedern zu sein scheint. Da sind eine Lufthaube für den Kopf, Lufthandschuhe für die Hände (diese bauen sich allerdings ab, wenn man etwas anfasst, und die Kälte dringt ein), Luftschuhe und so weiter.

Die Schiffe, die zwischen den Sonnen segeln, sind nicht wie die Schiffe auf Urth. Anstelle von Deck und Rumpf gibt es Deck an Deck, so dass man, wenn man über eine Reling geht, auf dem nächsten steht. Die Decks sind aus Holz, das im Gegensatz zu Metall der tödlichen Kälte standhält; jedoch befinden sich Metall und Stein darunter.

Masten entspringen jedem Deck, hundertmal größer als der Fahnenturm der Zitadelle. Jedes Teil wirkt kerzengerade, doch wenn man daran entlangblickt, wie wenn man auf eine endlose Straße blickt, die sich hinterm Horizont verliert, so sieht man, dass es, wenn auch geringfügig, geneigt ist und sich im Wind von den Sonnen beugt.

Masten gibt es unzählige; jeder Mast trägt tausend Spieren, und jede Spiere hält ein Segel in Schwarz und Silber. Diese bedecken den Himmel, so dass man, will man auf Deck den zitronengelben, weißen, violetten und rosa Schein der fernen Sonnen sehen, angestrengt Ausschau halten muss, um zwischen den Segeln einen Blick darauf zu erhaschen, genauso wie man angestrengt Ausschau halten muss, um sie zwischen den Wolken einer Herbstnacht zu erspähen.

Wie ich vom Steward weiß, kommt es manchmal vor, dass ein Seemann in der Takelung den Halt verliert. Wenn das auf Urth geschieht, so schlägt der Unglückliche normalerweise auf Deck auf und ist tot. Hier besteht diese Gefahr nicht. Obwohl das Schiff ein gewaltiges ist und solche Schätze birgt und obwohl wir seinem Zentrum viel näher sind als jene, die auf Urth wandeln, dem Zentrum der Urth, ist seine Anziehungskraft nur bescheiden. Der unvorsichtige Seemann treibt wie Distelwolle zwischen Wanten und Segeln und wird am ärgsten vom Spott seiner Kameraden verletzt, deren Stimmen er freilich nicht hören kann. (Denn das Vakuum macht jede Stimme unhörbar außer für den Sprecher selbst, es sei denn, es kommen sich zwei so nahe, dass die Luft, mit der sie ausgestattet sind, zu einer Atmosphäre verschmilzt.) Und ich habe mir sagen lassen, das Brausen der Sonnen würde, wäre dem nicht so, das Universum taub machen.

Von alledem ahnte ich wenig, als ich auf Deck ging. Man hatte mir gesagt, ich müsse ein Halsband tragen und die Luken seien so konstruiert, dass die innere zu schließen sei, bevor die äußere zu öffnen wäre – aber recht viel mehr nicht. Man stelle sich nun meine Überraschung vor, als ich, die bleierne Schatulle unterm Arm, hinaustrat.

Über mir erhoben sich die schwarzen Masten und silbernen Segel in Lagen, so dass der Eindruck entstand, dass sie schier an die Sterne stießen. Das Takelwerk hätte eine Spinnwebe sein können, wäre die Spinne so groß wie das Schiff gewesen – und das Schiff war größer als manche Insel, die ein Schloss und einen Wappenträger aufweist, der sich fast schon für einen Monarchen hält. Das eigentliche Deck war weitläufig wie eine Ebene; bloß den Fuß darauf zu setzen, kostete mich allen Mut.

Als ich schreibend in meiner Kabine saß, hatte ich kaum gemerkt, dass mein Gewicht um sieben Achtel reduziert war. Nun kam ich mir vor wie ein Gespenst oder vielmehr wie ein Männlein aus Papier, ein passender Gemahl für die Frau aus Papier, die ich als Kind ausgemalt und mit der ich Staat gemacht hatte. Der Wind von den Sonnen ist schwächer als der laueste Zephir auf Urth; mochte er auch schwach sein, so spürte ich ihn doch und fürchtete, fortgeblasen zu werden. Mir war beinahe, als würde ich nicht gehen auf dem Deck, sondern darauf schweben; und dies trifft zu, wie ich weiß, denn kraft des Halsbandes hielten sich Überschuhe aus Luft zwischen den Planken und meinen Stiefelsohlen.

Ich sah mich nach einem Seemann um, der mir Auskunft geben könnte über den besten Weg in die Masten, glaubte ich doch, dass sie zahlreich auf den Decks anzutreffen wären, wie das auf Deck unsrer Schiffe auf Urth der Fall ist. Da war keiner; um die Lufthülle zu schonen, bleiben alle Helfer unten, wenn sie oben nicht gebraucht werden, was nur selten vorkommt. Ahnungslos, wie ich war, rief ich laut aus. Ich bekam natürlich keine Antwort.

Einige Ketten entfernt ragte ein Mast auf, aber sobald ich ihn sah, wusste ich, dass es hoffnungslos wäre, ihn besteigen zu wollen; er hatte einen stärkeren Durchmesser als jeder Baum, der je unsre Wälder schmückte, und war glatt wie Metall. Ich ging los, wobei ich tausend Dinge fürchtete, die mich gar nicht bedrohten, aber das eigentliche Risiko, auf das ich mich einließ, völlig missachtete.

Die großen Decks sind flach, so dass ein Seemann von einer Stelle einem andern über eine Entfernung signalisieren kann. Wären sie gekrümmt, so dass die Flächen überall den gleichen Abstand zum Schiffsbauch aufwiesen, so wären verschiedene Helfer auf eine Distanz für einander unsichtbar, wie auf Urth Schiffe hinterm Horizont für einander unsichtbar bleiben. Weil sie indes flach sind, wirken sie stets schräg, wenn man nicht in der Mitte steht. So hatte ich, gleichwohl ich leicht war, den Eindruck, einen gespenstischen Berg zu erklimmen.

Bergan stieg ich viele Atemzüge, vielleicht gar eine halbe Wacht lang. Die Stille zerschmetterte mich nahezu, die Stille, die greifbarer als das Schiff war. Ich hörte meine ungleichen Schritte leise über die Planken schlurfen und ein gelegentliches Ächzen oder Brummen unter mir. Außer diesen gedämpften Geräuschen war nichts zu hören. Seit ich als Kind bei Meister Malrubius in der Lehre gewesen bin weiß ich, dass der Raum zwischen den Sonnen alles andere als leer ist; aberhundert, vielleicht gar abertausend Reisen werden dort getätigt. Wie ich später hinzulernte, ist da noch mehr: Die Undine, der ich zweimal begegnete, erklärte mir, dass sie hin und wieder durch die Leere schwimme, und das Flügelgebilde, das ich in Vater Inires Buch erspähte, flog dort.

Nun erfuhr ich, was ich nie wirklich gewusst hatte: dass alle diese Schiffe und großen Wesen nur eine Handvoll Samen sind, die in die Wüste ausgesät sind, welche nach dem Säen leer bleibt wie eh und je. Ich hätte mich umgewandt und wäre zurück in meine Kabine gehumpelt, hätte ich nicht erkannt, dass ich, kaum angelangt, von meinem Stolz wieder hinausgetrieben worden wäre.

Schließlich ging ich auf die feinen hängenden Gespinste der Takelung zu, Taue, die manchmal in der Sonne glitzerten oder sich auflösten in der Finsternis oder vor der aufschießenden Wand aus Silber, nämlich der Besegelung des Decks dahinter. So fein sie auch wirkten, jedes Tau war dicker als die mächtigen Säulen unsrer Kathedrale.

Ich trug unter meinem Luftmantel noch einen wollenen; seine Zipfel band ich mir nun um die Hüften, so dass eine bauchige Tasche entstand, in der ich die Schatulle verstaute. Ich legte alle Kraft ins heile Bein und sprang.

Weil ich mir insgesamt leicht wie eine Feder vorkam, hatte ich damit gerechnet, langsam in die Höhe zu steigen und hinaufzuschweben, wie angeblich die Seeleute durch die...

Erscheint lt. Verlag 26.2.2015
Reihe/Serie Das Buch der Neuen Sonne-Reihe
Übersetzer Reinhard Heinz
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Urth of the New Sun
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Das Buch der Neuen Sonne • Das Buch der Neuen Sonne, Gene Wolfe, Science Fantasy • eBooks • Fantasy • Gene Wolfe • Science Fantasy
ISBN-10 3-641-12641-X / 364112641X
ISBN-13 978-3-641-12641-4 / 9783641126414
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