Spurensuche (eBook)

Auf der legendäre Canning Stock Route durch das Outback Australiens
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2015 | 1. Auflage
192 Seiten
Highlights Verlag
978-3-945784-09-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Spurensuche -  Andreas Hülsmann
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Sie heißt Canning Stock Route, führt quer durch das australische Outback und ist die längste Offroad-Piste der Welt. Vor 100 Jahren von einem Rinderzüchter namens Alfred Canning angelegt, gilt dieser ehemalige Viehtreck als eines der letzten Abenteuer unserer Zeit. Auf einer Distanz von 2.000 Kilometer führt er durch das menschenleere, trockene und lebensfeindliche Zentrum des Roten Kontinents und durchquert dabei drei mächtige Sandwüsten. Wasser gibt es nur an einigen wenigen, einst von Canning angelegten Brunnen. Die gilt es zu finden. Ebenso wie die einzige Tankstelle im Busch. Andreas Hülsmann, der Autor von 'Auszeit', befuhr die Canning Stock Route zusammen mit seinem Freund Jörg Becker als erster Europäer ohne Begleitfahrzeug mit dem Motorrad. Die beiden trotzten nächtlicher Eiseskälte ebenso wie der Gluthitze des Tages, bezwangen hohe Sanddünen und tiefe Salzseen, mussten technische Schwierigkeiten beheben, kämpften mit Wasserknappheit und Nahrungsmangel und blieben auch von Blessuren nicht verschont. Sie genossen aber auch in vollen Zügen die Einsamkeit und Romantik des Outbacks, den herben Geschmack des Abenteuers und die Faszination, den Spuren einer historischen Route zu folgen. Als sie schließlich das Ziel erreichten, war ihr Leben reicher geworden. Reicher um den Respekt vor der Natur, um die Demut gegenüber der Wüste, um die Erfahrung, wie es ist, ganz alleine auf sich gestellt zu sein und um Augenblicke, in denen sie mit nichts und niemandem auf der Welt getauscht hätten.

Vorwort: Der Weg in die Einsamkeit
Kapitel 1: Start in Wiluna
Kapitel 2: Richtig weit draußen
Kapitel 3: Acht Kilogramm Müsli
Kapitel 4: Dünen bis zum Horizont
Kapitel 5: Rankins Trolley
Kapitel 6: Unser grünes Paradies
Kapitel 7: See der Enttäuschung
Kapitel 8: Wüstentankstelle
Kapitel 9: Sturz mit Folgen
Kapitel 10: Wo die Geister spuken
Kapitel 11: Wasser zum Überleben
Historie: Pioniere Australiens
Gesundheit: Wenn es keinen Arzt gibt
Infos: Reisedaten

Kapitel 1 – A. Hülsmann


Start in Wiluna


»Wenn die Abgeschiedenheit eine Heimat hätte, dann wäre dieser Ort sicherlich ihr Zuhause.«

Plötzlich ist alles verschwunden. Einfach weg. Über ein Jahr habe ich diesem Moment entgegengefiebert, Sehnsüchte und Erwartungen auf diesen Augenblick fixiert. Und nun sind all diese Gefühle dahin. Sie sind der Rationalität gewichen. Emotionale Leere. Die Gedanken haben sich an der Ausrüstung festgebissen. Ist alles dabei? Nichts vergessen? Reicht das Benzin? Wird es unterwegs auch genügend Wasser geben? Das ist sie nun, die Realität, nichts Heroisches, keine Euphorie. Selbst der Reiz, dass die längste Piste der Welt vor uns liegt und wir sie mit nur zwei Motorrädern bezwingen wollen, ist verloren gegangen. Von Jörg ist kaum etwas zu sehen. Dann und wann durchdringt seine Silhouette den dichten Staub, der durch mein Hinterrad aufgewirbelt wird. Der Ärmste schluckt all den Dreck, der sich träge und zäh in der Luft hält.

Vor wenigen Sekunden haben wir die Grenze zur Unendlichkeit überschritten. In Wiluna ist diese Linie klar und scharf gezogen: Direkt hinter dem Pub, dort wo der Asphalt endet und für die nächsten 2.000 Kilometer die Piste beginnt. Die Grenze zwischen Zivilisation und der endlosen Weite des Outbacks.

Wiluna macht einem den Abschied von der Zivilisation nicht sonderlich schwer. Wenn die Abgeschiedenheit eine Heimat hätte, dann wäre dieser Ort sicherlich ihr Zuhause. Für denjenigen, der über die Canning Stock Route ins 2.000 Kilometer entfernte Halls Creek möchte, ist er jedoch der letzte menschliche Stützpunkt. In Wiluna ist die Zeit nicht stehen geblieben, sie ist schlicht nicht vorhanden. Der Ort ein Mikrokosmos mit einem eigenen Rhythmus. Was draußen in der Welt passiert, interessiert am Rande der Little Sandy Desert nicht sonderlich. Politik, selbst die im eigenen Land, ist durch die Distanz zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Allenfalls Pferderennen und die Football-Ergebnisse schaffen es manchmal, in das Zentrum des Interesses zu rücken.

Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens in Wiluna ist der Pub. Mit Abstand das größte Gebäude im Ort. Im Umkreis von 300 Kilometern ist er die einzige Kneipe und für die meisten Menschen, die hier leben, wahrscheinlich der einzige Grund, in Wiluna zu bleiben. Im Pub herrscht noch die alte Ordnung, die ziemlich einfach strukturiert ist – schwarz und weiß. Hier der Barraum für die Weißen, mit dem Charme eines gekachelten Partykellers. Die Grundausstattung dem Ort angemessen schlicht: Bierdeckel an der Wand, dazwischen ein Poster von den »Glorreichen Sieben«, einem Western-Klassiker mit Yul Brynner, das Ganze verziert mit den Emblemen der beliebtesten australischen Football-Clubs.

Gegenüber der kleine Saal für die Aborigines. Die Zeitlosigkeit des Mobiliars drückt sich dadurch aus, dass es gar nicht vorhanden ist. Nur mintgrüne Kacheln an den Wänden und auf dem Fußboden. Wie in einer Wurstküche. Ein Raum, den man nur betreten möchte, wenn man es muss. Die Ureinwohner, die in Wiluna leben, haben keine Wahl – für sie ist der Vorhof zur Hölle mintgrün. Nur im Delirium, so scheint es, können viele Aborigines die Welt des weißen Mannes ertragen. Was für sie zählt, sind nicht mehr ihre Mythen und Riten, sondern der Alkohol ist für die meisten der Mittelpunkt des Lebens geworden. Ein fürchterliches Erwachen aus der so genannten Dreamtime, aus der ihrem Glauben nach das Leben entstand. Doch ihr Brauchtum ist kaum noch vorhanden. Es scheint, als bewegten sich die Ureinwohner Australiens im Niemandsland. Die Welt ihrer Vorfahren haben sie längst verlassen, doch in der Welt der Weißen werden sie wohl nie ankommen.

Wasser und Benzin zerren am Heck der BMW F 650. 64 Liter Sprit hat jeder von uns dabei. Hinzu kommen 24 Liter Wasser. Dann die Ausrüstung: Foto-Equipment, Werkzeug, Ersatzteile, Verpflegung und Erste-Hilfe-Set. Als hauptberuflicher Rettungssanitäter hat Jörg in die Vollen gegriffen. Ich bin mir sicher, er könnte mir irgendwo da draußen sogar den Blinddarm herausnehmen. Für nur jede erdenkliche Verletzung hat er sich gerüstet. So viel Vorsorge hat ihren Preis: Mit einem Startgewicht von je 340 Kilogramm sind wir in Wiluna aufgebrochen. Der Einzylinder hat die Manövrierfähigkeit eines Öltankers. Wie damals während meiner Auszeit in Südamerika die gute alte Yamaha Ténéré. Auch sie war hoffnungslos überladen. Mit einem Rahmenbruch lehnte sie sich gegen die ihr aufgebürdete Last auf. Deshalb wollte ich mich diesmal einschränken. Geklappt hat es jedoch nicht wirklich.

Schon längst kreisen meine Gedanken nicht mehr um die Ausrüstung, es geht nur noch darum, oben zu bleiben. Jede Bodenwelle ist eine Lehrstunde in Sachen Grundlagenphysik. Die Gesetze der Massenträgheit können einem anschaulicher kaum vor Augen geführt werden. Die Unebenheiten sorgen für reichlich Emotionen. Doch es ist nicht Euphorie, die ich fühle, sondern pure Angst.

Aber weshalb, frage ich mich. Während der monatelangen Vorbereitungen waren wir noch von einer unbändigen Spannung und Vorfreude beherrscht. Endlich sollte ein lang gehegter Traum in Erfüllung gehen – die Befahrung der berühmt berüchtigten Canning Stock Route. Als erste Europäer ohne Begleitfahrzeug auf Motorrädern. Eine große Herausforderung, der wir mit Unterstützung des Offroad-Ausrüsters Touratech begegnen würden. Die Jungs aus Niedereschach legten sich mächtig für uns ins Zeug. Halfen bei der Planung, dem Abstecken der Route am Computer, dem Zusammenstellen der Ausrüstung, dem Aufbau der Motorräder. Während dieser Zeit vollführte unser Stimmungsbarometer wahre Höhenflüge.

Doch nun erobern Zweifel meinen Kopf, Unbehagen bemächtigt sich meiner Gefühlswelt. Ich bin mir auf einmal nicht mehr sicher, ob es wirklich eine so gute Idee war, sich mit einem schwergewichtigen Motorrad fast 2.000 Kilometer lang durch den Sand zu quälen. 1.000 Dünen warten da draußen auf uns. Wir sind dabei, eine der einsamsten Gegenden dieser Erde zu durchqueren. Bis jetzt ist die Piste zwar noch breit und von der Dimension einer Autobahn, doch das dürfte sich auf den nächsten Kilometern dramatisch ändern. »The Canning is just a wheel track in the desert«, sagte die Dame an der Tankstelle. Die Canning – nicht mehr als eine Reifenspur in der Wüste. Ihre Stimme klang routiniert, als würde sie diesen Satz öfter zitieren. »Where is the car?«, fragte sie. Nein, antwortete ich, wir hätten kein Auto dabei. Als sie unser Vorhaben erkannte, diesen alten Viehtrack auf zwei Motorrädern ohne Begleitfahrzeug in Angriff zu nehmen, mischte sich Besorgnis in ihren Ton. Ob wir uns im Klaren seien, was wir da vorhätten, wollte sie wissen. »This is not an easy sunday afternoon ride«, gab sie uns zu verstehen. Kein einfacher Sonntag-Nachmittags-Ausflug also.

Wie sich herausstellte, kamen ihre Befürchtungen nicht von ungefähr. Mit Deutschen machte man hier draußen wohl schon schlechte Erfahrungen. Die Geschichte von vor zwei Jahren war der Frau noch in lebhafter Erinnerung. Damals fuhr ein Deutscher von Wiluna mit einem Geländewagen los. Er wollte die Canning in drei bis vier Tagen »erledigen«. Das seien doch nur knapp 2.000 Kilometer, meinte er und brach mit ein paar Litern Wasser, einem Sixpack Bier und einigen Keksen auf. Irgendwo in der Wüste fuhr er sich fest, und nur durch Zufall fand man ihn nach einigen Tagen. Anstatt sich zu bedanken, beschimpfte er seine Retter aufs Übelste. Weshalb sie so spät kämen, und was das überhaupt für ein Land sei: Keine Geschäfte, nirgendwo eine Tankstelle geschweige denn ein Pub, und mit seinem Handy bekäme er kein Netz. Nicht eine Menschenseele hätte er unterwegs getroffen.

Die Geschichte ging damals durch die australischen Medien. Ahnungslose Greenhorns, die das Abenteuer suchen, aber nicht die geringste Ahnung haben, was im Outback abläuft. Solche Ereignisse prägen. Da ist es nicht verwunderlich, dass viele Australier glauben, ein derartiges Verhalten sei typisch deutsch.

Wir versuchten, die Tankstellen-Lady von der Seriösität unseres Unternehmens zu überzeugen und das schlechte Image unserer Landsleute zu verbessern. Ich geriet beinahe ins Schwärmen, als ich ihr von unseren Vorbereitungen erzählte. Vielleicht wollte ich mich auch selbst überzeugen. Die Gründe für unser Vorhaben nannte ich nicht. Die hätte sie wohl noch weniger verstanden. Herausforderung und Abenteuer? Das Leben in Wiluna ist vermutlich schon Herausforderung genug. Zum Schluss wünschte sie uns noch viel Glück und ermahnte uns, vorsichtig zu sein. Denn es sei ziemlich einsam da draußen.

»Da draußen« beginnt ca. 40 Kilometer hinter Wiluna. Ein großes Schild markiert den Start der Canning Stock Route. Ohne das Ding könnte man den Einstieg zur längsten Piste der Welt glatt verpassen. Unauffällig zweigt eine Spur nach rechts ins Gebüsch ab. Die Aufschrift auf dem Schild ist mehr Warnung als Hinweis. Das ist er also, der legendäre Viehtrack. Jedem australischen Offroad-Fan treiben schon allein die Buchstaben CSR Tränen in die Augen. Doch was wir sehen, ist absolut nichts Spektakuläres. Nicht mehr als ein Feldweg, der sich schon ein paar Meter weiter zwischen den Büschen verliert. Das mit der Spur im Sand haut auch nicht so ganz hin. Es sind mehrere Spuren, die sich immer wieder teilen, und schon auf den ersten Metern haben wir Schwierigkeiten, die eigentliche Piste im Auge zu behalten.

Zum Glück hat mein GPS das nächste Ziel schon längst erfasst. Es muss sich wenige hundert Meter geradeaus befinden. 26° 16’ 59’’ Süd, 120° 12’ 28’’ Ost – Well 2, Brunnen Nummer zwei von insgesamt 51...

Erscheint lt. Verlag 1.1.2015
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Australien • Canning Stock Route • Motorrad • Motorradabenteuer • Motorradreise • Outback
ISBN-10 3-945784-09-3 / 3945784093
ISBN-13 978-3-945784-09-9 / 9783945784099
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