Die purpurnen Flüsse (eBook)

Thriller
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2015 | 1. Aufl. 2015
413 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7325-0864-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die purpurnen Flüsse - Jean-Christophe Grangé
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In der kleinen Universitätsstadt Guernon nahe Grenoble wird die grausam zugerichtete Leiche des Bibliothekars Rémy Callois entdeckt. Der ermittelnde Kommissar glaubt zunächst an einen Ritualmord, bis ganz in der Nähe ein weiterer Toter gefunden wird: der Krankenpfleger Philippe Sertys. Gezielt gelegte Spuren haben die Polizei zu ihm geführt.

Zur gleichen Zeit versucht ein Inspektor in einem französischen Provinznest, das rätselhafte Verschwinden eines zehnjährigen Schülers aufzuklären. Als sich herausstellt, dass beide Kriminalfälle in Zusammenhang stehen, beginnt eine fieberhafte Spurensuche. Bald ist klar, dass die zwei Toten keineswegs unschuldige Opfer waren, und die 'purpurnen Flüsse' erweisen sich als Chiffre für ein furchtbares Verbrechen ...

1


»Ganamos! Ga-na-mos!«

Pierre Niémans, das Funkgerät in der Hand, beobachtete die Menschenmenge unter sich, die über die Betontreppen des Parc-des-Princes-Stadions abwärts drängte. Tausende erhitzter Köpfe, weißer Fahnen, grellbunter Schals, die ein schillerndes, vielfarbiges Band bildeten. Wie ein Konfettischauer. Oder eine Legion irrer Dämonen. Und immerfort diese drei Silben, langsam und ohrenbetäubend: »Ga-na-mos!«

Der Polizist stand auf dem Dach des Kindergartens gegenüber dem Stadion und leitete die Manöver der dritten und vierten Brigade der CRS, der republikanischen Sicherheitstruppen. Die Männer in Dunkelblau trugen schwarze Helme und Polycarbonat-Schilde zu ihrem Schutz. Es war die klassische Methode: zweihundert Männer zu beiden Seiten jeder Gruppe von Ausgängen und zusätzliche »Abschirmkommandos«, die dafür zu sorgen hatten, dass die Anhänger der beiden Mannschaften sich nicht nahe kamen oder aufeinandertrafen, ja sich nicht einmal gegenseitig wahrnahmen …

Für das Spiel Zaragoza-Arsenal in der Champions League 96, das einzige Match des Jahres, bei dem zwei nichtfranzösische Mannschaften in Paris gegeneinander antraten, waren mehr als vierzehnhundert Polizisten und Gendarmen mobilisiert worden. Ausweiskontrollen, Leibesvisitationen und Einkreisung der vierzigtausend Fans, die aus Spanien und England angereist waren. Hauptkommissar Pierre Niémans war einer der Koordinatoren der Manöver. Diese Art von Einsatz gehörte nicht zu seinen üblichen Aufgaben, doch er schätzte solche Übungen. Überwachung und Konfrontation, im wahrsten Sinn des Wortes. Ohne Ermittlungen, ohne bürokratische Vorschriften. Ein Gratisangebot, das er in gewisser Weise erholsam fand. Und er liebte das militärische Gepräge dieser vorrückenden Armee.

Die Fans waren inzwischen auf der ersten Ebene angelangt – man sah sie zwischen den Betonträgern der Konstruktion, oberhalb der Ausgänge H und G. Niémans warf einen Blick auf die Uhr. In spätestens vier Minuten waren sie draußen auf der Straße. Dann wurde es gefährlich: Wenn die verfeindeten Fans sich begegneten, konnte die Situation außer Kontrolle geraten. Die Oktobernacht vibrierte vor Spannung.

Zwei Minuten. Instinktiv drehte Niémans sich um und sah in der Ferne die Place de la Porte de Saint-Cloud. Völlig menschenleer. Wie beunruhigende Totempfähle erhoben sich die drei Fontänen in die Nacht. Entlang der Avenue reihten sich die Mannschaftswagen der CRS aneinander, und die Männer standen daneben, die Helme an den Gürtel geschnallt, ließen die Schultern kreisen und klopften sich mit dem Schlagstock an die Beine. Die Reservebrigaden.

Das Getöse schwoll an. Die Menge strömte zwischen den Absperrgittern hindurch. Niémans konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen: Das war es, was er suchte. Wie eine Woge quollen die Menschen auf die Straße. Schrille Fanfarenstöße erhoben sich über das Stimmengewirr. Ein Donnergrollen ließ jeden Zwischenraum im Beton erbeben. »Ga-na-mos! Ga-na-mos!« Niémans schaltete sein Funkgerät ein und sprach mit Joachim, dem Chef der Kompanie Ost.»Hier Niémans. Sie kommen raus. Lenken Sie sie in Richtung Mannschaftswagen, Boulevard Murat, Parkplätze, Métroeingänge.«

Von seinem erhöhten Standort aus schätzte der Polizist die Lage ein: Auf dieser Seite war das Risiko minimal. Die spanischen Fans waren die Sieger, folglich weniger gefährlich. Die Engländer verließen das Stadion auf der gegenüberliegenden Seite durch die Ausgänge A und K, bei der Boulogne-Tribüne – der Tribüne der wilden Tiere. Sobald die Situation hier überschaubar war, nahm Niémans sich vor, wollte er einen Blick auf die andere Seite werfen.

Im Licht der Straßenlaternen sah er über der Menge plötzlich eine Flasche fliegen, sah, wie ein Schlagstock niederging, die dichten Reihen zurückwichen, Männer zu Boden fielen. Er brüllte ins Funkgerät: »Joachim, verdammt! Halten Sie Ihre Leute zurück!«

Niémans stürzte ins Treppenhaus und rannte die acht Stockwerke hinunter. Als er unten aus dem Gebäude kam, liefen schon zwei CRS-Trupps herbei, bereit, die Hooligans in Schach zu halten. Auf keinen Fall durfte dieser Zwischenfall das Pulverfass zur Explosion bringen. Niémans rannte vor den bewaffneten Männern her und schwenkte stürmisch beide Arme. Die Schlagstöcke waren wenige Meter von seinem Gesicht entfernt, als unversehens Joachim neben ihm auftauchte, den Helm auf dem Kopf festgeschnallt: Er klappte das Visier auf und warf Niémans einen wutentbrannten Blick zu.

»Gott im Himmel, sind Sie bescheuert, oder was? In Zivil – die machen Sie fertig …«

Niémans ignorierte die Frage.

»Was ist das für eine Scheiße? Halten Sie Ihre Männer in Schach, Joachim! Sonst ist hier in drei Minuten die Hölle los.«

Der stämmige Hauptmann keuchte, sein Gesicht war hochrot, und sein kleiner Schnauzbart, Modell Jahrhundertwende, erzitterte unter den stoßweisen Atemzügen. Das Funkgerät meldete sich: »Aufruf an alle Einheiten … Aufruf an alle Einheiten … Die Boulogne-Kurve … Rue du Commandant-Guilbaud … Ich … Wir haben hier ein Problem!« Niémans fixierte Joachim, als wäre der allein an dem allgemeinen Chaos schuld. Er drückte auf den Sprechknopf: »Niémans hier. Wir kommen.« Dann befahl er dem Hauptmann in beherrschtem Ton: »Ich gehe hinüber. Schicken Sie so viele Männer wie möglich. Und riegeln Sie hier ab.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, hastete der Kommissar davon, auf der Suche nach dem Rekruten, der ihm als Fahrer zugeteilt war. Mit langen Schritten überquerte er den Platz und sah aus dem Augenwinkel, wie die Kellner der Brasserie des Princes hastig das eiserne Rollgitter herunterließen. Panik lag in der Luft.

Endlich entdeckte er den dunkelhaarigen kleinen Mann mit Lederjacke, der neben einer schwarzen Limousine auf und ab ging. Niémans schlug mit der Faust auf das Verdeck des Wagens und brüllte: »Schnell! Die Boulogne-Kurve!«

In derselben Sekunde sprangen die beiden Männer in den Wagen und fuhren mit quietschenden Reifen davon. Links neben dem Stadion bog der Rekrut ab, um auf dem freigehaltenen Sicherheitsstreifen den Ausgang K auf dem kürzesten Weg zu erreichen.

Doch Niémans hatte eine jähe Eingebung. »Nein«, schnaubte er, »fahr außen herum. Die Schlägerei wird auf uns zukommen.«

Der Wagen vollführte eine Kehrtwendung, schlitterte durch die Pfützen rund um die Wasserwerfer, die sich zur Niederschlagung eines Aufruhrs bereithielten, und raste durch die schmale Schneise zwischen den grauen Mannschaftswagen die Avenue du Parc-des-Princes entlang. Die behelmten Männer, die in dieselbe Richtung liefen, wichen zur Seite, ohne einen Blick auf sie zu werfen. Niémans hatte das magnetische Blaulicht aufs Dach geheftet. Nach dem Gelände des Claude-Bernard-Gymnasiums bog der Rekrut nach links ab, umrundete die Auteuil-Tribüne und folgte der dritten Flanke des Stadions.

Als Niémans die ersten Gaswolken aufwallen sah, fühlte er sich bestätigt: Der Zusammenstoß hatte sich bereits bis zur Place de l’Europe ausgeweitet.

Der Wagen durchquerte die weißlichen Schwaden und musste sich durch die ersten flüchtenden Opfer kämpfen. Die Schlägerei war unmittelbar vor der Präsidententribüne ausgebrochen. Männer mit Krawatten, herausgeputzte Frauen liefen stolpernd davon, die Gesichter tränenüberströmt. Manche versuchten, auf die Straße zu entkommen, während andere in Richtung Galerie flohen und die Stufen wieder hinaufrannten.

Mit einem Satz sprang Niémans aus dem Wagen. Auf dem Platz prügelte sich eine geballte Masse ineinander verkeilter, um sich schlagender Leiber. Hin und wieder blitzten die grellen Farben der englischen Mannschaft auf, dazwischen waren die dunklen Gestalten der CRS zu erkennen, von denen manche blutend über den Boden krochen wie Schnecken; andere hingegen hielten sich abseits und wagten nicht, die Anti-Riot-Gewehre einzusetzen, um ihre verletzten Kollegen nicht zu gefährden.

Der Kommissar nahm die Brille ab und band sich ein Tuch vors Gesicht. Er trat auf den nächststehenden CRS-Mann zu und entriss ihm den Schlagstock, während er ihm mit der anderen Hand seinen Dienstausweis unter die Nase hielt. Der Mann starrte ihn verdattert an; Dunst beschlug das Visier seines Helms.

Pierre Niémans lief auf das Handgemenge zu. Die englischen Fans schlugen mit Fäusten und Stangen, traten mit eisenbewehrten Absätzen, und die CRS-Trupps wichen zurück und versuchten, ihre eigenen Leute zu schützen, die bereits zu Boden gegangen waren. Arme fuchtelten, Gesichter streiften einander im Gasdunst, Kieferknochen zersplitterten auf dem Asphalt. Schlagstöcke wurden geschwungen und bogen sich unter der Wucht des Aufpralls.

Der Polizist stürzte sich ins Gewühl.

Er prügelte mit der Faust, mit dem Stock. Mähte einen stämmigen Kerl nieder und schlug weiter, als sein Gegner schon auf dem Boden lag. In die Rippen, in den Unterleib, ins Gesicht. Plötzlich traf ihn ein Fußtritt von rechts, und er richtete sich brüllend auf. Sein Stock fuhr gegen die Kehle des Angreifers. Unter seiner Schädeldecke hämmerte das Blut, sein Mund fühlte sich taub an und schmeckte nach Metall. Er dachte nichts mehr, empfand nichts mehr. Er war im Krieg, das war das Einzige, was er wusste. Aus dem Augenwinkel bemerkte er plötzlich eine merkwürdige Szene. In hundert Metern Entfernung nahmen zwei Hooligans einen Mann in Zivil in die Mangel, der bereits übel zugerichtet war und sich heftig wehrte. Niémans sah das blau geschlagene Gesicht des Fans, die mechanischen Bewegungen der anderen, die vor Hass bebten. Nach einer weiteren Sekunde hatte Niémans begriffen: Der Einzelkämpfer und die beiden anderen trugen auf ihren Jacken die Abzeichen...

Erscheint lt. Verlag 25.1.2015
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 20. - 21. Jahrhundert • Annecy • Arrondissement of Montpellier • Auvergne-Rhône-Alpes • blutig • Blutlinie • Christie • Cody McFadyen • Dan Brown • Detektiv • Ermittler • Ermittlerduo • Ermittlung • Ermittlungen • ethan cross • Fitzek • Frankreich • Gangster • Gänsehaut • Gauner • Gendarm • Gendarmerie • Groschenheft • Groschenroman • Hauptkommissar • Haute-Garonne • Haute-Savoie • Hauts-De-Seine • Hérault • Île-de-France • Kommissar • Kommissär • Kriminalpolizei • Kriminalroman • Kriminalromane • Krimis • Krimis und Thriller • Kripo • Leiche • nanterre • Occitanie • Polizei • Polizist • Polizistin • Privatdetektiv • Psycho • Psychothriller • Regionalkrimi • Schlitzer • Serienkiller • Serienkrimi • Serienmörder • Sète • spannend • Spannung • Spannungsroman • Thriller • Thriller; 20. - 21. Jahrhundert; Frankreich; Psychothriller • todeskünstler • Toter • Toulouse • Vatikan • Verbrechen • Verbrecher • Verschwörung
ISBN-10 3-7325-0864-1 / 3732508641
ISBN-13 978-3-7325-0864-8 / 9783732508648
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