Ikarus (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2015
608 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-16259-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ikarus - Andreas Brandhorst
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Volles Risiko
Auf einer Welt im Tau-Ceti-System, mehr als zwölf Lichtjahre von der Erde entfernt, hat sich eine fortschrittliche Zivilisation entwickelt. Doch die Menschen, die dort leben, sind nicht frei - sie leben unter der strengen Beobachtung der Regulatoren, einer mächtigen außerirdischen Spezies. Die einzige Hoffnung auf Freiheit ist ein Geheimprojekt namens Ikarus, das der Regierungsrat Takeder vorangebracht hat. Doch der ist gerade ermordet worden. Ein Katz-und-Maus-Spiel von galaktischen Ausmaßen beginnt ...

Andreas Brandhorst, geboren 1956 im norddeutschen Sielhorst, hat mit seinen Romanen die deutsche Science-Fiction-Literatur der letzten Jahre entscheidend geprägt. Spektakuläre Zukunftsvisionen verbunden mit einem atemberaubenden Thrillerplot sind zu seinem Markenzeichen geworden. Etliche seiner Romane wurden preisgekrönt und zu Bestsellern. Andreas Brandhorst hat viele Jahre in Italien gelebt und ist inzwischen in seine alte Heimat in Norddeutschland zurückgekehrt.

 

KALTES ERWACHEN

1

TAKEDER

Aus kaltem Wasser auftauchen und nach Luft schnappen, den erstarrten Körper mit neuem Leben füllen, die Kälte abschütteln …

»Hören Sie mich?«

Eine Stimme wie der Wind, der über einen Ozean strich, mit leiser, kühler Beharrlichkeit. »Hören Sie mich?«, wiederholte der Wind. »Wie lautet Ihr Name?«

Die Kälte krallte sich an ihm fest, sie wollte ihn nicht verlassen. Eng legte sie sich um ihn, wie ein Panzer aus Eis. Der Wind veränderte sich, wurde zu einer neuen Stimme. »Die Bioindikatoren bestätigen das Ende des beschleunigten Wachstums. Er ist wach, aber noch desorientiert. Wir hätten ihm mehr Zeit geben sollen.«

»Er hat sich selbst nicht mehr gegeben. Die testamentarischen Verfügungen sind eindeutig. Deshalb bin ich hier. Deshalb sind wir hier.«

Testament, dachte er, der noch immer mit der Kälte rang und zu atmen versuchte, im Eis, das ihn umschlang. Er schaffte es, nach Luft zu schnappen, und als sich die Lunge dehnte, schien sie damit Platz zu schaffen für einen weiteren Gedanken, als wäre das Gehirn in die Brust gerutscht, direkt neben das laut schlagende Herz. Ich habe ein Testament aufgesetzt und akkreditieren lassen. Erst vor ein paar Tagen. Für den Fall …

Etwas war mit ihm geschehen. Er fühlte Schmerz, oder das Echo eines Schmerzes. Testament, dachte er und wollte diesen Gedanken festhalten, denn dahinter, in grauem, kaltem Nebel, warteten weitere Gedanken, wichtiger noch als der erste. Aber etwas sprengte mit wildem Ungestüm den Eispanzer und trug ihn fort, durch Wärme und Staub, der in den Augen brannte, ja, er hatte Augen, und sie waren offen, er konnte mit ihnen sehen, nachdem er sie gerieben hatte und das Brennen nachließ. Was er sah, waren jahrhundertealte Gebäude, ihre Mauern schief und grau, die Fenster und Türen leer. Stille herrschte – selbst der Wind schwieg hier –, bis er, der noch immer keinen Namen hatte, ein leises Summen hörte und etwas bemerkte, das wie ein exotischer kleiner Äquivalent-Vogel mit zahlreichen winzigen Rotoren aussah. Ein Sensorpaket. Die Maschine, nicht größer als eine Hand, flog nur wenige Meter entfernt vorbei, und ihre Sondierungsstrahlen strichen über ihn hinweg, ohne ihn zu erfassen. Er wusste plötzlich: Er trug eine Maske, geschaffen von einem defensiven Sporn; für das Sensorpaket existierte er nicht. Verbotene Technik, den Regulatoren gestohlen, verwendet in der … Verbotenen Zone? Niemand hatte hier Zutritt, nicht einmal ein Holder.

Er dachte: Das bin ich, ein Holder. Ich sollte hier nicht hilflos liegen. Ich sollte …

Die grauen, schiefen Wände mit den leeren Fenstern und Türen, die sich plötzlich verändern konnten, wenn eine temporale Woge der Anomalie bei der Stadt der Zukünftigen darüber hinwegstrich … Sie verschwanden und machten einem Gesicht Platz. Es war ein ernstes Gesicht, in dem es für ein Lächeln keinen Platz gab, und er kannte es. Vandenberg, dachte er. Jurat Vandenberg. Ein vertrauter Name, ein vertrautes Gesicht. »Hören Sie mich?«, fragte dieser Mann.

»Ja«, sagte er mühsam. Er lag nackt in einer Mulde, bemerkte er jetzt, in einem halb mit Flüssigkeit gefüllten Becken, oben warm, unten, von den Oberschenkeln abwärts, kalt.

»Wie lautet Ihr Name?«

Mein Name?, dachte er und erinnerte sich. Ich bin ein Holder. Ich bin …

»Jamo Jamis Takeder«, krächzte er und hustete Schleim aus. Hände kamen und berührten ihn, die geschickten, kundigen Hände von medizinischen Assistenten. »Was …«, begann er.

»Sie sind ermordet worden«, sagte Jurat Vandenberg, sein Anwalt. »Vor zwei Stunden.«

2

Sie saßen im Proklamationszimmer des Juratoriums: auf der linken Seite die Zuschauerränge, ihre im Halbkreis aufsteigenden Sitzreihen bis auf den letzten Platz besetzt, auf der rechten die Repräsentanten des Regierungsrates, mit dem Proklamator als Vorsitzenden – inoffizielle und offizielle Zeugen einer Statusverleihung. Jamo Jamis Takeder hatte bei solchen Anlässen mehrmals rechts gesessen, bei den anderen Holdern, deren Blicke jetzt nicht nur Interesse zeigten, sondern auch so etwas wie morbide Faszination. Diesmal saß er nicht bei ihnen, sondern stand auf dem Kopiatenplatz, denn das war er: ein Kopiat, die Kopie eines Mannes, dessen Leben vor zwei Stunden und elf Minuten ein gewaltsames Ende gefunden hatte.

Jamo Jamis Takeder, noch vor hunderteinunddreißig Minuten einer der mächtigsten Männer nicht nur in der Stadt Lodoka, sondern auf dem ganzen Planeten Tayfun und in der aus siebzehn Welten, vierundzwanzig Monden und zweiunddreißig Habitaten und Außenbasen bestehenden Independenz, starrte auf seine Hände hinab, die bewiesen, dass er ein Niemand war, eine Unperson. Sie ragten aus den Ärmeln einer einfachen Jacke und waren violett, wie auch der Rest des Körpers. Kopiatenviolett.

Der Proklamator sprach und verlas die juristischen Formeln des Testaments, das Jamo Jamis – der Ermordete – vor vier Tagen aufgesetzt und akkreditiert hatte. Die Kopie des Toten, der violette Niemand auf dem Kopiatenplatz, den Kopf voller wirrer Gedanken und Gedankenfragmente, hörte die Worte nur mit halbem Ohr. Sein Blick galt noch immer den Händen, die er vor die Brust gehoben hatte. Sie zitterten, als fürchteten sie dieses neue Leben.

»Haben Sie gehört und verstanden?«, fragte der Proklamator schließlich.

»Was?«, krächzte Takeder.

Einige der Statuszeugen flüsterten miteinander. Ein Mann trat zum Proklamator: mittelgroß und schmächtig, das Gesicht ernst. Jurat Vandenberg. Er richtete einige leise Worte an den Proklamator, der daraufhin nickte. »Ich verstehe. Kopiat Takeder, Sie haben beschleunigtes Wachstum hinter sich, ohne ausreichende mentale Konsolidierung. Daher fasse ich das Wichtigste noch einmal zusammen. Jamo Jamis Takeder, Dritter Holder von Lodoka und Siebter von Tayfun, ist vor gut zwei Stunden ermordet worden. In seinem letzten akkreditierten Testament nimmt er das Recht für sich in Anspruch, im Fall eines gewaltsamen Todes die Ermittlungen selbst zu leiten. Dieses Recht wird hiermit anerkannt. Sie bekommen zwanzig Tage Zeit, um Ihren Mörder zu finden, und zwar ab jetzt

Der Proklamator hob einen Coder und berührte ein Schaltelement. Takeder spürte ein kurzes Stechen tief in der Brust. Ein Wispern begann dort, so leise, dass man es leicht überhören konnte, ein chronologisches Raunen, das ihm die Zeit nannte, die ihm für seine Ermittlungen blieb.

»Meine Befugnisse …«, brachte er hervor und begriff instinktiv, dass diesem Punkt große Bedeutung zukam. Gleichzeitig spürte er den Drang in sich aufsteigen, sofort mit den Ermittlungen zu beginnen. Programmierter Stimulus, sagte eine überraschend klare analytische Stimme in ihm. Inkorporiertes Inzentiv. Das war zu erwarten.

»Holder- und Bürgerrechte bleiben Ihnen vorenthalten, Kopiat Takeder«, antwortete der Proklamator. Einige der Statuszeugen nickten bestätigend. »Dieses Komitee gibt Ihnen den Status eines unabhängigen Ermittlers mit Zugang zu allen relevanten Orten und Informationsquellen. Zur Finanzierung Ihrer Nachforschungen steht Ihnen ein Prozent des testamentarisch erfassten Gesamtvermögens zur Verfügung. Das sind … vierzehn Millionen Kreditorenpunkte. Allerdings hat Ihre Frau bereits Einspruch gegen diesen Teil der Verfügung erhoben; eine Entscheidung darüber steht noch aus.«

»Mein Mandant macht hiermit von seinen testamentarischen Statusprivilegien Gebrauch«, sagte der neben dem Proklamator stehende Vandenberg kühl. »Der Wille des Testamentverfassers steht an erster Stelle. Wir beantragen, den aktuellen und alle folgenden Einsprüche abzulehnen.«

»Zur Kenntnis genommen.«

»Wie …« Takeder räusperte sich. Seine Hände zitterten heftiger, und die Beine drohten unter ihm nachzugeben. Er fühlte sich schwach, hatte Durst und Hunger und wusste nicht einmal, ob dieser Körper trinken und essen musste.

»Ja?«, fragte der Proklamator mit einem Hauch Ungeduld in der Stimme.

»Wie alt ist die … Bewusstseinsaufzeichnung, mit der ich … ausgestattet bin?«

Der Proklamator warf einen Blick in die Unterlagen. »Zwei Tage. Ihre Erinnerungen sind zwei Tage alt.«

»Wie bin ich …«

»Meiner Pflicht ist Genüge getan«, sagte der Proklamator. »Um alles Weitere kümmert sich Ihr Jurat. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen, dass Sie Zeugen dieser Statusverleihung geworden sind. Kopiat Takeder, ich wünsche Ihnen Erfolg. Ihnen bleiben zwanzig Tage; nutzen Sie sie gut.«

3

»Machen Sie sich keine Sorgen, Kopiat Takeder«, sagte Vandenberg, als er hinter seinem Schreibtisch Platz nahm. »Dieser Einspruch und alle weiteren, die Ihre Frau eventuell erhebt, haben keine Chance. Das Testament ist akkreditiert und unanfechtbar. Ihnen steht ein Prozent der Holdings zur Verfügung, mehr als genug selbst für sehr kostspielige Ermittlungen.«

Kopiat, dachte Takeder. Er nennt mich nicht Holder, sondern Kopiat.

Eine Stimme in seinem Innern sagte: Verdammter aalglatter Mistkerl. Im Lauf der Jahre hat er genug Kreditorenpunkte von mir bekommen, um mir auch jetzt mit Respekt zu begegnen.

Takeder schwankte, und einige torkelnde Schritte brachten ihn zur breiten Fensterfront des Büros. Stahlglas erwartete ihn dort, fast so kalt wie der Ozean, aus dem er aufgetaucht war.

»Sie sollten besser...

Erscheint lt. Verlag 15.6.2015
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Aliens • Andreas Brandhorst • eBooks • Fremde planeten • Raumschiff • Space Opera • Space Opera, Raumschiff, Aliens, fremde Planeten, Andreas Brandhorst
ISBN-10 3-641-16259-9 / 3641162599
ISBN-13 978-3-641-16259-7 / 9783641162597
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