Echopraxia (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
560 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-15753-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Echopraxia -  Peter Watts
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Jenseits der Evolution
An der Schwelle des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts hat sich die Menschheit völlig verwandelt. Wissenschaft und Glaube durchdringen einander, genetisch optimierte Menschen können ihr Bewusstsein abschalten, und Evolution ist zum Alltagsprodukt geworden. In dieser Welt ist Daniel Bruks ein lebendes Fossil: ein Biologe, der der Menschheit den Rücken gekehrt hat. Doch dann wird er auf einem Raumschiff ins Zentrum unseres Sonnensystems geschickt - wo auf ihn eine Entdeckung wartet, die den Lauf des Universums ändern wird ...

Peter Watts wurde 1958 in Kanada geboren und studierte Naturwissenschaften und Zoologie an de University of Guelph, Ontario, und der University of British Columbia, Vancouver. Er arbeitete unter anderem auch für die Film- und Game-Industrie und verfasste bereits zahlreiche Science-Fiction-Romane. Mit seinem Roman Blindsight war er für den Hugo Award nominiert. Peter Watts ist mit der kanadischen Schriftstellerin Caitlin Sweet verheiratet.

VORSPIEL

ES IST NAHEZU UNMÖGLICH, AUS DER NATUR EIN MORALGESETZ HERZULEITEN. DIE NATUR KENNT KEINE PRINZIPIEN. SIE LIEFERT UNS KEINERLEI GRUND ZUR ANNAHME, DAS MENSCHLICHE LEBEN WÜRDE BESONDEREN RESPEKT VERDIENEN. DIE NATUR MACHT IN IHRER GLEICHGÜLTIGKEIT KEINEN UNTERSCHIED ZWISCHEN GUT UND BÖSE.

– ANATOLE FRANCE

EIN WEISSER RAUM, unbefleckt von Schatten und bar jeder Topografie. Ganz wichtig: keine rechten Winkel. Keine Ecken, kein zudringliches Mobiliar, keine direkten Strahler. Keine Geometrie von Licht und Schatten, die aus irgendeinem Blickwinkel das Zeichen des Kreuzes heraufbeschwören könnte. Die Wände – genauer gesagt die Wand – eine einzige geschwungene Oberfläche, von sanfter Biolumineszenz erhellt; eine sphäroide Hohlkammer, die sich nur unten, in einem widerwilligen Zugeständnis an die Konventionen der Zweibeiner, zu einer Ebene verflachte. Es war eine überdimensionierte Gebärmutter von drei Metern Durchmesser, bis hinunter zu dem wimmernden Etwas, das sich am Boden krümmte.

Eine Gebärmutter, bei der sich alles Blut draußen befand.

Ihr Name war Sachita Bhar, und sie sah das Blut selbst mit geschlossenen Augen. Die Kameras waren inzwischen so tot wie alles andere, doch die Bilder jener ersten Augenblicke ließen sich nicht mehr auslöschen: der Eingangsbereich, die Histo-Labore, und um Himmels willen, sogar die Besenkammer, ein winziger, schäbiger Raum auf dem dritten Stock, in den Gregor geflüchtet war. Sachie hatte nicht mitbekommen, wie Gregor entdeckt worden war. Hektisch hatte sie die Kanäle gewechselt, hatte fieberhaft nach Leben gesucht, aber nur die zerfleischten Toten gefunden. Als sie zu der Übertragung aus der Kammer kam, waren die Monster bereits weitergezogen.

Gregor, der in sein bescheuertes zahmes Frettchen verliebt gewesen war. Am Morgen war sie ihm im Lift begegnet. Sie erinnerte sich noch an sein gestreiftes T-Shirt. Andernfalls hätte sie auch niemals erkannt, um wen es sich bei dem blutigen Etwas in der Kammer handelte.

Überhaupt hatte sie nur einen Bruchteil des Gemetzels mitbekommen, bevor die Kameras ausgefallen waren: Freunde, Kollegen und Rivalen ohne Unterschied erbarmungslos gemordet, die ausgeweideten Überreste über Laborbänke, Arbeitsplätze und Toiletten verstreut. Aber trotz der vielen Kanäle, die sie über die Implantate in ihrem Kopf empfing, trotz der allgegenwärtigen Überwachungskameras, in die sie sich einklinken konnte, hatte Sachita zu keinem Augenblick auch nur eine der Kreaturen zu sehen bekommen, die das alles angerichtet hatten. Allenfalls war da ein Schatten gewesen, den einer der Jäger von einem blinden Fleck der Kamera aus geworfen hatte. Wie unsichtbar hatten sie ihr Werk vollbracht, ohne auch nur einander zu sehen.

Sie hatten die Kreaturen immer getrennt voneinander gehalten, schon zu ihrem eigenen Schutz: Steckt man zwei Vampire in einen Raum, gehen sie einander augenblicklich an die Kehle, wie es ihnen ihr fest verdrahtetes Territorialverhalten diktiert. Und doch hatten sie irgendwie kooperiert. Wenigstens ein halbes Dutzend von ihnen, eingesperrt, abgeschottet, hatte urplötzlich in vollkommener Übereinstimmung agiert, und das, ohne einander je begegnet zu sein. Selbst auf dem Höhepunkt des Blutbads, in den letzten Augenblicken vor dem Ausfall der Kameras, waren sie unsichtbar geblieben. Das ganze Massaker hatte sich am Rand von Sachies Wahrnehmung ereignet.

Wie haben sie das nur fertiggebracht? Wie haben sie die Winkel überlebt?

Sachitas Lage entbehrte nicht einer gewissen Ironie; sie hatte sich in einer Zuflucht für Monster versteckt, einem der wenigen Orte in dem ganzen beschissenen Gebäude, wo die Ungeheuer die Augen öffnen konnten, ohne die Todesstrafe zu riskieren. Rechte Winkel waren hier absolut tabu. In diesem Raum hatte man ihre Achillesferse getestet, die neurologische Leine optimiert. Überall sonst drohte von allen Seiten die Geometrie der Zivilisation: Tischplatten, Fensterrahmen, ein Konvolut aus Gerätschaften und Architektur, das aus dem richtigen Blickwinkel jeden Vampir in Krämpfe versetzen würde. Ohne die anti-euklidischen Medikamente gegen die Kruzifixstörung würden …

… sollten …

die Monster da draußen keine Stunde überleben. Nur hier, in dem weißen Mutterleib, in den die arme, dumme Sachita Bhar geflohen war, als die Lichter erloschen, durften sie es wagen, die Augen zu öffnen.

Und eines der Monster befand sich nun mit ihr im Raum.

Sehen konnte sie es nicht. Sie kniff die Augen fest zu, wie um die Schlächterei auszusperren, die sich ihr ins Hirn eingebrannt hatte. Kein Geräusch war zu hören, bis auf ihr eigenes, lang gezogenes Wimmern. Doch irgendetwas verschluckte ein wenig von dem Licht, das auf ihr Gesicht fiel. Die rot flimmernde Düsternis hinter ihren Augenlidern verdunkelte sich kaum merklich, und sie wusste es.

»Hallo«, sagte das Monster.

Sie öffnete die Augen. Es war eines der weiblichen: Valerie, so hatten sie sie genannt, nach einer Abteilungsleiterin, die voriges Jahr in Rente gegangen war. Valerie, die Vampirin.

Valeries reflektierende Augen verschoben das Licht ins Rote, orangefarbene Sterne in einem noch von der Jagd erhitzten Gesicht. Regungslos wie die Statue eines Insekts ragte sie über Sachie auf; nicht einmal ihr Atem war wahrnehmbar. Wenige Augenblicke vor ihrem Tod begann ein unbeschäftigtes Unterprogramm in Sachies Verstand, die morphometrischen Eigenheiten der Kreatur aufzulisten. Unmenschlich lange Gliedmaße, die Proportionen darauf ausgelegt, Körperwärme rasch abzuleiten und den Motor eines heiß laufenden Stoffwechsels zu kühlen. Ein etwas vorspringender Unterkiefer, so wolfsähnlich, wie es bei einer Hominiden nur möglich war – um all die Zähne unterzubringen. Ein alberner türkisfarbener Kittel aus mit Messtechnik verwobenem, intelligentem Papier – anscheinend hatte Valerie heute physiologische Tests absolvieren sollen. Das Gesicht gerötet, alle Schleusen geöffnet, die Gefäße von heißem Blut durchströmt – ein Raubtier im Jagdmodus. Und die Augen, diese grauenerregenden leuchtenden Nadelspitzen …

Endlich fiel der Groschen: verengte Pupillen.

Sie ist nicht auf Anti-Eus …

Rasch zog Sachie ihr Kreuz heraus, jenen Todesschalter für die äußerste Verzweiflung, einen Talisman, den alle Mitarbeiter zusammen mit ihrem Ausweis am ersten Tag erhielten – empirisch erprobt und in Extremsituationen bewährt, nach dem jahrhundertelangen Niedergang als religiöser Fetisch von der Wissenschaft rehabilitiert. Mit dem Mut der Todgeweihten streckte Sachie dem Ungeheuer das Kruzifix entgegen und drückte auf den Federmechanismus. Aus den Enden des Kreuzes schossen die Verlängerungen heraus, und ihr kleines Hosentaschen-Totem war plötzlich einen Meter lang.

Dreißig Grad des Gesichtsfelds, Sachie. Vierzig vielleicht, für die ganz Harten. Pass auf, dass du es senkrecht zur Blickachse ausrichtest, es funktioniert nur, wenn die Winkel annähernd neunzig Grad betragen. Aber sobald dein kleines Spielzeug hier genug vom Gesichtsfeld abdeckt, wird ihr visueller Cortex gegrillt wie im Kreuzfeuer …

So hatte es Greg ihr erklärt.

Valerie neigte den Kopf und betrachtete eingehend das Kreuz. Jede Sekunde, so wusste Sachie, musste die Albtraumkreatur nun zusammenbrechen und mit kurzgeschlossenen Synapsen als zuckende, krampfende Masse enden. Mit Sicherheit. Das war keine Frage des Glaubens, sondern einfach eine neurologische Tatsache.

Das Monster beugte sich weiter vor. Es zitterte nicht einmal. Sachita Bhar machte sich in die Hose.

»Bitte«, wimmerte sie. Die Vampirin gab keinen Laut von sich.

Es brach aus ihr heraus: »Es tut mir so leid, aber bitte glaub mir, ich habe nie wirklich zu denen gehört, ich war nur eine Hilfswissenschaftlerin, ich mach das nur für meinen Abschluss, mehr nicht, ich weiß, dass es falsch ist, ich weiß, es ist wie … beinahe wie Sklaverei, das weiß ich, und es ist ein beschissenes System, es war wirklich beschissen, was wir mit dir gemacht haben, aber ich war es nicht, nicht wirklich, verstehst du? Ich hab überhaupt nichts selbst entschieden, ich bin erst später dazugekommen, ich hab eigentlich kaum was gemacht, es war doch nur für meinen Abschluss. Und ich … ich kann verstehen, wie du dich fühlen musst, ich verstehe, dass du uns hasst, das würde ich wahrscheinlich auch tun, aber bitte, ach bitte … ich bin doch nur eine Studentin …«

Als sie nach einer Weile noch immer am Leben war, wagte sie, wieder aufzusehen. Valerie starrte links an ihr vorbei auf einen Punkt, der tausend Lichtjahre entfernt war. Sie wirkte geistesabwesend. Diesen Eindruck hatte man allerdings häufiger bei diesen Wesen, die ein Dutzend Gedankengänge gleichzeitig verfolgen und ein Dutzend Realitäten zugleich wahrnehmen konnten, jede einzelne so real wie die eine Wirklichkeit, die das menschliche Hirn in Beschlag nahm.

Valerie neigte den Kopf, so als...

Erscheint lt. Verlag 14.6.2015
Übersetzer Birgit Herden
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Echopraxia
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Aliens • diezukunft.de • eBooks • Evolution • Firefall • Raumfahrt • Space Opera • Space Opera, Raumfahrt, Aliens • Space Opera, Raumfahrt, Aliens, Evolution, diezukunft.de, Firefall
ISBN-10 3-641-15753-6 / 3641157536
ISBN-13 978-3-641-15753-1 / 9783641157531
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