Ich vermisse dich (eBook)
512 Seiten
Page & Turner (Verlag)
978-3-641-15642-8 (ISBN)
Harlan Coben wurde 1962 in New Jersey geboren. Nachdem er zunächst Politikwissenschaft studiert hatte, arbeitete er später in der Tourismusbranche, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Thriller wurden bisher in 45 Sprachen übersetzt, erobern regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten und wurden zu großen Teilen verfilmt. Harlan Coben, der als erster Autor mit den drei bedeutendsten amerikanischen Krimipreisen ausgezeichnet wurde - dem Edgar Award, dem Shamus Award und dem Anthony Award -, gilt als einer der wichtigsten und erfolgreichsten Thrillerautoren seiner Generation. Er lebt mit seiner Familie in New Jersey.
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EINS
Kat Donovan drehte sich auf dem Hocker, auf dem schon ihr Vater gesessen hatte, von der Theke weg, um aufzustehen und den Pub zu verlassen, als Stacy sagte: »Was ich getan habe, wird dir nicht gefallen.«
Ihr Tonfall stoppte Kat mitten in der Bewegung. »Was hast du getan?«
Das O’Malley’s war früher eine Polizistenkneipe vom alten Schlag gewesen. Schon Kats Großvater hatte hier rumgehangen. Später auch ihr Vater und seine Kollegen vom NYPD. Inzwischen hatte es sich in einen Yuppie-Schuppen voller Preppies, Masters-of-the-Universe, Poser und Arschlöcher verwandelt, lauter Typen in gestärkten und gebügelten weißen Hemden unter schwarzen Anzügen, mit Dreitagebart, die gerade so viel hatten enthaaren lassen, dass sie noch machohaft und unrasiert wirkten. Sie grinsten viel, diese soften Männer, mit ihren Extrem-Gel-Frisuren, und bestellten Ketel One statt Grey Goose, weil die Werbung ihnen erzählt hatte, dass das der Wodka für echte Männer wäre.
Stacys Blick streifte durch die Bar. Ein Ablenkungsmanöver. Kat gefiel das ganz und gar nicht.
»Was hast du getan?«, wiederholte Kat.
»Vorsicht«, sagte Stacy.
»Maulheld bei fünf Uhr.«
Kat drehte sich nach rechts um.
»Siehst du ihn?«, fragte Stacy.
»Klar.«
Die Einrichtung des O’Malley’s hatte sich im Lauf der Jahre kaum verändert. Der alte Röhrenfernseher war zwar durch eine Unzahl Flachbildschirme ersetzt worden, auf denen zu viele unterschiedliche Sportereignisse gleichzeitig liefen – wen interessierten schon die Spiele der Edmonton Oilers? Abgesehen davon war das Cop-Kneipen-Feeling im O’Malley’s jedoch noch erhalten. Und genau das zog diese Poser an, die Pseudo-Authentizität, die dadurch entstanden war, dass sie den Schuppen übernommen und alles vertrieben hatten, was den Laden früher ausgemacht hatte, sodass der Pub zu einer Disney-Version seines früheren Selbst geworden war.
Kat war die einzige Polizistin, die noch herkam. Die anderen gingen nach der Schicht entweder nach Hause oder zu einem Meeting der Anonymen Alkoholiker. Kat kam immer noch und versuchte, in aller Ruhe gemeinsam mit den Geistern der Vergangenheit auf dem alten Hocker ihres Vaters zu sitzen – ganz besonders an diesem Abend, wo die Gedanken an die Ermordung ihres Vaters ihr wieder einmal schwer zu schaffen machten. Sie wollte einfach nur hier sein, die Gegenwart ihres Vaters spüren, um – so kitschig das auch klingen mochte – daraus Kraft zu schöpfen.
Aber diese Weicheier ließen sie einfach nicht in Ruhe.
Und dieser spezielle Maulheld – Stacys und ihr Kosename für all die wahren Helden, die einen aufs Maul verdient hatten – beging eine typische Maulhelden-Sünde. Er trug eine Sonnenbrille. Abends um elf. In einer schlecht beleuchteten Kneipe. Andere Anklagen wegen Maulheldentums wurden für angekettete Brieftaschen, im Nacken gebundene Kopftücher, offene Seidenhemden, übermäßig viele Tattoos (strafverschärfend: Tribals), das Tragen von Militär-Erkennungsmarken, ohne beim Militär zu sein, und wirklich große, weiße Armbanduhren erhoben.
Sonnenbrille grinste und prostete Kat und Stacy zu.
»Er mag uns«, sagte Stacy.
»Lenk nicht ab. Was wird mir nicht gefallen?«
Als Stacy sich wieder zu ihr umdrehte, sah Kat über ihre Schulter hinweg die Enttäuschung in Sonnenbrilles Gesicht, das vor überteuerter Lotion glänzte. Sie hatte diesen Blick schon unzählige Male gesehen. Männer mochten Stacy. Und das war noch stark untertrieben. Stacy war furchteinflößend, umwerfend, zähne-, knochen- und metallerweichend heiß. In Stacys Gegenwart bekamen Männer weiche Knie und benahmen sich albern. Ziemlich albern. Extrem albern.
Vielleicht war es ein Fehler, mit so einer Frau in die Kneipe zu gehen, denn viele Männer kamen zu dem Schluss, dass sie bei dieser Frau nicht landen konnten. Sie erschien ihnen unerreichbar.
Ganz anders als Kat.
Und so nahm Sonnenbrille denn auch Kat ins Visier und machte sich auf den Weg, wobei er eher auf seinem eigenen Schleim dahinzugleiten schien als zu gehen.
Stacy unterdrückte ein Kichern. »Das wird spaßig.«
In der Hoffnung, ihn abzuschrecken, musterte Kat ihn mit leerem Blick und missbilligendem Stirnrunzeln. Doch Sonnenbrille war nicht zu bremsen. Er tänzelte im Rhythmus eines Soundtracks heran, der nur in seinem Kopf spielte.
»Hey, Babe«, sagte Sonnenbrille. »Heißt du zufällig Wi-Fi?«
Kat wartete.
»Ich spüre da nämlich so eine Verbindung.«
Stacy prustete los.
Kat starrte ihn nur an. Er fuhr fort.
»Ich mag euch kleine Bräute, weißt du? Ihr seid einfach entzückend. Weißt du, was gut auf mir aussehen würde? Du.«
»Jemals Erfolg mit den Sprüchen gehabt?«, fragte Kat.
»Ich bin noch nicht fertig.« Sonnenbrille hustete sich in die Hand, zog sein iPhone heraus und streckte es Kat entgegen. »Hey, Babe, Glückwunsch, du stehst ganz oben auf meiner To-do-Liste.«
Stacy war begeistert.
Kat fragte: »Wie heißen Sie?«
Er zog eine Augenbraue hoch. »Wie immer du willst, Baby.«
»Wie wäre es mit Dummschwätzer?« Kat öffnete die Jacke und zeigte ihm ihre Pistole am Gürtel. »Ich werde jetzt zu meiner Waffe greifen, Dummschwätzer.«
»Verdammt, Mädel, du bist wohl mein neuer Chef?« Er deutete auf seinen Schritt. » Weil du mir gerade was erhöht hast. Wenn auch nicht meinen Lohn.«
»Verschwinden Sie.«
»Meine Liebe für dich ist wie Durchfall«, sagte Sonnenbrille. »Ich kann sie einfach nicht in mir halten.«
Kat starrte ihn entgeistert an.
»War das zu viel?«, fragte er.
»Oh Mann, das ist einfach widerlich.«
»Mag sein, aber ich wette, den Spruch hast du noch nie gehört.«
Die Wette hätte er gewonnen. »Verschwinden Sie. Sofort.«
»Ehrlich?«
Stacy konnte sich vor Lachen kaum auf den Beinen halten.
Sonnenbrille wollte sich abwenden. »Moment. Das ist ein Test, oder? Nennst du mich Dummschwätzer, um mich scharf zu machen?«
»Verschwinden Sie.«
Er zuckte die Achseln, drehte sich um, sah Stacy an und dachte, was soll’s? Er musterte ihren langen Körper von oben bis unten und sagte dann: »Das Wort des Tages ist Beine. Vielleicht sollten wir beide mal in uns gehen und die Untiefen dazwischen ausloten.«
Stacy war immer noch begeistert. »Nimm mich, Dummschwätzer, sofort. Auf der Stelle.«
»Wirklich?«
»Nein.«
Dummschwätzer drehte sich zu Kat um. Kat legte die Hand auf den Pistolengriff. Er hob die Hände und ging.
Kat sagte: »Stacy?«
»Hm.«
»Warum glauben diese Typen eigentlich immer wieder, sie hätten eine Chance bei mir?«
»Weil du hübsch und keck aussiehst.«
»Ich bin nicht keck.«
»Nein, aber du siehst keck aus.«
»Jetzt mal ehrlich, seh ich wirklich wie eine totale Versagerin aus?«
»Du siehst beschädigt aus«, sagte Stacy. »Ich sag das nicht gerne. Aber der Schaden … du strahlst es aus wie ein Pheromon, dem diese Weicheier nicht widerstehen können.«
Beide tranken einen Schluck.
»Also, was wird mir nicht gefallen?«, fragte Kat.
Stacy sah dem Dummschwätzer hinterher. »Jetzt tut er mir leid. Vielleicht sollte ich ihm einen Quickie gönnen.«
»Fang nicht wieder damit an.«
»Wieso?« Stacy schlug die angeberisch langen Beine übereinander und lächelte Dummschwätzer zu. Er zog ein Gesicht, das Kat an einen Hund erinnerte, den man zu lange im Auto gelassen hatte. »Findest du diesen Rock zu kurz?«
»Rock?«, sagte Kat. »Ich dachte, es wäre ein Gürtel.«
Stacy gefiel das. Sie genoss es, im Mittelpunkt zu stehen. Sie riss gerne Männer auf, weil sie glaubte, eine Nacht mit ihr wäre für die Typen eine Erfahrung, die ihr Leben verändern würde. Außerdem war es Teil ihres Jobs. Zusammen mit zwei anderen hinreißenden Frauen besaß Stacy eine Privatdetektei. Ihre Spezialität? Männer, die fremdgingen, zu überführen (oder sagen wir besser, zu verführen).
»Stacy?«
»Hmm.«
»Was wird mir nicht gefallen?«
»Das hier.«
Während sie weiter mit Dummschwätzer kokettierte, reichte sie Kat einen Zettel. Kat sah den Zettel an und runzelte die Stirn.
KD8115
HottestSexEvah
»Was ist das?«
»KD8115 ist dein Benutzername.«
Ihre Initialen und die Nummer ihrer Polizeimarke.
»HottestSexEvah ist dein Passwort. Oh, achte auf die Groß- und Kleinschreibung.«
»Und wofür sind die?«
»Eine Internetseite. YouAreJustMyType.com.«
»Was?«
»Eine Online-Partnerbörse.«
Kat verzog das Gesicht. »Bitte sag mir, dass das ein Scherz ist.«
»Ist was Seriöses.«
»Das sagt man auch über manche Striptease-Clubs.«
»Ich habe dich da angemeldet und für ein Jahr bezahlt.«
»Das soll ein Witz sein, oder?«
»Ich mache keine Witze. Ich arbeite gelegentlich für die Firma. Die ist gut. Und machen wir uns nichts vor, du brauchst jemanden. Du willst jemanden. Und hier wirst du ihn nicht finden.«
Kat seufzte, stand auf und nickte dem Barkeeper zu, einem Mann namens Pete, der aussah wie ein Charakterdarsteller, der immer die Rolle des irischen Barkeepers in einem Pub bekam, was er in...
Erscheint lt. Verlag | 16.3.2015 |
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Übersetzer | Gunnar Kwisinski |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Missing You |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | eBooks • Krimi • Kriminalromane • Krimi New York • Krimis • New York • New-York-Times-Besteller • New-York-Times-Bestseller • Online-Dating • Online-Dating, Vermisstenfälle, Krimi New York, Schatten der Vergangenheit, Spiegel-Bestseller-Autor, New-York-Times-Besteller • Psychothriller • Schatten der Vergangenheit • SPIEGEL-Bestseller • Spiegel-Bestseller-Autor • Thriller • Vermisstenfälle |
ISBN-10 | 3-641-15642-4 / 3641156424 |
ISBN-13 | 978-3-641-15642-8 / 9783641156428 |
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