Die Tore zur Dämmerung (eBook)

Die Saga von Licht und Schatten 3 - Roman
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2015 | 1. Auflage
384 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-15573-5 (ISBN)

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Die Tore zur Dämmerung -  Pierre Grimbert
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Gefährlicher, düsterer, magischer - mit »Die Tore zur Dämmerung« setzt Pierre Grimbert seine epische Saga von »Licht und Schatten« fort
Ein schrecklicher Verrat hat die Bruderschaft der Weltwanderer, die das magische Reich Gonelore vor Dämonen schützt, geschwächt - ausgerechnet jetzt, wo die finale Schlacht gegen die Ungeheuer bevorsteht. Aber es gibt noch einen kleinen Hoffnungsschimmer für die Bruderschaft: Die alten Legenden der Weltwanderer erzählen von einer magischen Waffe, mit deren Hilfe die Dämonen ein für alle Mal besiegt werden könnten. Doch die Waffe hat ihren eigenen Willen, denn ihre Macht könnte sich ebenso gut gegen den eigenen Träger richten - und damit ganz Gonelore endgültig dem Untergang preisgeben ...

Pierre Grimbert, 1970 in Lille geboren, arbeitete einige Zeit als Bibliothekar, bevor er in Bordeaux Buchwissenschaften und Publizistik studierte. Die 'Magier'-Saga wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem 'Prix Ozone' als bester französischer Fantasy-Roman. Der Autor lebt im Norden Frankreichs.

1

Sprung über einen umgestürzten Baumstamm. Kurz aus dem Tritt geraten, sich wieder fangen, weiterrennen. Weicher Boden, dann eine Lichtung voller Farne. Die feuchten Blätter peitschen ins Gesicht. Blind weiterhetzen. Wieder in den Wald eindringen. Vor einem Dornengestrüpp scharf rechts abbiegen, beschleunigen. Dreißig Meter geradeaus rennen, unter einem großen Wurzelgeflecht hindurchschlittern, ein kurzes Stück kriechen, wieder aus dem Hindernis hervorbrechen. Weiterrennen. Ohne Pause. Ohne Gewissheit, es zu schaffen.

Vargaï hätte nicht sagen können, wie lang diese wilde Flucht schon andauerte. Mindestens eine Stunde, vielleicht auch zwei oder drei. Der Weltwanderer hatte jede Orientierung und jedes Zeitgefühl verloren. Der finstere Wald, in den er immer tiefer vordrang, schien ihn verschlingen zu wollen. Außerdem verlor er mehr und mehr die Kontrolle über seinen neuen Körper.

Er hatte schon immer Vorbehalte gegen Verwandlungsprismen gehabt. Zwar hatte er in seiner langen Laufbahn als Weltwanderer schon etliche Male eines benutzt, aber immer nur in höchster Not. So wie in dieser Nacht, in der er vor seinen Feinden floh. Auch wenn er ihnen entkommen war, hatte er sich damit womöglich ins Verderben gestürzt.

Der Lupinus, dessen Gestalt er angenommen hatte, wehrte sich gegen den fremden Einfluss – oder besser gesagt, sein Geist, sein Phantom, denn das Geschöpf selbst war seit mehreren Wochen tot. Sein letzter Atemzug war kristallisiert, und Vargaï hatte das rohe Prisma gefunden und es heimlich, in nächtelanger Arbeit, zurechtgeschliffen. Im entscheidenden Moment hatte er es dann zwischen seinen Zähnen zerbissen und das freigesetzt, was von der Chimäre übrig war: ein Abbild ihrer Seele, ein schwacher Widerhall ihrer früheren Existenz, der in einem fremden Horizont gefangen war … Die Verschmelzung von Vargaïs Bewusstsein mit dem Geist des Lupinus hatte dem Weltwanderer das Aussehen eines riesigen Wolfs verliehen. Doch die Kreatur kämpfte darum, die Kontrolle über ihren Körper wiederzuerlangen, und Vargaï konnte sie nur mit Mühe zurückdrängen.

Er wusste, dass er den Kampf früher oder später verlieren würde. Mit jedem Augenblick wurde der Geist der Chimäre mächtiger und sein eigener schwächer. Das Phänomen wurde durch die wilde Flucht noch verstärkt: Der Lupinus befand sich in seinem natürlichen Lebensraum, während Vargaï sich in fremder Umgebung zurechtfinden und einen fremden Körper steuern musste.

Vargaï spürte, dass er der Chimäre bald unterliegen würde. In der tausendjährigen Geschichte der Bruderschaft war das schon mehrmals passiert. Dass eine unwiderrufliche Verwandlung nur sehr selten vorkam, beruhigte ihn nicht. Wenn er den geistigen Kampf gegen die Bestie verlor, würde er für immer in einem Körper gefangen sein, über den er keine Kontrolle mehr hätte. Er würde hilflos miterleben, wie der riesige Wolf durch die Gegend strich und seine Beute jagte. Nur wenn jemand ihn angriff und tötete, würde er sich wieder in Nichts auflösen. Doch das konnte sehr lange dauern. Zumal es mehr als unwahrscheinlich war, dass Vargaï den gewaltsamen Tod der Kreatur überleben würde.

Aus diesem Grund hatte er die Verwandlung bislang nie länger als ein paar Minuten aufrechterhalten. Er hatte die Verwandlungsprismen immer nur eingesetzt, wenn sein Leben in Gefahr war – um einen aussichtslosen Kampf in letzter Sekunde zu gewinnen oder sich aus einer Notlage zu retten. Sobald sein Ziel erreicht war, hatte er den Spuk schnell wieder beendet. Um seine menschliche Gestalt wiederzufinden, musste er es sich nur fest genug wünschen. Mit einem einfachen Willensakt konnte man den Geist der Chimäre zurückweisen, und das Phantom verschwand endgültig hinter dem Schleier, so wie es ihm bestimmt gewesen war. In dieser Nacht, hier im Wald, hätte Vargaï also nur stehen bleiben und sich die Bestie fortwünschen müssen, um wieder in seinen eigenen Körper zurückzukehren. Aber er tat es nicht. Die Schnelligkeit und Ausdauer des Lupinus waren in seiner Lage einfach zu nützlich, um sie jetzt schon aufzugeben. Er musste noch ein wenig durchhalten. Es konnte nicht mehr weit sein …

Vielleicht war es aber auch schon zu spät.

Im nächsten Moment ertappte er sich dabei, wie er laut knurrte. Ein finsterer Schatten war wenige Meter über seinem Kopf vorbeigeflogen, er hatte sich deutlich vor dem Sternenhimmel abgezeichnet. Der Weltwanderer musste all seine Willenskraft aufbieten, um das Grollen in seiner Kehle zu ersticken. Der Instinkt des Lupinus befahl ihm, mit gespreizten Krallen und hochgezogenen Lefzen über die Kreatur herzufallen, die ihn so frech herausforderte. Doch Vargaï konnte noch klar genug denken, um sich stattdessen in die Farne zu ducken. Das Herz pochte ihm bis zum Hals.

Das Glück war ihm nicht hold. Die dunkle Gestalt flog noch zweimal über das Gebüsch hinweg, in dem er sich versteckte, und landete dann rund zehn Meter weiter. Äste und Zweige splitterten unter lautem Knacken. Durch die Augen des Wolfs konnte er in der Dunkelheit hervorragend sehen. Vargaï fletschte die Zähne, als er einen Speier erkannte, einen Kokatrus der übelsten Sorte, eine Chimäre mit gewaltigen Klauen, die die Gestalt eines riesigen Straußes hatte. Sollte es zum Kampf kommen, würde er nicht lange dauern. Die Frage war nur, welche der beiden Bestien als Erste zum tödlichen Schlag ausholen würde …

Vargaï zögerte noch mit dem Angriff. Mit drei Sätzen wäre er bei dem Speier, und er könnte ihm mit einem einzigen Biss das Genick brechen. Der Lupinus hatte nichts anderes mehr im Sinn. Er scharrte erregt mit den Pfoten, ohne dass sich der Weltwanderer dessen bewusst war. Seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich nun auf die Kreatur mit den riesigen Flügeln, auf den Abstand zu ihr, auf die Baumstämme, die sie teilweise verbargen. Dann trippelte sie in sein Blickfeld, und er konnte sie endlich ganz sehen. Abermals stieß er ein drohendes Knurren aus.

Der Kokatrus war nicht allein. Auf seinem Rücken, in der Kuhle zwischen dem abstoßenden Hals und dem grässlichen Höcker, an dem die Flügel saßen, thronte eine menschliche Gestalt. Im ersten Augenblick wollte Vargaï nicht wahrhaben, was er da sah. Doch als diese Reiterin der Finsternis unvermittelt den Kopf in die Richtung wandte, aus der das Knurren kam, war kein Zweifel mehr möglich. Der Zorn brachte sein Blut zum Kochen: Seine Verfolgerin war keine Geringere als seine eigene Halbschwester, Nejabeth.

Während sie absaß, hatte er Gelegenheit, sie eingehend zu mustern. Nejabeth trug dieselbe Kluft wie vor wenigen Stunden, als er in ihrem Beisein die Flucht ergriffen hatte: eine lange, schwere Robe, ein Bandelier aus Kettengliedern, einen gebogenen Dolch und ihre Alchimisten-Tasche voller Phiolen, eine gefährlicher als die andere. Unter der Kapuze ihres langen Mantels schauten einige rote Haarsträhnen hervor. Das Ebenbild einer Hexe, dachte Vargaï. Und die Verräterin kam auf ihn zu.

»Bruderherz?«, rief sie. »Ich weiß, dass du da bist. Komm, zeig dich.«

Vargaï rührte sich nicht vom Fleck. Die Krallen seines Raubtierkörpers bohrten sich in den Waldboden. Ihn verlangte es danach, sie in lebendiges Fleisch zu schlagen.

»Komm schon«, wiederholte seine ältere Schwester. »Du kannst nicht vor mir fliehen. Wusstest du etwa nicht, dass Speier eine zehnmal bessere Nase haben als Hunde? Mein Reittier wittert deinen Menschengeruch, auch wenn du aussiehst wie ein Wolf. Es gibt in diesem Wald keinen Fleck, an dem du dich verkriechen könntest.«

Der Weltwanderer dachte fieberhaft darüber nach, was er tun sollte, doch dann verdrängte der wölfische Instinkt alle Vernunft, die ihm noch geblieben war. Die Bestie, deren Gestalt er angenommen hatte, hechtete los, um den Speier totzubeißen, der ihn so mühelos aufspüren konnte. Der Kokatrus flatterte in Panik davon, und Vargaï schaffte es, die Kontrolle über seinen Körper wiederzuerlangen. Wenige Schritte vor seiner Schwester hielt er lauernd inne.

Nejabeth ging in Abwehrstellung und musterte ihn einen Moment lang schweigend. In der Dunkelheit konnte sie wahrscheinlich nur eine riesige, drohend geduckte Gestalt und ein Paar glühende Augen ausmachen. Ihr Gesicht war angespannt, doch das genügte Vargaï nicht. Er hätte zu gern nackte Angst auf ihren Zügen gesehen.

»Du solltest wieder deine menschliche Gestalt annehmen«, sagte Nejabeth. »Der Metamorph hat dich bereits in seiner Gewalt. Bald wird es zu spät sein.«

Statt einer Antwort schnappte Vargaï mit gebleckten Zähnen nach der Verräterin. Wollte er ihr Angst machen? Ihr drohen? Oder glaubte sein verwirrter Geist, noch zum Sprechen imstande zu sein? Der Lupinus machte zwei nervöse Sprünge zur Seite und knurrte wütend.

»Siehst du! Ich habe recht«, fuhr Nejabeth fort. »Du bist nicht mehr bei Sinnen, lieber Bruder. Ich mache mir Sorgen um dich, Vargaï. Nur deshalb habe ich nach dir gesucht, nur deshalb bin ich hier. Bitte setz dich keinen unnötigen Gefahren aus. Von mir hast du nichts zu befürchten.«

Der Wolf hörte auf zu knurren, während der Weltwanderer, der in seinem Körper steckte, mit widerstreitenden Gefühlen kämpfte. Er misstraute seiner Schwester zutiefst, aber ihre Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Einerseits wollte er das Weite suchen, andererseits war er neugierig, was sie ihm zu sagen hatte. Seine Abneigung gegen die Verräterin war groß, aber er würde nicht so weit gehen, seiner eigenen Schwester an die Kehle zu springen. Der Lupinus hingegen wollte nichts lieber als das, und Vargaï gelang es kaum noch, seinen Willen und den der Chimäre zu unterschieden.

»Das ist keine Falle«, versicherte Nejabeth. »Wie du...

Erscheint lt. Verlag 13.7.2015
Reihe/Serie Die Saga von Licht und Schatten
Übersetzer Sonja Finck, Nadine Püschel
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Les Chiffonniers - Gonelore Tome 3
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Dämonen • Die Magier • eBooks • Fantasy • Französische Fantasy • Heroische Fantasy • Heroische Fantasy, Dämonen, Peter V. Brett, Pierre Grimbert, Französische Fantasy, Die Magier • High Fantasy • Peter V. Brett • Pierre Grimbert
ISBN-10 3-641-15573-8 / 3641155738
ISBN-13 978-3-641-15573-5 / 9783641155735
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