Die Tagebücher 1939-1961 (eBook)

(Autor)

Donald Gallup (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
600 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403458-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Tagebücher 1939-1961 -  Thornton Wilder
Systemvoraussetzungen
13,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Thornton Wilder: Die Tagebücher des großen klassischen Autors der modernen amerikanischen Literatur Thornton Wilders Tagebücher bieten eine faszinierende Möglichkeit, einen der bedeutendsten modernen Schriftsteller bei seiner schöpferischen Arbeit, und die stete intellektuelle Anstrengung eines Künstlers zu erleben, der wie kaum ein anderer über das kulturelle Erbe der westlichen Zivilisation verfügte.

Thornton Wilder wurde am 17. April 1897 in Madison, Wisconsin, als Sohn eines Zeitungsverlegers geboren, der als Generalkonsul nach Hongkong und Schanghai ging. Thornton Wilder erhielt für sein umfangreiches literarisches Werk zahlreiche Auszeichnungen, u. a. dreimal den Pulitzer-Preis und 1957 in Frankfurt am Main den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Er starb am 7. Dezember 1975 in Hamden, Connecticut.

Thornton Wilder wurde am 17. April 1897 in Madison, Wisconsin, als Sohn eines Zeitungsverlegers geboren, der als Generalkonsul nach Hongkong und Schanghai ging. Thornton Wilder erhielt für sein umfangreiches literarisches Werk zahlreiche Auszeichnungen, u. a. dreimal den Pulitzer-Preis und 1957 in Frankfurt am Main den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Er starb am 7. Dezember 1975 in Hamden, Connecticut.

19391941


8. FEBRUAR 1939. [Desmond MacCarthy und ein Stil für The Alcestiad.]


Wunderbare anderthalb Stunden mit Desmond MacCarthy gestern nachmittag. Bin sehr beschämt, weil ich nicht imstande war, ihm einen besseren kurzgefaßten Umriß von Kierkegaards Hauptideen zu geben – nachdem ich mit solcher Begeisterung die sechshundert Seiten von [Walter] Lowries Buch [Kierkegaard, 1938] gelesen habe. Ich muß lernen, daß ich nur erfassen und behalten kann, indem ich den Stoff niederschreibe. Mehr noch: kann nur hoffen und zustandebringen, Ideen zu bekommen, indem ich meine Vorstellungen in geschriebene Abschnitte einspanne.

Mr. MacCarthy erkannte sehr rasch meine Schwierigkeit, einen Stil für eine Alkestiade[3] zu finden. Er schlug vor, ich sollte mir [Sir George] Dasents Übersetzung der isländischen Epen ansehen.[4]

Es erscheint mir unmöglich, daß ich ein Stück in einer realistischen Dekoration schreiben könnte, daher kann ich meinen Ausgangspunkt für ein Thema leicht durch eine ›Vision‹ einer bedeutsamen Dekoration finden. Ich habe, zum Beispiel, für Einakter an eine Bankett-Tafel auf einer Bühne gedacht, mit einem Banner oder einer Fahne an der Wand dahinter; oder an ein einzelnes Versatzstück wie einen Kamin (»The Pilgrims«).[5] Die einzige Ausnahme davon wäre ein vollkommen realistisches Stück mit einem absurden Motiv, Charakter oder Gedanken im Mittelpunkt: d.h. ein Immobilienmakler, der entdeckt, daß ihm Flügel auf den Schultern wachsen.

9. FEBRUAR 1939. [The Ides of March].


Nehmen wir an, ich schriebe »The Top of the World«[6] und stellte die folgende Anmerkung als Vorwort voran: »In diesem Roman habe ich Julius Cäsar Worte in den Mund gelegt, die ich von vielen Autoren in vielen verschiedenen Epochen gesammelt habe. Das Gespräch mit Catull über die Natur ist eine Paraphrase von Goethes ›Fragment‹ von 1806. Die Argumente über die Unsterblichkeit der Seele im Gespräch mit Cicero stammen von Walter Savage Landor, der seinerseits wieder einige davon Plato und Cicero verdankt.«

1. [7] 1FEBRUAR 1940. Über das Moralisieren.


… Es gibt eine allgemeine Ablehnung des Moralisierens; aber für jeden nachdenklichen Menschen ist es ebenso schwierig, es zu tun wie es zu erdulden. Die Diktion des moralischen Lebens ist mit zwei unangenehmen Elementen gesättigt. Wahrheit und Heuchelei. Die Heuchelei ist, wie das alte Sprichwort sagt, eine Huldigung an die Wahrheit. Die Gesetze der Moralität sind Allgemeinwissen, sie sind Gemeinplätze. Sie haben nur Kraft, wenn sie auf Krisensituationen angewandt werden. Der Grund, weshalb wir Salbaderei übelnehmen, ist der, daß man uns damit kommt, wenn wir uns in einem Zustand der Selbstzufriedenheit befinden. Es gehört zur Praxis großer Prediger, in den Geistern ihrer Zuhörer während des ersten Teils der Predigt einen solchen Zustand der Krise zu schaffen: die Betrachtung der misère der Menschheit, der Kürze des Lebens, der Allgegenwärtigkeit der menschlichen Schwäche – vor einem solchen Hintergrund können sie dann später die Binsenweisheit anbringen.

Die ständig wiederkehrenden moralisierenden Etiketts der griechischen Tragödiendichter werden uns im Lichte dieser Regel verständlich. Die Atmosphäre der tragischen Aufführung ist uns verlorengegangen – ihr feierlicher religiöser Ernst, ihre erschreckende Reduzierung der Handlung auf die Grundprinzipien der Leidenschaften, die Luft, die voll war von der Anwesenheit übernatürlicher Wesen. Unter solchen Bedingungen kann eine Figur sagen »Kurz ist des Menschen Leben« oder »Laßt mich nicht den Bösen zugerechnet werden«, und der Gemeinplatz trifft das Ohr nicht nur mit der Kraft der Wahrheit, sondern auch mit der Überraschung des Neuen.

2. 3FEBRUAR 1940. Über den Film Früchte des Zorns.


Während wir ein Werk der imaginativen Erzählung hören, in dem wir mit großer Spannung guten und bösen Schicksalswendungen entgegensehen, erleben wir im Geiste eine zweifache Regung. Einerseits sehnen wir uns danach, einen guten Ausgang zu sehen oder doch wenigstens ein gelegentliches glückliches Ereignis in der Reihe der Katastrophen, welche die Personen heimsuchen, die unsere Sympathie gewonnen haben; und doch wollen wir andererseits eine Wahrheit, wir wünschen, daß der unversöhnliche Charakter des Schicksals erhalten bleibe; wir wollen nicht belogen werden, selbst wenn es unsere Anteilnahme befriedigen würde. Daher werden wir hin und her gerissen zwischen unseren Sympathien und unserem Respekt vor einer objektiven Wahrheit. Die »glücklichen Ereignisse« in der Erzählung müssen daher mit besonderer Sorgfalt eingeführt werden. 1. Sie müssen dem Rhythmus des ganzen Werkes entsprechen, das heißt, sie müssen im gleichen numerischen Verhältnis zu den Mißgeschicken stehen. 2. Sie müssen mit dem gleichen proportionalen Grad entweder des reinen Zufalls oder der logischen Vorbereitung aus den vorausgegangenen Umständen heraus eintreten. 3. Sie müssen mit demselben Grad spezifischer Details und menschlich-allzu-menschlicher, unvollkommener Beschaffenheit dargestellt werden.

In diesem wunderbaren Film begingen die Autoren nach diesen Prinzipien eine Reihe von Fehlern.

Als die Joads nach einer Aufeinanderfolge ununterbrochener Katastrophen im Wheatstone-Arbeiterlager der Regierung ankamen und plötzlich Nahrung, Güte und Aussicht auf Arbeit fanden, änderte sich 1. der Rhythmus der unglücklichen Umstände zu abrupt. 2. Die Entdeckung dieser Zuflucht war reiner, unvorbereiteter Zufall, während die Katastrophen alle den Charakter unausweichlicher Folgen gehabt hatten, und 3. die Güte des Lagerleiters und das Aussehen der Menschen im Lager wurden in klischeehaft »hübschen« Begriffen dargestellt, ohne den Grad von Realismus – Warzen, Runzeln, seltsamer Knochenbau –, der im übrigen Film zum Ausdruck kommt. (Zwar wurden mehrere Versuche unternommen, diese Sequenz des Glücks in den vorherrschend grotesken Ton des Ganzen zu integrieren: der Spaß, als die Kinder zum erstenmal ein WC entdecken, die Episoden auf dem Tanzboden; aber der Fehler war die Besetzung der Rolle des Lagerleiters mit Grant Mitchell, dem professionellen »gütigen Mann«.)

Obwohl es eine Regel ist, daß in einer Erzählung, in der die Katastrophen als Zufall eintreten, auch die glücklichen Wendungen so eintreten dürfen – und von solcher Art sind die meisten Melodramen –, könnten wir hier das »glückliche Lager« akzeptiert haben, wenn die anderen Gesetze befolgt worden wären – ein gelegentlicher Hinweis auf einige fröhlichere Aspekte des Gemeinschaftslebens der Karawane (die Tendenzarbeiten proletarischer Autoren weigern sich, das Gesetz anzuerkennen, daß das menschliche Herz unfähig ist, sein Elend lange Zeit hintereinander zu betrachten) –, und wenn man uns die Proportionen einer Welt gezeigt hätte, in der Leid nicht die einzige Farbe ist; und wenn die Elemente des Lagers nicht Rosa in Rosa gewesen wären.

Daher: Eine glückliche Erzählung ist ebenso wahr wie eine unglückliche, denn die Kunst zeichnet nicht auf, wie die Außenwelt ist, sondern wie es ist, die Außenwelt zu betrachten und zu erleben. Da in fünftausend Jahren keine Übereinstimmung darüber erreicht wurde, ob die Außenwelt glücklich oder unglücklich ist, kann man annehmen, daß eine solche Übereinstimmung niemals erzielt werden wird.

Man könnte meinen, die Tragikomödie sei die gerechteste Form, diese gemischte Außenwelt aufzuzeichnen, aber die Mehrzahl aller Meisterwerke ist entweder als Tragödie oder als Komödie angelegt. Das kommt von der Intensität des inneren Lebens und der Schwierigkeit, die Details zusammenzusetzen, die es vermitteln. Könnte ein literarisches Werk die Auffassungen von Lear und Was ihr wollt nebeneinanderstellen und miteinander verschmelzen, dann wäre es wohl imstande, die erwähnten Bedingungen zu erfüllen, aber die Atmosphäre von Lear – die der Intensität eines Augenblicks der inneren Betrachtung der äußeren Welt entspricht – erfordert die drei Stunden währende Konstruktion einer Stimmung aufbauenden künstlichen Aufeinanderfolge von tragischen Details, um die innere Empfindung des Dichters zu vermitteln. Diese drei Stunden entsprechen nicht der vielgestaltigen Beschaffenheit des Erlebens, wohl aber der Intensität eines subjektiven Zustandes.

Ein Sentimentaler (und der Pessimist wird hier als gleichartig mitgerechnet) ist einer, dessen Wunsch, daß alles glücklich (oder traurig) sei, größer ist als sein Wunsch (und sein unterdrücktes Wissen), daß alles wahr ist. Er will belogen werden. Insgeheim weiß er, daß es eine Lüge ist; daher seine Emphasen, seine gehobenen Stimmungen und seine Herzlosigkeit.

Das große Gesetz der Kunst ist Einheitlichkeit des Tons; da sie nicht alle Erlebnisse aufzeichnen kann, impliziert ihre Treue zum gewählten Erlebnisfragment ihr Bewußtsein aller Erlebnisse als eine ähnliche, wenngleich vielgestaltigere Einheitlichkeit des Tons. (In ein Werk einen nicht verwandten Ton einführen, bedeutet, daß man das »Alles« inkorporiert, eine Anmaßung, die Bände über die Unfähigkeit des Autors...

Erscheint lt. Verlag 8.12.2014
Einführung Isabel Wilder
Übersetzer Joachim A. Frank
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerikanische Literatur • Erinnerung • moderne amerikanische Literatur • Schriftsteller • Tagebuch • Tagebücher • Thornton Wilder • Zeitzeuge
ISBN-10 3-10-403458-3 / 3104034583
ISBN-13 978-3-10-403458-4 / 9783104034584
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,6 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von Iris Wolff

eBook Download (2024)
Klett-Cotta (Verlag)
18,99