Eine bittersüße Liebe - Cathy Marie Hake

Eine bittersüße Liebe

Buch | Softcover
384 Seiten
2015 | 1., Auflage
Francke-Buch (Verlag)
978-3-86827-485-1 (ISBN)
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Insgeheim schwärmt Laney schon lange für den gutaussehenden Galen von der Nachbarranch. Doch wird er in ihr jemals mehr sehen als nur die kleine Schwester seines besten Freundes? Als Galen sich Laney endlich zu öffnen beginnt, scheint ihr Glück perfekt.
Doch durch die Ankunft zweier verwahrloster Jugendlicher, die Galen aus den Fängen ihres durchtriebenen Vaters retten will, werden die Karten neu gemischt. Er gibt den beiden Arbeit auf seiner Farm und kümmert sich darum, dass sie ein Dach über dem Kopf haben. Doch was als gutgemeinter Akt christlicher Nächstenliebe beginnt, endet in einem Fiasko.

Wie bittersüß kann die Liebe sein?

Die erfahrene Krankenschwester Cathy Marie Hake hat sich - auch auf der Krebsstation – eine gesunde Portion Humor bewahrt. Der schimmert immer wieder in den zahlreichen Büchern durch, die sie geschrieben hat. Sie lebt mit ihrem Mann und 2 Kindern in Anaheim/Kalifornien.

1. Kapitel Sacramento, Kalifornien September 1860 Am liebsten hätte sich Laney McCain auch noch die Finger abgeleckt, so köstlich schmeckte der Schokoriegel. Schließlich hatte er den weiten Weg von England bis hierher nach Kalifornien hinter sich gebracht und es schien ihr reine Verschwendung, auch nur das kleinste bisschen von etwas so Köstlichem zu vergeuden. Hinter dem Schutz ihres Taschentuches gab sie schließlich der Versuchung nach. Ein … zwei … drei schnelle Bewegungen. Gleichzeitig süß und herb, einfach lecker. Sie sehnte sich nach mehr davon. Entschlossen wandte sie sich an den Nachbarsjungen, Dale O’Sullivan. „Wir müssen auf jeden Fall noch mal zum Süßigkeitenstand gehen!“ „Jetzt sofort?“ Voller Verlangen strahlten sie die Augen des Sechsjährigen an. „Ja!“, rief sein Bruder Sean zustimmend. „Nein.“ Laney benutzte ihr Taschentuch, um Sean seinen Schokoladenbart abzuwischen. Dale leckte sich hastig die Lippen ab und grinste. „Ich habe alles erwischt, Laney.“ „Ja, das hast du.“ Sie streckte sich und sah sich im überfüllten Pavillon des riesigen kalifornischen Volksfestes um, während sie ihr Taschentuch zurück in den Ärmel ihrer Bluse steckte. „Ihr Jungs bleibt dicht bei mir. Komm, Sean. Ich trage jetzt den Eimer.“ „Weißt du denn, wohin wir als Nächstes gehen sollen?“ Dale zupfte sie am Rock. „Nein, aber ich sehe da einen Mann mit einem Namensschild. Bestimmt kann er uns weiterhelfen.“ Laney ging auf den bärtigen Mann zu. „Entschuldigen Sie bitte. Ich habe hier Marmelade und Dosengemü–“ „Da sind Sie hier falsch.“ Ärgerlich zog der Mann die Augenbrauen zusammen und seine Stimme nahm einen scharfen Unterton an. „Landwirtschaftliche Erzeugnisse sind auf der Westseite des Pavillons. Talg, Schmalz und konserviertes Fleisch hier. Milch, Butter und Käse auf der Südseite. Getreide und stärkehaltige Nahrungsmittel im Norden.“ Sean O’Sullivan kratzte sich an seinem knochigen Ellbogen. „Sind Kartoffeln landwirtschaftliche Erzeugnisse oder stärkehaltige Lebensmittel?“, fragte er. „Komm mir nicht dumm, Junge“, rügte ihn der Mann. Laney legte ihren Arm um Seans Schulter und zog ihn an sich. Dabei berührten ihre Finger das schwarze Trauerband am Oberarm des Zehnjährigen, während sie auch seinen kleinen Bruder näher an sich zog, der auf der anderen Seite neben ihr stand. „Ich habe mich das Gleiche gefragt, aber da ich keine Kartoffeln habe, ist das wahrscheinlich nicht so wichtig.“ „Wahrscheinlich nicht.“ Sean zuckte mit den Schultern – eine kleine Geste, die aber deutlich zeigte, wie traurig er war. „Deine Mutter ist dort drüben bei Hilda. Siehst du sie? Sie tragen gerade die Bottiche mit Schmalz und Speck herein.“ „Mhm.“ „Ich muss mit meiner Marmelade auf die andere Seite des Pavillons. Warum läufst du nicht zu deiner Mutter, Sean, und sagst ihr, dass Dale und ich euch nachher draußen bei der Bank treffen, wo wir vorhin Schokolade gegessen haben?“ Sean sah sie an und dabei füllten sich seine Augen mit einer Mischung aus Trauer und Wut. „Ja, Laney.“ „Vielen Dank, du bist mir eine große Hilfe.“ Einen Augenblick, nachdem der Kleine weggerannt war, grummelte der Mann: „Ich hab die Trauerbinde an seinem Arm gar nicht gesehen. Wollte ihn nicht erschrecken.“ Laney warf Dale einen bedeutsamen Blick zu, dann versuchte sie, ihrer Stimme einen fröhlichen Unterton zu geben. „Ich habe die O’Sullivans dazu überredet, mit mir hierherzukommen. Zwei Brüder von dir und deine Mutter sind hier, nicht wahr, Dale?“ „Mhm. Aber Galen ist zum Arbeiten zu Hause geblieben.“ „Gute Idee.“ Der alte Mann nickte wissend. „Behandle deine Bediensteten gut und sie arbeiten besser.“ „Die O’Sullivans arbeiten härter als jeder andere, den ich kenne.“ Laney rückte seine falsche Annahme gerade, indem sie hinzufügte: „Es ist eine Freude, sie als Nachbarn zu haben.“ Und irgendwann will ich mehr sein als nur ihre Nachbarin. Ein Jahr Trauerzeit ist angemessen, dann wird Galen hoffentlich erkennen, dass ich nicht nur die kleine Schwester seines besten Freundes bin. Er wird sehen, wie sehr ich ihn und seine Familie liebe. Laney zog das Stofftuch von ihrem Eimer und trat mit ihrem Gemüse und ihrer Marmelade in den Wettbewerb ein, als sie endlich den richtigen Stand erreicht hatten. Ein stolzes Gefühl des Erfolgs durchzuckte sie. Vor gerade einmal sechs Monaten hatte sie nicht die geringste Ahnung vom Kochen gehabt. Nur ein einziges Mal hatte sie versucht, Marmelade zu kochen – mit desaströsem Erfolg. Dank Kelly O’Sullivans liebevoller Unterstützung kannte sich Laney nun in der Küche und rundherum perfekt aus. Als Dale und sie den Stand wieder verließen, zupfte er sie am Ärmel. „Laney?“ „Ja?“ Er winkte sie mit dem Finger zu sich herunter. „Hast du noch etwas von dem Traubengelee?“ „Zu Hause schon. Warum?“ Er sah niedergeschlagen aus. „Schon gut.“ „Hast du Hunger?“ Als er den Kopf schüttelte, zog sie Dale mit sich zur Seite und setzte sich auf eine Bank. Als sie ihre Röcke sortiert hatte, nahm sie Dale auf den Schoß. „Meine Schuhe werden dein neues Kleid schmutzig machen.“ „Ein bisschen Schmutz hat noch niemandem geschadet.“ Liebevoll schlang sie ihre Arme um ihn. „Und jetzt sag mir, warum du wissen wolltest, ob ich noch Gelee zu Hause habe.“ „Ich dachte, wenn ich was davon auf Hortense schmiere, will sie niemand haben.“ Dabei blinzelte er und ließ den Kopf hängen. „Ach so“, sagte sie leise und zog ihn näher an sich. „Ich verstehe.“ Laney lächelte und erinnerte sich an ihr erstes Marmeladenexperiment, das darin geendet hatte, dass sie die Marmelade im Schweinetrog entsorgt hatte. Ihr Bruder Josh hatte gedacht, die Tiere litten unter einer seltenen Krankheit, als sie über und über mit lila Flecken bedeckt gewesen waren. Laney fuhr mit den Fingern durch Dales rote Locken. Um sie herum ging das Fest weiter. Aber Dales kleine Welt stürzt in sich zusammen. Endlich hob Dale wieder den Kopf. „Galen sagt, dass ich tapfer sein muss.“ Allein schon bei der Erwähnung von Galens Name machte ihr Herz einen aufgeregten Satz. „Wenn jemand weiß, wie man stark ist, dann dein Bruder.“ Langsam strich Laney mit der Hand über Dales knochigen Rücken. „‚Farmer bauen Gemüse an und züchten Vieh, um es zu verkaufen. Das ist unser Job‘“, zitierte der Kleine mit zitternder Stimme. „Es gibt keinen Zweifel daran, dass du dich hervorragend um Hortense gekümmert hast. Ich erinnere mich gut daran, als sie noch ein kleines Ferkel war.“ Dale nickte. Seine Locken hatten sich in den Perlen ihres Kleides verfangen. Einige Minuten lang saßen sie schweigend da. Laney dachte darüber nach, was sie tun könnte, damit Dale nicht sein geliebtes Haustier verlor. „Ich muss sagen“, sagte sie, während sie ihn noch einmal drückte, „dass du wirklich ausgesprochen tapfer warst. Dein großer Bruder und meiner könnten sich eine Scheibe von dir abschneiden. Noch nie habe ich gesehen, dass zwei erwachsene Männer sich so verhalten, wie die beiden es wegen der Eisenbahn getan haben!“ Dale sah sie an und kicherte. „Hortense hat ihnen wirklich das Leben schwer gemacht, nicht wahr?“ „Ich kann nicht sagen, wer sich am schlimmsten benommen hat: mein Bruder oder deiner oder Hortense.“ „Hortense kannst du nicht die Schuld geben. Sie hatte vorher noch nie einen Zug gesehen.“ „Das ist ein guter Punkt zu ihrer Verteidigung. Josh und Galen haben diese Ausrede nicht. Und dann hast du“ – Laney tippte ihm auf die sommersprossige Nase – „einfach einen zerkrümelten Keks genommen und dafür gesorgt, dass sie ohne Widerstand die Rampe zum Viehwaggon hochging. Das war clever von dir.“ „Nicht wirklich. Danach hatte ich selbst nämlich keinen Keks mehr zu essen.“ Bedrückt fügte er hinzu: „Und wenn ich meinen Keks für mich behalten hätte, wäre Hortense vielleicht immer noch zu Hause.“ Noch weiter darüber zu reden, würde den Kleinen nicht aufmuntern, deshalb flüsterte Laney ihm ins Ohr: „Nichts hält uns davon ab, uns jetzt ein paar Kekse zu gönnen. Ich habe welche draußen zum Verkauf gesehen – direkt neben dem Süßigkeitenstand. Wir könnten uns ein paar Schokoladenriegel und Kekse teilen.“ Als Dale sie mit seinen Augen anfunkelte, sah sie sich im Pavillon um und beugte sich dann näher zu ihm. „Ich denke …“ Sie machte eine Pause, um die Spannung zu erhöhen. Aufgeregt rutschte Dale hin und her. „Was denkst du, Laney?“ „Ich denke“, sagt sie grinsend, „dass auch Hortense an ein oder zwei Keksen Gefallen hätte.“ Mit offenem Mund sah er sie an. „Du würdest meinem Schwein einen Keks kaufen?“ „Hortense ist ja kein gewöhnliches Schwein.“ „Das stimmt“, platzte Dale heraus. „Sie ist unheimlich klug.“ „Es gibt da nur ein Problem.“ „Welches denn?“ „Tja …“ Laney nickte langsam und traurig. „Ich weiß leider nicht, was Hortense lieber mag: Zuckerplätzchen oder Ingwerwaffeln.“ „Was für ein hübsches Mädchen du bist.“ Galen O’Sullivan tät- schelte den Hals des kleinen Mustangs. „Ja, das bist du wirklich. Und du willst laufen, stimmt’s? Nicht mehr lange, dann ist es so weit.“ Er führte die Stute nach draußen an den Zaun und suchte den Horizont ab. Seit Monaten schon führte er die Station des Pony Express’. Die Reiter waren beeindruckend pünktlich, die Pferde ausgeglichen und die Nachrichten aus dem Osten aktuell und nicht schon wochenalt. Wenn der Express nur profitabel wäre. Viereinhalb Monate. Das war eine lange Zeit, in der er die Pferde ohne Vergütung untergebracht und versorgt hatte – und am Ende würde nicht mit eingerechnet werden, dass sein Bruder Dale regelmäßig seine täglichen Arbeiten unterbrechen musste, um die Pferde vorzubereiten und die gerittenen Tiere abzukühlen. Außerdem hatte er die Pferde in letzter Zeit sehr häufig verarzten müssen. Die Reiter hielten sich an die Vorgaben der Gesellschaft und ritten die Tiere bis ans Limit. Das hatte natürlich seinen Preis, den die Tiere bezahlen mussten. Von drei Pferden, die bei ihm untergestellt waren, musste Galen normalerweise eins zur Regenera- tion aus dem Rotationssystem heraushalten. „Du bleibst hier, Mädchen. Ich hole schon mal den Becher für den Reiter. Er kann jederzeit hier sein.“ Als Galen ins Haus ging, verzog er das Gesicht. Er hatte sich die größte Mühe gegeben, alles allein zu managen. Aber man sah es den Zimmern an, dass er zumindest im Haushalt kläglich versagt hatte. Anstatt des köstlichen Aromas von Mas Essen erfüllte ein Chaos das Haus, das jede Frau auf dem Absatz hätte kehrtmachen lassen. Das ungemachte Bett, schmutziges Geschirr und ein verkrusteter Topf auf dem kalten Ofen waren nur die Spitze des Eisberges. Während er Wasser in einen Eimer laufen ließ, versuchte er sich daran zu erinnern, wo er die Schöpfkelle zuletzt gesehen hatte. An dem Tag, als Ma und seine Brüder zum Fest gefahren waren, hatte er Tassen benutzt. Die nächsten beiden Tage hatten der Eimer und eine Schöpfkelle herhalten müssen. An diesem Morgen hatte er dann aus der Rührschüssel getrunken. Immerhin hatte seine Mutter, wenn sie Teig gerührt hatte, ihm und seinen Brüdern immer erlaubt, die Schüssel auszulecken. Also würde sie dagegen bestimmt auch nichts haben. Wenn Galen allerdings dem Reiter Wasser aus der Rührschüssel anbieten würde, dann würde sie mit Sicherheit etwas dagegen haben. Das Trommeln von Hufen warnte Galen, dass er sich lieber beeilen sollte. Ein paar Minuten später streckte er dem Reiter ein viereckiges Einmachglas entgegen. „Wasser.“ „Danke.“ In einem Zug trank er das gesamte Glas leer. „Ma ist in Sacramento auf dem Fest. Deshalb musst du damit vorliebnehmen.“ Galen reichte dem Reiter eine große Birne aus dem Garten seiner Mutter. Obwohl es nicht Teil der Absprache mit dem Ponyexpress war, bestand seine Mutter darauf, dass sie den Männern mit Gastfreundschaft begegneten. Normalerweise hielt sie immer ein Sandwich oder etwas frisch Gebackenes bereit. „Bist du ganz allein hier?“ „Aye.“ Galen nahm dem schwer atmenden Pferd die lederne Mochilla ab und legte sie auf den Sattel des frischen Tieres. Alle vier Taschen waren dick befüllt. Das musste ein gutes Zeichen sein – das Geschäft lief scheinbar immer besser. „Redest du schon mit dir selbst?“ Galen lachte. „Aye.“ Der Reiter nickte wissend. „Du darfst dir auch selbst antworten. Aber wenn du anfängst, mit dir selbst zu streiten, solltest du einen Arzt aufsuchen.“ „Ich werd’s mir merken.“ „Ich wette, Miss McCain hat sich gut um dich gekümmert, während deine Mutter weg ist.“ „Sie ist ebenfalls in Sacramento, aber selbst wenn sie nicht dort wäre, würde es sich nicht schicken, wenn sie mich hier besuchen würde.“ „Ach, sie ist doch eine anständige junge Frau. Niemand würde glauben, dass sie sich nicht richtig verhält. Außerdem ist sie so oft hier, dass sie schon fast zu eurer Familie gehört, oder? Wann stellst du ihr eigentlich endlich die Frage aller Fragen?“ „Gar nicht. Sie ist wie eine kleine Schwester für mich.“ Der Reiter schüttelte den Kopf und schwang sich wieder in den Sattel. „Aber sie ist doch in dich verliebt.“ „Woher willst du das wissen? Du kommst ein paarmal die Woche für ein paar Minuten vorbei.“ „Ich erkenne, wenn eine Frau verliebt ist. Du wirst ihr das Herz brechen.“ „Wenn sie erwachsen ist, dann wird sie ihre kindischen Träume schon vergessen. Ich schone ihre Gefühle, indem ich ihre Avancen ignoriere. Und jetzt ab mit dir. Gott sei mit dir.“ Galen sah Pferd und Reiter nach, wie sie am Horizont verschwanden. Schließlich wandte er sich um und seufzte schwer. Gott, ich habe mehr Arbeit, als ich schaffen kann. Aber du hast uns versprochen, uns nicht mehr aufzubürden, als wir tragen können. Ich habe diesen Punkt erreicht. Ich mache mir Sorgen um Ma. Sie trauert so schrecklich um Dad. Und ich kann meinen drei kleinen Brüdern nicht den Vater ersetzen, sosehr ich das wollte. Sich im Sommer zusammen mit Collin um die Farm und den Ponyexpress zu kümmern, hatte sie ihre ganze Kraft gekostet. Jetzt, wo Collin wieder in der Schule war, musste Galen seine letzten Kraftreserven abrufen, das wusste er. Das ist es, Herr – meine Familie, meine Finanzen und meine Farm – und alles ist vollkommen durcheinander. Kannst du mir nicht bitte weiterhelfen? Er schnappte sich die ledernen Zügel und führte das Pony herum, um es abzukühlen, dann rieb er es trocken und gestattete ihm einen kleinen Schluck Wasser aus der Tränke. „Das war’s für dich, Junge. Auch wenn du eigentlich mehr willst. Aber das wäre nach der Anstrengung noch zu früh. Bald darfst du fressen und so viel trinken, wie du willst.“ Anschließend jätete Galen im großen Garten seiner Mutter Unkraut und wässerte ihn gründlich. Die Obstbäume, die ihn umgaben, sahen trotz der Trockenheit frisch aus. Die McCain-Frauen – Laney und Joshs Ehefrau Ruth – hatten seiner Mutter von Anfang an geholfen, beim Pflanzen, bei der Ernte und beim Einkochen des Obsts – und das monatelang. Ihre Gesellschaft hatte es Ma leichter gemacht, vor allem, nachdem sie Dad verloren hatten. Und genau aus diesem Grund konnte er seinem Freund Josh auch schlecht sagen, dass er seine kleine Schwester zu Hause lassen sollte. Er hatte einfach gelernt, Laneys Aufmerksamkeit zu ignorieren. Bis es dunkel wurde, arbeitete er, dann machte er im Licht der Laterne in der Scheune weiter. Endlich ging Galen ins Haus. Es war viel zu heiß, um den Ofen anzufeuern und sich etwas zu essen zu kochen. Das Brot, das Ma vor ihrer Abreise gebacken hatte, war inzwischen steinhart. Er aß es mit einem Streifen Trockenfleisch und einer Birne. Bevor er erschöpft ins Bett fiel, füllte Galen das alte halbierte Fass, das sie als Waschschüssel benutzten. Nachdem er sich mit ein paar Strichen rasiert hatte, sammelte er das benutzte Geschirr ein und weichte es über Nacht in dem Wasser ein. Am nächsten Morgen wurde er vom lauten Knurren seines Magens geweckt. Galen dachte an die vielen Eier, die er in den letzten vier Tagen eingesammelt hatte, dann sah er die eingeweichten Teller und schwor sich, dass er sie heute noch spülen und abtrocknen würde, damit er morgen früh Rührei essen konnte. Für heute nahm er mit einem Stück Käse und etwas Obst vorlieb. Gegen Mittag, als er gerade wieder im Garten beschäftigt war, hörte er ein lautes Schniefen und richtete sich auf. „Rick Maltby! Was führt dich hierher?“ „Mein schlechtes Gewissen.“ Rick hob einen Pappkarton hoch. „Und ein Gnadenmahl. Ich dachte mir, dass du mittlerweile fast verhungert sein müsstest.“ „Das stimmt.“ Er zeigte in Richtung eines schattigen Plätzchens. „Lass uns da rübergehen.“ „Wenn es dir nichts ausmacht, Galen, ich –“, der Anwalt nieste wieder –, „bin a-a-allergisch auf irgendwas hier draußen.“ „Ins Haus können wir nur unter einer Bedingung.“ Maltby schniefte noch einmal. „Sag schon.“ „Versprich mir, dass du niemandem gegenüber jemals erwähnst, was du dort gleich siehst.“ „Wovon redest du?“ Maltby nieste dreimal hintereinander und bekam kaum noch Luft. „Raus damit, Galen. Mein Heuschnupfen bringt mich noch um.“ „Komm.“ Galen ging in Richtung Haus. „Hier sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld. Ma würde mir den Hals umdrehen, wenn sie sehen könnte, wie hier alles im Chaos versinkt.“ Maltby musste ein Lachen unterdrücken. „Das ist überhaupt nicht lustig.“ Mit gespieltem Zorn funkelte Galen seinen Freund an. „Doch, das ist es. Ich bin so froh, dass ich nicht der einzige Mann bin, der seine Mutter nicht enttäuschen will!“ Als er das Haus betrat, stieß Maltby ein langes, anerkennendes Pfeifen aus. „Das ist wirklich beeindruckend.“ Galen sammelte das Geschirr ein, das er am Morgen zum Trocknen auf einem Tuch ausgebreitet hatte. Während er es im Schrank stapelte, wechselte er das Thema. „Du hast also ein schlechtes Gewissen?“ „Das habe ich.“ Maltby setzte sich und schob ihm den Karton zu. Als er das Geschirr ungefähr dorthingeräumt hatte, wo es hingehörte, setzte sich Galen und machte den Deckel auf. Der Duft von gebratenem Hühnchen ließ ihm augenblicklich das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er zwang sich dazu, wieder aufzustehen. „Was machst du?“ Schweren Herzens riss er seinen Blick von dem Karton los. „Ich hole uns Teller.“ „Ich habe schon gegessen. Ich dachte, du willst vielleicht noch was fürs Abendessen aufheben.“ Galen setzte sich wieder hin und rieb sich die Hände. „Ich weiß gar nicht, wofür ich Gott zuerst danken soll – für das Essen, dafür, dass du so ein guter Freund bist oder dass Bill heute im Copper Kettle gekocht hat.“ Rick lächelte nicht. „Ich fühle mich nicht so, als wäre ich dir ein guter Freund gewesen, Galen.“ Galen erstarrte und sah das Essen skeptisch an. „Hat das etwa Ethel gekocht?“ „Nein. Bill. Ethels Essen hätte ich dir nicht gebracht.“ Erleichterung durchströmte Galen. „Du hast mir Essen gebracht. Das beweist doch, dass du ein guter Freund bist.“ Maltby stieß einen langen Seufzer aus. „Ich habe dir und deinem Vater vorgeschlagen, eine Ponyexpress-Station bei euch einzurichten. Und jetzt ist mir zu Ohren gekommen, dass die Gesellschaft mit ihren Zahlungen im Rückstand ist.“ „Aber das ist doch nicht deine Schuld. Dad und ich haben über diese Sache gebetet und sie gemeinsam beschlossen.“ „Du könntest den Tod deines Vaters und die Zahlungsrückstände der Gesellschaft als Gründe angeben, um dich ohne Verluste aus dem Geschäft zurückzuziehen. Dabei würde ich dich kostenlos vertreten.“ „Das ist sehr großzügig von dir, aber ich gebe ihnen noch eine Chance und ich will Wort halten. Dads Tod ist für mich keine Ausrede, um mich aus einem geltenden Vertrag zurückzuziehen.“ „Aber der Ponyexpress zahlt nicht.“ „Zugegeben, ich wünschte mir schon, sie würden endlich mit dem Geld rausrücken. Und ich sehe ja auch, dass die Satteltaschen inzwischen voll bepackt sind. Vielleicht braucht das Geschäft noch ein bisschen Zeit, um in Schwung zu kommen.“ Galen zuckte mit den Schultern. „Das ist wahrscheinlich der Farmer in mir. Ich habe Verständnis dafür, dass es Zeiten gibt, in denen man kein Wachstum erkennt, weil die Pflanzen erst Wurzeln schlagen müssen.“ „Das Angebot steht jedenfalls – sobald du meine Hilfe brauchst, bin ich für dich da.“ Galen nickte dankbar. „Vergiss dein schlechtes Gewissen wegen des Geldes. Habgier wäre ein schäbiger Grund, eine Freundschaft aufs Spiel zu setzen.“ Galen nahm sich ein perfekt gebratenes Hühnerbein und wedelte damit vor Ricks Nase herum. „Aber versuch bloß nicht, diese Aussage gegen mich zu verwenden, indem du mir hier etwas wegisst.“ Zum ersten Mal, seit sie sich gesetzt hatten, lächelte Rick. Ein anständiges Essen und jemand zum Reden, das konnte einen Mann nach einem anstrengenden Tag versöhnlich stimmen. Als Rick gegangen war, machte sich Galen wieder an die Arbeit. Spät am Nachmittag ließ er seinen Blick in die Ferne schweifen. Was er dort sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

1. Kapitel

Sacramento, Kalifornien
September 1860

Am liebsten hätte sich Laney McCain auch noch die Finger abgeleckt, so köstlich schmeckte der Schokoriegel. Schließlich hatte er den weiten Weg von England bis hierher nach Kalifornien hinter sich gebracht und es schien ihr reine Verschwendung, auch nur das kleinste bisschen von etwas so Köstlichem zu vergeuden. Hinter dem Schutz ihres Taschentuches gab sie schließlich der Versuchung nach. Ein zwei drei schnelle Bewegungen. Gleichzeitig süß und herb, einfach lecker. Sie sehnte sich nach mehr davon. Entschlossen wandte sie sich an den Nachbarsjungen, Dale O'Sullivan. Wir müssen auf jeden Fall noch mal zum Süßigkeitenstand gehen! Jetzt sofort? Voller Verlangen strahlten sie die Augen des Sechsjährigen an. Ja! , rief sein Bruder Sean zustimmend. Nein. Laney benutzte ihr Taschentuch, um Sean seinen Schokoladenbart abzuwischen.
Dale leckte sich hastig die Lippen ab und grinste. Ich habe alles erwischt, Laney. Ja, das hast du. Sie streckte sich und sah sich im überfüllten Pavillon des riesigen kalifornischen Volksfestes um, während sie ihr Taschentuch zurück in den Ärmel ihrer Bluse steckte. Ihr Jungs bleibt dicht bei mir. Komm, Sean. Ich trage jetzt den Eimer. Weißt du denn, wohin wir als Nächstes gehen sollen? Dale zupfte sie am Rock. Nein, aber ich sehe da einen Mann mit einem Namensschild. Bestimmt kann er uns weiterhelfen. Laney ging auf den bärtigen Mann zu. Entschuldigen Sie bitte. Ich habe hier Marmelade und Dosengemüse. Da sind Sie hier falsch. Ärgerlich zog der Mann die Augenbrauen zusammen und seine Stimme nahm einen scharfen Unterton an. Landwirtschaftliche Erzeugnisse sind auf der Westseite des Pavillons. Talg, Schmalz und konserviertes Fleisch hier. Milch, Butter und Käse auf der Südseite. Getreide und stärkehaltige Nahrungsmittel im Norden.
Sean O'Sullivan kratzte sich an seinem knochigen Ellbogen. Sind Kartoffeln landwirtschaftliche Erzeugnisse oder stärkehaltige Lebensmittel? , fragte er. Komm mir nicht dumm, Junge , rügte ihn der Mann.
Laney legte ihren Arm um Seans Schulter und zog ihn an sich. Dabei berührten ihre Finger das schwarze Trauerband am Oberarm des Zehnjährigen, während sie auch seinen kleinen Bruder näher an sich zog, der auf der anderen Seite neben ihr stand. Ich habe mich das Gleiche gefragt, aber da ich keine Kartoffeln habe, ist das wahrscheinlich nicht so wichtig. Wahrscheinlich nicht. Sean zuckte mit den Schultern eine kleine Geste, die aber deutlich zeigte, wie traurig er war. Deine Mutter ist dort drüben bei Hilda. Siehst du sie? Sie tragen gerade die Bottiche mit Schmalz und Speck herein. Mhm. Ich muss mit meiner Marmelade auf die andere Seite des Pavillons. Warum läufst du nicht zu deiner Mutter, Sean, und sagst ihr, dass Dale und ich euch nachher draußen bei der Bank treffen, wo wir vorhin Schokolade gegessen haben?
Sean sah sie an und dabei füllten sich seine Augen mit einer Mischung aus Trauer und Wut. Ja, Laney. Vielen Dank, du bist mir eine große Hilfe.
Einen Augenblick, nachdem der Kleine weggerannt war, grummelte der Mann: Ich hab die Trauerbinde an seinem Arm gar nicht gesehen. Wollte ihn nicht erschrecken.
Laney warf Dale einen bedeutsamen Blick zu, dann versuchte sie, ihrer Stimme einen fröhlichen Unterton zu geben. Ich habe die O'Sullivans dazu überredet, mit mir hierherzukommen. Zwei Brüder von dir und deine Mutter sind hier, nicht wahr, Dale? Mhm. Aber Galen ist zum Arbeiten zu Hause geblieben. Gute Idee. Der alte Mann nickte wissend. Behandle deine Bediensteten gut und sie arbeiten besser. Die O'Sullivans arbeiten härter als jeder andere, den ich kenne. Laney rückte seine falsche Annahme gerade, indem sie hinzufügte: Es ist eine Freude, sie als Nachbarn zu haben. Und irgendwann will ich mehr sein als nur ihre Nachbarin. Ein Jahr Trauerzeit ist angemessen, dann wird Galen hoffentlich erkennen, dass ich nicht nur die kleine Schwester seines besten Freundes bin. Er wird se ...

Erscheint lt. Verlag 17.2.2015
Übersetzer Rebekka Jilg
Sprache deutsch
Original-Titel Bittersweet
Maße 135 x 205 mm
Gewicht 450 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Humor • Kalifornien • Kalifornien, 19. Jahrhundert, ungewollte Schwangerschaft, Humor, Liebesgeschichte, Ponyexpress • Liebesgeschichte • Liebesroman • Liebesromane • Ponyexpress • Ungewollte Schwangerschaft
ISBN-10 3-86827-485-5 / 3868274855
ISBN-13 978-3-86827-485-1 / 9783868274851
Zustand Neuware
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