Eltern, die auf Schaukeln starren (eBook)

Von Bio-Mamas, iPhone-Papas und anderen Spielplatz-Profis
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
256 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-0972-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eltern, die auf Schaukeln starren -  Felix Denk,  Silke Denk
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Spielplätze sind längst nicht mehr nur Orte für die lieben Kleinen - nein, sie sind eine sandige Bühne, auf der Väter und Mütter ihre neue Rolle als Eltern öffentlich erproben. Da ist die Schnösel-Mutter im Kaschmirponcho, die ihren Heinrich zum Durchsetzen anfeuert - schließlich soll er mal eine Führungspersönlichkeit werden. Auf der Rutsche hampelt der Action-Daddy wilder als seine beiden Söhne, misstrauisch beäugt vom Business-Papa, der lieber über iPhones als über Kinderköpfe streichelt, während die Öko-Mama ihre fünfjährige Zoé mit einem kräftigen Schluck Muttermilch tröstet, wenn sie nicht gleich an der Wippe drankommt. Zwischen Schaufel und Schaukel liefern Silke und Felix Denk ein amüsantes Bild der heutigen Elterngeneration.

Felix Denk studierte Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität und Kulturjournalismus an der UdK. Heute arbeitet er als Redakteur des Berliner Stadtmagazins zitty und schreibt für die Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel, Dummy und Groove. Er lebt mit seiner Frau Silke und ihren zwei Kindern in Berlin.

Felix Denk studierte Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität und Kulturjournalismus an der UdK. Heute arbeitet er als Redakteur des Berliner Stadtmagazins zitty und schreibt für die Süddeutsche Zeitung, Tagesspiegel, Dummy und Groove. Seine Frau Silke ist Werbetexterin, arbeitet für renommierte Agenturen wie BBH, Jung von Matt und Kolle Rebbe und betreut Kunden wie IKEA, Levi's, AXE und Nachtklubbesitzer. Sie leben mit ihren zwei Kindern in Berlin.

Dienstag

14 Uhr: Das Porakel

Grüppchenbildung an der Bank. Ein paar Mütter stehen im Halbkreis, den Kopf gesenkt. Charlotte liegt auf der Bank, unter ihr die Wickelunterlage. Die aus dem Dachgeschoss öffnet mit schnellen Griffen die Pampers Baby­dry Plus. Neugierige Blicke zielen in die Windel.

»Kohlrabenschwarz. Das ist Teerstuhl«, sagt die Helikoptermutter.

»Es ist auch bisschen bläulich«, findet Kuegelchen23.

»Riecht nach Hefe«, mischt sich eine Bekannte der ­Helikoptermutter ein, die gerade vorbeigekommen ist und von der Kackfahne angelockt wurde. »Und nach verfaulten Eiern.«

»Das kommt bestimmt von Blutungen im oberen Magen-­Darm-Bereich. Deine Maus hat eine Ösophagusvarizenblutung. Geh mal besser gleich zum Arzt. Ich kenn da einen Gastroenterologen«, rät die Helikoptermutter.

»Quatsch, die Kleine hat halt gestern eine Schale Blaubeeren verdrückt«, knurrt die aus dem Dachgeschoss. ­Ihre Tochter ist unleidig, und die halbe Spielplatzbelegschaft sucht die Erklärung dafür in der Windel.

Kuegelchen23 hebt die Augenbraue: »Ach, habt ihr jetzt schon mit Beikost angefangen?«

Mit Kacke haben Eltern dauernd zu tun. Besonders häufig dann, wenn die Kinder in der analen Phase sind, also im Alter zwischen zwei und drei Jahren. Freud hat das einst so beschrieben: Nach der oralen Phase kommt eine Periode, in der die Ausscheidungsfunktionen und die Handhabung des Körpers und seiner Muskeln im Mittelpunkt der Erlebnisweisen des Kindes steht. In seiner ­Psychoanalyse nimmt die anale Phase einen wichtigen Stellenwert ein. Sie ist der Anfangspunkt einer Auseinandersetzung um Macht und Kontrolle zwischen Kind und Erwachsenen. Wie weit darf das Kind die lustvolle Darmentleerung selbst bestimmen? Wie weit muss es sich den Wünschen der Eltern oder Erzieher beugen?

So weit die Theorie. In der Praxis erleben Eltern die anale Phase so: Etwa 180-mal pro Tag sagen die Kinder »Kacke«. Sie sagen aber auch etwa genauso oft »Scheiße«, »Pups«, »Pu«, »Popo«, »Furz« und bilden unermüdlich Zusammensetzungen wie etwa »Kackpapa«, »Pupsmama«, »Kackascheiß«, »Pipikack«. Besonders viel Spaß macht das mit Nahrungsmitteln: »Kackikeks«, »Kackanudeln«, »Pupswasser«, »Scheißeis«. Auch die entsprechenden ­Tätigkeiten werden gerne ausgesprochen: »kacken«, »einkackern«, »pupsen«. Anschließend folgt meist ein hysterischer Lachanfall, bei dem die Kleinen rot anlaufen und sich auf den Boden werfen.

Die meisten Eltern treibt das in den Wahnsinn, die ­nervenstärkeren lediglich zur Verzweiflung. Auf jeden Fall wird die Schamesröte im Gesicht zum treuen Begleiter auf allen Wegen. Etwa wenn sich im Supermarkt alle nach einem umdrehen, weil das Kind auf dem Weg durchs Gemüseregal »Kackamöhren«, »Pupskartoffeln« und »Scheißtomaten« plärrt.

Was Freud nicht erforscht hat – vielleicht, weil die Einwegwindel seinerzeit noch nicht erfunden war –, ist die Tatsache, dass auch Eltern eine anale Phase durchleben. Die dauert sogar meist länger als die ihrer Kinder. Zeitlich findet sie hingegen etwas früher statt: wenn die Kinder zwischen null und zwei Jahren alt sind. Dann ist der Windelinhalt das Zentrum der Welt, oder wie Freud sagen würde: der Mittelpunkt der elterlichen Erlebnisweisen. Das Porakel, das kollektive Deuten und der Versuch einer Welterklärung durch den Windelinhalt, ist ein ständig wiederkehrendes Schauspiel auf dem Spielplatz.

»Magen-Darm-Virus ist das nicht«, sagt die neu Dazu­gekommene. »Das riecht zwar ungefähr so, aber dann ­wäre der Stuhl weißlich und dünnflüssig. Wahrscheinlich würde die Maus dann auch Magenkrämpfe haben.«

»Und brechen«, weiß die Helikoptermutter. »Mein Ole bringt das immer aus der Kita mit.«

»Viel schlimmer ist eine leere Windel. Lisa hatte das mal fast zwei Wochen lang. Mein Mann wollte dann mit einer Stricknadel kommen und die Sache irgendwie beschleunigen. Da bin ich dann zum Arzt«, erzählt eine Frau, die keiner kennt, die aber zufällig daneben steht.

»Ich werde immer sehr nervös, wenn Ole bis Mittag nicht in die Windel gemacht hat.«

»Und du hast jetzt wirklich abgestillt?«, hakt Kuegelchen23 noch mal bei der aus dem Dachgeschoss nach.

»Ja, schon seit vier Wochen. Mein Mann möchte meine Brüste mal wieder für sich alleine haben.«

»Das wäre mir ja noch zu früh. Die WHO empfiehlt, dass man zwei Jahre stillen soll«, erwidert Kuegelchen23.

»Ja, aber doch nicht ohne Brei zuzufüttern? Und die WHO übernimmt auch nicht die Kosten für meine Paartherapie. Hat jemand noch ein Feuchttuch? Der Blaubeerstuhl klebt wie Uhu.«

Kinderkacke ist eine komplexe Materie, die Eltern ständig penibel kontrollieren und nach vielen Parametern analysieren. Da wäre einmal die Farbenlehre. Die ersten Windeln sind noch pechschwarz. Nach etwa einer Woche dann nehmen sie bei Stillbabys einen senfgelben Ton an – der stammt von der Muttermilch. Eine hellbraune Nougatnote hingegen bekommt der Kot, wenn das Baby mit künstlicher Säuglingsnahrung zugefüttert wird. Neon­orange sagt: Hier steht Möhrenbrei auf dem Speiseplan. Spinatgrün gilt als Warnsignal: Die Ausscheidung war länger im Darm, so dass der Zersetzungsprozess schon vorangeschritten ist. Das an sich muss kein Problem sein, kann jedoch auf eine leichte Fehlverdauung hinweisen, die von Bakterien ausgelöst wird. Manchmal wird der Kot auch einfach nur dadurch grün, dass er schon länger in der Windel ist.

Die Konsistenz der Kinderkacke entwickelt sich ebenfalls stetig. Erinnert die Erstwindel in ihrer Festigkeit noch an Knete, kommt die des vollgestillten Kindes eher Ricotta nahe. Manchmal wird es luftiger und flüssiger, ­etwa wie Sprühsahne, und klebt dann penetrant in allen Speckröllchen des Babypopos, wo man es mit gut einer halben Packung hautverträglicher Feuchttücher (ohne Farbstoffe, Parfüm, Paraffinöl, Silikone und Alkohol!) wieder rausputzen muss. Später geht es über Fladenartig zu den allseits bekannten Würsten. Die kommen in der Regel erst dann, wenn die Kost fest ist.

Schließlich wäre da noch der Geruch als wichtiger ­Parameter. Auf der olfaktorischen Ebene ist die erste Ausscheidung eine handfeste Überraschung: Sie riecht nämlich nicht. Das hat einen simplen Grund. Was Eltern kurz nach der Geburt in Babys allererster Windel entdecken, ist gar keine Kacke, sondern das sogenannte Mekonium, eine Mischung aus Haaren, Galle und toten Zellen, die sich schon vor der Geburt im Darm des Kindes gesammelt hat. In den ersten zwei Lebenstagen wird sie ausgeschieden. Danach geschieht etwas Erstaunliches: Die nun senfgelbe Kinderkacke, die das Baby oft im Stundentakt absondert, stinkt ebenfalls nicht. Manche der vom Kuschelhormon Oxytocin überfluteten Mütter sagen sogar, sie würde duften – Kornblumen oder Getreide werden häufig genannt. Vielleicht hat Mutter Natur es so eingerichtet, dass man, wenn man schon aus dem Tiefschlaf gerissen wird, wenigstens nicht mit beißendem Gestank malträtiert wird. Wirklich stinken tut der Stuhl erst, wenn die Kinder wenigstens ein paar Stunden am Stück schlafen können und wenn Fleisch auf den Speiseplan kommt – das stellt sich mehr oder weniger zeitgleich ein. Das tierische Eiweiß bereitet dem Kornblumenduft ein ­jähes Ende.

»Kein Wunder, dass Charlotte so unleidig ist. Die hat ja einen ganz roten Po«, sagt die Helikoptermutter und schaut besorgt. »Da darfst du nur mit Feuchttüchern ohne Öl ran. Das Öl macht bei Hanna ja direkt einen wunden Po.«

»Erzähl mir nichts. Roter Po ist Charlottes zweiter Vorname.« Die aus dem Dachgeschoss legt die schmutzigen Feuchttücher in die gebrauchte Windel, faltet sie und verschließt sie mit den Klebestreifen. »Bei uns lag das aber an der Ananas. Irgendwann will man ja wieder runter von den Schwangerschaftspfunden, und Ananas ist einfach unschlagbar in puncto Verdauungsenzyme.«

»Das A und O bei wundem Po ist die Frischluftzufuhr«, sagt die Forenmutti. »Wenn Cosmas Hintern wieder in den Pavianmodus verfällt, heizen wir das Schlafzimmer auf und lassen sie dort ganz lange nackt spielen.«

Die aus dem Dachgeschoss hat Charlotte inzwischen die frische Windel angezogen. Die Tochter schreit nicht mehr, schaut aber immer noch sehr griesgrämig drein. Die Helikoptermutter hebt Hanna hoch und hält ihre Nase an ihren Windelpo. Es knistert, als sie mit der ­Nasenspitze den Po berührt. Sie atmet tief ein. »Oh oh oh. Ich glaub, da muss mal wieder jemand gewickelt werden.«

15:30 Uhr: Wipp wipp, links rechts

»Maaaaama, du sollst kooooommen!«

Shyla Sunshine hat sich in den Büschen hinter den Bänken versteckt. Sie zupft Blätter von den Sträuchern, legt sie eins nach dem anderen auf einen kleinen Haufen und geht dann zum nächsten Strauch.

»Was machst du denn da?«, fragt Kuegelchen23.

»Tiere füttern. Das ist mein Bauernhof.« Shyla zeigt auf die Sträucher. Das sind die Ställe.

»Schön. Es ist nur so, dass es den Sträuchern Aua macht, wenn man ihre Blätter abreißt. Nimm bitte nur die Blätter, die schon am Boden liegen. Welche Tiere hast du denn da?«

»Ähm … Esel, Affen, Mäuse, Elefanten, Meerschweinchen …« Also eigentlich so ziemlich alle Tiere, die Shyla kennt. Und die müssen natürlich regelmäßig gefüttert werden. Das dauert schon mal den halben Nachmittag.

Kuegelchen23 tanzt währenddessen eine Choreografie, die sie täglich mehrmals in verschiedenen Situationen aufführt. Sie wippt elastisch mit den Beinen. Immer zweimal links, wipp wipp, zweimal rechts, wipp wipp. Auf jeder Seite dreht...

Erscheint lt. Verlag 6.2.2015
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Sozialwissenschaften Soziologie
Schlagworte Eltern • Erziehung • Familie • Prenzlauer Berg • Spielplatz
ISBN-10 3-8437-0972-6 / 3843709726
ISBN-13 978-3-8437-0972-9 / 9783843709729
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