All das ist Jagd (eBook)
192 Seiten
Leopold Stocker Verlag
978-3-7020-1498-8 (ISBN)
Gerd H. Meyden ist Textilkaufmann in Oberbayern. Er hat mit 16 Jahren seinen ersten Jagdschein gelöst, ist Hundeführer und hat ein Herz für Jungjäger.
Der alte Drilling
Hoch in einer alten Weide habe ich mir einen kleinen, notdürftigen Sitz gebaut. Ganz stolz sitze ich hier, mit meinen sechzehn Jahren und mit einem druckfrischen Jugendjagdschein in der Tasche. Weit kann ich über die sommerlichen Wiesen schauen. Es ist Blattzeit, und die Augusthitze flimmert über dem Land. An vielen kleinen Stauden ringsumher hat ein Bock seinen Zorn ausgelassen und die Erlen- und Weidenbüsche haben es arg büßen müssen. Den würde ich mir allzu gerne mal anschauen. Vielleicht kann ich ihn heute mit dem Blatten betören. Drüben beim Nachbarn, beim Baron, sehe ich weit entfernt ein Reh wie suchend durch die Wiesen streifen. Das könnte doch ein Bock sein. Und tatsächlich, das Glas bestätigt meine Hoffnung. Doch er ist noch zu fern für meine verlockende Musik.
„Ach was, ich probier’s einfach!“
Und beherzt blase ich auf mein straff gespanntes Buchenblatt, was das Zeug hält.
„Hurra, er wirft auf!“
Und noch einmal ertönt überlautes Angstgeschrei einer bedrängten Rehgeiß. Da stürmt er schon heran, von wilder Eifersucht getrieben.
„Teufel, Teufel, was bin ich für ein toller Lock-Jäger!“
Doch kurz vor dem kleinen Bach, der die Reviergrenze bildet, stoppt er. Noch ist er beim Nachbarn. Innerlich flehe ich:
„So komm doch herüber!“
Ganz glatte, engstehende, hohe Spieße sind seine Wehr. Jetzt wendet er sich, er möchte wohl wieder zurück. Da wage ich ein zartes, flehendes Fiepen. Und mit einem Sprung setzt der Getäuschte über den Bach. Längst habe ich den Hahn meines Drillings aufgezogen. Wieder verhofft er, jetzt herüben in unserem Revier. Über Kimme und Korn nehme ich Maß, und der Schuss peitscht hinaus. Doch was ist das? Der Beschossene steht wie eine Scheibe. Schnell eine neue Patrone in den Lauf! Den Hahn aufgezogen und – peng! Keine Reaktion! „Herrschaftszeiten, da soll doch der schwarze Samiel dreinfahren!“
Langsam zieht der Bock ein paar Stechschritte weiter und steht wieder wie gemauert. Jetzt aber schnell! Ich fummle eine neue Patrone aus der Tasche, die leere Hülse fällt rasselnd durch die Äste in das Brennnesseldickicht am Boden. Ja, ist denn der taub? Nach dem dritten Schuss wird es ihm dann doch zu mulmig und mit weiten, hohen Fluchten springt er ab. „Sakradi!“ Doch nicht zurück, wo er hergekommen ist, sondern in unser Revier hinein. Jetzt bleibt er nochmals verhoffend stehen, äugt misstrauisch zu dem Donnerbaum zurück. Verzweifelt habe ich wieder nachgeladen. Eigentlich ist er schon viel zu weit, doch mir ist das jetzt ganz egal. Diopter hochstellen, etwas höher gehe ich ins Ziel, und auf den sorgfältig aufs Blatt gezielten Schuss haut es den Enggestellten wie vom Blitz erschlagen zusammen. Zuerst blicke ich erstaunt auf mein Feuerrohr, dann bricht Jubel aus mir heraus.
„Ich bin der Größte, ein wahrer Meisterschütze!“
Dass ich auf diese Entfernung noch treffen konnte! Ich könnte mir selbst auf die Schulter klopfen.
Jetzt hält mich nichts mehr auf meinem luftigen Sitz. Erst lasse ich an der Schnur, mit der ich ihn auch heraufgezogen habe, den Drilling zu Boden gleiten. Dann klettere ich durch’s Geäst hinab, schnappe mir meine Wunderwaffe und muss mich beherrschen, um nicht zu meiner Beute hinzurennen. Diesen Meisterschuss muss ich mir doch gleich anschauen, um meine Heldentat so recht genießen zu können. Doch wie ich dann den Erlegten auch drehe und wende, weder links noch rechts ist auf dem Blatt ein Schussmal zu finden. Da fällt mein Blick, als ich das Gwichtl anschauen will, auf einen winzigen, schweißigen Fleck unterhalb des Hauptes: Die Kugel hatte den Bock genau am ersten Halswirbel getroffen. „Na bravo!“ sage ich mir. Etwas ratlos kratze ich mir den Kopf: „Wie soll ich das nur jemandem erklären?“
Nun, um das verständlich zu machen, muss ich ein wenig ausholen.
Meine Familie hatte einen Freund und Nachbarn, dessen verstorbener Vater Jäger war. Der hatte vor Kriegsende seine wertvollen Waffen, wie so viele andere Jäger auch, eingegraben, um sie vor der „Befreiung“ durch die Besatzer zu retten. Die weniger wertvollen Stücke gab man dann als braver Bürger den Amerikanern, denn einem Jäger hätte man nicht geglaubt, dass er gar nichts abzugeben hat. Anfang der Fünfzigerjahre, als die Deutschen ihr Jagdrecht zurückerhielten, wurden dann auch, o Wunder, die verschwundenen Waffen „exhumiert“ und „wiedergefunden“. Die Bedrohung durch die Todesstrafe auf Waffenbesitz war aufgehoben worden.
Dieser väterliche Freund war selber kein Jäger. Er hatte aber solche Freude an meiner und meines Bruders Jagdbegeisterung, dass er uns großzügig den Drilling seines Vaters schenkte.
Die Waffe stammte aus einer angesehenen Ulmer Werkstatt. Sie hatte eine herrliche Gravur und außen liegende Hähne. Das Schrotkaliber war 16/65 und als Kugel die alte Försterpatrone 9,3 x 72 R. Der Schaft war aus herrlich wolkigem Wurzelholz und hatte an der Unterseite ein Schaftmagazin für fünf Kugelpatronen. Dies hatte die gleiche edle Gravur in verschlungenen Arabesken wie auch die Seitenplatten. Auf dem Laufbündel befand sich ein Diopter, der für weite Schüsse hochgestellt werden konnte. Außen war die Waffe noch in tadellosem Zustand, aber, oh Weh, wie sahen die Läufe innen aus?! Der Kugellauf war noch einigermaßen in Ordnung, doch die Schrotläufe hatten arg gelitten. Der alte Herr hatte es wohl sehr eilig mit der „Bestattung“ gehabt, und nur die öligen Lappen außen um die Waffe hatten das Schlimmste verhindert. Wir haben ihr mit viel Liebe und Ballistol zu neuem Glanz verholfen, doch bei Rostnarben, wenn sie sich einmal eingefressen haben, kommt Öl zu spät.
Wir waren jedoch selig, ein eigenes Gewehr zu haben, dessen Einsatz wir uns nun brüderlich teilten.
Mit im „Grab“ der Wiedergekehrten befanden sich auch etliche Schachteln mit Kugelpatronen. Die Messinghülsen und die Bleiköpfe der Teilmantelgeschosse waren arg oxydiert. Die haben wir Stück für Stück aufpoliert, bis sie fast wie neu aussahen.
Die Probeschüsse konnten wir in einem Revier machen, das wir, als wär’s unser eigenes, betrachten durften. Wie es dazu kam, muss ich wohl an dieser Stelle einfügen.
Ein in unseren Augen „alter Herr“, er mochte damals vielleicht fünfundfünfzig Jahre gezählt haben, wurde durch glücklichen Zufall auf die glühende Jagdpassion von uns zwei Brüdern aufmerksam.
Ein landschaftlich vielseitiges Revier, mit Wald, Feldern, Wiesen und einem lauschigen, sich durch die Wiesen schlängelnden Bach, welches mehr als tausendfünfhundert Hektar groß war, bejagte er allein. Der Mann, an dieser Stelle verdient er es, dass sein Name festgehalten wird, Heinz Hobbhahn, war gebürtiger Ägypter mit deutschem Vater. In seiner Jugend in Ägypten ging er viel auf die Jagd. Doch weil es dort wenig Schalenwild gibt, so wurde er durch das reichlich vorhandene Flugwild ein begeisterter Flintenjäger. Rehe waren für ihn weitgehend uninteressant.
Für uns eröffnete sich ein Paradies. Den gesamten Rehwildabschuss überließ er uns, nachdem wir miteinander näher bekannt geworden waren und er über Zugang zu unserem Elternhaus Vertrauen in uns setzen konnte. Doch eine Bedingung knüpfte er an unser gemeinsames Jagen: Hasen, Hühner und Enten durften wir nur zusammen mit ihm bejagen. Dazu brauchte er uns zwar auch, doch noch eher unseren Hund. Wir hatten aus eigener Zucht einen, damals bereits mit ersten Preisen auf Prüfungen, wie Derby und Solms prämierten Deutsch-Kurzhaar Rüden, Birko v. d. Achenburg. Das Revier lag ca. 12 km von unserem Wohnhaus entfernt. Jeden Weg dorthin legten wir nur per Rad zurück, und der Rüde trabte flott nebenher.
Hobbhahn hatte nur einen uralten, gichtigen, aber heißgeliebten Dackel. Dieser kleine Kerl war das Ein und Alles für das kinderlose Ehepaar. Nur leider hatte er, sicher durch Süßigkeiten, vollkommen kaputte Zähne, die unsäglich faulig stanken. Immer wenn ich bei Hobbhahns im Hause war, krabbelte der alte Hund, der an mir einen „Narren gefressen“ hatte, auf meinen Schoß. Ich musste Freude an dem alten Liebling mimen und seine unbeschreiblichen Ausdünstungen ertragen. Ein Kind des Hauses darf man doch nicht verstoßen! Und mein Herz gehört ohnedies den Hunden. Dieser liebe, väterliche Freund gewährte uns freie Entscheidungen in seinem Revier, die es wohl nirgends sonst gab. Dafür bekamen wir aber viele gutgemeinte Ratschläge und Weisheiten seines Lebens mit auf den Weg.
Es war eine seiner gern zitierten Ermahnungen, die er uns mit Augenrollen und erhobenem Zeigefinger wieder und wieder ans Herz legte: „Buuben, der Woold hat Auugen!“ Der Gute wollte uns damit warnen, dass wir nicht mit irgendwelchen Mädels im...
Erscheint lt. Verlag | 21.10.2014 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur |
ISBN-10 | 3-7020-1498-5 / 3702014985 |
ISBN-13 | 978-3-7020-1498-8 / 9783702014988 |
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