Die dritte Stimme (eBook)

Spiegel-Bestseller
Kriminalroman

****

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2014 | 1. Auflage
544 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-12318-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die dritte Stimme -  Rolf Börjlind,  Cilla Börjlind
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Der zweite Fall für Olivia Rönning und Tom Stilton
Marseille: In einem Naherholungsgebiet wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Sie wurde brutal ermordet. Man weiß nicht viel über sie - nur dass sie in einem Zirkus ganz in der Nähe gearbeitet hat. Zur selben Zeit in Stockholm: In seinem Haus in Rotebro erhängt sich der Zollbeamte Bengt Sahlmann. Schnell findet die Polizei heraus, dass es sich nicht um einen Selbstmord gehandelt hat - obwohl alles darauf hindeutete.

Zwei Fälle, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Zwei Morde, an deren Aufklärung Polizeianwärterin Olivia Rönning und der ehemalige Kriminalkommissar Tom Stilton ein jeweils ganz privates Interesse haben ...

Cilla und Rolf Börjlind gelten als Schwedens wichtigste und bekannteste Drehbuchschreiber für Kino und Fernsehen. Ihre Serie um Polizistin Olivia Rönning und Kommissar Tom Stilton wurde sehr erfolgreich für das ZDF verfilmt. 'Wundbrand' und 'Kaltes Gold' standen wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Die Kriminalromane sind internationale Bestseller und erscheinen in 30 Ländern.

Aus dem Bauch meiner ermordeten Mutter geschnitten.«

Olivia quälte sich selbst, Tag und Nacht, schwarze, eklige Gedanken beherrschten ihre Nächte, tagsüber blieb sie für sich.

Das ging eine ganze Weile so.

Das ging so, bis sie mehr oder weniger apathisch wurde.

Bis es nicht mehr ging.

Eines Morgens schlug der Überlebensinstinkt zu und zerrte sie zurück in die Welt.

Da fasste sie einen Entschluss.

Sie wollte das letzte Semester auf der Polizeihochschule beenden, ihren Anwärterdienst ableisten und die Ausbildung zur Polizistin beenden. Anschließend würde sie ins Ausland reisen. Sie würde sich nicht um eine feste Stelle bewerben. Sie würde verschwinden, weit weg, und versuchen, in Kontakt mit der Person zu kommen, die sie gewesen war, bevor sie zur Tochter zweier ermordeter Elternteile geworden war.

Wenn das möglich war.

Sie führte ihre Pläne aus, lieh sich Geld von einem Verwandten und fuhr im Juli los.

Allein.

Zuerst nach Mexiko, ins Heimatland ihrer ermordeten Mutter, an unbekannte Plätze mit unbekannten Menschen und einer fremden Sprache. Sie reiste mit leichtem Gepäck, einem braunen Rucksack und einer Karte, sie hatte keinen Plan und kein Ziel. Alle Orte waren neu, und sie war ein Niemand. So konnte sie sich selbst in ihrem eigenen Takt begegnen. Niemand sah, wenn sie weinte, niemand wusste, warum sie plötzlich an einem Flusslauf niedersank und das lange schwarze Haar eine Weile in der Strömung mitschwimmen ließ.

Sie lebte in ihrem eigenen Universum.

Vor der Reise hatte sie vage daran gedacht, ob sie nicht versuchen sollte, die Herkunft ihrer Mutter herauszufinden, vielleicht irgendwelche Verwandten aufspüren, doch bald sah sie ein, dass sie viel zu wenig wusste, um überhaupt irgendwo anzufangen.

Also stieg sie in einem kleinen Ort in den Bus und stieg in einem noch kleineren Ort wieder aus.

Nach gut drei Monaten landete sie in Cuatro Cienegas.

Sie nahm ein Zimmer im Xipe Totec, dem Hotel des gehäuteten Gottes, am Rande der kleinen Stadt. In der Dämmerung ging sie barfuß auf den schönen Markt im Zentrum, es war ihr fünfundzwanzigster Geburtstag, und sie wollte unter Leute. Bunte Lampions hingen in den Platanen, um jeden Baum scharten sich kleine Gruppen von Jugendlichen, junge Mädchen in bunten Kleidern und junge Männer, den Schritt mit Taschentüchern ausgepolstert. Sie lachten. Die Musik aus den Bars vermischte sich mit den Geräuschen des Marktes, die Esel standen ruhig am Springbrunnen, viele sonderbare Düfte zogen durch die Luft.

Sie saß wie eine Fremde auf der Bank und fühlte sich vollkommen sicher.

Nach einer Stunde ging sie zurück ins Hotel.

Der Abend war immer noch warm, als sie sich auf eine Holzveranda setzte, mit Blick auf die weitgestreckte Chihuahuawüste, der schrille Gesang der Zikaden vermengte sich mit klappernden Pferdehufen in der Ferne. Sie hatte sich gerade mit einem kalten Bier selbst zugeprostet und überlegte, ob sie noch eines trinken sollte. Da passierte es. Zum ersten Mal. Sie spürte etwas festen Boden unter den Füßen.

Ich sollte meinen Nachnamen ändern, dachte sie.

Schließlich bin ich Halbmexikanerin. Ich sollte den Namen meiner Mutter annehmen. Sie hieß Adelita Rivera. Ich werde meinen Nachnamen von Rönning in Rivera ändern.

Olivia Rivera.

Sie schaute auf die Wüste hinaus. Natürlich, dachte sie, damit muss ich anfangen. Ganz einfach. Dann drehte sie sich um, hielt ihre leere Bierflasche hoch und warf einen Blick in die Bar. Gleich würde sie eine neue bekommen.

Die sie dann als Olivia Rivera trinken würde.

Wieder schaute sie über die Wüste, sah, wie der leichte Wind ein paar trockene Büsche über den heiß flimmernden Boden rollte, sie sah eine grünschwarze Eidechse auf einen dreiarmigen gezackten Saguarokaktus klettern, sie sah, wie ein paar lautlose Raubvögel dem glühenden Horizont entgegenflogen, und plötzlich fing sie an zu lachen, einfach so, ohne jeden Grund. Zum ersten Mal seit dem Spätsommer des letzten Jahres fühlte sie sich fast glücklich.

So einfach war das!

In der Nacht schlief sie mit Ramón, dem jungen Barkeeper, der ein wenig lispelte, als er sie höflich fragte, ob sie Liebe machen wolle.

Sie war fertig mit Mexiko. Die Reise hatte sie an den Punkt geführt, an den sie hatte kommen müssen. Das nächste Ziel war Costa Rica und dort die Stadt Mal Pais, der Ort, an dem ihr biologischer Vater ein Haus gehabt hatte. Er hatte sich dort Dan Nilsson genannt, obwohl er eigentlich Nils Wendt hieß.

Er hatte ein Doppelleben geführt.

Während der Reise fasste sie ein ganzes Bündel an Beschlüssen, alle dem Namen Olivia Rivera entsprungen. Aus der spürbaren Kraft, die ihr der neue Nachname gab.

Ein Entschluss: die Polizeikarriere wollte sie auf Eis legen und stattdessen Kunstgeschichte studieren. Adelita war Künstlerin gewesen und hatte wunderschöne Teppiche gewebt, vielleicht konnten sie so auf irgendeine Art und Weise in Kontakt kommen.

Ein anderer und noch weitreichenderer Entschluss betraf ihr Verhalten: von dem Augenblick an, in dem sie wieder schwedischen Boden betreten würde, wollte sie ihren eigenen Weg gehen. Sie war von den Menschen, denen sie vertraut hatte, enttäuscht worden. Sie war naiv und offen gewesen und hatte eine Handgranate ins Herz geworfen bekommen. So einer Situation wollte sie sich nicht wieder aussetzen. Ab jetzt wollte sie nur einem einzigen Menschen vertrauen.

Olivia Rivera.

Es war bereits Nachmittag, als sie am Strand der Nicoya-Halbinsel in Costa Rica aus dem Meer kam. Ihr langes schwarzes Haar fiel ihr über die tiefbraunen Schultern, sie war inzwischen seit vier Monaten in der tropischen Sonne gewesen. Sie lief den leeren Strand hinauf und warf sich ein Handtuch über die Schultern, eine grüne Kokosnuss rollte in der Uferbrandung hin und her, sie wandte sich dem Meer zu und wusste, sie musste das Ganze noch einmal durchgehen.

Hier und jetzt.

»Aus dem Bauch meiner ermordeten Mutter geschnitten.«

Das Bild tauchte erneut vor ihrem inneren Auge auf. Der Strand, die Frau, der Mond. Der Mord. Ihre Mutter war von einer Springflut ertränkt worden, eingegraben an einem Strand auf Nordkoster. Bevor ich geboren war, dachte Olivia, sie starb, bevor ich geboren wurde.

Sie hat mich nie sehen können.

Jetzt stand sie selbst an einem ganz anderen Strand und versuchte den Gedanken, nie im Blick der eigenen Mutter gewesen zu sein, zu akzeptieren, und das war schwerer, als es nur zu verstehen.

Ungesehen geboren zu werden.

Sie schaute auf das Meer vor sich, der Ozean erstreckte sich bis zum flammend gelbroten Horizont. Bald würde die Dämmerung einsetzen. Eine leichte Brandung rollte ans Land, weiche, warme Wellen überspülten ihre Füße, weit draußen konnte sie eine Gruppe dunkler Köpfe erkennen, die auf der Wasseroberfläche schaukelten.

Sie zog sich ihr dünnes weißes Kleid über und machte sich auf den Weg.

Kleine grauweiße Krebse verschwanden in ihren Sandlöchern, als sie vorbeiging, das Wasser wischte die Fußspuren hinter ihr aus. Sie war fast eine Stunde den Strand entlanggegangen, langsam, von Santa Teresa bis hierher, zu den Klippen von Mal Pais. Sie wusste, was kommen würde, dass die Bilder und Gedanken wieder aufgerissen werden würden.

Hier und jetzt.

Das war ja Sinn des Spaziergangs gewesen.

Sie wollte sich wieder in den Schmerz fallen lassen, ein letztes Mal, sie wollte bereit sein. In wenigen Minuten würde sie einen Mann treffen, der sie noch näher an ihre geheimnisvolle Vergangenheit heranführen würde.

Der Mann saß auf dem langen Baumstamm am Ufer. Er war 74 Jahre alt und hatte sein ganzes Leben lang hier in der Gegend gelebt. Früher hatte ihm eine Bar in Santa Teresa gehört, jetzt saß er meist auf der Veranda seines sonderbaren Hauses und trank Rum. Er hatte mit fast allem abgeschlossen. Als sein geliebter Freund vor einigen Jahren gestorben war, verschwand damit das Letzte, was die Lebensflamme noch am Leben gehalten hatte, jetzt war nicht mehr viel davon übrig. Einatmen und ausatmen, früher oder später war es zu Ende. Doch er beklagte sich nicht. Er hatte ja seinen Schnaps. Und seine Vergangenheit. Viele Menschen waren im Laufe seines Lebens gekommen und gegangen, einige davon waren in seiner Erinnerung haften geblieben. Zwei davon waren Adelita Rivera und Dan Nilsson.

Und jetzt sollte er ihre Tochter kennenlernen.

Eine Tochter, die ihren Eltern niemals begegnet war.

Er bereute, nicht einen ordentlichen Schluck Rum getrunken zu haben, bevor er zum Strand gegangen war.

Olivia sah ihn bereits von weitem. Sie wusste ungefähr, wie er aussah, das hatte Abbas el Fassi ihr erzählt. Doch ganz sicher konnte sie nicht sein. Sie blieb ein Stück entfernt stehen und wartete darauf, dass der Mann aufschaute.

Doch das tat er nicht.

»Rodriguez Bosques?«

»Bosques Rodriguez. Bosques ist der Vorname. Du bist Olivia?«

»Ja.«

Jetzt schaute Bosques auf. Als seine alten schmalen Augen Olivias Gesicht erreichten, zuckte es in ihnen. Nicht sehr, doch es genügte, dass Olivia einen deutlichen Flashback hatte: Genauso hatte Nils Wendt reagiert, als er sie in einer Hüttentür auf Nordkoster im vergangenen Jahr gesehen hatte, ohne zu ahnen, wer sie war. Und schon gar nicht, dass sie seine Tochter und die von Adelita Rivera war. Auch Olivia hatte keine Ahnung gehabt, wer der Mann in der Tür war, und...

Erscheint lt. Verlag 10.11.2014
Reihe/Serie Die Rönning/Stilton-Serie
Die Rönning/Stilton-Serie
Übersetzer Christel Hildebrandt
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Den tredje rösten
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte eBooks • Kommissar Beck • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Olivia Rivera • Olivia Rönning • Schweden • Schweden, Stockholm, Marseille • Stockholm • Stockholm, Marseille, Olivia Rönning, Tom Stilton, Olivia Rivera, Schweden, Abbas • Stockholm, Olivia Rönning, Tom Stilton, Olivia Rivera, Schweden, Abbas, Kommissar Beck • Stockholm, Olivia Rönning, Tom Stilton, Olivia Rivera, Schweden, Kommissar Beck • Tom Stilton
ISBN-10 3-641-12318-6 / 3641123186
ISBN-13 978-3-641-12318-5 / 9783641123185
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