Der Circle (eBook)
560 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30820-4 (ISBN)
Dave Eggers, geboren 1970, ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren. Sein Roman »Der Circle« war weltweit ein Bestseller. Sein Werk wurde mit zahlreichen literarischen Preisen ausgezeichnet. Der Roman »Ein Hologramm für den König« war nominiert für den National Book Award, für »Zeitoun« wurde ihm u.a. der American Book Award verliehen. Dave Eggers stammt aus Chicago und lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Nordkalifornien.
Dave Eggers, geboren 1970, ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren. Sein Roman »Der Circle« war weltweit ein Bestseller. Sein Werk wurde mit zahlreichen literarischen Preisen ausgezeichnet. Der Roman »Ein Hologramm für den König« war nominiert für den National Book Award, für »Zeitoun« wurde ihm u.a. der American Book Award verliehen. Dave Eggers stammt aus Chicago und lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Nordkalifornien. Ulrike Wasel geb. 1955 in Bergneustadt. Magisterstudium: Anglistik, Amerikanistik, Romanistik. Ulrike Wasel und Klaus Timmermann entdeckten noch während des Studiums die Freude am gemeinsamen Übersetzen und beschlossen nach dem Examen, den Sprung in das Leben als Literaturübersetzer zu wagen. Nach ersten nebenberuflichen Anfängen im Bereich der Kriminalliteratur arbeiten wir seit 1991 hauptberuflich als literarische Übersetzer und sind für zahlreiche namhafte Verlage tätig. Nach nunmehr fast fünfundzwanzigjähriger Berufserfahrung blicken wir auf ein breites und buntes Spektrum übersetzter Titel zurück, das sich vom erfolgreichen Bestseller bis zum "Nischensachbuch" erstreckt. 2012 wurden wir gemeinsam mit dem Autor Dave Eggers für unsere Übersetzung seines Roman Zeitoun mit dem internationalen Albatros-Literaturpreis der Günther-Grass-Stiftung Bremen ausgezeichnet. Klaus Timmermann geb. 1955 in Bocholt. Lehramtsstudium Sek. II: Englisch, Französisch. Klaus Timmermann und Ulrike Wasel entdeckten noch während des Studiums die Freude am gemeinsamen Übersetzen und beschlossen nach dem Examen, den Sprung in das Leben als Literaturübersetzer zu wagen. Nach ersten nebenberuflichen Anfängen im Bereich der Kriminalliteratur arbeiten wir seit 1991 hauptberuflich als literarische Übersetzer und sind für zahlreiche namhafte Verlage tätig. Nach nunmehr fast fünfundzwanzigjähriger Berufserfahrung blicken wir auf ein breites und buntes Spektrum übersetzter Titel zurück, das sich vom erfolgreichen Bestseller bis zum "Nischensachbuch" erstreckt. 2012 wurden wir gemeinsam mit dem Autor Dave Eggers für unsere Übersetzung seines Roman Zeitoun mit dem internationalen Albatros-Literaturpreis der Günther-Grass-Stiftung Bremen ausgezeichnet.
»Es tut mir leid.«
Mae konnte ihn nicht ansehen.
»Mae. Sorry. Ich versteh nicht, warum du so sauer bist.«
Sie wollte ihn nicht in ihrer Nähe haben. Sie saß wieder an ihrem Schreibtisch, und er war ihr dorthin gefolgt, ragte vor ihr auf wie ein Aasvogel. Sie würdigte ihn keines Blickes, weil sie, abgesehen davon, dass sie ihn verachtete und sein Gesicht schwach und seine Augen verschlagen fand, abgesehen davon, dass sie sicher war, das jämmerliche Gesicht nie wiedersehen zu müssen, zu arbeiten hatte. Die Nachmittagsschleuse war geöffnet worden, und die Flut war heftig. »Wir können später miteinander reden«, sagte sie zu ihm, sie hatte nicht die Absicht, je wieder mit ihm zu reden, weder an dem Tag noch an irgendeinem anderen. Diese Gewissheit hatte etwas Erleichterndes.
Schließlich ging er, zumindest sein physisches Selbst ging, doch er tauchte im Minutentakt auf ihrem dritten Bildschirm auf und flehte um Vergebung. Er sagte, er wisse, dass er sie nicht damit hätte überrumpeln dürfen, aber Gus hatte darauf bestanden, dass es eine Überraschung sein musste. Er schickte den ganzen Nachmittag über vierzig oder fünfzig Nachrichten, in denen er sich entschuldigte, ihr sagte, was für ein Riesenerfolg das gewesen sei, dass es noch besser gewesen wäre, wenn sie auf die Bühne gekommen wäre, weil die Leute geklatscht hatten, damit sie sich blicken ließ. Er versicherte ihr, dass alles, was auf dem Bildschirm gewesen war, öffentlich zugänglich sei, nichts davon irgendwie peinlich, da es sich ja schließlich um eine Auswahl von Sachen handelte, die sie selbst gepostet hatte.
Und Mae wusste, dass das alles stimmte. Sie war nicht wütend über die Enthüllung ihrer Allergien. Oder ihrer Lieblingsrestaurants. Sie gab diese Informationen seit vielen Jahren ungeniert preis, und gerade das – ihre Vorlieben preiszugeben und über die anderer zu lesen – mochte sie an ihrem Onlineleben.
Also was hatte sie an Gus’ Präsentation so beschämend gefunden? Sie konnte es nicht genau sagen. War es bloß die Überrumpelung? War es die Punktgenauigkeit der Algorithmen? Vielleicht. Aber andererseits, es war nicht absolut genau gewesen, also war das vielleicht das Problem? Dass eine Matrix von Vorlieben als dein Wesenskern präsentiert wurde, als dein Ganzes? Vielleicht war es das. Es war eine Art Spiegel, aber er war unvollständig, verzerrt. Und wenn Francis irgendwelche dieser Informationen oder alle haben wollte, wieso konnte er sie nicht einfach fragen? Trotzdem erschienen den ganzen Nachmittag Gratulationsnachrichten auf ihrem dritten Bildschirm.
Du bist super, Mae.
Gute Arbeit, Neuling.
Für dich also kein Glück auf dem Rücken der Pferde. Wie wär’s mit Lamas?
Sie kämpfte sich durch den Nachmittag und bemerkte ihr blinkendes Handy erst nach fünf. Sie hatte drei Anrufe ihrer Mutter verpasst. Als sie die Mailbox abhörte, waren alle Nachrichten gleich: Komm schnell.
Während sie über die Hügel und durch den Tunnel Richtung Osten fuhr, rief sie ihre Mom an, die ihr die Einzelheiten schilderte. Ihr Vater hatte einen Krampfanfall gehabt und war ins Krankenhaus gebracht worden, wo er über Nacht zur Beobachtung bleiben sollte. Mae sollte direkt dort hinfahren, aber als sie ankam, war er nicht mehr da. Sie rief ihre Mutter an.
»Wo ist er?«
»Zu Hause. Tut mir leid. Wir sind gerade erst zurückgekommen. Ich hatte nicht gedacht, dass du so schnell kommen würdest. Es geht ihm gut.«
Also fuhr Mae zu ihren Eltern nach Hause, aber als sie ankam, atemlos und wütend und ängstlich, sah sie Mercers Toyota-Pick-up in der Einfahrt stehen und wäre fast durchgedreht. Sie wollte ihn nicht hier haben. Es machte eine an sich schon schlimme Szene nur noch komplizierter.
Sie öffnete die Tür und sah nicht ihre Eltern, sondern Mercers riesige, unförmige Gestalt. Er stand in der Diele. Jedes Mal, wenn sie ihn nach einer Weile wiedersah, erschrak sie, wie dick er war, wie feist. Sein Haar war jetzt länger, was ihn noch massiger erscheinen ließ. Sein Kopf verschluckte alles Licht.
»Hab dein Auto gehört«, sagte er. Er hatte eine Birne in der Hand.
»Wieso bist du hier?«, fragte sie.
»Sie haben mich angerufen, damit ich helfe«, sagte er.
»Dad?« Sie lief an Mercer vorbei ins Wohnzimmer. Dort lag ihr Vater ausgestreckt auf der Couch und guckte Baseball im Fernsehen.
Er drehte den Kopf nicht, schaute aber in ihre Richtung. »Hey, Schatz. Hab dich da draußen gehört.«
Mae setzte sich auf den Couchtisch und nahm seine Hand. »Geht’s dir besser?«
»Ja. Hab bloß einen Schreck bekommen, mehr nicht. Es fing heftig an und wurde dann allmählich wieder schwächer.« Fast unmerklich schob er den Kopf vor, um an ihr vorbeizusehen.
»Versuchst du gerade, das Spiel zu gucken?«
»Neuntes Inning«, sagte er.
Mae rückte aus dem Weg. Ihre Mutter kam ins Zimmer. »Wir haben Mercer angerufen, damit er hilft, deinen Vater ins Auto zu schaffen.«
»Ich wollte keinen Krankenwagen«, sagte er, noch immer den Blick auf den Fernseher gerichtet.
»Es war also ein Krampfanfall?«, fragte Mae.
»Sie wissen es nicht genau«, sagte Mercer von der Küche aus.
»Kann ich die Antwort bitte von meinen Eltern hören?«, rief Mae.
»Mercer war meine Rettung«, sagte ihr Vater.
»Wieso habt ihr mir nicht Bescheid gegeben, dass es nicht so ernst war?«, fragte Mae.
»Es war ernst«, sagte ihre Mutter. »Da hab ich dich angerufen.«
»Aber jetzt guckt er Baseball.«
»Jetzt ist es nicht mehr so ernst«, sagte ihre Mutter, »aber eine Weile wussten wir nicht genau, was los war. Da haben wir Mercer angerufen.«
»Er hat mir das Leben gerettet.«
»Ich glaube nicht, dass Mercer dir das Leben gerettet hat, Dad.«
»Ich meine nicht, dass ich beinahe gestorben wäre. Aber du weißt doch, wie ich den ganzen Zirkus hasse mit den Rettungssanitätern und den Sirenen und dass die Nachbarn alles mitkriegen. Wir haben einfach Mercer angerufen, fünf Minuten später war er hier, hat mir ins Auto geholfen, mich ins Krankenhaus gebracht, und das war’s. Eine Riesenhilfe.«
Mae schäumte vor Wut. Sie war in blanker Panik zwei Stunden gefahren, um ihren Vater gemütlich auf der Couch liegend vorzufinden, wo er sich Baseball im Fernsehen anschaute. Sie war zwei Stunden gefahren, um in ihrem Elternhaus ihren Ex vorzufinden, den gesalbten Helden der Familie. Und was war sie? Sie war überflüssig. Die Situation erinnerte sie an so vieles, was sie an Mercer nicht mochte. Er kam oft sehr nett rüber, sorgte aber auch dafür, dass jeder wusste, wie nett er war, und das machte Mae rasend, immerzu von seiner Nettigkeit hören zu müssen, von seiner Aufrichtigkeit, seiner Zuverlässigkeit, seiner grenzenlosen Empathie. Doch bei ihr war er reserviert gewesen, launisch, oft unerreichbar, wenn sie ihn brauchte.
»Möchtest du ein bisschen Brathähnchen? Mercer hat was mitgebracht«, sagte ihre Mutter, und Mae beschloss, dass das ein gutes Stichwort war, für ein paar Minuten in ihr altes Badezimmer zu gehen.
»Ich mach mich frisch«, sagte sie und ging nach oben.
Später, nachdem sie alle gegessen und noch mal über die Ereignisse des Tages gesprochen hatten, wobei Mae auch erfuhr, dass das Sehvermögen ihres Vaters dramatisch nachgelassen und sich auch das Taubheitsgefühl in seinen Händen verschlimmert hatte – Symptome, die normal und behandelbar oder zumindest ansatzweise behandelbar waren, wie die Ärzte sagten –, und nachdem ihre Eltern ins Bett gegangen waren, setzten sich Mae und Mercer in den Garten, wo der Rasen noch immer Hitze abstrahlte, genauso wie die Bäume und die regenverwitterten grauen Zäune um sie herum.
»Danke für deine Hilfe«, sagte sie.
»War kein Problem. Vinnie ist leichter, als er es mal war.«
Mae hörte das nicht gern. Sie wollte nicht, dass ihr Vater leichter war, einfach zu tragen. Sie wechselte das Thema.
»Wie läuft das Geschäft?«
»Richtig gut. Richtig gut. Ich musste sogar letzte Woche einen Lehrling einstellen. Ist das nicht irre? Ich hab einen Lehrling. Und dein Job? Super?«
Mae war verblüfft. Mercer war selten so überschwänglich.
»Ja, wirklich super.«
»Schön. Schön zu hören. Ich hab gehofft, dass es gut läuft. Und, was machst du genau, programmieren oder so?«
»Ich bin in der CE. Customer Experience. Ich kümmere mich zurzeit um Werbekunden. Moment. Ich hab da neulich was über deinen Kram gesehen. Ich hab deinen Kundenblog aufgerufen, und da war so ein Kommentar von jemandem, der eine beschädigte Lieferung erhalten hat. Der Typ war stocksauer. Ich nehme an, du hast das gelesen.«
Mercer atmete theatralisch aus. »Hab ich nicht.« Er zog ein mürrisches Gesicht.
»Keine Sorge«, sagte sie. »Das war bloß irgendein Spinner.«
»Und jetzt hab ich’s im Kopf.«
»Mach mir doch keinen Vorwurf. Ich hab bloß –«
»Du hast mich bloß darauf aufmerksam gemacht, dass da draußen ein Verrückter ist, der mich hasst und meinem Geschäft schaden will.«
»Es gab auch andere Kommentare, und die meisten davon waren nett. Einer war sogar richtig witzig.« Sie fing an, in ihrem Handy zu blättern.
»Mae. Bitte. Ich bitte dich, es mir nicht vorzulesen.«
»Ich hab’s: ›Und für den Scheiß sind die ganzen armen Hirschgeweihe gestorben?‹«
»Mae, ich hatte dich gebeten, es nicht vorzulesen.«
»Was denn? Das ist doch witzig!«
»Was muss ich tun, damit du meine Wünsche respektierst?«
Das war der Mercer, den Mae in...
Erscheint lt. Verlag | 14.8.2014 |
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Übersetzer | Ulrike Wasel, Klaus Timmermann |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 1984 • Brave New World • Dave Eggers • Digitalisierung • Ein Hologramm für den König • Emma Watson • Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig? • Facebook-Social-Media • Folgen • Google-Digitalisierung • Huxley • Internet • Kino-Film 2017 • Netzwerk • Orwell • Orwell 1984 - Huxley Brave New World - Gattaca • Schöne neue Welt • Silicon Valley • Soziale Netzwerke • SPIEGEL-Bestseller • Technologie-Entwicklung • The Circle • Tom Hanks - Emma Watson • Transparenz • Überwachung • USA-Kalifornien • Weit gegangen • Zeitoun |
ISBN-10 | 3-462-30820-3 / 3462308203 |
ISBN-13 | 978-3-462-30820-4 / 9783462308204 |
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