Schall und Wahn (eBook)

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2014 | 1. Auflage
384 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-03731-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schall und Wahn -  William Faulkner
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«Es ist dasjenige meiner Bücher», schrieb der spätere Nobelpreisträger, «das ich am meisten liebe.» «Schall und Wahn» ist William Faulkners wichtigstes Werk, einer der größten Texte der amerikanischen Moderne, vielleicht des modernen Erzählens überhaupt. Seit dem ersten Erscheinen im Jahr 1929 hat die Geschichte der Familie Compson nichts von ihrer Frische, ihrer Wut, ihrer kompromisslosen Originalität eingebüßt. Faulkner verfolgt das Schicksal der Compson-Brüder über drei Jahrzehnte - von Quentin über Benjy bis hin zu Jason, der das Erbe der vormals einflussreichen Familie für seine eigenen Zwecke missbraucht. Vergeblich versucht Dilsey, die schwarze Hausangestellte, die auseinanderdriftenden Charaktere zusammenzuhalten. Allein die 16-jährige Nichte, so scheint es, kann der untergehenden Dynastie mehr oder minder ungebrochen entkommen. In kraftvoller lyrischer Sprache entfaltet Faulkner ein breites Panorama des alten amerikanischen Südens: «Schall und Wahn» ist Abrechnung und Abgesang, ein ungeheuerlicher Familienroman, der das Komische wie das Tragische im umfassendsten Sinn einfängt und erlebbar macht. Fulminant neu übersetzt von Frank Heibert.

William Faulkner, am 25. September 1897 in Albany, Mississippi, als William Cuthbert Falkner geboren, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Neben seinem umfänglichen Werk, einer Chronik von Glanz und Verfall der Südstaaten, verfasste er Drehbücher, unter anderem zu Raymond Chandlers «The Big Sleep» und Ernest Hemingways «To Have and Have Not», beide unter der Regie von Howard Hawks. Faulkner wurde zweimal mit dem Pulitzer-Preis und dem O'Henry Award ausgezeichnet, erhielt den National Book Award und 1950 den Nobelpreis für Literatur. Er starb am 6. Juli 1962.

William Faulkner, am 25. September 1897 in Albany, Mississippi, als William Cuthbert Falkner geboren, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Neben seinem umfänglichen Werk, einer Chronik von Glanz und Verfall der Südstaaten, verfasste er Drehbücher, unter anderem zu Raymond Chandlers «The Big Sleep» und Ernest Hemingways «To Have and Have Not», beide unter der Regie von Howard Hawks. Faulkner wurde zweimal mit dem Pulitzer-Preis und dem O'Henry Award ausgezeichnet, erhielt den National Book Award und 1950 den Nobelpreis für Literatur. Er starb am 6. Juli 1962. Frank Heibert, geboren 1960 in Essen, ist Jazzmusiker und Übersetzer. Er übersetzt aus dem Englischen, Französischen, Italienischen und Portugiesischen, u. a. William Faulkner, Don DeLillo, Richard Ford, Yasmina Reza, Boris Vian und Aldo Busi. Frank Heibert, geboren 1960 in Essen, ist Jazzmusiker und Übersetzer. Er übersetzt aus dem Englischen, Französischen, Italienischen und Portugiesischen, u. a. William Faulkner, Don DeLillo, Richard Ford, Yasmina Reza, Boris Vian und Aldo Busi.

Schall und Wahn


Siebter April 1928.


Die waren am Schlagen, das hab ich gesehen, durch den Zaun zwischen den Stellen mit den Rankblumen. Sie sind auf die Flagge zu und ich am Zaun lang. Luster hat im Gras geschnofelt, wo der Blütenbaum stand. Sie haben die Flagge rausgezogen und weitergeschlagen. Dann die Flagge zurück und zu der flachen Stelle, und er hat geschlagen, und der andere hat geschlagen. Dann sind sie weiter, und ich am Zaun lang. Luster ist von dem Blütenbaum weg und wir am Zaun lang und sie blieben stehen und wir blieben stehen und ich hab durch den Zaun geschaut, während Luster im Gras geschnofelt hat.

«Hierher, Caddie.» Der schlug wieder. Sie gingen über die Weide weg. Ich hielt mich am Zaun fest und schaute ihnen nach.

«Hör sich das einer an», sagte Luster. «Bist mir einer, dreiunddreißig Jahre alt und führst dich so auf. Wo ich den ganzen Weg in die Stadt bin, nur dass du deinen Kuchen kriegst. Sei schon still mit dem Gestöhn. Willst mir nich helfen, den Quarter zu finden, dass ich heut Abend zum Jahrmarkt kann.»

Sie schlugen nur bisschen, über die Weide. Ich zurück am Zaun lang, wo die Flagge stand. Sie flappte vor dem hellen Gras und den Bäumen.

«Auf gehts», sagte Luster. «Bis da vorne langts schon. Dann kommt nix mehr. Gehen wir lieber runter zum Bach, den Quarter finden, bevor einer von den Niggern schneller ist.»

Die war rot, flappte auf der Weide. Dann kam da ein Vogel angeflogen, so schräg, und wippte drauf. Luster warf was. Die Flagge flappte vor dem hellen Gras und den Bäumen. Ich hielt mich am Zaun fest.

«Schluss mit dem Gestöhn», sagte Luster. «Wenn sie nich herkommen, kann ich sie nich zwingen, oder. Wenn du nich still bist, macht dir Mammy keinen Geburtstag für dich. Weißt doch, was ich mach, wenn du nich still bist, ich ess mir den Kuchen ganz allein auf. Und die Kerzen auch. Alle dreiunddreißig Kerzen ess ich mir auf. Komm, wir gehen runter zum Bach. Muss mein Quarter finden. Vielleicht finden wir auch ein von den Bällen von denen. Da. Da sind sie. Ganz da hinten. Schau.» Er kam an den Zaun und streckte den Arm aus. «Siehst die. Die kommen nich mehr her zu uns. Auf gehts.»

Wir am Zaun lang, bis wir am Gartenzaun waren, wo unsere Schatten lagen. Mein Schatten war größer auf dem Zaun als der von Luster. Wir kamen an die kaputte Stelle und gingen durch.

«Wart», sagte Luster. «Jetzt bist schon wieder an dem Nagel hängenblieben. Kannst nich ein Mal hier durchkriechen, ohne dass du an dem Nagel hängenbleibst.»

Caddy machte mich los, und wir krochen durch. Onkel Maury hat gesagt, keiner soll uns sehen, also bücken wir uns lieber durch, sagte Caddy. Bück dich durch, Benjy. Schau, so. Wir bückten uns durch und gingen quer durch den Garten, wo die Blumen an uns langkrabbelten und knisterten. Die Erde war hart. Wir kletterten über den Zaun, wo die Schweine am Grunzen und Schnüffeln waren. Die sind wohl traurig, weil eins von ihnen heute geschlachtet worden ist, sagte Caddy. Der Boden war hart, zerwühlt, verknubbelt.

Halt die Hände in den Taschen, sagte Caddy. Sonst hast du sie noch erfroren. Du willst doch keine erfrorenen Hände an Weihnachten, oder.

«Zu kalt da draußen», sagte Versh. «Da will kein Mensch rausgehn.»

«Was ist denn jetzt wieder», sagte Mutter.

«Er will rausgehn», sagte Versh.

«Lass ihn doch», sagte Onkel Maury.

«Es ist zu kalt», sagte Mutter. «Besser, er bleibt drin. Benjamin. Lass das sein.»

«Das wird ihm schon nicht schaden», sagte Onkel Maury.

«Du, Benjamin», sagte Mutter. «Wenn du dich nicht anständig benimmst, musst du in die Küche.»

«Mammy sagt, heut soll er aus der Küche bleiben», sagte Versh. «Sie sagt, sie muss die ganze Kocherei schaffen.»

«Lass ihn raus, Caroline», sagte Onkel Maury. «Sonst macht dich die Aufregung noch ganz krank.»

«Ich weiß», sagte Mutter. «Das ist Gottes Strafe für mich. Manchmal frag ich mich.»

«Ich weiß, ich weiß», sagte Onkel Maury. «Du musst deine Kräfte beisammenhalten. Ich mach dir einen Toddy.»

«Der regt mich nur noch mehr auf», sagte Mutter. «Das weißt du ganz genau.»

«Gleich gehts dir besser», sagte Onkel Maury. «Pack ihn gut ein, Boy, und geh ein bisschen mit ihm raus.»

Onkel Maury ging weg. Versh ging weg.

«Bitte sei still», sagte Mutter. «Wir tun doch alles, damit du so schnell wie möglich rauskommst. Aber du sollst nicht krank werden.»

Versh zog mir die Überschuhe und den Mantel an, wir nahmen meine Mütze und gingen raus. Im Esszimmer stellte Onkel Maury die Flasche in die Anrichte weg.

«Bleib mal eine halbe Stunde mit ihm draußen, Boy», sagte Onkel Maury. «Aber bleibt im Garten.»

«Jawohl, Sir», sagte Versh. «Wir lassen ihn keinmal vom Grundstück runter.»

Wir gingen nach draußen. Die Sonne war kalt und hell.

«Wo willst hin», sagte Versh. «Denkst ja wohl nich, in die Stadt.» Wir gingen durch das knackende Laub. Das Tor war kalt. «Halt die Hände in den Taschen», sagte Versh. «Die frieren dir am Tor fest, und was dann. Kannst gleich im Haus drin auf die warten.» Er steckte mir die Hände in die Taschen. Ich hörte ihn im Laub knacken. Ich roch, es war kalt. Das Tor war kalt.

«Hier, paar Hickorynüsse. Huiii. Und den Baum hoch. Schau dir mal die Eichkatz an, Benjy.»

Ich merkte das Tor gar nicht, aber die helle Kälte roch ich.

«Steck die Hände lieber wieder in die Taschen.»

Da lief Caddy. Dann rannte sie, und der Schulranzen mit den Büchern schwang und schlockerte hinter ihr herum.

«Hallo, Benjy», sagte Caddy. Sie öffnete das Tor, kam herein und beugte sich runter. Caddy roch wie Laub. «Bist du mir entgegengekommen», sagte sie. «Bist du Caddy entgegengekommen. Warum hat er so kalte Hände, hast du nicht aufgepasst, Versh.»

«Ich hab ihm gesagt, er soll sie in den Taschen lassen», sagte Versh. «Was hält er sich an dem Eisentor fest.»

«Bist du Caddy entgegengekommen», sagte sie und rieb meine Hände. «Was hast du. Was willst du Caddy sagen.» Caddy roch wie Bäume und so, wie wenn sie sagt, wir haben geschlafen.

Was soll das Gestöhn, sagte Luster. Kannst ihnen wieder zuschaun, wenn wir an den Bach kommen. Hier. Hier hast einen Stechapfel. Er gab mir die Blüte. Wir gingen durch den Zaun auf das Grundstück.

«Was hast du», sagte Caddy. «Was willst du Caddy sagen. Haben sie ihn rausgeschickt, Versh.»

«Drinbehalten ging nich», sagte Versh. «Er war die ganze Zeit am Machen, bis sie ihn haben gehen lassen, da ist er stracks hierher und hat durchs Tor geschaut.»

«Was hast du», sagte Caddy. «Hast du gedacht, wenn ich aus der Schule komme, ist Weihnachten. Hast du das gedacht. Weihnachten ist übermorgen. Weihnachsmann, Benjy. Weihnachsmann. Komm, wir rennen zum Haus, aufwärmen.» Sie nahm meine Hand, und wir rannten durch das helle raschelnde Laub. Wir rannten die Treppe hoch und aus der hellen Kälte in die dunkle Kälte. Onkel Maury stellte die Flasche in die Anrichte zurück. Er rief Caddy. Caddy sagte:

«Bring ihn zum Kamin, Versh. Geh mit Versh», sagte sie. «Ich komm gleich nach.»

Wir gingen zum Kamin. Mutter sagte:

«Friert er, Versh.»

«Nein, Ma’am», sagte Versh.

«Zieh ihm Mantel und Überschuhe aus», sagte Mutter. «Wie oft muss ich dir noch sagen, nicht ins Haus mit seinen Überschuhen an.»

«Jawohl, Ma’am», sagte Versh. «Halt still.» Er zog mir die Überschuhe aus und knöpfte den Mantel auf. Caddy sagte:

«Warte, Versh. Kann er nicht wieder raus, Mutter. Ich möchte gern mit ihm raus.»

«Lass ihn lieber hier», sagte Onkel Maury. «Er ist heute genug draußen gewesen.»

«Ich glaube, ihr bleibt lieber beide drinnen», sagte Mutter. «Dilsey sagt, es wird kälter.»

«Ach Mutter», sagte Caddy.

«Unsinn», sagte Onkel Maury. «Sie war den ganzen Tag in der Schule. Sie braucht die frische Luft. Lauf schon, Candace.»

«Lass ihn gehen, Mutter», sagte Caddy. «Bitte. Du weißt doch, er heult gleich.»

«Was hast du es dann vor ihm gesagt», sagte Mutter. «Was bist du überhaupt reingekommen. Damit er einen Grund hat, mich wieder aufzuregen. Du bist heut schon genug draußen gewesen. Ich glaube, du setzt dich besser hier hin und spielst mit ihm.»

«Lass sie gehen, Caroline», sagte Onkel Maury. «Das bisschen Kälte macht ihnen schon nichts. Denk dran, du musst deine Kräfte beisammenhalten.»

«Ich weiß», sagte Mutter. «Keiner kann sich vorstellen, wie sehr mir vor Weihnachten graut. Keiner. Ich bin keine Frau, die viel erträgt. Mir wär lieber, auch für Jason und die Kinder, dass ich mehr Kraft hätte.»

«Tu einfach, was du kannst, und lass dich von ihnen nicht aufregen», sagte Maury. «Lauft schon, ihr zwei. Aber nicht so lange draußen bleiben. Sonst regt sich eure Mutter auf.»

«Jawohl, Sir», sagte Caddy. «Komm, Benjy. Wir gehen wieder raus.» Sie knöpfte meinen Mantel zu, und wir gingen an die Tür.

«Willst du das Kind ohne seine Überschuhe mit rausnehmen», sagte Mutter. «Soll er krank werden, wo ich das Haus voller Gäste habe.»

«Ich habs vergessen», sagte Caddy. «Ich dachte, er hätte sie schon an.»

Wir gingen zurück. «Du musst besser aufpassen», sagte Mutter.   Halt jetzt still   sagte Versh. Er zog mir die Überschuhe an. «Eines Tages bin ich dahin, dann musst du für ihn denken.»   Jetzt rein in die Schuhe   sagte Versh. «Komm her und gib deiner Mutter...

Erscheint lt. Verlag 18.7.2014
Nachwort Frank Heibert
Übersetzer Frank Heibert
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Amerika • amerikanische bücher • Familie • Klassiker • Licht im August • Liebe • Literaturnobelpreis • Literaturnobelpreisträger • Nobelpreis • Nobelpreis für Literatur • Nobelpreis Literatur • Nobelpreisträger Literatur • Pulitzer-Preis • Südstaaten • USA
ISBN-10 3-644-03731-0 / 3644037310
ISBN-13 978-3-644-03731-1 / 9783644037311
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