Animateur inklusive (eBook)

Ein Bericht von der Urlaubsfront

(Autor)

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2014 | 1. Auflage
272 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-42265-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Animateur inklusive -  Sven Kudszus
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Urlaub ist die schönste Zeit des Jahres, dank Strand, Sonne und leicht verdaulicher Unterhaltung. Wie sich Urlauber diese Unterhaltung genau vorstellen, davon weiß Sven Kudszus zu berichten. Er ist Animateur und seit mehr als zehn Jahren in Ferienclubs von Malle bis Antalya unterwegs, um Menschen zu bespaßen. Wie verrückt und aufregend, aber auch grotesk und witzig dieser Beruf sein kann, zeigen seine Geschichten rund um halsbrecherische Clubtänze, unterirdische Unterkünfte und Touristinnen, die zu Sex-Erpresserinnen wurden. Ein Buch für alle, die niemals eine Pauschalreise buchen würden!

Sven Kudszus, geboren 1979 in Schleswig-Holstein, kam über Umwege zur Animation. Es folgte ein über zehn Jahre dauernder Trip durch die Bettenburgen von Lloret de Mar bis Antalya. Heute ist er Clubleiter im größten Ferienclub für Kinder in ganz Deutschland.

Sven Kudszus, geboren 1979 in Schleswig-Holstein, kam über Umwege zur Animation. Es folgte ein über zehn Jahre dauernder Trip durch die Bettenburgen von Lloret de Mar bis Antalya. Heute ist er Clubleiter im größten Ferienclub für Kinder in ganz Deutschland.

Castings und andere Katastrophen


Da wir gerade das Casting beendet haben, will ich dem Thema noch ein paar übergeordnete Worte hinterherschicken. Ich habe seit diesem denkwürdigen Tag im Ruhrgebiet diverse weitere Vorsprechen erlebt. Sowohl aus Bewerber- als auch aus Entscheiderperspektive. Deshalb weiß ich, dass der exemplarische Fall meines ersten Castings einige Rückschlüsse auf die Tugenden eines Animateurs als auch auf Bewerbungssituationen im Allgemeinen zulässt. Das will ich nämlich schon mal verraten: Ich wurde genommen. So eine Überraschung aber auch. Ich höre förmlich das erstaunte Raunen in den Reihen der Leser. Und den Applaus. Und die Glückwünsche. Und dann den kleinen Spielverderber, der missmutig fragt: »Wieso das denn?«

Ich muss zugeben, diese Frage hat angesichts der fast schon unverschämten Nichtexistenz meiner Vorbereitung ihre Berechtigung. Die kurze Antwort lautet: mehr Glück als Verstand. Die lange Antwort: Ich habe bei diesem Casting, wenn auch unbewusst, vieles richtig hingekriegt. Ich kann das im Nachhinein an drei Punkten festmachen.

Erstens: der verpatzte Dresscode. Natürlich hatte ich in der Einladung den Punkt mit der »sportlichen Kleidung« überlesen. Eigentlich ein unmögliches Verhalten. Aber durch meinen Umgang mit der Situation konnte ich wieder punkten. Ich hab zum richtigen Zeitpunkt die Schuhe ausgezogen und die Hosenbeine hochgekrempelt. Reine Improvisation. Da Improvisieren aber ein wichtiger Bestandteil des Jobs ist, war es gar nicht blöd. Dass es außerdem ziemlich uneitel wirkt, dürfte ein weiterer Pluspunkt gewesen sein. Eitelkeit ist in der Animation fehl am Platz.

Zweitens: Die »Respektlosigkeit«, meine Mitbewerber in die Strandolympiade zu integrieren, war zwar eine Notlösung – ich wusste schlicht nicht, wie ich die Idee mit der Reifenkette alleine hätte demonstrieren sollen –, aber sie war Gold wert. Als Animateur darf man keine Angst haben, Leute auch mal gegen ihren Willen in Spiele einzubeziehen. Deshalb leitet sich die Berufsbezeichnung ja von dem Wort »animieren« ab, was auf gut Deutsch nichts anderes heißt als Aufscheuchen oder In-den-Arsch-Treten. Ähnlich verhält es sich mit dem chaotischen Gekreische und dem Versuch der Juroren, sich das Lachen zu verkneifen. Eine bessere Bestätigung gibt’s nicht. Wenn Mitspieler in der Selbstvergessenheit des Spiels die Hemmung verlieren, laut zu werden, und die Zuschauer über das, was sie sehen, lachen müssen, weißt du, dass du einen guten Job gemacht hast. Es ist im Arbeitsalltag oft gar nicht so einfach, dieses Ziel zu erreichen. In Bewerbungssituationen erst recht nicht. Dass ich es aus völliger Unbedarftheit heraus schon beim ersten Casting geschafft habe, nötigt mir im Nachhinein fast schon Respekt vor mir selber ab.

Drittens: der Schlusspfiff auf den Fingern. Auch der war eine Notlösung, weil ich vergessen hatte, mir eine Trillerpfeife geben zu lassen. Und weil es mir peinlich gewesen wäre, laut rumzuschreien – oder aber nicht laut genug zu schreien und von den Leuten überhört zu werden. Eine erneute Improvisation also. Aber mit exakt dem richtigen Effekt. Alle haben’s gehört, alle haben’s kapiert, alle haben reagiert. Ich vermute, dadurch ist bei den Juroren der Eindruck entstanden, ich hätte Übung darin, mich durchzusetzen. Inzwischen stimmt das, damals war es ein totales Missverständnis. Mehr Glück als Verstand halt.

Fassen wir also kurz zusammen: Improvisationskunst, Durchsetzungsvermögen und eine gewisse Respektlosigkeit sind die Tugenden eines Animateurs. Menschenscheu, Unsicherheit und Eitelkeit sind es nicht. Und bevor ich jetzt allzu selbstverliebt rüberkomme: Mir ist schon klar, dass ich den Job auch bekommen habe, weil aller glücklichen Fügung zum Trotz in der Animation jeder Mitarbeiter gebraucht wird. Es ist nicht so, dass die Bewerber den Reiseveranstaltern die Bude einrennen. Vielleicht trägt der angstbehaftete Ruf der Castings sogar zu diesem Mangel bei. Besonders die berüchtigten Drei-Minuten-Freistil-Shows, die einige Veranstalter einfordern, sind gefürchtet. Es gibt Internetforen, in denen Bewerber nichts anderes tun, als Tipps und Geschichten zu dieser verhassten Form der Selbstpräsentation auszutauschen, es aber trotzdem nicht schaffen, ihr den Schrecken zu nehmen. Die Herausforderung dieser Form des Castings besteht darin, dass die Bewerber die Jury drei Minuten lang mit einer Aktion ihrer Wahl unterhalten müssen. Jeder, der schon mal ein Referat oder eine freie Rede auf Zeit halten musste, weiß, dass drei Minuten ewig dauern oder auch viel zu kurz sein können. So ist das auch beim Freistilcasting. Außerdem führt die selbständige Entscheidung über die Art des Vortrags zu den kuriosesten Darbietungen. Es gibt Leute, die sich Choreographien überlegen, die sie dann so hektisch runterturnen, dass sie schon nach einer Minute total aus der Puste sind und für den Rest der Zeit ihr Pulver verschossen haben. Es gibt auch Leute, die Spiele erklären wollen, sich beim Aufbau aber so viel Zeit lassen, dass die drei Minuten schon um sind, bevor der Sinn des Spiels überhaupt zur Sprache kam. Einmal hab ich eine Frau erlebt, die – ohne Witz – mit ihrer Handtasche vor die Jury hintrat, ein Buch und eine Stoppuhr rausholte und dann seelenruhig drei Minuten aus »Friedhof der Kuscheltiere« von Stephen King vorlas. Nachdem sie mit dem Satz »Aus der geschwollenen, verzerrten rechten Schulter ragte ein Schlüsselbein heraus« geendet hatte, wurde sie von der Jury gefragt: »Vorlesen – eine ungewöhnliche Idee für ein Animateurcasting, meinen Sie nicht?«

»Ungewöhnlich sollte Animation doch sein, oder?«, lautete die schlagfertige Antwort.

»Aber finden Sie, dass ein Horrorroman das richtige Programm für einen Ferienclub ist?«

»Fürs Kinderprogramm sicher nicht. Ansonsten ist ›Friedhof der Kuscheltiere‹, meinen Recherchen zufolge, eine der meistgelesenen Urlaubslektüren der Deutschen. Im Zeitalter des Hörbuchs kann man diesem Phänomen ruhig mal mit einer Lesung Rechnung tragen.«

Die Juroren saßen mit offenem Mund da und wussten nicht, was sie sagen sollten. Als dem altklugen Fräulein die Standardfrage »Und in welcher Animationsform sehen Sie ihren Fokus?« gestellt wurde und sie »Kinderanimation« antwortete, dachte ich, das Bewerbungsgespräch sei für sie gelaufen. So kann man sich irren. Sie hat den Job bekommen. Ich hab das zunächst überhaupt nicht kapiert, mich sogar ein bisschen drüber geärgert. Inzwischen verstehe ich es. Sie ist mit der richtigen Selbsteinschätzung, mit Mut zur Provokation und ausreichend vorbereitet zum Gespräch gekommen. Die Formulierung »Meinen Recherchen zufolge …« sollte man sich für Bewerbungsgespräche warm halten. Lässt man ihr eine wie auch immer geartete Insiderkenntnis folgen, gaukelt sie eine so streberhafte Auseinandersetzung mit dem beruflichen Umfeld vor, dass kaum ein Personalerherz davon ungerührt bleibt. Das ist zumindest meine Erfahrung.

Zu meinem eigenen Debüt im Drei-Minuten-Freistil-Karussell: Es fand vier Jahre nach dem Ruhrpott-Casting in Bayern statt und zählt nicht so richtig, weil ich zu diesem Zeitpunkt bereits wusste, was ich tat. Lustig war’s trotzdem, weil es den Arschtrittaspekt auf die Spitze trieb. Ich hab mir ganz bewusst die Königsdisziplin der Animationsformen vorgenommen: die Minidisco. Vor dem Casting hab ich eine Drei-Minuten-Collage mit Ausschnitten aus beliebten Kinderliedern auf eine CD gebrannt. Los ging’s mit »Ich war vor langer Zeit mal in Amerika«, weiter mit »Veo veo«, zum Schluss kam »If you’re happy and you know it, clap your hands«. Insgesamt kamen sechs verschiedene Lieder vor, also auch sechs verschiedene Choreographien. Diesmal habe ich nicht meine Mitbewerber, sondern die Juroren mitmachen lassen. Ich habe eine ganze Weile darüber nachgegrübelt, ob man das bringen kann, aber irgendwann dachte ich: Diese Leute sitzen den ganzen Tag auf ihrem Hintern und gucken zu, wie sich die Bewerber vor ihnen zum Affen machen. Warum also nicht mal den Spieß umdrehen? Hätte ordentlich in die Hose gehen können, hat aber geklappt. Ich hab mich insgeheim totgelacht. Den Juroren war es natürlich total unangenehm, hinter der Verschanzung ihres Pultes hervorzukommen und bei Nonsenschoreographien mitzumachen, bei denen auch die honorigste Respektsperson lächerlich aussieht. Hände hoch und Arme im Wind wiegen, Füße aufstampfen und Fäuste in die Hüften stemmen, Hintern raus und Schwänzchen in die Höh. Sogar der dicke Schlipsträger aus der Personalabteilung hat sich drei Minuten lang diesen Klassikern aus der Minidisco-Move-Palette hingegeben. Vermutlich zum ersten und letzten Mal in seinem Leben. Übrigens ein Punkt, den ich mittlerweile kritisch sehe. Viel zu oft sitzen in den Jurys Leute, die von der Animation keine Ahnung haben. Sie können gar nicht richtig beurteilen, ob der Bewerber sich für den Job eignet oder nicht. Da wird dann nach Aussehen oder Zeugnissen oder persönlicher Sympathie ausgewählt. Ein Typ, der einen Abi-Durchschnitt von eins Komma null hat, eignet sich aber nicht zwangsläufig für die Animation. Auch eine Katalogschönheit mit Modelmaßen ist den Anforderungen des Jobs nicht unbedingt gewachsen. Und der wohlerzogene Bursche, den die Frau aus der Buchhaltung gerne zum Schwiegersohn hätte, kann seine Qualitäten an der Urlaubsfront vielleicht nicht wirklich zur Geltung bringen. So was bedeutet für die Teamleiter vor Ort dann meist Ärger und zusätzliche Arbeit. Beides kann man sich sparen, wenn man von vornherein Leute mit der Stellenvergabe betraut, die den Job schon mal gemacht haben. Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahren immer öfter Leute aufgrund eingeschickter Filmchen eingestellt werden, oder Bewerbungsgespräche nur noch...

Erscheint lt. Verlag 27.5.2014
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Schlagworte All Inclusive • Anekdoten • Animateur • Antalya • Berufsmemoir • Cluburlaub • Erfahrungen und wahre Geschichten • Erfahrungsberichte • Ferienclub • Hotel • Humor • humorvolle Bücher • Lustige Bücher • lustige bücher für erwachsene • lustige Erzählungen • lustige Geschichten • Malle • Pauschalreise • Reiseanekdoten • Reisebericht • reiseberichte bücher • reiseberichte reiseerzählungen • Urlaub • Urlaubslektüre lustig • Urlaubsspaß • wahre Begebenheit Buch • Wahre GEschichte • wahre geschichten bücher
ISBN-10 3-426-42265-4 / 3426422654
ISBN-13 978-3-426-42265-6 / 9783426422656
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