Bedenke Phlebas (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014
768 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-11767-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bedenke Phlebas - Iain Banks
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In der fernen Zukunft wird der Traum von der perfekten Gesellschaft zur Gefahr für die Freiheit des Einzelnen
In ferner Zukunft haben die Menschen beschlossen, eine perfekte Gesellschaft zu bauen. Eine Gesellschaft, die alle Völker der Galaxis vereinen soll, wo auch immer sie leben, welcher Religion sie auch angehören mögen. Eine Gesellschaft, die schon bald Gefahr läuft, totalitäre Züge anzunehmen. Und heftigen Widerstand auf den Plan ruft ...

Iain Banks wurde 1954 in Schottland geboren. Nach einem Englischstudium schlug er sich mit etlichen Gelegenheitsjobs durch, bis ihn sein 1984 veröffentlichter Roman Die Wespenfabrik als neue aufregende literarische Stimme bekannt machte. In den folgenden Jahren schrieb er zahllose weitere erfolgreiche Romane, darunter Bedenke Phlebas, Exzession und Der Algebraist. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der britischen Gegenwartsliteratur. Am 9. Juni 2013 starb Iain Banks im Alter von 59 Jahren.

Das Zeug war jetzt bis an seine Oberlippe gestiegen. Auch wenn er den Kopf fest gegen die Steine der Zellenwand drückte, befand sich seine Nase nur knapp über der Oberfläche. Er würde seine Hände nicht mehr rechtzeitig freibekommen; er würde ertrinken.

In der Dunkelheit der Zelle, in dem Gestank und der Wärme, während der Schweiß ihm über die Stirn lief, seine Augen fest geschlossen waren und er ununterbrochen in Trance verharrte, versuchte ein Teil seines Verstandes, sich an die Vorstellung seines eigenen Todes zu gewöhnen. Aber wie ein unsichtbares Insekt, das in einem stillen Raum herumsummt, war da etwas anderes, etwas, das nicht weggehen wollte, das ihm nichts nützte und ihn nur irritierte. Es war ein Satz, irrelevant und sinnlos und so alt, dass er nicht mehr wusste, wo er ihn gehört oder gelesen hatte, und er lief immerzu rundherum über die Innenwand seines Kopfes wie eine Murmel in einem Krug:

Die Jinmoti von Bozlen Zwei töten die Personen, die, durch Erbfolge dazu bestimmt, den Ritualmord an der engeren Familie des Jahreskönigs ausführen, indem sie sie in den Tränen des kontinentalen Empathaur in seiner Traurigkeitszeit ertränken.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt, kurz nachdem seine Qualen begonnen hatten und er sich erst teilweise in Trance befand, hatte er sich gefragt, was passieren würde, wenn er sich übergab. Das war gewesen, als die Palastküche – vielleicht fünfzehn oder sechzehn Stockwerke über ihm, wenn er richtig schätzte – ihren Abfall das gewundene Netzwerk von Rohrleitungen hinunterschickte, die in die Kloakenzelle führten. Die gurgelnde, wässerige Masse hatte verfaulte Essensreste losgerissen, die vom letzten Mal, als irgendein armer Teufel in Schmutz und Abfall ertränkt worden war, übrig waren, und in dem Augenblick hatte er befürchtet, er müsse erbrechen. Fast war es tröstlich gewesen, als seine Berechnung ergab, dass das für den Zeitpunkt seines Todes keinen Unterschied bedeutete.

Dann hatte er darüber nachgedacht – in diesem Zustand nervöser Leichtfertigkeit, wie er manchmal solche überfällt, die in einer lebensbedrohenden Situation nichts weiter tun können als warten –, ob Weinen seinen Tod beschleunigen würde. Theoretisch ja, wenn es auch praktisch keine Rolle spielte. Aber dann fing dieser Satz an, in seinem Kopf herumzurollen.

Die Jinmoti von Bozlen Zwei töten die Personen, die, durch Erbfolge dazu bestimmt …

Die Flüssigkeit, die er nur zu deutlich hören und fühlen und riechen konnte – und wahrscheinlich hätte er sie auch sehen können, wenn seine alles andere als normalen Augen offen gewesen wären –, schwappte kurz nach oben und berührte die Unterseite seiner Nase. Er spürte, dass sie seine Nüstern blockierte, sie mit einem Gestank füllte, der ihm den Magen umdrehte. Aber er schüttelte den Kopf, versuchte, seinen Schädel noch weiter gegen die Steine zu zwängen, und die scheußliche Brühe senkte sich. Er schnaubte und vermochte wieder zu atmen.

Jetzt dauerte es nicht mehr lange. Wieder überprüfte er seine Handgelenke, aber es hatte keinen Sinn. Er hätte eine weitere Stunde oder mehr gebraucht, und ihm blieben, wenn er Glück hatte, noch Minuten.

Die Trance löste sich sowieso auf. Er kehrte zu beinahe vollständigem Bewusstsein zurück, als wolle sein Gehirn seinen eigenen Tod, seine eigene Auslöschung voll und ganz wahrnehmen. Er versuchte, an etwas Tiefgründiges zu denken oder sein Leben blitzartig an sich vorüberziehen zu lassen oder sich plötzlich an irgendeine alte Liebe, eine längst vergessene Prophezeiung oder Vorahnung zu erinnern, doch da war nichts, nur ein sinnloser Satz und das Gefühl, im Schmutz und Abfall anderer Leute zu ertrinken.

Ihr alten Schurken, dachte er. Einer ihrer wenigen humoristischen oder originellen Züge war es, dass sie eine elegante, ironische Todesart erfunden hatten. Als wie passend mussten sie es empfinden, wenn sie ihre altersschwachen Körper zu den Toiletten des Bankettsaales schleppten, dass sie buchstäblich auf alle ihre Feinde schissen und sie auf diese Weise töteten!

Der Luftdruck stieg, und ein fernes, stöhnendes Grollen von Flüssigkeit kündigte einen weiteren Sturzbach von oben an. Ihr gemeinen Schurken. Nun, ich hoffe, wenigstens du hältst dein Versprechen, Balveda.

Die Jinmoti von Bozlen Zwei töten die Personen, die, durch Erbfolge dazu bestimmt … dachte ein Teil seines Gehirns, während die Rohre in der Decke blubberten und der Abfall in die warme Masse von Flüssigkeit spritzte, die die Zelle beinahe füllte. Die Welle ging über sein Gesicht, fiel wieder zurück, um seine Nase für eine Sekunde freizulassen und ihm Zeit zu geben, eine Lunge voll Luft einzusaugen. Dann stieg die Flüssigkeit sacht, berührte von Neuem die Unterseite seiner Nase und blieb dort.

Er hielt den Atem an.

Anfangs hatte es weh getan, als sie ihn aufgehängt hatten. Sein ganzes Gewicht hing an seinen Händen, die, in engen Lederbeuteln festgebunden, direkt über seinem Kopf mit dicken Eisenschlingen an der Zellenwand festgeschraubt waren. Seine zusammengebundenen Füße baumelten innerhalb eines Eisenrohrs. Es war ebenfalls an der Wand befestigt, sodass es ihm unmöglich war, etwas von seinem Gewicht auf Füße und Knie zu verlagern und seine Beine um mehr als eine Handbreit von der Wand weg oder nach links und rechts zu bewegen. Das Rohr endete gleich oberhalb seiner Knie. Darüber versteckte nur ein dünnes und schmutziges Lendentuch seine alte, schmuddelige Nacktheit.

Er hatte den Schmerz in seinen Handgelenken und Schultern abgeschaltet, noch während die vier stämmigen Wächter, zwei davon auf Leitern stehend, seine Fesseln sicherten. Trotzdem hatte er im Hinterkopf dieses nagende Gefühl, dass er eigentlich Schmerzen empfinden müsse. Dann war die Oberfläche des Schmutzes in der kleinen Kloakenzelle gestiegen, und es hatte langsam nachgelassen.

Sobald die Wächter gegangen waren, hatte er sich in Trance versetzt, obwohl er sich sagen musste, dass es wahrscheinlich hoffnungslos war. Es hatte nicht lange gedauert; die Zellentür öffnete sich innerhalb von Minuten wieder, ein metallener Laufsteg wurde von einem Wächter auf die feuchten Steinplatten des Fußbodens gelegt, und vom Korridor fiel Licht in die Dunkelheit. Er hatte die Wandlungstrance unterbrochen und sich den Hals verrenkt, um zu sehen, wer sein Besucher war.

Es erschien, einen kurzen Stab leuchtenden kalten Blaus in der Hand, die gebeugte, graue Gestalt von Amahain-Frolk, Sicherheitsminister für die Gerontokratie von Sorpen. Der alte Mann lächelte ihm zu und nickte anerkennend. Dann blickte er in den Korridor zurück und winkte mit einer dünnen, entfärbten Hand jemandem, der außerhalb der Zelle stand, auf den kurzen Laufsteg zu treten und hereinzukommen. Der Gefangene vermutete, es sei die Kultur-Agentin Balveda, und sie war es. Sie schritt leichtfüßig über die metallene Planke, sah sich langsam um und ließ den Blick auf ihm ruhen. Er lächelte und rieb in dem Versuch, grüßend zu nicken, die Ohren an den nackten Armen.

»Balveda! Ich wusste doch, dass ich Sie wiedersehen würde. Wollen Sie dem Gastgeber guten Tag sagen?« Er zwang sich zu einem Grinsen. Offiziell war es sein Bankett; er war der Gastgeber. Ein weiterer kleiner Scherz der Gerontokratie. Er hoffte, seine Stimme habe keine Anzeichen von Furcht verraten.

Perosteck Balveda, Agentin der Kultur, einen ganzen Kopf größer als der alte Mann neben ihr und hinreißend schön sogar in dem bleichen Glühen des blauen Leuchtstabs, schüttelte langsam den schmalen, feingezeichneten Kopf. Ihr kurzes schwarzes Haar lag wie ein Schatten auf ihrem Schädel.

»Nein«, sagte sie, »ich wollte Sie weder sehen noch mich von Ihnen verabschieden.«

»Sie haben mich an diesen Ort gebracht, Balveda«, stellte er ruhig fest.

»Ja, und hier gehörst du hin«, fiel Amahain-Frolk ein und trat auf dem Laufsteg so weit vor, wie er es tun konnte, ohne das Gleichgewicht zu verlieren und auf den nassen Fußboden treten zu müssen. »Ich wollte, dass du erst gefoltert würdest, aber Miss Balveda hier …« – der Minister drehte den Kopf zu der Frau zurück, und seine hohe, kratzige Stimme hallte in der Zelle wider – »bat für dich, Gott allein weiß, warum. Aber es ist schon der Ort, an den du gehörst, Mörder.« Er schüttelte den Stab gegen den fast nackten Mann, der an der schmutzigen Wand der Zelle hing.

Balveda betrachtete ihre Füße, die unter dem Saum ihres langen, trist-grauen Gewands eben noch sichtbar waren. Ein runder Anhänger, den sie an einer Kette um den Hals trug, glitzerte in dem aus dem Korridor hereinfallenden Licht. Amahain-Frolk stand neben ihr, hob den leuchtenden Stab und schielte an dem Gefangenen hoch.

»Wissen Sie, noch jetzt könnte ich beinahe schwören, dort hänge Egratin. Ich kann …« – er schüttelte den hageren, knochigen Kopf – »ich kann kaum glauben, dass er es nicht ist, jedenfalls so lange nicht, bis er den Mund öffnet. Mein Gott, diese Wandler sind furchtbar gefährliche Kreaturen!« Er drehte das Gesicht Balveda zu. Sie strich sich das Haar im Nacken glatt und blickte auf den alten Mann nieder.

»Sie sind außerdem ein altes und stolzes Volk, Minister, und es sind nur noch sehr wenige von ihnen übrig. Darf ich Sie noch ein einziges Mal bitten? Lassen Sie ihn am Leben. Vielleicht ist er …«

Der Gerontokrat schwenkte seine dünne und verkrümmte Hand gegen sie; sein Gesicht verzerrte sich. »Nein! Sie täten gut daran, Miss Balveda, nicht länger darum zu bitten, dass dieser … dieser Meuchler, dieser mörderische,...

Erscheint lt. Verlag 21.4.2014
Übersetzer Rosemarie Hundertmarck
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Consider Phlebas
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte eBooks • Ferne Galaxien • Fremde Welten • Iain Banks • Jubiläumsedition • Klassiker der Science-Fiction • Kultur-Zyklus • Kultur-Zyklus, Space Opera, 1987 • Meisterwerke der Science Fiction • Raumschiffe • Science Fiction • Space Opera • Weltraumabenteuer
ISBN-10 3-641-11767-4 / 3641117674
ISBN-13 978-3-641-11767-2 / 9783641117672
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