Krieg (eBook)

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2014 | 1. Auflage
352 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-0678-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Krieg - Ludwig Renn
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'Das deutsche Buch vom Krieg, das überdauern wird: Nie verlässt den Erzähler dieser berichtende Ton, und diese wuchtige, vor dem Krieg einzig legitime Formel hat Ludwig Renn zur Meisterschaft gezwungen. Dieses Buch ist die Wahrheit und Menschlichkeit zugleich.' NZZ.

Unter dem Namen Ludwig Renn veröffentlichte der frühere kaiserliche Offizier Arnold Vieth von Golßenau das Buch 'Krieg', das Weltruhm erlangte: Ein einfacher Soldat wird am Tag der Mobilmachung Gefreiter und noch im August 1914 an die Westfront kommandiert. Er führt beflissen Befehle aus, bis er zu ahnen beginnt, dass das Grauen nicht nur ohne höheren, sondern völlig ohne Sinn ist.

100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges ist Ludwig Renns Bestseller endlich wieder lieferbar:

'Einfach, unpathetisch und sparsam: Dieses Buch spricht durch seine Wahrheit für sich selber und sagt über den Krieg mehr als alle Anklagen und Verteidigungen.' LITERARISCHE WELT.

'Die Bücher von Remarque und Ludwig Renn bieten qualitativ keine Unterschiede; beide wuchsen aus Anschauung und Erlebnis, beide hat die Erinnerung in langen Jahren geformt. Sie sind ganz und gar das feierliche Verdikt, das dem Krieg die Ehre aberkennt und ihn vor versammelter Menschheit degradiert.' CARL VON OSSIETZKY, TRÄGER DES FRIEDENSNOBELPREISES.

Mit einem Essay von Theodor Heuss über die beiden großen Antikriegsbücher von Ludwig Renn ('Krieg') und Erich Maria Remarque ('Im Westen nichts Neues').



Arnold Friedrich Vieth von Golßenau, 1889 in Dresden geboren, begann eine Offizierslaufbahn und war im Ersten Weltkrieg an der Westfront stationiert. 1920 quittierte er den Militärdienst und nahm umfangreiche Studien auf. 1928 trat er in die KPD ein. Von den Nazis verfolgt, gab er seinen Adelstitel auf und nannte sich fortan Ludwig Renn. Er floh nach Spanien und beteiligte sich am Bürgerkrieg. Von 1941 bis 1947 lebte er im mexikanischen Exil, anschließend kehrte er in seine Heimat zurück, wo ihm zahlreiche Ehrungen zuteilwurden, darunter der Nationalpreis der DDR und die Ehrenpräsidentschaft der Akademie der Künste. Ludwig Renn starb 1979 in Berlin.

VORMARSCH


Vorbereitungen


Ich war am Tage der Mobilmachung Gefreiter geworden. Zu meiner Mutter hatte ich nicht mehr fahren können und hatte ihr Abschiedsgrüße geschrieben. Am Tage des Ausmarsches bekam ich ihre Antwort.

»Mein Junge! Bleibe treu und halte Dich recht, das ist alles, was ich Dir schreiben kann. Wir haben hier sehr zu tun. Dein Bruder ist auch eingezogen, und wir beiden Frauen müssen alles allein machen. Mit den Enkeln ist noch nicht zu rechnen. Ich schicke Dir ein Paar warme Socken mit.

Leb wohl!

Deine Mutter.«

Ich steckte den Brief in meine Brieftasche und ging in die Kantine, mir noch etwas Briefpapier zu holen. Leute liefen auf den Gängen. In der Kantine standen sie vor dem Schanktisch.

»Du, Ludwig!« Ziesche schob mir grinsend ein Schnapsglas hin.

»Auf den ersten Russen!«

Ich stieß mit Ziesche an.

Max Domsky, die »Perle«, saß auf einem Tisch und baumelte mit den Beinen. Er sah einen nach dem andern an und freute sich.

Im Hintergrund hielt ein bärtiger, dicker Gefreiter eine Rede: »Die sollen sehn, was deutsche Hiebe sind, die Hunde!« Es stieß ihm auf. »Ich kenne das Gelichter! – Ich war nicht umsonst drei Jahre in Paris! – Wenn nur ein deutscher Landstürmer kommt, laufen sie schon davon!«

Ich hatte das Briefpapier gekauft und ging hinaus. Die Perle kam mir nachgelaufen. Ich sah ihn nicht einmal an.

»Freust du dich nicht?«, fragte er.

»Doch!«, sagte ich frostig.

»Du bist nicht unten geblieben?«

»Ich kann das Gerede nicht leiden!«

Er schwieg. Ich merkte, dass er mir etwas sagen wollte.

Als wir in unserer Stube waren, setzte ich mich auf einen Schemel und fragte: »Nu, was hast du denn?«

Er setzte sich an den Tisch und sah mich an, als erwartete er etwas von mir. Meine Frage schien ihm gar keine Frage gewesen zu sein.

»Fürchtest du dich vor dem Kriege?«, fragte ich.

»Die freuen sich doch alle.«

Ich dachte nach. Sicher hing das, was ihn gerade beschäftigte, mit dem Kriege und der Todesgefahr zusammen.

»Ludwig!«

Ich erschrak. Er hatte mich noch nie Ludwig genannt.

»Ich habe keinen Vater.« Er sagte das, wie jemand ein Stück Brot hinlegt. Was sollte ich damit tun? – Ihm die Hand geben? – Dieser Mensch war gar nicht rührselig.

»Max«, sagte ich, »du hast aber einen Bruder!« Ich schämte mich.

Er sah mich ganz ruhig an. Er hatte mich verstanden! Und dabei verstand er sonst oft die einfachsten Dinge nicht.

Er zeigte keinerlei Freude. Sagte auch nichts, sondern machte sich fertig zum Antreten. Ich nahm den schweren Tornister auf den Rücken. Ich erwartete auch von ihm nichts mehr. Einige kamen hereingepoltert. Ich ging noch einmal auf den Abort und dann die Treppe hinunter zum Antreten. Ich hatte das Gefühl, dass meine Augen ganz außer mir umhersähen, während ich selber ganz in mir war. Meine Beine bewegten sich, das Gepäck war schwer, aber das hatte mit mir nichts zu tun.

Bahnfahrt


Wir traten auf dem Kasernenhof an. Hinter uns wurden die Wagen bespannt. Der Leutnant Fabian kam vergnügt gegangen, einen kleinen schwarzlackierten Tornister wie einen Schulranzen auf seinen breiten Schultern. Er trat vor uns hin und sagte: »Ich brauch euch keine Rede zu halten. Wir sind ja eine Familie! Und eine Perle haben wir, Gott sei Dank, auch in unsrer Familie!«

Wir lachten. Das war gut, dachte ich; jetzt wissen die Reservisten auch gleich, was unser Leutnant für einer ist. Denn fast alle liebten die Perle, wenn er auch als Idiot galt.

»Dritte Kompanie – stillgestanden! – Mit Gruppen rechts schwenkt – marsch! – Halt! – Kompanie – marsch!« Die Musik setzte ein. Die Pauke dröhnte von den Kasernenwänden. Ich marschierte in der vordersten Gruppe. Vor dem Kasernentor war eine Menschenmenge aufgestaut und machte uns Platz.

»Mach’s gut, Emil!«, rief jemand.

»Hurra!«, schrien ein paar Jungen.

»Wie 1870!«, hörte ich leise sagen und begegnete einem Altherrengesicht, aus dem mich zwei graue Augen freundlich ansahen. »So ging ich damals auch hinaus«, sagte er zu mir, und ich war vorüber und sah andre Menschen.

Ein Nelkenstrauß flog mir an die Brust. Ich fing ihn gerade noch und sah mich um. Am Straßenrand stand eine und lachte mich unter einem tiefsitzenden Hut an.

Helle Sonnenschirme waren aufgespannt, darunter Damen mit großen Hüten. Auf einmal sah ich rechts meinen Onkel aus der Menge ragen. Er schwenkte den Hut über seinem Kopf und lachte mich an. Ich wusste nicht, wie ich wiedergrüßen sollte, und war verlegen. Aber ich freute mich.

Wromm, wromm, wromm dröhnte die Pauke unter der Eisenbahnbrücke und wurde dahinter wieder Wumm, wumm, wumm.

Wir rückten auf den Güterbahnhof. Dort legten wir das Gepäck ab und warteten. Ein paar Damen gingen umher mit blumengeschmückten Körben und verteilten Brötchen und Schokolade.

Langsam rollte der Zug heran. Es waren Güterwagen, an deren Schiebetüren Birkenäste steckten. Für die Offiziere war ein Wagen dritter Klasse. An die Wagenwände waren mit Kreide Inschriften und Bilder gemalt, kleine Männer mit großen Köpfen und Franzosenkäppis darauf.

»Ungewöhnlich günstiges Angebot!!!

Freie Fahrt!

Einziges Risiko ein paar Schüsse!

Dafür direkt nach Paris!«

Ein Signal wurde geblasen.

»Dritte Kompanie an die Gewehre! Gepäck und Gewehre in die Hand nehmen! Einsteigen!«

Sie drängten sich, zuerst hineinzukommen, wegen der günstigen Plätze. Bänke ohne Lehnen standen in den Wagen. Ich hatte gar keine Eile. Die Leutnants liefen am Zuge entlang. Irgendjemand rief etwas aus dem Wagen. Eine Lokomotive kam mit schwarzen Rauchballen, die sich drehten, langsam die Schienen her. Wieder rief einer etwas. Ich fuhr in die Höhe. Hatte nicht die Perle schon mehrmals nach mir gerufen?

Er reckte den Kopf aus dem Wagen. »Ich hab ’n Platz für dich!« Er fuhr zurück und hatte drin einen Streit mit einem. Sie schienen es darauf abgesehen zu haben, den Platz immer wieder zu besetzen, sobald er nach mir schrie.

»Na«, rief der Leutnant, »wie lange soll denn das noch dauern!«

Die Perle hatte mir einen Platz an der linken Wand offen gehalten. Da konnte ich mich an die Wand lehnen, aber ich konnte nicht hinaussehen.

Draußen wurde Verschiedenes gerufen. Die Lokomotive pfiff, und der Zug rollte langsam fort. Wohin ging es? – Nach Russland, sagte man. Wie sieht Russland aus? Hier scheint die Sonne. Russland konnte ich mir nur als graue Öde denken.

»’s geht nach dem Westen!«, rief einer an der offenen Schiebetür. »Wir sind eben abgebogen. Es geht nach Paris!«

»Hurra! Hurraaa!«, schrien Kinderstimmen draußen.

An der Tür sangen sie »Deutschland, Deutschland über alles« ins Stoßen der Räder hinein. Der Gesang wurde allgemein. Im Nachbarwagen sangen sie schwermütig langsam:

»Marie, Marie, das ist mein Nam’,

Den ich vom Regiment bekam.

Ich tausch mit keiner Fürstin nich,

Sie lebt nicht glücklicher als ich.«

Wieder brüllten Kinder hurra, und wieder wurde mit einem Lied geantwortet. Der Sonnenschein wurde auf den Gesichtern der an der Tür Stehenden rot. Ziesche sah ich mit seinen weißen Zähnen lachen, aus lauter Freude, dass etwas geschah.

Dann wurde es schnell dunkel. Im Wagen war es heiß von der Sonne, die den Tag über auf dem Dach gebrütet hatte. Wir fuhren langsamer und hielten.

Ein Lichtschein fiel auf die rechte Wagenwand.

»Aussteigen zum Essenempfang!«

Man regte sich, wurde wach, stand auf. Im Dunkeln kramte man nach Kochgeschirr und Essbesteck. Elektrische Taschenlampen gaben grelle Blitze. Wir stiegen über die Bänke, traten draußen an und wurden in eine große Holzbude geführt. Karbidlampen standen auf Tischen von frischem Holz. Hinter einer Tafel gaben Damen Rindfleisch mit Nudeln aus. Ein uralter Mann in Oberstenuniform ging auf und ab. Unter der niedrigen Mütze hing sein weißes Haar bis auf die dicken Achselstücke.

Die Fahrt ging weiter. Gleichmäßig schlugen die Räder. Von der Tür her wurde es kühl. Die Perle war ganz auf mich gesunken. Schließlich schlug sein Kopf auf meine Knie. Davon wachte er halb auf und begann wieder zu sinken. Ich schlief noch nicht. Ich dachte auch nicht. Aber ich war nicht ruhig.

Ich wachte von einer Unruhe auf. Jemand drängte sich von hinten an mich.

»Lass mich mal durch. Ich kann’s Wasser nicht mehr halten.«

Ich zog die Perle an mich heran. Er wachte nicht auf. Der andre musste einen nach dem andern wecken. Als er zurückkehrte, waren die meisten schon wieder eingeschlafen und mussten noch einmal geweckt werden. Es war dunkel und recht kalt. Rings war Unruhe.

Ich wachte wieder auf. Es war Dämmerung. Die Perle schlief noch. Er sah schmutzig und elend aus. Einige dehnten sich gähnend.

Es wurde noch kälter, obwohl die Sonne kam. Die Perle wachte auf und lachte mich verschlafen an.

»Ich hab Hunger«, sagte er und öffnete den Tornister unter der Bank. Dabei stieß er mit dem Kopf an den vor ihm.

»Lass einen doch schlafen!«, knurrte der, ermunterte sich und fing auch an zu essen.

Der Zug hielt.

»Aussteigen zum Kaffeeholen!«

»Dann kann man doch seine Knochen wieder sammeln!«

Wir stiegen aus, reckten uns und liefen umher. Auf einem offenen Wagen thronte unsere rauchende Feldküche. Die Köche in Mänteln gaben mit der Kelle den Kaffee in die Feldkessel.

Wir fuhren wieder. Manchmal sah ich etwas von vorbeilaufenden Bäumen oder Häusern. Ich versuchte aufzustehen. Aber das Gepäck lag überall am Boden umher und...

Erscheint lt. Verlag 13.2.2014
Nachwort Klaus Hammer
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1. Weltkrieg • Antikriegsbuch • Erster Weltkrieg • Krieg • Ludwig Renn • Renn
ISBN-10 3-8412-0678-6 / 3841206786
ISBN-13 978-3-8412-0678-7 / 9783841206787
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