Der Hof (eBook)
464 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-21641-9 (ISBN)
SIMON BECKETT ist einer der erfolgreichsten englischen Thrillerautoren. Seine Serie um den forensischen Anthropologen David Hunter wird rund um den Globus gelesen und wurde für Paramount+ als sechsteilige Serie verfilmt: «Die Chemie des Todes», «Kalte Asche», «Leichenblässe», «Verwesung», «Totenfang» und «Die ewigen Toten» waren allesamt Bestseller, ebenso sein atmosphärischer Psychothriller «Der Hof». «Die Verlorenen», der Auftakt einer neuen Thrillerserie um den ehemaligen Polizisten Jonah Colley, stand mehrere Wochen auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Simon Beckett ist verheiratet und lebt in Sheffield.
SIMON BECKETT ist einer der erfolgreichsten englischen Thrillerautoren. Seine Serie um den forensischen Anthropologen David Hunter wird rund um den Globus gelesen und wurde für Paramount+ als sechsteilige Serie verfilmt: «Die Chemie des Todes», «Kalte Asche», «Leichenblässe», «Verwesung», «Totenfang» und «Die ewigen Toten» waren allesamt Bestseller, ebenso sein atmosphärischer Psychothriller «Der Hof». «Die Verlorenen», der Auftakt einer neuen Thrillerserie um den ehemaligen Polizisten Jonah Colley, stand mehrere Wochen auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Simon Beckett ist verheiratet und lebt in Sheffield.
Kapitel 1
Der Wagen fährt auf den letzten Tropfen. Seit Stunden keine Tankstelle, und die Tankanzeige ist tief in den roten Bereich gerutscht. Ich muss von der Straße runter, aber die Felder erstrecken sich endlos zu beiden Seiten und zwingen mich, immer weiter geradeaus zu fahren, bis der Motor den Geist aufgibt. Es ist noch früher Morgen, doch dieser Tag wird heiß und trocken. Der Wind, der durch die offenen Fenster hereinweht, bringt keine Kühlung.
Ich fahre über das Lenkrad gebeugt und rechne jeden Moment damit, dass der Motor ausgeht. Dann sehe ich eine Lücke in der grünen Barriere. Zu meiner Linken schneidet ein Feldweg eine Bresche zwischen zwei Weizenfelder. Ich lenke den Wagen von der Straße auf den holprigen Weg. Mir ist egal, wohin er mich führt, solange ich dort nur in Deckung bin. Ich erreiche ein Wäldchen. Äste kratzen an den Fenstern, als ich den Audi hineinlenke und den Motor ausschalte. Im Schatten der Bäume ist es kühler. Die Stille wird nur vom leisen Ticken des Motors und fließendem Wasser durchbrochen. Ich schließe die Augen und lehne den Kopf nach hinten. Aber ich habe keine Zeit, mich auszuruhen.
Ich muss in Bewegung bleiben.
Zuerst schaue ich ins Handschuhfach des Wagens. Ein bisschen Müll und ein fast volles Päckchen Zigaretten. Camel, meine alte Lieblingsmarke. Nichts davon könnte mich verraten. Als ich über den Beifahrersitz hinweg danach greife, bemerke ich den Geruch. Schwach, aber unangenehm. Wie Fleisch, das jemand in der Sonne liegen gelassen hat.
Etwas ist auf dem edlen Lederpolster des Beifahrersitzes verschmiert, ebenso auf dem abgewickelten Anschnallgurt, der bis in den Fußraum hängt. Das robuste Material ist an einer Stelle fast durchgerissen, und als ich mit den Fingern darüberfahre, ist da etwas Klebriges und Dunkles.
Mir wird schwindelig bei der Vorstellung, dass ich den ganzen Weg gefahren bin, während das da gut sichtbar war. Ich will möglichst schnell eine große Entfernung zwischen das Auto und mich bringen, aber so kann ich es nicht zurücklassen. Die Äste kratzen über die Tür, als ich aussteige. Ich finde den Bach, der durch das Wäldchen führt, und meine Hände zittern, als ich dort ein Taschentuch anfeuchte, das ich im Handschuhfach gefunden habe. Der Sitz lässt sich einfach abwischen, aber das Blut ist in das Material des Gurts eingezogen. Ich reibe so viel wie möglich herunter, dann wasche ich das Taschentuch im Bach aus. Wasser umschließt meine Hände wie gläserne Handschellen, als ich sie mit dem Sand vom Grund des Bachs abschrubbe. Selbst danach fühlen sie sich nicht richtig sauber an.
Ich spritze mir Wasser ins Gesicht und ziehe eine Grimasse, als es die Kratzer auf meiner Wange benetzt. Dann gehe ich zurück zum Auto, das nach der langen Fahrt von einer dicken Staubschicht überzogen ist, die den schwarzen Lack verbirgt. Mit einem Stein schlage ich die Nummernschilder aus Großbritannien herunter, dann hole ich meinen Rucksack aus dem Kofferraum. Als ich ihn heraushebe, verfängt sich ein Riemen an der Abdeckung fürs Reserverad. Darunter blitzt etwas Weißes auf. Ich schiebe die Matte beiseite, und mein Magen verkrampft sich, als ich das in Plastikfolie gewickelte Päckchen sehe.
Mit weichen Knien lehne ich mich gegen den Wagen.
Es hat ungefähr die Größe einer Tüte Zucker, aber das weiße Puder darin ist längst nicht so unschuldig. Hastig schaue ich mich um, als könnte mich jemand hier sehen. Aber hier sind nur Bäume und das beständige Summen der Insekten. Ich starre das Päckchen an und bin zu erschöpft, um diese neue Komplikation zu begreifen. Ich will es nicht mitnehmen, aber hierlassen kann ich es auch nicht. Also nehme ich es, stopfe es ganz nach unten in meinen Rucksack, knalle die Kofferraumklappe zu und gehe los.
Die Weizenfelder liegen noch verlassen da, als ich aus dem Wäldchen komme. Ich werfe die Nummernschilder des Wagens und die Schlüssel zwischen die hohen Halme, ehe ich mein Handy aus der Tasche ziehe. Es ist hoffnungslos und irreparabel kaputt. Im Gehen nehme ich die SIM-Karte heraus und zerbreche sie in zwei Teile, ehe ich die winzigen Plastikstücke in das eine Feld werfe und das Handy in das andere.
Ich wüsste ohnehin nicht, wen ich anrufen sollte.
Das graue Asphaltband der Straße flirrt und zuckt, während die Sonne höher steigt. Die wenigen Wagen, die unterwegs sind, wirken wie in der Hitze gefangen, sie scheinen sich kaum zu bewegen, bis sie plötzlich farbig aufblitzen und vorbeirauschen. Mein Trekkingrucksack, der über meinen Kopf ragt und Schatten spendet, ist wie eine persönliche Klimaanlage. Fast eine Stunde gehe ich so, bis ich das Gefühl habe, genug Distanz zwischen mich und den Wagen gebracht zu haben. Dann hebe ich den Daumen und hoffe, jemand nimmt mich mit.
Meine roten Haare sind dabei sowohl ein Vorteil als auch ein Nachteil. Ich ziehe die Aufmerksamkeit auf mich, und man sieht sofort, dass ich hier fremd bin. Als Erstes werde ich von einem jungen Paar in einem klapprigen Peugeot mitgenommen.
«Où allez-vous?», fragt er, und die Zigarette in seinem Mund bewegt sich dabei kaum.
Es kostet mich Überwindung, in die fremde Sprache zu wechseln. Ich habe Französisch in letzter Zeit mehr gehört als gesprochen. Aber das ist gar nicht der Grund für mein Zögern. Wo will ich hin?
Ich habe keine Ahnung.
«Irgendwohin. Ich reise einfach herum.»
Ich sitze auf dem Beifahrersitz, das Mädchen hat sich ohne Widerspruch auf die Rückbank gesetzt. Ich bin froh, dass der Fahrer eine Sonnenbrille trägt, denn so brauche ich meine auch nicht abzunehmen. Sie verdeckt das Schlimmste von dem Bluterguss.
Er schaut auf meine roten Haare. «Brite?»
«Ja.»
«Dein Französisch ist echt gut. Schon lange hier?»
Einen Moment ringe ich um die Antwort. Es fühlt sich an, als wäre ich schon ewig hier. «Eigentlich nicht.»
«Und wo hast du es so gut gelernt?» Die Frage kommt von dem Mädchen, das sich zwischen den Sitzen nach vorne beugt. Sie ist dunkelhaarig und mollig, mit einem hübschen, offenen Gesicht.
«Früher bin ich oft hergekommen. Als ich jünger war. Und ich … Ich steh auf französische Filme.»
Danach halte ich lieber den Mund, weil ich mehr von mir preisgebe, als ich eigentlich will. Zum Glück scheint sich keiner von beiden allzu sehr für Details zu interessieren. «Ich schau ja lieber amerikanische Filme», meint er und zuckt mit den Schultern. «Wie lange bleibst du?»
«Keine Ahnung», sage ich.
Sie setzen mich am Rand einer kleinen Stadt ab. Ich greife auf meine Geldreserve in Euro zurück, um mir Baguette und Käse, eine Flasche Wasser und ein Wegwerffeuerzeug zu kaufen. Ich kaufe außerdem bei einem Straßenhändler auf dem Marktplatz eine Baseballkappe. Eine billige Nike-Kopie, aber sie spendet Schatten und hilft, meine Abschürfungen zu verstecken. Ich weiß, dass ich mich paranoid verhalte, aber ich kann einfach nicht anders. Ich will nicht mehr Aufmerksamkeit auf mich ziehen als unbedingt nötig.
Es ist eine Erleichterung, die Stadt hinter mir zu lassen und wieder über offenes Gelände zu laufen. Die Sonne brennt auf meinen Nacken herunter. Nach etwa einem Kilometer mache ich unter einer Reihe Pappeln halt und versuche, von dem Baguette und dem Käse zu essen. Ich bringe nur wenige Bissen herunter, ehe ich alles wieder hochwürge. Mein Magen fühlt sich wund an, und als die Krämpfe endlich aufhören, sinke ich gegen einen Baum und bin so erschöpft, dass ich einfach nur hier liegen und aufgeben will.
Aber das kann ich nicht machen. Meine Hände zittern bei dem Versuch, mir mit dem Wegwerffeuerzeug eine Zigarette anzuzünden. Ich ziehe daran. Es ist die erste seit zwei Jahren, sie schmeckt, als würde ich endlich heimkehren. Ich atme einen Teil meiner Anspannung mit dem Zigarettenrauch einfach aus und genieße es für ein paar Augenblicke, an nichts zu denken.
Nach der Zigarette stehe ich wieder auf und gehe weiter. Ich habe nur eine ungefähre Vorstellung davon, wo ich bin, aber da ich ohnehin keinen Plan habe, ist das gar nicht so schlimm. Ich strecke den Daumen raus, wenn ein Auto kommt, aber das passiert nicht allzu oft. Die Straßen hier sind vor allem routes bis, also Landstraßen durchs Hinterland, die von Durchreisenden, die sich an Nationalstraßen und Autobahnen halten, eher gemieden werden. Am Nachmittag und nachdem ein Citroën und ein Renault mich mitgenommen haben, habe ich weniger als zwanzig Kilometer zurückgelegt. Die Mitfahrgelegenheiten waren nur von kurzer Dauer – Einheimische, die ins nächste Dorf oder in die Stadt wollten. Inzwischen gibt es nicht mal mehr diese. Die Straße ist so leer, dass ich glauben könnte, die Welt da draußen hätte mich vergessen. Die einzigen Geräusche sind das Schaben meiner Schuhe und das unablässige Zirpen der Insekten. Es gibt keinen Schatten, und ich bin froh über das bisschen Schutz von der Baseballkappe.
Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit gegangen bin, werden die offenen Felder von einem dichten Kastanienwald abgelöst, der mit altem Stacheldraht abgesperrt ist. Aber die Äste mit den breiten, fächerförmigen Blättern hängen weit über die Straße und bieten so wenigstens etwas Schutz vor der Sonne.
Ich lasse den Rucksack langsam von meinen schmerzenden Schultern gleiten und nehme einen Schluck aus meiner Flasche. Es sind nur noch wenige Fingerbreit darin, und das Wasser ist warm wie Blut und vermag kaum meinen Durst zu löschen. Ich hätte eine zweite Flasche kaufen sollen, denke ich. Aber ich hätte so vieles tun sollen. Jetzt ist es zu spät, um irgendwas davon zu ändern.
Ich kneife die Augen zusammen und starre die...
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2014 |
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Übersetzer | Juliane Pahnke |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Arnaud • Bestseller • britische Thriller • David Hunter • Die Chemie des Todes • dunkles Geheimnis • Eigenbrötler • Entführung • Flucht • Frankreich Krimis • Hitze • Hof • Kalte Asche • Krimis • Leichenblässe • Platz 1 Spiegel-Bestseller • psychologische Spannung • Psychopath • Psychothriller • Sanglichons • Schweine • Spannung • Südfrankreich • Thriller • Überlebenskampf • Verwesung |
ISBN-10 | 3-644-21641-X / 364421641X |
ISBN-13 | 978-3-644-21641-9 / 9783644216419 |
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