Wie es einst war (eBook)
236 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-73359-1 (ISBN)
<p>Thomas Blubacher, 1967 in Basel geboren und promovierter Theaterwissenschaftler, ist als freischaffender Autor und als Regisseur für Bühnen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA tätig. Er publizierte mehrere Bücher, u.a. eine Biographie über Gustaf Gründgens, schrieb für verschiedene Zeitungen und verfaßte mehrere Radiofeatures.</p>
Dampflokomotive
Von den späten 1830er Jahren bis Mitte des 20. Jahrhunderts dominierten die von Wasserdampf angetriebenen Fahrzeuge den deutschen Schienenverkehr, wenngleich bereits vor dem Zweiten Weltkrieg moderne Elektrolokomotiven eingesetzt wurden. Mittels Kohlen oder anderer Brennstoffe, die man wie den notwendigen Wasservorrat auf der Lokomotive selbst oder auf einem angehängten Tender mitführte, wurde in einem Dampfkessel Dampf erzeugt und von einer zwei- bis vierzylindrigen Kolbendampfmaschine in mechanische Bewegungsenergie umgewandelt. Die in Deutschland gebräuchlichen Tender fassten zwischen 4 und 18 Tonnen Kohlen, zudem 5 bis 40 Kubikmeter Wasser. In der Regel wurden Dampflokomotiven von zwei Personen bedient, dem Lokführer, der seinen Platz auf der rechten Seite des Führerhauses hatte, und dem ? Heizer.
Dampfstrassenbahn
Die erste Dampfstraßenbahn Deutschlands, die »Cassel Tramway«, verband von 1877 bis 1899 Kassel und Wilhelmshöhe, die letzte Dampfstraßenbahnlinie Deutschlands eröffnete 1906 in Altötting. Bis etwa 1910 waren Dampfstraßenbahnen zumindest auf außerstädtischen Strecken weit verbreitet, während man in Stadtgebieten wegen der lästigen Rauchentwicklung oftmals ? Pferdestraßenbahnen bevorzugte, dann wurden die meisten Straßenbahnen elektrifiziert.
Dandy
Vor allem ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, findet man Dandys auch noch in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts: Menschen, die reich und daher in der Lage waren, ihr Leben ausschließlich dem Vergnügen zu widmen, und sich durch geistreiche Aperçus und ihren Geschmack in Modefragen auszeichneten – man denke beispielsweise an den »Menschensammler« Harry Graf Kessler (1868-1937), der nicht zuletzt dank einer unglaublichen Reisewut rund 12 000 Kulturgrößen gesehen, gesprochen und in seinen Tagebüchern verewigt hat, oder den flamboyanten Bankierssohn Francesco von Mendelssohn (1901-1972), Mitte der 1920er Jahre der wohl exzentrischste glamorous boy Berlins, der einen extravaganten Lebensstil pflegte, in einem weißen Cabriolet mit knallroten Kotflügeln und hermelinbezogenen Sitzen durch Berlin raste und schon mal im kanariengelben Seidenschlafrock über den Kurfürstendamm flanierte oder im Abendkleid ausging. Übte der Dandy traditionell einen maßgeblichen Einfluss auf die Herrenmode aus wie etwa Beau Brummell, zählte der vor allem nach Originalität strebende Mendelssohn allerdings nicht gerade zur Eleganzelite, trug er doch in den 1920er Jahren gerne einen Anzug aus knallrotem Leder, dazu ein ? Monokel, nicht weil er es gebraucht hätte, sondern weil es »chic« war, und auffällige Ringe an den Fingern. Er dürfte damit wohl eher als ein Vorläufer des Camps gelten.
Dauerwelle
Dieser Schwarzwälder Schuhmachersohn hat wohl nicht gerade die Welt verändert, zumindest aber die Damenwelt und – man denke beispielsweise an den Lockenkopf von Rudi Völler – zeitweise auch das Gesicht des deutschen Fußballs: Karl Ludwig Nessler (1872-1951) aus Todtnau verdanken wir die Dauerwelle. Er bestrich einige Haarsträhnen seiner Angebeteten mit einer speziellen Flüssigkeit, wickelte sie schraubenförmig auf Metallstäbe und erhitzte sie mit einer selbst konstruierten, elektrisch beheizten Zange. Dass er Katharina Laible damit nicht nur haltbare Locken bescherte, sondern auch Brandblasen auf der Kopfhaut, verzieh sie ihm – und heiratete den ingeniösen Friseur im Jahr 1902 in London, wo er sich inzwischen niedergelassen hatte. Doch erst am 8. Oktober 1906, der seitdem zumindest in Todtnau als der offizielle Geburtstag der Dauerwelle gefeiert wird, führte er seine elektrisch betriebene Dauerwellenapparatur den Londoner Kollegen vor, die sich allerdings wenig beeindruckt zeigten. Unbeirrt davon, warb Nessler weiter für seinen »Hair Curler« und erhielt 1910 das britische Patent für seine »permanent wave machine«. Er wanderte in die USA aus, meldete seine Erfindung auch dort zum Patent an, entwickelte ein nur 15 Dollar teures Heimgerät und machte ein Vermögen, das er allerdings durch die Weltwirtschaftskrise 1929 fast völlig verlor.
Davos
»Davos einfach«, kommentierte man knapp und trocken eine Lungenerkrankung, bei der sich der Kauf eines Retourbillets ins schweizerische Davos wohl nicht mehr lohne. Seit im Jahr 1860 der deutsche Arzt Alexander Spengler (der nach der gescheiterten Revolution 1848 aus seiner Heimatstadt Mannheim hatte fliehen müssen) entdeckt hatte, dass im sonnigen Davos die Tuberkulose nicht vorkam, suchten dort Patienten von überall her Heilung von jener Erkrankung, an der damals jeder siebte Mensch in Europa starb. Die Reichen ließen sich in luxuriösen Privatsanatorien behandeln, wohlhabende Bürger in Kurhotels, Arbeiter in Volkssanatorien und günstigen Pensionen. Während des Jahres 1910 wurden im gut 8000 Einwohner zählenden Davos rund 25 000 Patienten gepflegt. 1925 zählte der Ort 14 Privatsanatorien, 25 Kurhotels, 216 Pensionen und acht Volksheilstätten mit insgesamt rund 6200 Betten.
Thomas Mann hat in seinem Roman Der Zauberberg dargestellt, wie man sich die Behandlung dort vorstellen muss – ihr zu unterziehen hatte sich freilich nicht der Literat, sondern seine Frau Katia. Sie war eine der ersten Patientinnen des 1911 eröffneten Waldsanatoriums und kurierte dort vom 22. März 1912 an ihren Lungenspitzenkatarrh aus. Ein Besuch bei ihr inspirierte den späteren Nobelpreisträger zu seinem berühmten Roman, den er zwischen 1913 und 1915 schrieb und nach einer mehrjährigen Pause 1924 fertigstellte. Katia Mann erholte sich von ihrem Lungenleiden, viele ihrer Zeitgenossen hingegen mussten für immer in Davos bleiben, darunter der tuberkulosekranke Dichter Klabund, der dort 1928 nach kurzem Aufenthalt verstarb.
Depesche
Als Depesche (vom französischen dépêcher = sich beeilen) bezeichnete man ein ? Telegramm.
Diele
Diele nannte man eine Gaststätte, die zwar nicht so dunkel wie eine Spelunke (vom griechischen spelygx für Höhle) und nicht so verrufen wie eine Kaschemme (vom Romani-Wort katsima für Wirtshaus), aber einfach war, also keineswegs ein vornehmes Restaurant. Erhalten hat sich diese einst gebräuchliche Bezeichnung bis heute wohl nur noch in der Zusammensetzung Eisdiele.
Diener
Donnerbalken
Das »Dixi-Klo«, wie die mobile Chemie-Toilette nach ihrem weltweit führenden Anbieter genannt wird, hat diesen behelfsmäßigen Toilettenbau überflüssig gemacht: Im Freien brachte man über einer eigens dafür ausgehobenen Sickergrube einen Holzbalken als Sitzmöglichkeit für mehrere Personen gleichzeitig an. Eine nähere Erklärung des ursprünglich im Militär und unter ? Wandervögeln verwendeten Namens dürfte sich erübrigen.
Dreiecksbadehose
Trugen Herren zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch bis über die Achseln gehende Badetrikots und gelegentlich auch schon handgestrickte Badehosen, wurden diese Anfang der 1920er Jahre durch die knapp geschnittene, eng anliegende Dreiecksbadehose abgelöst: zwei zusammengenähte Dreiecke aus fester Baumwolle, die mit einem durchgezogenen Bändchen seitlich zugeschnürt oder mit Knöpfen geschlossen wurden. Saß der unelastische Stoff nicht perfekt, war die Gefahr freilich groß, dass die Hose beim Sprung ins Wasser verrutschte. Ein Revival erlebte die Dreiecksbadehose in der DDR.
Dreschflegel
Der eigentliche Flegel oder auch Schwengel, ein etwa acht Zentimeter dicker Holzprügel, war mit einem Lederband an einem hölzernen Stil befestigt. Mit ihm schleuderte man den Flegel durch die Luft auf die am Boden liegenden Getreidebündel und drosch so die Körner aus den Ähren. Mit Hilfe eines flachen Korbes, der sogenannten Worfel, trennte man Körner und Spreu: Beides wurde hochgeworfen, der Wind blies die leichte Spreu weg, die schweren Körner fielen in die Worfel zurück.
Dröppelmina
Duell
Die Literatur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wimmelt geradezu von Duellen, sei es Theodor Fontanes Roman Effi Briest, in dem der Baron von Innstetten wegen einer Affäre seiner Frau Genugtuung vom Major von Crampas fordert, sei es Anton Tschechows Drama Drei Schwestern, Arthur Schnitzlers Liebelei, Leutnant Gustl und Das weite Land oder Thomas Manns Roman Der Zauberberg.
Um eine Ehrenstreitigkeit auszutragen, um also für eine tatsächliche oder auch nur vermeintliche Beleidigung – etwa die direkte verbale Herabsetzung, die indirekte üble Nachrede oder die Ehrverletzung weiblicher Angehöriger des Beleidigten – Satisfaktion, sprich: Genugtuung, zu erhalten, unterzogen sich die...
Erscheint lt. Verlag | 9.12.2013 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur |
Sonstiges ► Geschenkbücher | |
Schlagworte | Geschenkbuch • Grossmutter • Großmutter • insel taschenbuch 4272 • IT 4272 • IT4272 • Vergangenheit • Wissenswertes |
ISBN-10 | 3-458-73359-0 / 3458733590 |
ISBN-13 | 978-3-458-73359-1 / 9783458733591 |
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