Nah und Fern

Wege meines Lebens
Buch | Hardcover
180 Seiten
2013
edition the global village (Verlag)
978-3-9816112-8-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Nah und Fern - Birgit Esser-Leonhardt
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Nach dem Tod ihres Mannes begann Birgit Esser-Leonhardt mit den Aufzeichnungen. Sie ist Jahrgang 1927. Ihre Autobiographe ist eine deutsche Geschichte. Sie ist so tpisch deutsch. Die Wurzeln ihrer Familie lagen in vielen Ländern.
Die glückliche Jugend im Ostseebad Zoppot bei Danzig wurde durch den Krieg beendet. Bis zum Aufbau einer neuen Existenz in der BRD war ein langer Weg zurückzulegen.
Glück ist eine Balance. Das Alter ist eine gute Zeit zurückzuschauen. Die Abgründe des Lebens schauen nur zwischen den Zeilen. Den Verlust der Heimat hat sie nie verwunden. Der Blick auf das Gute hat sie weiter getragen.
Die glücklichen Jahre in der jungen BRD beendet der Tod nach dreiundsechzig gemeinsamen Ehejahren.
Nun gilt es, einen neuen Sinn zu finden.

Am Donnerstag den 19. Juli 2012, hatte Rico keinen Appetit. Morgens nahm er nur ein Minimum zu sich. Im Laufe des Vormittags wurde ihm gelegentlich übel. Wäre mir bewusst gewesen, dies ist der Beginn seines Sterbens, dann hätte ich die Hausarbeit liegen lassen und mich nur meinem Mann gewidmet, geredet, geschmust und vieles mehr. Dies waren die letzten Stunden in seinem Leben, in denen er bei vollem Bewusstsein war. Die Wochen vorher spürte er, er würde bald sterben, aber er war voller Energie und Tatendrang. Er schaffte Ordnung bei den Videokassetten, holte einen Ordner nach dem anderen vor, weihte mich teilweise ein, vernichtete Verschiedenes. Ich musste ihn mit dem Auto zu einem Geschäft fahren, in dem er seine goldene Uhr verkaufte. Stolz gab er mir 112.- €. Er war bemüht, Ordnung und Vorsorge zu treffen. Mein Unwissen tut mir jetzt leid, aber wo lernen wir „das Leben, den Tod“ – nur die Erfahrung lehrt uns. Gegen Mittag schlief er ein, nach dem Erwachen hatte Rico ein ganz verklärtes Gesicht, eine helle Stimme. Er sprach sehr schnell und unverständlich über seinen Traum. Oder war es gar kein Traum? War es schon das Jenseits? Ich setzte mich dicht zu ihm ans Bett. Nun sprach er, jedoch immer noch mit heller Stimme und veränderten Gesichtsausdruck: „Was siehst du schön aus, was hast Du Schönes an, wo haben wir das gekauft?“ Er hatte mir doch immer gerne und viel Kleidung gekauft! Dann spitzte er die Lippen und wollte immer wieder Küsschen austauschen, was wir auch taten. Es war unser Abschiednehmen. Danach schlief er wieder ein. Als er erwachte, rief er: „Ich weiß, dass ich sterbe, aber ich will leben!“ Er begann zu toben, seine Beine hingen aus dem Bett. Ich musste mir Hilfe holen, rief die Diakonie an, die mir eine Schwester schickte. Sie half mir, Ricos Beine wieder ins Bett zu legen und ihn zu beruhigen. Gegen 21 Uhr kam die diensthabende Notärztin. Sie verstand, dass ich einen Krankenhausaufenthalt ablehnte. Ricos Wunsch war es, bei mir zu sterben. Er hatte Angst, wenn ich nur kurze Zeit nicht zuhause war. Ich redete ständig mit ihm, beruhigte mit Worten. Gegen 23 Uhr verließen mich die Ärztin und Schwester. Nun war ich alleine mit meinem Mann. Ich legte mich im Wohnzimmer auf das Sofa dicht neben seinem Pflegebett. Seit Dezember 2011 stand es hier im Wohnzimmer. Was war vorhergegangen? Am 15.4.2010 eine missglückte Operation mit der neuen „Schlüsselloch-Chirurgie“ der Gallenblase. Dabei kam es zu einer Dünndarmperforation, weshalb der Darm teilweise entfernt werden musste. Zu früh gezogene Drainage. 29.6.2010 erneute Operation, diesmal nach herkömmlicher Methode. Leberabszess ausgeräumt und Säuberung des Drainageweges von Eiter. Die langen Narkosen und Behandlungen führten am 14.10.2010 zu einem Schlaganfall. Normalerweise hätte Rico mit seinem niedrigen Blutdruck nicht dazu geneigt. Nun fiel er öfter hin, hervorgerufen durch Schwindelattacken. Im November 2011 war der Fall so unglücklich, mit dem Gesicht auf einen Metallfußabtreter, viele Schnittwunden bluteten. Im linken Knie war eine Sehne gerissen. Wieder Krankenhaus. Das Gesicht wurde genäht, das Knie operiert. Danach ging es in die Nachsorgeklinik, hier wurde er isoliert, er hätte einen Keim mitgebracht. Arztneffe Klaus-Dieter und seine Frau, auch Ärztin, rieten mir, ihn heim zu holen. Am Telefon organisierte ich ein Pflegebett und eine Physiotherapeutin. So kam Rico im Dezember 2011 heim. Bei der Entlassung sagte die Chefärztin: „Entschuldigung, es war kein Keim, eine falsche Diagnose.“ Vom Sofa neben ihm konnte ich ihn beobachten. Er schlief ruhig, ab und zu kam ein eigenartiges lautes Geräusch, wie ein Schrei. Gegen fünf Uhr morgens hörte ich einen sehr lauten Schrei. Es war wohl sein letzter Atemzug. Ich blieb bei ihm sitzen, legte meine Hand auf seine Stirn und redete ständig mit ihm: „Deine Großmama wirst Du wiedersehen.“ Ich zündete eine Kerze an und verbrachte so zwei Stunden oder mehr, die letzten mit meinem Mann. Voll Erstaunen sah ich, seine Hände lagen gefaltet auf seinem Bauch. Das habe ich nicht getan. Die Schwester und ich hatten seine Hände rechts und links neben seinen Körper gelegt. Rico hat wohl die Hände selbst gefaltet, als er im Sterben lag. Er war katholisch gläubig erzogen, betete täglich. Als ich die zwei oder drei Stunden alleine mit meinem toten Mann war, spürte ich, da ist noch „Etwas“. War es die Seele? Kein Herzschlag, kein Atemzug – aber irgendetwas war da noch. Das Gesicht veränderte sich, es wurde glatt, jung aussehend. Beim Abschied sah so aus wie beim Kennenlernen vor 65 Jahren. Alter und Krankheit waren verschwunden

Zusatzinfo null
Sprache deutsch
Maße 215 x 135 mm
Gewicht 340 g
Einbandart gebunden
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Schlagworte Alter • Biografie • Danzig • Deutsche Familie • Flucht und Vertreibung • Glück • Sinn • Sinnsuche • Sterben • Tod • Wirtschaftswunder
ISBN-10 3-9816112-8-4 / 3981611284
ISBN-13 978-3-9816112-8-1 / 9783981611281
Zustand Neuware
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