Gott schütze dieses Haus (eBook)

Roman
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2013 | 1. Auflage
416 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-12030-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gott schütze dieses Haus -  Elizabeth George
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'Elizabeth George ist die Meisterin des englischen Spannungsromans.' New York Times
Jahrhunderte lag ein Dorf im englischen Yorkshire im Dornröschenschlaf - bis ein brutaler Mord die Idylle stört: Der Dorfpfarrer entdeckt die enthauptete Leiche seines treuen Schäfchens William Teys in einer Scheune. Und neben dem Toten kauert Roberta, seine leicht debile Tochter, und behauptet: 'Ich war's.' Danach verstummt sie ...

Der zweite Fall für Inspector Lynley.

Akribische Recherche, präziser Spannungsaufbau und höchste psychologische Raffinesse zeichnen die Bücher der Amerikanerin Elizabeth George aus. Ihre Fälle sind stets detailgenaue Porträts unserer Zeit und Gesellschaft. Elizabeth George, die lange an der Universität »Creative Writing« lehrte, lebt heute in Seattle im Bundesstaat Washington, USA. Ihre Bücher sind allesamt internationale Bestseller, die sofort nach Erscheinen nicht nur die Spitzenplätze der deutschen Verkaufscharts erklimmen. Ihre Lynley-Havers-Romane wurden von der BBC verfilmt und auch im deutschen Fernsehen mit großem Erfolg ausgestrahlt.

1


Es war ein Fauxpas schlimmster Art. Er nieste der Frau mitten ins Gesicht, laut, naß, absolut unverzeihlich. Eine Dreiviertelstunde hatte er das Niesen zurückgehalten, dagegen gekämpft, als handle es sich um Henry Tudors Streitmacht bei der Schlacht von Bosworth. Bis er schließlich kapitulierte. Und nach vollbrachter Tat fing er zu allem Überfluß auch noch zu schniefen an.

Die Frau fixierte ihn. Sie war genau der Typ, in dessen Anwesenheit er unweigerlich zum stammelnden Idioten wurde, mindestens einen Meter achtzig groß, mit jener modischen Unbekümmertheit gekleidet, die für die britische upper class bezeichnend ist, alterslos und zeitlos. Sie fixierte ihn mit stahlblauem Blick, unter dem sich vor vierzig Jahren gewiß manches Zimmermädchen in Tränen aufgelöst hatte. Sie mußte weit über sechzig, vielleicht schon fast achtzig sein, aber es war schwer zu sagen. Sie saß kerzengerade, die Hände im Schoß gefaltet, mit der vorschriftsmäßigen Haltung der höheren Tochter, die sich nicht die kleinste der Bequemlichkeit förderliche Regung gestattet.

Und sie fixierte ihn. Erst seinen Priesterkragen, dann seine tropfende Nase.

Verzeihen Sie, Verehrteste. Ich bitte tausendmal um Verzeihung. Ein kleiner Fauxpas wie ein Niesen darf doch eine Freundschaft wie die unsere nicht zerstören. Er war immer so witzig, wenn er seine geistigen Dialoge führte. Nur wenn er laut sprach, kam er fürchterlich ins Schleudern.

Er schniefte wieder. Sie starrte ihn immer noch an. Wieso reiste sie überhaupt zweiter Klasse? Sie war in Doncaster ins Abteil gerauscht wie eine überalterte Salome, freilich zugeknöpfter gekleidet, und hatte dann die ganze Fahrt nichts anderes getan, als entweder von dem widerlich riechenden lauwarmen Kaffee der Britischen Eisenbahn zu nippen oder ihn in einer Art und Weise anzuschauen, welche die Mißbilligung der gesamten englischen Staatskirche zum Ausdruck brachte.

Und dann kam das Niesen. Tadellos korrektes Verhalten von Doncaster bis London hätte seine Zugehörigkeit zur römischkatholischen Kirche vielleicht entschuldigen können. Das Niesen jedoch trug ihm ewige Verdammnis ein.

»Ich – äh – das heißt – Sie müssen verzeihen...«

Es hatte keinen Sinn. Sein Taschentuch war tief in seiner Tasche vergraben. Um es herauszuziehen, hätte er den abgewetzten Aktenkoffer auf seinem Schoß loslassen müssen, und das war undenkbar. Es geht hier nicht um eine Verletzung der Etikette, Madam. Hier geht es um Mord! Bei diesem Gedanken schniefte er mit selbstgerechtem Nachdruck.

Die Frau nahm noch korrektere Haltung an; ihre Mißbilligung war nun nicht mehr zu übersehen. Ihr Blick sagte alles. Er spiegelte jeden ihrer Gedanken, und er konnte sie alle lesen: Ein jämmerlicher kleiner Mann. Erbärmlich. Zweifellos keinen Tag jünger als funfundsiebzig und sieht entsprechend aus. Aber was kann man von solchen Leuten schon erwarten? Drei Schnitte im Gesicht von der schlechten Rasur und im Mundwinkel noch ein Krümel vom Frühstückstoast; abgetragener schwarzer Anzug, an Ellbogen und Manschetten ausgebessert; und der Schlapphut voller Staub. Und dieser gräßliche Koffer auf seinem Schoß! Er hielt ihn die ganze Zeit fest, so als wäre sie nur mit der Absicht in den Zug gestiegen, ihn ihm zu entreißen. Guter Gott!

Die Frau seufzte und wandte sich ab, als suche sie Erlösung. Aber die blieb ihr versagt. Seine Nase tropfte weiter, bis das Langsamerwerden des Zuges endlich das nahe Ende ihrer gemeinsamen Fahrt ankündigte.

Im Aufstehen strafte sie ihn mit einem letzten Blick. »Endlich begreife ich, was die Katholiken meinen, wenn sie vom Fegefeuer sprechen«, zischte sie und rauschte hinaus.

»Ach du meine Güte«, murmelte Pater Hart. »Ach du meine Güte, ich habe anscheinend tatsächlich...«

Aber sie war schon weg. Der Zug hatte unter dem gewölbten Dach des Londoner Bahnhofs angehalten. Nun war es an der Zeit, den Auftrag zu erledigen, der ihn in die Stadt geführt hatte.

Er hielt noch einmal Umschau, um sich zu vergewissern, daß er alle seine Sachen beisammen hatte; völlig überflüssige Gewissenhaftigkeit, da er aus Yorkshire nichts mitgenommen hatte als den Aktenkoffer, den er bisher nicht aus der Hand gegeben hatte. Mit zusammengekniffenen Augen schaute er durch das Fenster in die riesige Halle des King’s-Cross-Bahnhofs hinaus.

Er hatte eher etwas wie den Victoria-Bahnhof erwartet mit seinen gemütlichen alten Backsteinmauern, seinen Verkaufskiosken und Straßenmusikanten, die der Polizei immer eine Nasenlänge voraus waren. Aber King’s Cross war ganz anders: große Flächen gefliesten Bodens, marktschreierische Reklametafeln, die von der Decke herabhingen, Bücherstände, Kioske mit Süßigkeiten, Hamburgerbuden. Und die vielen Leute! Viel mehr, als er erwartet hatte. In langen Schlangen standen sie vor den Schalterfenstern, rannten, rasch noch einen Imbiß hinunterschlingend, zu ihren Zügen, redeten, lachten, umarmten sich abschiednehmend. Menschen jeder Rasse und Hautfarbe. Wie ungewohnt! Der Lärm und das Durcheinander verwirrten ihn.

»Wollen Sie aussteigen, Pater, oder haben Sie vor, hier zu nächtigen?«

Verdutzt blickte Pater Hart in das rotwangige Gesicht des Schaffners, der ihm am Morgen bei der Abfahrt des Zuges aus York bei der Suche nach seinem Platz geholfen hatte. Es war ein freundliches nordenglisches Bauerngesicht, vom Wind der Hochmoore mit einem Netzwerk feiner geplatzter Äderchen gezeichnet.

»Wie? Ich – O ja... Ich muß raus.« Pater Hart machte entschlossene Anstrengungen, sich von seinem Platz zu erheben. »Ich war seit Jahren nicht mehr in London«, fügte er hinzu, als könne diese Bemerkung sein Widerstreben, den Zug zu verlassen, erklären.

Der Schaffner nahm sie als Aufforderung zum Gespräch.

»Kommen Sie, ich helfe Ihnen«, sagte er. »Haben Sie Ihren Koffer?«

»Ich – ja, ja, ich hab’ ihn.«

Pater Hart ignorierte die hilfreich dargebotene Hand des Mannes. Schon spürte er den Schweiß an den Händen und unter den Achseln, in den Lenden und in den Kniekehlen und fragte sich, wie er diesen Tag überstehen sollte.

»Gut, dann raus auf den Bahnsteig.«

Pater Hart spürte den neugierigen Blick des Schaffners, der von seinem Gesicht zum Aktenkoffer glitt. Er hielt den Griff des Köfferchens fester. In der Hoffnung, dadurch entschlossener zu wirken, spannte er seinen Körper an, bekam aber nur einen äußerst schmerzhaften Krampf im linken Fuß. Er stöhnte vor Schmerz.

Der Schaffner war besorgt. »Sie sollten vielleicht besser nicht allein reisen. Brauchen Sie wirklich keine Hilfe?«

Doch, natürlich brauchte er Hilfe. Aber es konnte ihm keiner helfen. Er konnte sich nicht einmal selbst helfen.

»Nein, nein. Ich bin gleich draußen. Sie waren sehr freundlich. Heute morgen mit meinem Sitzplatz, meine ich. In der ersten Verwirrung.«

Der Schaffner winkte ab.

»Machen Sie sich da nichts draus. Viele Leute wissen nicht, daß mit den Karten auch Plätze reserviert sind. Ist ja alles glattgegangen, nicht?«

»Ja. Ich denke doch...«

Pater Hart holte in aller Eile tief Luft. Den Gang entlang, zur Tür hinaus, zur Untergrundbahn, befahl er sich. Das mußte doch zu schaffen sein. Er schlurfte zur Wagentür. Der Koffer, den er mit beiden Händen in Bauchhöhe hielt, schlug ihm bei jedem Schritt gegen die Schenkel.

»Moment, Pater«, sagte der Schaffner hinter ihm. »Die Tür geht ein bißchen schwer. Lassen Sie mich das machen.«

Er ließ den Mann in dem engen Gang an sich vorbei. Schon drängten zur hinteren Tür zwei mißmutige Männer vom Reinigungspersonal herein, mit Müllsäcken über den Schultern, um den Zug für die Rückfahrt nach York in Schuß zu bringen. Es waren zwei Pakistanis, und obwohl sie englisch sprachen, konnte Pater Hart infolge ihres exotischen Akzents kein Wort verstehen.

Er erschrak, als ihm das bewußt wurde. Was tat er hier in der Hauptstadt, wo die Einwohner Ausländer waren, die ihn mit dunklen, feindseligen Augen und fremdartigen Gesichtern ansahen? Was hoffte, er denn zu erreichen? Was war das für eine Torheit? Wer würde glauben –

»Brauchen Sie Hilfe, Pater?«

Endlich fand Pater Hart eine entschlossene Antwort.

»Nein. Es geht gut. Sehr gut.«

Er schaffte es die Stufen hinunter, spürte den Beton des Bahnsteigs unter seinen Füßen, hörte das Gurren der Tauben hoch oben unter dem gewölbten Dach der Bahnhofshalle. Zerstreut machte er sich auf den Weg den Bahnsteig entlang zum Ausgang Euston Road.

Hinter sich hörte er wieder den Schaffner.

»Werden Sie abgeholt? Wissen Sie, wohin Sie müssen? Wohin wollen Sie denn jetzt?«

Pater Hart straffte die Schultern.

»Zu Scotland Yard«, antwortete er mit fester Stimme.

 

Der St.-Pancras-Bahnhof gleich auf der anderen Straßenseite bildete einen so eklatanten Gegensatz zum King’s-Cross-Bahnhof, daß Pater Hart einfach stehenbleiben mußte, um den Bau in seiner ganzen neugotischen Großartigkeit zu bestaunen. Straßenlärm und Abgasgestank waren mit einem Mal bedeutungslos. Architektur interessierte ihn, und hier hatte sie die tollsten Blüten getrieben.

»Herr im Himmel, ist das eine Pracht«, murmelte er, den Kopf nach rückwärts geneigt, um die Gipfel und Schluchten des Bahnhofsgebäudes besser betrachten zu können. »Wenn man das Ding ein bißchen säubern würde, wäre es der reinste Palast.« Er schaute sich abwesend um, so als wollte er den nächsten Passanten anhalten, um ihm einen Vortrag über die üblen Auswirkungen jahrzehntelanger Kohleheizung auf das alte Gebäude zu halten. »Es würde mich wirklich interessieren, wer –«

Ein Polizeifahrzeug raste plötzlich mit heulender...

Erscheint lt. Verlag 11.11.2013
Reihe/Serie Ein Inspector-Lynley-Roman
Übersetzer Mechtild Sandberg-Ciletti
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel A Great Deliverance
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte Dorf • eBooks • England • Enthauptung • Ermittlung • Fassade • Gesellschaft • Idylle • InspectorLynley • Krimi • Kriminalroman • Kriminalromane • Krimis • Mord • Polizei • Reihe • Roman • Verbrechen
ISBN-10 3-641-12030-6 / 3641120306
ISBN-13 978-3-641-12030-6 / 9783641120306
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