Gesamtausgabe (eBook)
816 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-402068-6 (ISBN)
Anne Frank, am 12. Juni 1929 in Frankfurt am Main geboren, emigriert 1933 mit ihren Eltern nach Amsterdam. Nachdem die deutsche Wehrmacht 1940 die Niederlande überfallen und besetzt hat, versteckt sich Anne Franks Familie gemeinsam mit vier anderen in einem Hinterhaus der Firma von Otto Frank. Ihrem Tagebuch vertraut die dreizehnjährige Anne während dieser Zeit ihre Gefühle und Gedanken an, beschreibt ihren Alltag im Versteck und die erdrückende Angst vor der Entdeckung. Das Tagebuch endet am 1. August 1944: Die jüdischen Bewohner des Hinterhauses werden denunziert und drei Tage später verhaftet, die Familie Frank wird nach Auschwitz deportiert und dort getrennt. Anne Frank und ihre Schwester Margot sterben sieben Monate später im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Am 6. Januar 1945 stirbt ihre Mutter Edith in Auschwitz. Otto Frank, der Vater von Anne und Margot, ist der einzige Überlebende aus dem Hinterhaus. Nach dem Krieg erhält er die Tagebücher seiner Tochter und publiziert 1947 erstmals Auszüge daraus. Bis heute ist die Vollversion des Tagebuchs von Anne Frank in über 80 Sprachen veröffentlicht worden.
Anne Frank, am 12. Juni 1929 in Frankfurt am Main geboren, emigriert 1933 mit ihren Eltern nach Amsterdam. Nachdem die deutsche Wehrmacht 1940 die Niederlande überfallen und besetzt hat, versteckt sich Anne Franks Familie gemeinsam mit vier anderen in einem Hinterhaus der Firma von Otto Frank. Ihrem Tagebuch vertraut die dreizehnjährige Anne während dieser Zeit ihre Gefühle und Gedanken an, beschreibt ihren Alltag im Versteck und die erdrückende Angst vor der Entdeckung. Das Tagebuch endet am 1. August 1944: Die jüdischen Bewohner des Hinterhauses werden denunziert und drei Tage später verhaftet, die Familie Frank wird nach Auschwitz deportiert und dort getrennt. Anne Frank und ihre Schwester Margot sterben sieben Monate später im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Am 6. Januar 1945 stirbt ihre Mutter Edith in Auschwitz. Otto Frank, der Vater von Anne und Margot, ist der einzige Überlebende aus dem Hinterhaus. Nach dem Krieg erhält er die Tagebücher seiner Tochter und publiziert 1947 erstmals Auszüge daraus. Bis heute ist die Vollversion des Tagebuchs von Anne Frank in über 80 Sprachen veröffentlicht worden.
Die Bedeutung dieser Gesamtausgabe liegt im Vergleich der Tagebuchfassungen.
das bislang profundeste editorische Projekt dieser exemplarischen Arbeit gegen das Vergessen
ein sorgfältig dokumentiertes Stück Zeitgeschichte, das in jeden Bücherschrank gehört.
Liebe Kitty!
Eine neue Idee! Ich rede bei Tisch mehr mit mir selbst als mit den anderen. Das ist in zweierlei Hinsicht günstig. Erstens sind alle froh, wenn ich nicht ununterbrochen quatsche, und zweitens brauche ich mich über die Meinung anderer Leute nicht zu ärgern. Meine eigene Meinung finde ich nicht blöd, die anderen tun das aber, also kann ich sie genauso gut für mich behalten. Ebenso mache ich es, wenn ich etwas essen muss, was ich überhaupt nicht ausstehen kann. Ich stelle den Teller vor mich und bilde mir ein, es sei etwas sehr Leckeres, schaue möglichst wenig hin, und ehe ich mich versehe, ist es aufgegessen. Morgens beim Aufstehen – auch etwas, was nicht angenehm ist – springe ich aus dem Bett, denke mir »du legst dich gleich wieder gemütlich rein«, laufe zum Fenster, mache die Verdunklung weg, schnüffle so lange an dem Spalt, bis ich ein bisschen frische Luft spüre, und bin hellwach. Das Bett wird so schnell wie möglich auseinandergelegt, dann ist die Verführung weg. Weißt du, wie Mutter so etwas nennt? Eine Lebenskünstlerin. Findest du das Wort nicht auch witzig?
Seit einer Woche sind wir alle ein bisschen durcheinander mit der Zeit, weil anscheinend unsere liebe und teure Westerturmglocke weggeholt worden ist, für irgendeine Fabrik, und wir wissen seither weder bei Tag noch bei Nacht genau, wie spät es ist. Ich hoffe, man wird etwas finden, was der Nachbarschaft die Glocke wenigstens ein bisschen ersetzt, ein zinnernes, kupfernes oder was weiß ich für ein Ding.
Wo ich auch bin, unten oder oben oder wo auch immer, jeder schaut mir bewundernd auf die Füße, an denen ein paar außergewöhnlich schöne Schuhe (für diese Zeit!) prangen. Miep hat sie für 27,50 Gulden ergattert. Weinrot, Peau de Suède und mit einem ziemlich hohen Blockabsatz. Ich gehe wie auf Stelzen und sehe noch größer aus, als ich ohnehin schon bin.
Gestern hatte ich einen Unglückstag. Ich stach mich mit dem hinteren Ende einer dicken Nadel in den rechten Daumen. Die Folge war, dass Margot an meiner Stelle die Kartoffeln schälen musste (das Gute beim Schlechten) und ich krakelig schrieb. Dann rannte ich mit dem Kopf gegen die Schranktür, fiel fast rückwärts um, bekam einen Rüffel wegen des Lärms, den ich wieder gemacht hatte, durfte den Wasserhahn nicht aufdrehen, um meine Stirn zu betupfen, und laufe nun mit einer Riesenbeule über dem rechten Auge herum. Zu allem Unglück blieb ich mit meinem rechten kleinen Zeh im Stift vom Staubsauger hängen. Es blutete und tat weh, aber ich hatte so viel mit meinen anderen Leiden zu tun, dass dieses Wehwehchen dagegen ins Nichts versank. Dumm genug, denn nun laufe ich mit einem infizierten Zeh und Zugsalbe, Verbandmull und Heftpflaster herum und kann meine großartigen Schuhe nicht anziehen.
Dussel hat uns zum soundsovielten Mal in Lebensgefahr gebracht. Miep brachte wahrhaftig ein verbotenes Buch für ihn mit, eine Schmähschrift über Mussolini. Unterwegs wurde sie von einem SS-Motorrad angefahren. Sie verlor die Nerven, schrie »Elende Schufte!«, und fuhr weiter. Ich will lieber nicht daran denken, was passiert wäre, wenn sie mit zum Büro gemusst hätte!
Deine Anne
Die Pflicht des Tages in der Gemeinschaft: Kartoffelschälen!
Der eine holt das Zeitungspapier, der zweite die Messer (und behält natürlich das beste für sich selbst), der dritte die Kartoffeln, der vierte das Wasser.
Herr Dussel fängt an. Er schält nicht immer gut, dafür aber ohne Pause, schaut kurz nach links und rechts, ob jeder es auch ja auf die gleiche Art tut wie er. Nein!
»Anne, schau mal, ich nehme das Messer so in die Hand, schäle von oben nach unten! Nein, so nicht, sondern so!«
»Ich finde es anders bequemer, Herr Dussel«, bemerke ich schüchtern.
»Aber das ist doch die beste Art, du kannst es mir glauben. Mir kann es natürlich egal sein, du musst es selbst wissen.«
Wir schälen wieder weiter. Ich schaue verstohlen zu meinem Nachbarn hinüber. Der schüttelt gedankenverloren den Kopf (sicher über mich), schweigt aber.
Ich schäle weiter, schaue dann kurz zur anderen Seite, wo Vater sitzt. Für Vater ist Kartoffelschälen nicht einfach eine Tätigkeit, sondern eine Präzisionsarbeit. Wenn er liest, hat er eine tiefe Falte am Hinterkopf, wenn er aber hilft, Kartoffeln, Bohnen oder anderes Gemüse vorzubereiten, dann scheint überhaupt gar nichts zu ihm durchzudringen, dann hat er sein Kartoffelgesicht. Und nie wird er eine weniger gut geschälte Kartoffel abliefern, das gibt es einfach nicht, wenn er so ein Gesicht macht.
Ich arbeite weiter, schaue kurz auf und weiß genug. Frau van Daan versucht, ob sie Dussels Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Erst schaut sie zu ihm hin, und Dussel tut, als ob er nichts merkt. Dann zwinkert sie ihm zu, Dussel arbeitet weiter. Dann lacht sie, Dussel schaut nicht hoch. Jetzt lacht Mutter auch, Dussel macht sich nichts daraus. Frau van Daan hat nichts erreicht, nun muss sie es also anders anfangen. Kurze Stille, dann kommt: »Putti, nimm doch eine Schürze vor! Morgen muss ich auch wieder die Flecken an deinem Anzug saubermachen.«
»Ich mache mich nicht schmutzig.«
Wieder einen Moment Stille, dann: »Putti, warum setzt du dich nicht hin?«
»Ich stehe gut so, ich stehe lieber.« Pause.
»Putti, schau, du spritzt schon.«
»Ja, Mami, ich passe schon auf.«
Frau van Daan sucht ein anderes Thema. »Sag, Putti, warum bombardieren die Engländer jetzt nicht?«
»Weil das Wetter zu schlecht ist, Kerli.«
»Aber gestern war das Wetter doch schön, und sie sind auch nicht geflogen.«
»Reden wir nicht darüber.«
»Warum? Darüber kann man doch reden und seine Meinung sagen.«
»Nein!«
»Warum denn nicht?«
»Sei jetzt mal still, Mamichen.«
»Herr Frank gibt seiner Frau doch auch immer Antwort.«
Herr van Daan kämpft, das ist seine empfindliche Stelle, das kann er nicht aushalten, und Frau van Daan fängt wieder an: »Die Invasion kommt doch nie!«
Herr van Daan wird weiß. Als Frau van Daan das merkt, wird sie rot, fährt aber trotzdem fort: »Die Engländer leisten nichts!«
Die Bombe platzt. »Jetzt halt mal deinen Mund, zum Donnerwetter nochmal!«
Mutter kann sich das Lachen kaum verbeißen, ich schaue stur vor mich hin.
So etwas wiederholt sich fast jeden Tag, wenn sie nicht gerade einen schlimmen Streit gehabt haben. Dann halten sowohl Herr van Daan als auch seine Frau den Mund.
Ich muss noch ein paar Kartoffeln holen und gehe zum Dachboden. Dort ist Peter damit beschäftigt, die Katze zu entflöhen. Er schaut hoch, die Katze merkt es, wupp … weg ist sie, durch das offene Fenster in die Dachrinne.
Peter flucht, ich lache und verschwinde.
Die Freiheit im Hinterhaus
Halb sechs: Bep kommt herauf, um uns die Abendfreiheit zu schenken. Jetzt kommt sofort Schwung in den Betrieb. Ich gehe erst mit Bep nach oben, wo sie meistens unseren Nachtisch vom Abendessen im Voraus bekommt.
Bep sitzt noch nicht richtig, da fängt Frau van Daan schon an, ihre Wünsche aufzuzählen. »Ach, Bep, ich habe noch einen Wunsch …«
Bep zwinkert mir zu. Frau van Daan lässt keine Gelegenheit aus, um jedem, der nach oben kommt, ihre Wünsche mitzuteilen. Das ist sicher einer der Gründe, dass sie alle nicht gern hinaufgehen.
Viertel vor sechs: Bep geht. Ich gehe zwei Stockwerke tiefer. Erst in die Küche, dann ins Privatbüro, dann in den Kohlenverschlag, um für Mouschi das Mäusetürchen aufzumachen.
Nachdem ich mich überall umgeschaut habe, lande ich in Kuglers Zimmer. Dort sucht van Daan in allen Schubladen und Mappen nach der Tagespost. Peter holt die Lagerschlüssel und Moffi, Pim schleppt die Schreibmaschinen nach oben, Margot sucht sich einen ruhigen Platz für ihre Büroarbeit, Frau van Daan setzt einen Kessel Wasser auf den Gasherd, und Mutter kommt mit einem Topf Kartoffeln die Treppe herunter. Jeder weiß, welche Arbeit er zu tun hat.
Schon bald kommt Peter vom Lager zurück. Die erste Frage gilt dem Brot: Es ist vergessen worden. Er macht sich so klein wie möglich, kriecht auf allen vieren durch das vordere Büro zum Stahlschrank, nimmt das Brot und verschwindet. Das heißt, er will verschwinden, denn bevor er kapiert, was geschieht, ist Mouschi über ihn hinweggesprungen und hat sich unter dem Schreibtisch verkrochen.
Peter sucht in allen Ecken. Hach, dort ist die Katze! Wieder kriecht er in das Büro hinein und zieht das Tier am Schwanz. Mouschi faucht. Peter seufzt. Was hat er erreicht? Mouschi sitzt nun direkt am Fenster und leckt sich, sehr zufrieden damit, dass sie Peter entkommen ist. Jetzt hält er als letztes Lockmittel der Katze ein Stück Brot hin. Jawohl, sie folgt ihm, und die Tür schließt sich.
Ich habe alles durch den Türspalt beobachtet.
Herr van Daan ist böse, schmeißt mit der Tür. Margot und ich schauen uns an und denken das Gleiche: Er hat sich bestimmt wieder über irgendeine Dummheit von Kugler aufgeregt und denkt jetzt nicht an unsere Nachbarn.
Da hört man wieder Schritte im Flur. Dussel kommt herein, geht in Besitzerhaltung zum Fenster, atmet tief – und hustet, niest, keucht! Er hat Pech gehabt, das war Pfeffer. Nun setzt er seinen Weg zum vorderen Büro fort. Die Vorhänge sind offen, das bedeutet, dass er sich kein Briefpapier holen kann. Mit mürrischem Gesicht verschwindet er.
Margot und ich werfen uns einen Blick zu. »Morgen bekommt seine Liebste ein Blatt weniger«, sagt sie. Ich nicke zustimmend.
Auf der...
Erscheint lt. Verlag | 23.10.2013 |
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Übersetzer | Mirjam Pressler |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Briefe / Tagebücher |
Schlagworte | Ägypten • Ägyptenbuch • Amsterdam • Anne Frank • Anne Frank Fonds • Anne M. Frank • Bergen Belsen • Biographie • Brief • briefromane • Buddy Elias • Cady van Altenhoven • Deutsche Besatzung • Deutschland • Erzählung • Hinterhaus • Holocaust • Judenverfolgung • Kollaboration • Margot Frank • Niederlande • Otto Frank • Paula Müller • Peter van Pels • Schullektüre über Nationalsozialismus • Shoa • Tagebuch |
ISBN-10 | 3-10-402068-X / 310402068X |
ISBN-13 | 978-3-10-402068-6 / 9783104020686 |
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