Überleben ist unser letzter Sabotageakt - Das Nachtvolk - Aïda Asgharzadeh

Überleben ist unser letzter Sabotageakt - Das Nachtvolk

Theaterstück
Buch
64 Seiten
2013
Edition Contra-Bass (Verlag)
978-3-943446-11-1 (ISBN)
9,90 inkl. MwSt
Das Nachtvolk der iranischen Autorin Aïda Asgharzadeh wurde mit grossem Erfolg auf dem Theaterfestival in Avignon aufgeführt. Drei junge Frauen, die nach Aschwitz deportiert werden: Sie werden ihrer Identität beraubt, wie Tiere behandelt. Indem sie sich gegenseitig bekämpfen und bespitzeln, begreifen sie, dass sie dieser Logik dienen. So beginnen sie, sich bei dem Versuch zu unterstützen, trotz des Wahnsinns zu leben. In der Waffenfabrik beteiligen sie sich an Sabotageaktionen und sammeln Waffen für den Auftsand. Die drei Frauen stehen für die Deportierten der Vernichtungslager ebenso wie für die politischen Gefangenen in den heutigen Foltergefängnissen von Guantanamo bis Teheran. Das Theaterstück wurde für den Geschichtsunterricht an französischen Schulen geschrieben. Von jungen Frauen gespielt, vermittelt es Jugendlichen einen emotionalen Zugang zum Thema Unterdrückung und Widerstand.

Gerd Stange ist Schriftsteller, Übersetzer und seit 40 Jahren in der Erwachsenenbildung engagiert. Er hat das Autonome Bildungs-Centrum e.V. in Hüll bei Hamburg und das Ferienzentrum Culture & Contact in der Provence mitgegründet. 1974 hat er das Sozialistische Büro in Hamburg mit aufgebaut und ist seitdem Verfechter basis-demokratischer Strukturen. Gerd Stange lebt und arbeitet seit 1997 in Saint Saturnin lès Apt und in Hamburg.

6. GLYZINIEN
Verteilung der täglichen Suppenration.
Februar 1944.
Jeanne
Ich beobachte dich seit einigen Tagen auf der Baustelle. Du bist viel am Schwanken
Esther
Das ist die Müdigkeit. Wird schon vorbeigehn.
Jeanne
Bist du sicher? Wieviel Monate noch?
Esther
Jeanne
Ach Esther, du bist so mager, da kannst du sicher sein, man wird es nicht sehen, wenn man nicht darauf achtet. Und ich kann dir versichern, dass du für sie keine so große Bedeutung hast. Ich hab dir schon gesagt, lass dir was einfallen für die Krankenschwester vom Revier. Die Metzger. Du besorgst ihr Zigaretten oder Kleidungsstücke, und in einer Woche hat sie schon einen Termin für dich.
Esther
Um was zu machen?
Jeanne
In der Regel ist es nicht sehr gut, krankgeschrieben zu werden. Wozu nützt du ihnen dann noch, wenn du nicht mehr normal funktionierst?
Esther
Nein, Jeanne, der Termin, was soll da geschehen?
Jeanne
Schau mal an, Esther, welches Spiel spielst du mit mir?
Esther
Kümmer dich um deine Angelegenheiten.
Jeanne
Weißt du, was sie mit den Babys machen, die hier geboren werden? Vorausgesetzt, dass sie dich nicht schon als Schwangere in die Kammer schicken? Sie schnappen sie sich und schmeissen sie
Esther
Hör auf!
Jeanne
Pst. Ich sag dir, besorg was für Agathe. Sie wird dir helfen abzutreiben!
Esther bleibt allein zurück. Sie weiß, wenn sie auf die Krankenstation geht, dass sie sich von ihren letzten glücklichen Erinnerungen verabschiedet: von dem Tag, an dem er ihren Bauch rund gemacht hat.
Esther
An der Straßenecke vom Boulevard Poissonnière. Um siebzehn Uhr. Ich habe mich ein wenig verspätet. Nein, ich bin gar nicht zu spät. Fast noch pünktlich. Er hat noch Glyzinien gepflückt, im Stadtpark. Da bleibt ihnen die Spucke weg, den Polizisten. Er küsst mich zur Begrüßung. Nicht auf den Mund, nein. Auch nicht auf die Wange, nein. Den Hals. Ja. Auf den Hals. Ein Beben. "Schau die Sterne." Wie gut das neue Leder riecht, und über uns die Sterne, einige Sternschnuppen. "Schnell, Esther, wünsch dir was!" Ja, das ist schön "Pst, sag jetzt nichts." Er packt meine Hand. "Lauf! Komm schon, lauf!" Alles dreht sich. Das Pflaster der Rue Montmartre! Die Sonnenuhr vom Karussell! Oh, die Glocken von Notre-Dame! Die Glyzinie am Ufer der Seine "Lass einfach alles geschehn." Er verbindet mir die Augen. Nein! Das kristallene Klirren der Gläser, die aneinander stoßen. Sanftes, leichtes Gelächter. Sein sanftes und leichtes Lachen. Sein sanftes und leichtes Lachen. Sein sanftes und leichtes Lachen
7. CHARLES HAÏM
Auf der Krankenstation des Lagers.
Zwei Wochen später.
Agathe
Was hast du mir mitgebracht?
Esther
Meine Stiefel. Ich hab nichts andres.
Agathe
Das wird schon gehen.
Etwas später
Agathe
Komm mit mir!
Esther
Warte! Er wird Jonathan heißen, nein Michael, nein Karl, ja Karl. Das ist diskreter als David oder Jakob.
Agathe, sie begreift das Spiel.
Das machst du richtig.
Esther, erfindet
Seine Lehrer werden ihn in der Schule turbulent finden, aber er wird kein böses Kind sein Seine Nachmittage wird er damit verbringen, dass er mit den Kameraden Fußball spielt. Er wird mir immer zurufen: "Ich komme! Ich komme!" Aber ich werde ihn jedes Mal von der Straße holen müssen Und dann wird er sich für Medizin interessieren. Er wird auf die große medizinische Fakultät in Paris gehen.
Agathe
In dem Fall wird er bestimmt auf meine Tochter treffen.
Esther
Ach, hast du eine Tochter?
Agathe
Ja, sie ist erst siebzehn Jahre alt! Sie ist brillant. Sie hat mir von deinem Karl erzählt. Sie findet ihn ganz schön unverschämt.
Esther
Das, das ist, weil sie verliebt ist!
Agathe
Überhaupt nicht!
Esther
Aber ganz bestimmt ist sie das, sie hat einen Strauß Glyzinien auf Karls Heft gelegt.
Agathe
Man kann nicht wirklich sagen, dass dein Karl meiner Tochter den Hof machen würde.
Esther
Nein, das geht von ihr aus ....

Erscheint lt. Verlag 11.11.2013
Übersetzer Gerd Stange
Sprache deutsch
Original-Titel Le Peuple de la Nuit
Maße 140 x 220 mm
Gewicht 101 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Schlagworte Auschwitz • Politisch Verfolgte • Religiös Verfolgte • Theater, Konzentrationslager, Deportation, Unterdrückung, Widerstand, Überleben, Sabotage, Frauen im KZ • Unterdrückung • Widerstand
ISBN-10 3-943446-11-5 / 3943446115
ISBN-13 978-3-943446-11-1 / 9783943446111
Zustand Neuware
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