Ein Rosenkranz von Glücksfällen - Jan Lustig

Ein Rosenkranz von Glücksfällen

Protokoll einer Flucht

(Autor)

Erich A Frey (Herausgeber)

Buch | Hardcover
100 Seiten
2001
Weidle Verlag
978-3-931135-59-1 (ISBN)
16,00 inkl. MwSt
zur Neuauflage
  • Titel erscheint in neuer Auflage
  • Artikel merken
Zu diesem Artikel existiert eine Nachauflage
»Paris, 1. Januar – Um die Mitternachtsstunde des Silvesterabends erzählte ich eine Anekdote. Ilse und ihr Mann waren da. Man lachte Tränen, es war Punkt zwölf, und man lachte weiter. >Ein gutes Zeichen.< - Ich habe immer noch dieses Gelächter im Ohr. Es wird einen gespenstischen Widerhall haben. - Wir schreiben 1940 ...« So beginnt Jan Lustigs Tagebuch seiner Flucht aus Frankreich über Spanien und Portugal in die USA. Lustig arbeitete damals als Autor für den Regisseur Marc Allégret. Mit dem Einmarsch der Deutschen in Frankreich mußte er Paris verlassen und floh samt Frau und Hund nach Bordeaux. Sein Tagebuch beschreibt die Schlangen vor Konsulaten, die überfüllten Züge und Bahnhöfe, das zermürbende Warten auf ein Visum in Portugal, die Entbehrungen einer Zeit, in der das Leben von Stempeln abhing. Erst am 12. November konnte er Europa verlassen. Ein Rosenkranz von Glücksfällen ist weit mehr als ein bloßes Notat der Ereignisse das Buch setzt sich mosaikartig aus bildhaften, mit sehr viel Einfühlungsvermögen geschilderten Szenen zusammen. Lustig hat kurz vor seinem Tod noch an dem Text gearbeitet, und der Leser staunt, daß ein Autor, der eine so wunderbar genaue Prosa schrieb, weitgehend unbekannt ist.

Jan Lustig wurde 1902 in Brünn geboren. 1924 zog er nach Berlin, wo er als Journalist arbeitete, u. a. als Feuilletonredakteur des »Tempo«, für das auch Billy Wilder damals schrieb. Die beiden wurden Freunde und wohnten im Pariser Exil im selben Hotel. Wilder schaffte bald den Sprung nach Hollywood, Lustig, der als Drehbuchautor großen Erfolg hatte, blieb – bis es fast zu spät war. In Hollywood schrieb er für MGM. Nach dem Tod seiner Frau Charlotte kehrte er nach Deutschland zurück, wo er Liesl Frank heiratete, die Tochter Fritzi Massarys und Witwe von Bruno Frank. Er schrieb weiter Filme, daneben Feuilletons, und er veröffentlichte einen Band mit Erzählungen.

1979 ist Jan Lustig in München gestorben.

7. September 1940 Liebestragödien in der Emigration (die Kehrseite) Ein junges portugiesisches Ehepaar, Kurgäste in Figueira beides reizende Leute, eine vorbildliche, rührend zärtliche Ehe. Sie nehmen sich einer armen, alleinstehenden Emigrantin an, einer jungen, sehr blonden, sehr gut gewachsenen Holländerin. Sie sitzt an ihrem Tisch in der Pension, sie sind sehr lieb zu ihr und trösten sie über manchen Kummer hinweg. Die blonde Holländerin blüht auf, wird immer lustiger, trägt ein Strandkostüm, das die bezaubernden, gebräunten Arme und den Rücken frei läßt. Die kleine portugiesische Ehefrau verfällt zusehends, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, man merkt ihr die schlaflosen Nächte an. Ein paar Wochen später verläßt sie die Pension und zieht in ein Nebenhaus, mit ihren beiden kleinen Kindern. Der Mann und die Holländerin bleiben in der Pension wohnen. Es ist eine unsagbar rauschhafte, wilde Liebe. Die Ehefrau wohnt in derselben Straße, sieht täglich das Liebespaar Arm in Arm durch die Straßen gehen. Der Mann ist glücklich bis zum Irrsinn. Er wird die Holländerin heiraten. Selig besprechen sie alle Details … Da greift die Polizei ein, die in diesem Staate das Leben jedes einzelnen bis in die tiefsten Winkel der Seele kontrolliert. (Das ist höchst natürlich. Wir schreiben 1940.) Eines Tages also holt die Polizei die Holländerin aus dem Speisesaal, vom Abendbrot weg. Die Emigrantin, die sich gegen Sitte und Anstand des Landes vergangen hat, fällt unter das Hurengesetz. Sie wird nach Curia deportiert. Und es wird dafür gesorgt, daß sie den Mann nie wiedersieht. Drei Existenzen sind vernichtet. »… und die Liebe ist die größte unter ihnen.« Mit hohlen Wangen und umränderten Augen sitzen die Emigranten in den Cafés, stecken die Köpfe zusammen und reden, reden. Tag und Nacht, Tag und Nacht. Einer sagt, mit einem Seufzer »… Visum …« Ein anderer lächelt ironisch und bitter: »… Visum …« Der dritte hält eine lange, erregte Rede und man versteht nur: »Visum …Visum …Visum …« Nachts leuchten die Wellen des Meeres in gespenstisch grünem Phosphorglanz. Die Emigranten sitzen im Café, reden, seufzen, reden. Neulich trat unsere liebe Trude an den Cafétisch: »Kennt ihr die kleine Gasse, die zum Postamt führt?« »Ja, natürlich.« »Dort steht ein Baum, der merkwürdig blaue Blüten hat.« Alle sehen sie verwundert an. Keiner spricht. Es ist ein betretenes Schweigen. Endlich wagt es einer, auszusprechen, was alle andern denken: »Was, liebes Fräulein, hat dieser Baum mit dem Visum zu tun?« Und sie stecken die Köpfe wieder zusammen.

Zusatzinfo Ill.
Sprache deutsch
Maße 130 x 200 mm
Gewicht 316 g
Einbandart gebunden
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Schlagworte 2. Weltkrieg; Berichte/Erinnerungen • 2. Weltkrieg; Tagebuch • 2. Weltkrieg / Zweiter Weltkrieg; Tagebuch • Flucht • Flucht; Berichte/Erinnerungen • Flucht / Flüchtling; Berichte/Erinnerungen • HC/Belletristik/Briefe, Tagebücher • Jan Lustig • Judenverfolgung (Nationalsozialismus); Berichte/Erinnerungen • Literatur
ISBN-10 3-931135-59-4 / 3931135594
ISBN-13 978-3-931135-59-1 / 9783931135591
Zustand Neuware
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Mehr entdecken
aus dem Bereich

von Franz Xaver Kroetz; Marie Theres Relin

Buch | Hardcover (2023)
dtv Verlagsgesellschaft
25,00