Lux perpetua (eBook)

Roman
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2013 | 2. Auflage
720 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-42189-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lux perpetua -  Andrzej Sapkowski
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Das Finale der fulminanten Mittelalter-Trilogie Reynevan, der Medicus, wird von seinem Erzfeind, dem Bischof von Breslau, wegen »Verbrechen und Zauberei« verdammt. Unser Held verliert dennoch nicht den Mut, sondern sucht weiter nach seiner Nicoletta, die von Anhängern des Bischofs entführt worden ist. Seine Suche führt ihn nach Schlesien, Böhmen und auch in andere Gebiete, durch die sich ein blutiger Glaubenskrieg wälzt ...

Andrzej Sapkowski, geboren 1948, ist Wirtschaftswissenschaftler, Literaturkritiker und Autor. Er lebt in ?ód?. Seine Hexer-Saga erreicht weltweit Millionenauflagen. Höchst erfolgreich ist auch seine Mittelalter-Trilogie um den Medicus Reinmar von Bielau. 2008 wurde Andrzej Sapkowski mit der Ehrenbürgerwürde der Stadt ?ód? ausgezeichnet.   

Andrzej Sapkowski, geboren 1948, ist Wirtschaftswissenschaftler, Literaturkritiker und Autor. Er lebt in Łódź. Seine Hexer-Saga erreicht weltweit Millionenauflagen. Höchst erfolgreich ist auch seine Mittelalter-Trilogie um den Medicus Reinmar von Bielau. 2008 wurde Andrzej Sapkowski mit der Ehrenbürgerwürde der Stadt Łódź ausgezeichnet.   

Erstes Kapitel


in dem Reynevan, der versucht, die Spur seiner Liebsten zu finden, mannigfache Widrigkeiten begegnen. In Sonderheit wird er verflucht. Im und außer Haus, stehend und sitzend, und in all seinem Tun. Europa indessen verändert sich. Indem es sich neue Kampftechniken aneignet.

Der Morgen war nebelverhangen, und für Februar war es ziemlich warm. Während der Nacht hatte Tauwetter eingesetzt, seit dem Morgengrauen taute der Schnee, die Abdrücke der Hufeisen und die Spurrinnen der Wagen füllten sich eilends mit schwarzem Wasser. Die Deichseln und die Zugstränge knarrten, die Pferde schnaubten, und die Kutscher fluchten schläfrig vor sich hin. Der nahezu dreihundert Wagen zählende Zug bewegte sich nur langsam vorwärts. Über ihm lag ein schwerer, erdrückender Geruch von Salzheringen.

Sir John Fastolf schaukelte schläfrig in seinem Sattel hin und her.

 

Nach einigen Frosttagen war plötzlich Tauwetter eingetreten. Der nasse Schnee, der die Nacht über gefallen war, schmolz rasch dahin. Schmelzwasser troff von den Fichten.

»Auf sie! Schlagt zu!«

»Haaaa!«

Ein gewaltiger Kampfeslärm erschreckte die Krähen, die Vögel flatterten von den kahlen Zweigen auf und bedeckten den Himmel mit einem schwarzen, sich fortbewegenden Mosaik, ein Krächzen erfüllte die mit eisiger Feuchtigkeit geschwängerte Luft. Ein Schrei.

Es wurde kurz, aber verbissen gekämpft. Hufe durchpflügten den Schneematsch und vermengten ihn mit Schlamm. Pferde wieherten und stöhnten hell auf, Menschen schrien. Die einen vor Kampfeslust, die anderen aus Schmerz. Es hatte urplötzlich begonnen und endete rasch.

»Hooo! Sammeln! Sammeln!«

Und noch einmal erklang es leiser, schon weiter entfernt.

Dohlen krächzten und kreisten über dem Wald. Das Dröhnen der Hufe wurde allmählich schwächer. Die Schreie wurden leiser.

Blut färbte die Pfützen und sickerte in den Schnee.

 

Der verwundete Soldat hörte den Reiter, der sich näherte, das Schnauben des Pferdes und das Klirren des Zaumzeugs hatten ihn alarmiert. Er stöhnte und versuchte aufzustehen, aber es gelang ihm nicht, die Anstrengung mehrte nur den Blutschwall, der zwischen den Platten des Brustpanzers in einem karminroten Strahl hervorsprudelte und über das Blech herabfloss. Der Verwundete presste seinen Rücken heftiger gegen einen umgestürzten Baumstamm und zog seinen Dolch. Er wusste nur zu gut, was für eine erbärmliche Waffe dies in den Händen von jemandem war, der nicht aufstehen konnte, weil ein Speer seine Seite durchbohrt und sich sein Bein beim Sturz des Pferdes verdreht hatte. Der herankommende schwarze Junghengst war ein »Trippler«, die eigenartige Bewegung der Beine fiel einem sofort auf. Der Reiter jenes schwarzen Pferdes hatte kein Kelchzeichen auf der Brust, also war er wohl keiner von den Hussiten, mit denen der Trupp, zu dem der Waffenknecht gehörte, kurz zuvor gekämpft hatte. Der Reiter trug keine Rüstung. Auch keine Waffen. Er sah aus wie ein gewöhnlicher Reisender. Der verwundete Soldat wusste jedoch nur zu gut, dass es jetzt, im Februar 1429, auf den Anhöhen um Striegau keine Reisenden gab. Im Februar 1429 reiste niemand über die Anhöhen von Striegau und durch die Ebene von Jauer. Der Reiter betrachtete ihn lange, im Sattel verharrend und auf ihn herabsehend. Lange und schweigend.

»Die Blutung muss gestillt werden«, sagte er schließlich. »Ich kann das tun. Aber nur, wenn du vorher diesen Dolch wegwirfst. Tust du das nicht, reite ich weiter, dann musst du dir allein helfen. Entscheide selbst.«

»Niemand …«, stöhnte der Soldat, »wird Lösegeld für mich zahlen … Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt …«

»Wirfst du nun deinen Dolch weg oder nicht?«

Der Soldat fluchte leise, nahm den Dolch und schleuderte ihn in hohem Bogen davon. Der Reiter stieg vom Pferd, öffnete ungeschickt die Satteltaschen und kniete dann mit einer ledernen Tasche in der Hand neben dem Verwundeten. Mit einem kurzen Klappmesser durchschnitt er die Riemen, mit denen die beiden Platten des Brustpanzers mit der Rückenplatte verbunden waren. Er zog die Brustplatten herunter, zerschnitt den blutgetränkten Hacqueton, schob ihn beiseite, beugte sich weit vor und musterte die Wunde.

»Nicht schön …«, brummte er. »Das sieht gar nicht gut aus. Vulnus punctum, eine Stichwunde. Sie ist tief … Ich werde dir einen Verband anlegen, aber ohne Hilfe kommen wir nicht zurecht. Ich bringe dich nach Striegau.«

»Striegau … wird belagert … Die Hussiten …«

»Ich weiß. Beweg dich nicht.«

»Ich glaub’ …«, stieß der Soldat keuchend hervor, »ich glaub’, ich kenne dich …«

»Denk dir nur, mir kommt deine Visage auch irgendwie bekannt vor.«

»Ich bin Wilkosch Lindenau … Knappe des Ritters von Borschnitz, Gott hab ihn selig … Das Turnier in Münsterberg … Ich hab’ dich in den Turm geführt … Du bist doch … du bist doch Reinmar von Bielau … nicht wahr?«

»Mhmm.«

»Du bist doch …«, die Augen des Soldaten weiteten sich vor Entsetzen, »Jesus … du bist …«

»Verflucht im Haus und außer Haus? Das stimmt. Jetzt wird es wehtun.«

Der Soldat biss die Zähne zusammen. Gerade noch rechtzeitig.

 

Eigentlich musste man nach solch einer Salve mit einem Sturmangriff rechnen, aber nichts deutete darauf hin. Die hinter den Schanzen diensttuenden Abteilungen schickten noch eine weitere Salve aus ihren Bögen, Haken- und Tarrasbüchsen hinüber, während sich die anderen an den Biwakfeuern und Kochkesseln dem Müßiggang hingaben. Auch um die Zelte des Stabes, über denen die Standarten mit Kelch und Pelikan recht träge im Wind schaukelten, war keinerlei gesteigerte Aktivität zu beobachten.

Reynevan führte eben das Pferd in Richtung Stab. Die Waisen, an denen sie vorüberkamen, blickten sie gleichgültig an, niemand hielt sie an, keiner rief ihnen etwas zu, keiner fragte, wer sie seien. Die Waisen hätten Reynevan sehr wohl erkennen können, schließlich war er mit vielen von ihnen bekannt. Aber genauso gut konnte es ihnen auch egal sein.

»Den Hals werden sie mir hier abschneiden …«, murmelte Lindenau im Sattel vor sich hin. »Von Schwertern zerhauen … diese Häretiker … die Hussiten … die Teufel …«

»Sie werden dir nichts zuleide tun.« Reynevan versuchte angesichts der sich nähernden, mit Wurfspießen und Stichwaffen ausgestatteten Patrouille, sich selbst davon zu überzeugen. »Aber sag zu deiner eigenen Sicherheit besser ›Böhmen‹. Vitáme vas, bratři!!! Ich bin Reinmar von Bielau, erkennt ihr mich? Wir brauchen einen Medicus! Den felčar! Ruft doch bitte den felčar!«

 

Als Reynevan beim Stab auftauchte, wurde er von Brázda von Klinštejn sofort mit Umarmungen und Küssen begrüßt, anschließend machten sich Jan Kolda von Žampach, die Brüder Matĕj und Jan Salava z Lipé, Piotr der Pole, Vilém Jeník und andere, die er nicht kannte, daran, seine Hand zu schütteln und ihm auf die Schulter zu klopfen. Jan Královec von Hradek, der Hauptmann der Waisen und Anführer auf diesem Feldzug, ließ sich nicht zu überschwänglichen Gefühlsbekundungen hinreißen. Und er sah auch gar nicht überrascht aus.

»Reynevan«, sagte er mit Eiseskälte, »sieh an, sieh an. Ich begrüße den verlorenen Sohn. Ich wusste, dass du zu uns zurückkehren würdest.«

 

»Es wird Zeit, Schluss zu machen«, sagte Jan Královec von Hradek. Er lotste Reynevan durch die Linien und Stellungen. Sie waren allein. Královec hatte gewollt, dass sie unter sich blieben. Er wusste nicht, wer Reynevan geschickt hatte und womit, er erwartete geheime Nachrichten, die ausschließlich für seine Ohren bestimmt waren. Als er erfuhr, das Reynevan nicht als Sendbote und ohne wichtige Mitteilungen gekommen war, verdüsterte sich seine Miene.

»Es wird Zeit, Schluss zu machen«, wiederholte er und stieg auf die Schanze, um die Temperatur des Bombardenrohrs zu überprüfen, das mit nassen Fellen gekühlt wurde. Er blickte zu den Mauern und Basteien von Striegau hinüber. Reynevan starrte immer noch die Ruinen des zerstörten Karmeliterklosters an. Den Ort, an dem er vor einer ganzen Ewigkeit Scharley zum ersten Mal begegnet war. Eine ganze Ewigkeit, dachte er. Vier Jahre.

»Es wird Zeit, Schluss zu machen.« Královecs Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und Erinnerungen. »Höchste Zeit. Wir haben das Unsrige getan. Dezember und Januar haben genügt, um Reinerz, Habelschwerdt, Münsterberg, Strehlen, Nimptsch, das Zisterzienserkloster in Heinrichau und eine Unzahl von kleinen Städtchen und Dörfern zu erobern und zu plündern. Wir haben den Deutschen eine Lehre erteilt, an die sie sich noch lange erinnern werden. Aber Fastnacht ist schon vorbei, es ist Aschermittwoch, verdammt, der neunte Februar. Wir kämpfen nun schon mehr als zwei Monate, und noch dazu Wintermonate! Wir sind an die vierzig Meilen marschiert. Wir schleppen Wagen mit uns mit, die schwer beladen sind mit Beute, ganze Rinderherden treiben wir vor uns her. Aber die Moral sinkt, die Leute sind müde. Schweidnitz hat uns Widerstand geleistet, obwohl wir es fünf Tage lang belagert haben. Ich will dir die Wahrheit sagen, Reynevan, wir hatten keine Kraft mehr zu einem Sturm. Wir haben sie aus unseren Büchsen beschossen, Feuer auf die Dächer gefegt, Angst verbreitet, damit sich die Schweidnitzer vielleicht endlich ergeben oder wenigstens übers Lösegeld verhandeln wollen. Aber Herr von Kolditz hatte keine Angst vor uns, und wir mussten unverrichteter Dinge...

Erscheint lt. Verlag 1.8.2013
Reihe/Serie Die Narrentum-Trilogie
Die Narrenturm-Trilogie
Die Narrenturm-Trilogie
Übersetzer Barbara Samborska
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 15. Jahrhundert • Böhmen • Band 3 • Böhmen • eBook • Glaubenskrieg • Grellenort • Historischer Roman • Hussitenkriege • Hussiten-Kriege • Medicus Reynevan • Mittelalter • Narrenturm-Trilogie • Polen • Reinmar von Bielau • Schlesien • Schwarze Magie • The Witcher: Nightmare Of The Wolf • Trilogie • Zauberei
ISBN-10 3-423-42189-4 / 3423421894
ISBN-13 978-3-423-42189-8 / 9783423421898
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