So weit die Füße tragen (eBook)

Ein Leben. Eine Liebe. Ein Weg.
eBook Download: EPUB
2013 | 1. Aufl. 2013
478 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-8387-4643-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

So weit die Füße tragen - Josef Martin Bauer
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'Die Ärzte haben es sich eine Weile überlegt, ehe sie dem heimgekehrten Clemens Forell behutsam erklären, daß er den Sinn für Farben verloren habe. Nach und nach haben sie ihn noch vielerlei Veränderungen mit Schonung begreiflich machen müssen, weil nun einmal ein Mensch, der jahrelang im Blei gehaust hat und drei Jahre das Leben eines Tieres und bei den Tieren führen mußte, nicht mehr als jener zurückkehren kann, der er vordem gewesen ist ...'

Der großartigste Abenteuerroman, den die neuere deutsche Literatur besitzt: der ergreifende Bericht einer Wanderschaft, einer Flucht vom Ostkap Sibiriens nach Westen.

Ein Welterfolg seit über 40 Jahren - in 15 Sprachen übersetzt, mit einer Weltauflage von mehreren Millionen Büchern, mehrfach erfolgreich verfilmt und immer wieder gesendet.

Wie schön, windig, kühl, eintönig, naß oder angenehm der Sommer am Kap Deschnew ist, erfahren die meisten Gefangenen im Berg nur durch ihre Träger.

Aus der Aufregung, die sich ergibt, wenn eine größere Kolonne von Sträflingen abzustellen ist zu Transportarbeiten, erfahren auch die anderen, wann am Pier ein Schiff angelegt hat. Es hat sich im Sommer siebenundvierzig nicht als günstig erwiesen, hier aus einem Stollen zehn Mann wegzunehmen und dort zwanzig. Klüger erscheint es, zumal nach der Sache mit dem jungen Gefangenen, der als Smutje auf ein Schiff genommen wurde, einen Stollen ganz stillzulegen und die Belegschaft geschlossen an die Verladearbeiten zu führen. So bleibt für die anderen nur die Botschaft vom Rauch und die Gewißheit, daß es viele Wochen lang Erdsuppe mit Kartoffeln geben wird.

Was den einen durch Arbeit an frischer Luft gewährt wurde, soll den anderen nicht versagt werden. Viermal im Sommer achtundvierzig wird der Korken aus dem Flaschenhals genommen.

Die grauen Männer, denen man bei dieser Gelegenheit Bart und Haare scheren wird, werden jeweils für ein paar Nachmittagsstunden ins Freie gelassen, bekommen am Tageslicht tränende Augen und haben Mühe, die kühle Luft als warm zu empfinden.

Leibrecht, der Sauberkeitsfanatiker, weiß für seine Leute einen Platz zu finden, an dem das Schmelzwasser so reichlich in einer Mulde zusammengesickert ist, daß bei sparsamem Gebrauch jeder sich von oben bis unten abschrubben kann. Es geschieht ein Wunder, das Stauffers ganzer Überredungskunst bei den Russen bedurft hat: die Männer bekommen, wo schon einmal der seltene Fall eingetreten ist, daß Wasser zur Verfügung steht, durch den Wratsch ein paar braune Seifenwürfel zugestellt, und in einem ersten Seifenschaum seit Jahr und Tag fühlen die Frierenden es wärmer um sich werden. Leibrecht sieht sich deutlich bestätigt in seiner Behauptung, daß Schmutz gleich Kälte sei. Die Russen sind gar nicht so, wie der Groll es ihnen nachsagt. Sie finden es vernünftig, daß die Gefangenen sich sauberhalten. Da aber nie Wasser in ausreichender Menge da war, ist ihnen niemals der Gedanke gekommen, Seife auszugeben. Da haben die Gefangenen aber nun einen Treiber in ihren eigenen Reihen, der die Männer nicht müßig palavern läßt, sondern findig ein Wässerchen ausmacht und seine Leute zum Waschen führt.

Der Tag um Ende Juni ist wunderschön. Die Eisnebel, von denen die Sicht immer knapp begrenzt wird, gehen mit einem leichten Wind allmählich beiseite, und wenn es auch nicht gerade Sonne ist, was dem Tag beschert wird, so hat der hoch liegende Dunst lockere Strähnen, durch die zuweilen fast mit dem echten Glanz die Sonne kommt. Andere Tage, so erzählen die Träger, kommen wohl sonniger, aber an diesen Tagen ist es für die meisten Nacht, die von einer unhandlichen und müden Grubenlampe sehr dürftig ausgeleuchtet wird.

Mitten im großen Waschen, wie sie alle nackt dastehen, stößt Leibrecht seinen Nachbar Forell mit dem Ellbogen an. »Was ist das denn?«

Forell folgt mit den Augen Leibrechts erstauntem Blick und sieht an seiner rechten Brustseite herunter. »Ein Infanteriesteckschuß.« Er schaut tiefer an sich hinab. »Und das sind so die üblichen Schnitte, die gemacht werden, wenn der Magen wieder zu ergänzen ist.« »Schön«, meint Leibrecht blinzelnd, »ich habe dich noch nie so ausgezogen gesehen. Du hast offenbar Standscheibe gespielt beim Bataillons-Übungsschießen. Nein. Nein. Ich wollte dich auf etwas anderes aufmerksam machen.« Dann spricht er leiser. »Mach kein großes Getöse, dreh dich um und schau rechts an der Kommandantur vorbei! Hast du? Mußt nicht gleich blind werden.« »Herrgott noch einmal!« entfährt es dem anderen. »Nichts für Kinder. Das gibt nur unnütz eine Menge Aufregung. Halt den Mund! Bei Licht betrachtet, vor allem bei so freundlichem Licht betrachtet, ist das, glatt und gemütlich und ohne Eis, die Beringstraße. Wasser ist hier so rar, daß man sich wundert, einmal soviel in einer einzigen Menge zu sehen.«

Forell hat sich noch immer nicht ganz gefaßt. Die gleichmäßige Fläche muß unweigerlich Wasser sein, aber der Felswulst hinter den Gebäuden, der sich weit nach rechts hin zieht, läßt einen Ausblick auf das Meer erst bei etwa fünfzehn Kilometern Entfernung vom Land zu. Nervös und hastig seifen sie beide, damit niemand auf ihr verwundertes Hinstarren aufmerksam wird.

»Gibt es in der Beringstraße Inseln?« »Danhorn fragen.« »Lieber nicht. Das erregt nur Aufsehen.« »Der Kamelhöcker dort liegt, schon der Farbe nach, deutlich näher.« »Kann ein Kap sein.« »Könnte es. Ist aber eine Insel. Überleg dir einmal, wie der Höcker auch in der Farbe absticht gegen das finstere Blau dahinter! In den Farben zeichnet sich die viel größere Entfernung ab.« »Komm! Seif mir den Rücken ab! Bei dieser Gelegenheit können wir beide eine Weile das Wunder anstarren, ohne die anderen aufmerksam zu machen.«

Sie seifen und waschen und reden sich warm, ohne zu merken, daß sie bereits einen Zuhörer haben. Bis Hägelin, neben ihnen stehend, ganz offen das Thema aufnimmt. »Einmal scheint schon jemand von uns da drüben gewesen zu sein.«

Leibrecht ist sofort verschlossen. Er traut Hägelin nicht, seit Forell nach der Flucht empfangen wurde. Der Mann tut so, als denke er wie die Russen und als sei er Aufseher, aber nicht Gefangener. Hägelin hat also damals gehört, was Stauffer in der Kasematte, gebrummt wie einen Krankheitsbefund, berichtet hat. »Etwas schwer zu erreichen, Hägelin.« »Von hier aus, ja.« »Hägelin, ich warne dich!« Leibrecht wird dienstlich. »Ich will das nicht so verstanden haben, als hättest du Absichten, von hier abzuhauen und etwa gar zu versuchen, das Meer zu durchschwimmen.« Dem zweideutigen oder eigentlich recht eindeutigen Burschen kann man nur so kommen, daß man ihm die eigenen Gedanken als dessen Überlegung unterschiebt und die Pflicht auferlegt, sich von dem Verdacht zu säubern. Es geht eben in einem Abwaschen hin.

»Unmöglich, da hinüberzukommen«, antwortet Hägelin verlegen, aber er ist boshaft, er kann es nicht bleibenlassen, noch einmal auf die Sache mit Willi Bauknecht anzuspielen. »Dummheiten dieser Art überlasse ich anderen, die ihre Kameraden in die größte Schweinerei bringen, indem sie Dinge einfädeln, die uns allen schaden.«

»Das hat jeder dann auf seinem eigenen Buckel auszutragen.« Leibrechts Ton wird schneidend. Hägelin aber hat Oberwasser. Er läßt keinen Zweifel offen, daß er einer anderen Meinung als die Mehrzahl ist in bezug auf Fluchtabsichten und ihre Vorbereitung. Vor dem entscheidenden Wort aber hält er an. Er will nicht sagen, daß er etwas weiß, aber er läßt offen, daß man ihn zwingen könnte, alles das zu sagen, was ihm bekannt ist.

Inzwischen hat sich Danhorn, dem die Szene auffällig erschienen ist, herangearbeitet, nackt, den erbärmlich hageren Körper voll Seifenschaum und vor den Augen die Brille mit den dicken Gläsern.

»Was ist denn hier so interessant? Gedenkt etwa einer der Herren zu fliehen? Du vielleicht, Hägelin? Was die Herren vor sich sehen« – er hat ein unflätiges Grinsen aufgesetzt –, »ist aller Wahrscheinlichkeit nach eine der Diomedes-Inseln. Die tiefe Bläue da hinten gehört zu den amerikanischen Nationalfarben. Die Diomedes-Inseln übrigens auch, aber wenn du hinüberschwimmen willst, Hägelin, so muß ich dich warnen. Es handelt sich um neunzig Kilometer bis zum Festland und um nur geringfügig temperiertes Wasser. Du hättest nie deine Absicht zu erkennen geben dürfen, von hier auszureißen und da drüben an Land zu gehen. Das entspricht nicht deiner sonstigen Kameradschaftlichkeit. «

Hägelin ereifert sich, doch es wird offensichtlich, daß er schon im Rückzug ist.

»Hast du mich nicht ersucht, ich soll dir eine Karte aus dem Kopf zeichnen?«

Hägelin wagt nicht zu bestreiten, daß er diesen Wunsch einmal nach jenem nächtlichen Gespräch geäußert hat. Er könnte sich vorsagen, daß er es getan habe, um ein Beweisstück in der Hand zu haben für den Fall, daß es einmal notwendig werden sollte, sich mit der übrigen Belegschaft der Kasematte auseinanderzusetzen. Das aber wäre nicht einmal die Wahrheit. Ihm ist, als er damals so reden hörte, tatsächlich der Gedanke an Flucht gekommen. Das bedrückt ihn nun. Er gibt böse heraus. Danhorn ist ihm an Härte im Geben noch über. Der Fall zwar, soweit er Anlaß zur Furcht vor diesem lauernden Kerl hätte sein können, bereinigt sich in Heftigkeiten, die ungefährlich erscheinen, aber bei der Rückkehr in den Stollen ist alles bedrückt.

Die Furcht vor einem Mann, der nicht sicher steht, läßt zwar um Hägelin eine Atmosphäre von mehr Gesprächigkeit als bisher aufkommen, doch sind sich alle darüber klar, daß dieses Einwickeln in die Kameradschaft nicht eine echte Herzlichkeit vortäuschen kann.

Einmal noch werden die Gefangenen bei ähnlich gutem Wetter aus der Kasematte geführt. Das ist drei Wochen später und bei ähnlichen Umständen, aber selbst wenn der Blick aufs Meer wieder so frei läge, würde niemand auch nur die Äußerung wagen, daß der bloße Anblick von offenem Meer schön ist. Der Streit von neulich liegt noch in der Luft. Die Belegschaft, von den Russen kaum behindert, zerstreut sich nach einem flüchtigen Waschfest weiter in der Gegend, und wenn es nicht die Neugier nach echter Nachricht wäre, so müßte schon die Furcht vor Ungewißheiten Anlaß genug sein, unter den Männergruppen herumzuhorchen nach Einzelheiten über die Sache mit Willi Bauknecht.

So ungefähr glaubt Forell zu ahnen, wo Bauknechts Stollen seine Leute auf das Hochplateau herausgeschickt hat. Er fragt hier einmal und dort wieder: »Kennt ihr einen...

Erscheint lt. Verlag 19.4.2013
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. - 21. Jahrhundert • Abenteuer • Abenteuerroman • Besonders • Bücher • interessant • Roman • Romane • Russland / GUS / Sowjetunion • Sonstige Belletristik
ISBN-10 3-8387-4643-0 / 3838746430
ISBN-13 978-3-8387-4643-2 / 9783838746432
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