Das Jahr der gefährlichen Träume (eBook)

(Autor)

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2013 | 1. Auflage
224 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-402565-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Jahr der gefährlichen Träume -  Slavoj ?i?ek
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Über den Arabischen Frühling, Occupy Wall Street - und den Massenmord von Breivik 2011 - das Jahr des Arabischen Frühlings, der Occupy Wall Street-Bewegung, der Revolte in den Vorstädten Londons. 2011 - das Jahr von Breiviks ideologischer Wahnsinnstat, des aufkommenden Antisemitismus in Ungarn, des zunehmenden Rassismus. Gefährliche Träume in zweierlei Richtung stehen dahinter: emanzipatorische und destruktive. Was bedeuten diese Ereignisse im Kontext des globalen Kapitalismus? Mit Dialektik, analytischer Schärfe und gewohnt pointensicher legt Slavoj ?i?ek die Widersprüche der gegenwärtigen politischen Lage frei und fragt, wie wir das System bekämpfen können, ohne zu seinem Funktionieren beizutragen. »Theorie muss auch immer sexy sein, sie muss unterhalten, provozieren, bruchstückhaft und leicht zitierbar sein, physisch spürbar wie Rockmusik. All das liefert ?i?ek.« Der Spiegel

Slavoj ?i?ek, geboren 1949, ist Philosoph, Psychoanalytiker und Kulturkritiker. Er lehrt Philosophie an der Universität von Ljubljana in Slowenien und an der European Graduate School in Saas-Fee und ist derzeit International Director am Birkbeck Institute for the Humanities in London. Seine zahlreichen Bücher sind in über 20 Sprachen übersetzt. Im S. Fischer Verlag sind zuletzt erschienen »Hegel im verdrahteten Gehirn« (2020), »Wie ein Dieb im Tageslicht. Macht im Zeitalter des posthumanen Kapitalismus« (2019), »Mut zur Hoffnungslosigkeit« (2018), »Absoluter Gegenstoß. Versuch einer Neubegründung des dialektischen Materialismus« (2016), »Ärger im Paradies. Vom Ende der Geschichte zum Ende des Kapitalismus« (2015), »Was ist ein Ereignis?« (2014) und »Das Jahr der gefährlichen Träume« (2013).

Slavoj Žižek, geboren 1949, ist Philosoph, Psychoanalytiker und Kulturkritiker. Er lehrt Philosophie an der Universität von Ljubljana in Slowenien und an der European Graduate School in Saas-Fee und ist derzeit International Director am Birkbeck Institute for the Humanities in London. Seine zahlreichen Bücher sind in über 20 Sprachen übersetzt. Im S. Fischer Verlag sind zuletzt erschienen »Hegel im verdrahteten Gehirn« (2020), »Wie ein Dieb im Tageslicht. Macht im Zeitalter des posthumanen Kapitalismus« (2019), »Mut zur Hoffnungslosigkeit« (2018), »Absoluter Gegenstoß. Versuch einer Neubegründung des dialektischen Materialismus« (2016), »Ärger im Paradies. Vom Ende der Geschichte zum Ende des Kapitalismus« (2015), »Was ist ein Ereignis?« (2014) und »Das Jahr der gefährlichen Träume« (2013). Karen Genschow arbeitet als Dozentin für romanistische Literaturwissenschaft und Didaktik an der Goethe-Universität Frankfurt sowie als freie Autorin und Übersetzerin.

Keiner denkt so schnell und quer wie er: Slavoj Žižek, politischer Philosoph mit Weltprominenz.

Phantastisch, da man echt versteht, was er schreibt, und nur selten eine Seite dreimal lesen muss.

Žižek stellt die richtigen Fragen, hat aber keine letzten Antworten […] – und genau das macht ihn zu einem großen Philosophen unserer Zeit.

1. Einleitung: War Nam Nihadan


Im Persischen gibt es einen sehr schönen Ausdruck, war nam nihadan, was »jemanden umbringen, seine Leiche begraben und dann Blumen über dem Grab wachsen lassen, um es zu verbergen« bedeutet.[1] Im Jahr 2011 waren wir Zeugen (und Teilnehmer) einer Reihe erschütternder Ereignisse vom Arabischen Frühling über die Occupy-Wall-Street-Bewegung und die Unruhen in Großbritannien bis hin zu Breiviks ideologischem Wahn. Es war das Jahr der gefährlichen Träume in zweierlei Hinsicht: Emanzipatorische Träume mobilisierten Protestierende in New York, auf dem Tahrir-Platz, in London und Athen – und seltsame destruktive Träume trieben Breivik und rassistische Populisten in ganz Europa an, von den Niederlanden bis Ungarn. Die wichtigste Aufgabe der herrschenden Ideologie bestand darin, die wahre Dimension dieser Ereignisse zu neutralisieren: War die am weitesten verbreitete Reaktion der Medien nicht genau das war nam nihadan? Die Medien löschten das radikale emanzipatorische Potential dieser Ereignisse aus oder verschwiegen die Bedrohung für die Demokratie, die aus ihnen erwächst, und ließen Blumen über den verscharrten Leichnamen wachsen. Deshalb ist es so wichtig, die Missverständnisse zu klären und die Ereignisse von 2011 in der Gesamtheit der globalen Lage zu situieren und zu zeigen, wie sie mit dem zentralen Widerspruch des zeitgenössischen Kapitalismus zusammenhängen.

Nach Fredric Jameson kann in einer bestimmten historischen Situation die Vielfalt künstlerischer Stile oder theoretischer Argumentationsfiguren in Tendenzen unterteilt werden, die gemeinsam ein System bilden. Um ein solches System auszuarbeiten, stützt sich Jameson aus gutem Grund auf das semiotische Viereck nach Greimas: Dieses Viereck ist keine rein formale strukturelle Matrix, da es immer von einer Art grundlegenden Opposition ausgeht (Antagonismen oder »Widersprüche«) und nach Wegen sucht, die zwei entgegengesetzten Pole zu ersetzen und/oder zu vermitteln. Das System möglicher Positionen ist daher ein dynamisches Schema aller möglichen Antworten oder Reaktionen auf einige grundlegende strukturelle Blockierungen oder Widersprüche. Dieses System schränkt nicht einfach den Freiheitsbereich des Subjekts ein, es erschließt gleichzeitig einen Raum, das heißt, es ist »zugleich Freiheit und Beschränkung: Es eröffnet eine Reihe kreativer Möglichkeiten (die nur als Antworten auf die Situation möglich sind, die es artikuliert) und markiert zugleich die äußersten Grenzen der Praxis, die auch die Grenzen des Denkens und der Vorstellungskraft sind«.[2] Jameson stellt ebenfalls die epistemologische Schlüsselfrage: Ein solches System aller denkbaren Positionen

»möchte objektiv sein, kann aber nie etwas anderes als ideologisch sein: Denn es wird [in der Architektur beispielsweise] in der Tat sehr schwer, sich vorzustellen, wie wir die reale Existenz der verschiedenen Arten, in die sich moderne Gebäude unterteilen, von den offenkundigen Erfindungen verschiedener Systeme dieser Art in unseren Köpfen unterscheiden könnten. Hier liegt tatsächlich eine Art falsches Problem vor: Der quälende Zweifel, ob wir unseren Blick wirklich selbst lenken, kann in einem gewissen Grad durch den Gedanken daran beruhigt werden, dass unser Blick Teil genau jenes Systems des Seins ist, das Gegenstand unserer Spekulation ist.«[3]

An diesem Punkt können wir bedenkenlos Hegel folgen: Wenn die Realität nicht mit unseren Begriffen übereinstimmt, dann umso schlimmer für die Realität. Unser Schema – wenn es denn angemessen ist – legt die formale Matrix fest, der die Realität (unvollkommen) folgt. Wie schon Marx erkannt hat, sind die »objektiven« Bedingungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit zugleich »subjektive« Denkbeschränkungen (der Subjekte, die in dieser Wirklichkeit gefangen sind), und an diesem Punkt der Ununterscheidbarkeit (wo die Grenzen unseres Denkens, seine Blockierungen und Widersprüche zugleich die Widersprüche der objektiven gesellschaftlichen Wirklichkeit selbst sind) »ist die Diagnose auch ihr eigenes Symptom«:[4] Unsere Diagnose (unsere »objektive« Wiedergabe des Systems aller möglichen Positionen, das die Reichweite unserer Handlungen festlegt) ist selbst »subjektiv«, sie ist ein Schema subjektiver Reaktionen auf eine Blockierung, in die wir in unserer Praxis geraten und die in diesem Sinn symptomatisch für diese unaufgelöste Blockierung ist. Wo wir Jameson allerdings nicht zustimmen sollten, ist in seiner Bezeichnung dieser Ununterscheidbarkeit von subjektiv und objektiv als »ideologisch«: Sie ist nur dann ideologisch, wenn wir »nicht-ideologisch« ganz naiv als rein »objektive« Beschreibung definieren, in die kein Subjekt involviert ist. Ist es nicht angemessener, einen Blick als »ideologisch« zu bezeichnen, der nicht irgendeine »objektive« Realität, sondern den eigentlichen Grund dieser unvermeidbaren Verzerrung ignoriert, das heißt das Reale dieser Blockierung, auf die wir in unseren Projekten und Kämpfen reagieren?

Das vorliegende Buch möchte einen Beitrag zu einer »kognitiven Karte« (Jameson) unserer Situation leisten. Zunächst beschreibt es knapp die Haupteigenschaften des gegenwärtigen Kapitalismus, um dann seine hegemoniale Ideologie zu umreißen und sich dabei auf die reaktionären Phänomene (vor allem Volksaufstände) zu konzentrieren, die als Reaktion auf gesellschaftliche Widersprüche entstehen. Die folgenden zwei Kapitel behandeln zwei große emanzipatorische Bewegungen des Jahres 2011: den Arabischen Frühling und Occupy Wall Street. Die beiden letzten Kapitel gehen von der Fernsehserie The Wire aus und konfrontieren uns mit der schwierigen Frage, wie wir das System bekämpfen können, ohne sein Funktionieren dabei noch zu verbessern.

Das Handwerkszeug einer solchen Beschreibung ist das, was Immanuel Kant den »öffentlichen Gebrauch der Vernunft« genannt hat. Mehr denn je sollte man heute bedenken, dass Kommunismus mit dem »öffentlichen Gebrauch der Vernunft« beginnt, mit Denken, mit der egalitären Universalität von Gedanken. Für Kant bezeichnet die Öffentlichkeit der »Weltzivilgesellschaft« das Paradox der universellen Singularität, eines einzelnen Subjekts, das in einer Art Kurzschluss die Vermittlung des Partikularen umgeht und direkt am Universalen teilhat. Das meint Kant in der berühmten Stelle von »Was ist Aufklärung?« mit »öffentlich« als Gegensatz zu »privat«: Das Letztere bezieht sich nicht auf die eigenen individuellen Bindungen im Gegensatz zu den gemeinschaftlichen, sondern auf die gemeinschaftlich-institutionelle Ordnung der eigenen partikularen Parteinahme, während »öffentlich« die transnationale Universalität der Ausübung der eigenen Vernunft bezeichnet.

Beruht dieser Dualismus aus privatem und öffentlichem Gebrauch der Vernunft jedoch nicht, zeitgenössischer ausgedrückt, auf dem, was wir die Aufhebung der symbolischen Wirksamkeit (oder der performativen Kraft) des öffentlichen Gebrauchs der Vernunft nennen könnten? Kant weist die gängige Formel des Gehorsams – »denke nicht, gehorche!« – keineswegs zugunsten ihres direkten »revolutionären« Gegenstücks – »gehorche nicht (folge nicht einfach dem, was andere dir sagen), denke (mit deinem eigenen Kopf)« – zurück. Seine Formel lautet vielmehr: »Denke und gehorche«, das heißt: Denke öffentlich (durch den freien Gebrauch der Vernunft) und gehorche privat (als Teil der hierarchischen Machtmaschine). Kurz, freies Denken gibt mir nicht das Recht, zu tun, was ich will – allenfalls darf ich, wenn mich mein »öffentlicher Gebrauch der Vernunft« die Schwächen und Ungerechtigkeiten der existierenden Ordnung erkennen lässt, mich gegenüber dem Herrscher für Reformen einsetzen … Hier kann man noch einen Schritt weiter gehen und wie Chesterton behaupten, dass die abstrakte Freiheit des Denkens (und Zweifelns) tatsächliche Freiheit aktiv verhindert:

»Generell läßt sich sagen: Freies Denken ist der beste Schutz vor Freiheit. Die Emanzipation des Sklaven verhindert man am ehesten, wenn man sich in moderner Manier der Emanzipation seines Denkens widmet. Man lehre ihn, sich zu fragen, ob er frei sein will oder nicht, und er wird sich nicht befreien.«[5]

Aber kann man das Denken tatsächlich so einfach aus dem Handeln herausrechnen, und lässt sich seine Wirkungslosigkeit wirklich so klar und eindeutig behaupten? Kants verborgene Strategie (bewusst oder nicht) ist an diesem Punkt wie der bekannte Trick bei Auseinandersetzungen vor Gericht, wenn der Anwalt ein Plädoyer vor der Jury hält, von dem er weiß, dass der Richter es für unzulässig halten und die Jury anweisen wird, es zu ignorieren – was natürlich unmöglich ist, da der Schaden schon angerichtet ist … Aber eröffnet die Rücknahme der Wirksamkeit im öffentlichen Gebrauch der Vernunft nicht ebenfalls den Raum für neue soziale Praktiken? Es ist allzu einfach, den offenkundigen Widerspruch zwischen Kants öffentlichem Gebrauch der Vernunft und dem marxistischen revolutionären Klassenbewusstsein herauszustellen: Ersteres ist neutral und unbeteiligt, Letzteres ist parteilich und engagiert. Die »proletarische Haltung« kann jedoch genau als der Punkt definiert werden, an dem der öffentliche Gebrauch der Vernunft in sich selbst praktisch und wirksam wird, ohne sich in die »Privatheit« des privaten Gebrauchs der Vernunft zurückzuziehen, da die Position, von der sie ausgeführt wird, die des »Teils von Nicht-Teilen« des sozialen Körpers ist, dessen Überschuss direkt für die Universalität steht. Was im...

Erscheint lt. Verlag 7.3.2013
Übersetzer Karen Genschow
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Anders Behring Breivik • Arabischer Frühling • Breivik • Die Linke • EU • Finanzkrise • Georg Friedrich Wilhelm Hegel • Griechenland • Hegel • Ideologiekritik • Iran • Jacques Lacan • Kommunismus • Lacan • Occupy • occupy wall street • Peter Sloterdijk • Revolution • Sachbuch • Wall Street
ISBN-10 3-10-402565-7 / 3104025657
ISBN-13 978-3-10-402565-0 / 9783104025650
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