Das Pesttuch (eBook)

Roman
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2013 | 1. Auflage
352 Seiten
btb (Verlag)
978-3-641-10487-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Pesttuch -  Geraldine Brooks
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Neuauflage des New-York-Times-Bestsellers, erscheint parallel zum neuen großen Roman der Pulitzerpreisträgerin
Eine Frau gegen den Schwarzen Tod. Als in einem kleinen Dorf im Norden Englands die Pest ausbricht, übernehmen Angst, Hysterie und Hexenwahn die Herrschaft. Der Schwarze Tod wütet unerbittlich. Die Dorfbewohner haben dem Pfarrer gelobt, den Ort nicht zu verlassen, ehe nicht die Seuche besiegt ist. Mehr als einmal sind sie kurz davor, einander gegenseitig zu meucheln. Die junge Witwe Anna Frith beweist in dieser schlimmen Zeit Mut, sie schenkt Leben und findet Liebe und privates Glück. Eines Tages hat das Grauen ein Ende. Aber Anna Frith steht die schwerste Prüfung noch bevor ...

Geraldine Brooks, mehrfach ausgezeichnete amerikanische Journalistin und Sachbuchautorin, wurde zu ihrem ersten Roman durch das Hinweisschild auf ein englisches 'Pestdorf' angeregt. Dort hatten sich Menschen bei Ausbruch der Pest im 17. Jahrhundert selbst in Quarantäne begeben, um das Ausbreiten der Seuche zu verhindern. An ihren Mut und ihre Verzweiflung erinnert bis heute im Peak District ein kleines Museum.

  • »Das Porträt einer Frau an der Schwelle zur Moderne. Anna Frith lässt den Aberglauben hinter sich, geht mutig ihren Weg und findet ihre persönliche Freiheit.« (The Wall Street Journal)
  • »Ergreifend, klug und unglaublich spannend.« (Washingon Post)
  • »Eine Verbindung von Sprache und Geschichte, wie ich sie so noch nie gefunden habe. Bemerkenswert.« (Anita Shreve)


Geraldine Brooks wurde 1955 in Sydney geboren und bereiste elf Jahre lang als Auslandskorrespondentin des Wall Street Journal die Welt. 2006 erhielt sie für ihren Debütroman 'Auf freiem Feld' den Pulitzerpreis. 'Das Pesttuch' avancierte zum internationalen Bestseller und wurde in 25 Sprachen übersetzt. Ihre Bücher sind allesamt New-York-Times-Bestseller. Geraldine Brooks lebt auf Martha's Vineyard, Massachusetts.

Apfelernte


Früher habe ich diese Jahreszeit geliebt. Holzstapel neben der Türe. Frischer Harzgeruch, der die Erinnerung an den Wald birgt. Goldglänzende Heuhaufen im tief stehenden Nachmittagslicht. Im Keller rollen Äpfel polternd in die Kisten. Gerüche und Bilder und Geräusche. Alles werde gut dieses Jahr, versprachen sie. Und wenn der Schnee fiele, hätten die Kleinsten zu essen und lägen warm. Früher bin ich um diese Zeit gerne im Obstgarten unter den Apfelbäumen spaziert. Wie weich es unter den Füßen nachgab, wenn ich auf Fallobst trat. Der süßlich-schwere Duft nach verfaulenden Äpfeln und feuchtem Holz. Dieses Jahr gibt’s nur wenige Heubündel und spärliche Holzhaufen. Und beides bedeutet mir nicht viel.

Gestern haben sie die Äpfel gebracht, eine Wagenladung für den Pfarrkeller. Spät geerntet, was sonst. Auf ziemlich vielen entdeckte ich schwarze Flecken. Ich habe den Fuhrmann deswegen ins Gebet genommen, aber er meinte nur, wir sollten froh sein, überhaupt welche zu bekommen. Vermutlich nur allzu wahr. Es gibt doch nur so wenig Leute für die Ernte. So wenig Leute für alles und jedes. Und wer von uns noch übrig ist, geht herum, als schliefe er halb. Wir alle sind so müde.

Einen der knackigen und guten Äpfel nahm ich und schnitt ihn auf, hauchdünn, und trug ihn in jenen dämmrigen Raum, wo er sitzt, reglos und stumm. Seine Hand liegt auf der Bibel, und doch schlägt er sie nie auf. Jetzt nicht mehr. Ich fragte ihn, ob er möchte, dass ich ihm daraus vorlese. Er wandte den Kopf, um mich anzuschauen, und ich zuckte zusammen. Seit Tagen war es das erste Mal, dass er mich ansah. Ich hatte vergessen, was seine Augen auslösen konnten, wozu sie uns bringen konnten, wenn er unverwandt von der Kanzel heruntersah und uns mit seinen Blicken festhielt, einen nach dem anderen. Die Augen sind immer noch dieselben, nur sein Gesicht hat sich so sehr verändert. Verhärmt und ausgezehrt und jede Falte tief eingegraben. Als er hierher kam – ganze drei Jahre ist das her –, machte sich das ganze Dorf über sein jugendliches Aussehen lustig und darüber, dass so ein Jüngling zu ihnen predigen sollte.

»Anna, du kannst nicht lesen.«

»Hochwürden, ich kann’s. Mistress Mompellion hat’s mir beigebracht.«

Als ihr Name fiel, zuckte er zusammen und wandte sich ab, und sofort bedauerte ich es. Heutzutage macht er sich nicht die Mühe, seine Haare zusammenzubinden. Lang und dunkel fielen sie herab und verbargen sein Gesicht, sodass ich seine Miene nicht lesen konnte. Aber als er erneut sprach, klang seine Stimme leidlich gefasst. »Tatsächlich? Hat sie das?«, murmelte er. »Nun ja, dann werde ich dich vielleicht eines Tages anhören. Damit ich weiß, wie gut sie ihre Sache gemacht hat. Aber heute nicht, Anna, ich danke dir. Nicht heute. Das wäre dann alles.«

Eine Dienerin hat kein Recht zu bleiben, wenn man sie entlassen hat. Und doch tat ich’s, schüttelte das Kissen auf, legte ein Schultertuch zurecht. Er würde mich kein Feuer machen lassen. Nicht einmal dieses winzige Stück Behaglichkeit würde er von mir annehmen. Als ich schließlich nichts angeblich Wichtiges mehr zu tun hatte, verließ ich ihn.

In der Küche nahm ich ein paar angeschlagene Äpfel aus den Eimern und ging hinaus in die Ställe. Der Hof war ganze sieben Tage nicht gefegt worden. Es roch nach fauligem Stroh und Pferdepisse. Ich musste meinen Rock hochraffen, damit er nicht schmutzig wurde. Schon auf halbem Wege konnte ich den dumpfen Schlag hören, wenn sein Pferd bei jeder Drehung und Wendung mit dem Rumpf gegen den engen Pferch stieß und dabei tiefe Rillen in den Stallboden grub. Heutzutage ist niemand mehr kräftig oder erfahren genug, um mit ihm fertig zu werden.

Der Stallbursche, dessen Sache es war, den Hof sauber zu halten, döste auf dem Boden der Sattelkammer. Bei meinem Anblick sprang er auf und suchte umständlich nach dem Sichelgriff, der ihm beim Einschlafen aus der Hand gerutscht war. Als ich das Sichelblatt sah, das noch immer auf seiner Werkbank lag, wurde ich wütend, hatte ich ihn doch schon seit langem gebeten, es auszubessern. Inzwischen war das Lieschgras abgeblüht und keinen Schnitt mehr wert. Eigentlich wollte ich ihn deshalb und wegen des Unrats draußen schon ausschelten, aber beim Anblick seines verhärmten und erschöpften Gesichtes schluckte ich die Worte hinunter. Ich konnte nicht anders.

Als ich die Stalltür öffnete, flirrten plötzlich Staubkörnchen im Sonnenstrahl auf. Das Pferd hielt, einen Huf erhoben, im Scharren inne und blinzelte ins ungewohnte Gleißen. Dann bäumte es sich auf seine muskulösen Hinterbeine und schlug durch die Luft, als wollte es so deutlich wie möglich sagen: »Da du nicht er bist, verschwinde von hier.« Obwohl ich nicht zu sagen wusste, wann es das letzte Mal einen Striegel gespürt hatte, schimmerte sein Fell an der Stelle, wo das Licht auftraf, noch immer wie Bronze. Als Mister Mompellion auf diesem Pferd hier eingetroffen war, hatte es allgemein geheißen, ein so prachtvoller Hengst sei kein geeignetes Ross für einen Priester. Außerdem passte es den Leuten nicht, als sie hörten, dass Hochwürden ihn Anteros rief. Einer der alten Puritaner hatte ihnen nämlich erklärt, dies sei der Name eines heidnischen Götzen. Als ich meinen ganzen Mut zusammennahm und Mister Mompellion danach fragte, hatte er nur lachend gemeint, sogar die Puritaner sollten sich darauf besinnen, dass auch Heiden Kinder Gottes und ihre Geschichten ein Teil Seiner Schöpfung sind.

Ich blieb stehen, presste meinen Rücken gegen die Stallwand und redete sachte auf den mächtigen Hengst ein. »Ach, es tut mir so Leid, dass du den ganzen Tag hier drinnen eingepfercht bist. Ich habe dir eine Kleinigkeit mitgebracht.« Langsam griff ich in meine Schurztasche und streckte ihm einen Apfel hin. Er drehte seinen massigen Schädel ein wenig herum, sodass ich das Weiße in einem seiner feuchten Augen sehen konnte. Ich sprach leise weiter, so wie ich es immer bei den Kindern gemacht hatte, wenn sie Angst oder sich wehgetan hatten. »Du magst doch Äpfel. Weiß ich doch. Na los, dann mach schon und hol ihn dir.« Wieder scharrte er am Boden, aber diesmal klang es bereits weniger überzeugend. Langsam reckte er mir seinen breiten Hals entgegen und nahm mit geblähten Nüstern Witterung auf, vom Apfel und von mir. Handschuhweich und warm streifte seine Schnauze meine Hand, während er den Apfel mit einem Biss aufnahm. Als ich aus meiner Tasche den zweiten holen wollte, riss er den Kopf in die Höhe, dass der Apfelsaft nur so spritzte. Im Nu stieg er wieder hoch und drosch zornig in die Luft. Da wusste ich, dass mir der entscheidende Moment entglitten war. Ich ließ den zweiten Apfel auf den Stallboden fallen und trat schnell hinaus, wo ich an der geschlossenen Tür verschnaufte und mir einen Faden Pferdespeichel aus dem Gesicht wischte. Der Stallbursche musterte mich verstohlen und fuhr mit seiner Flickarbeit fort.

Nun ja, dachte ich, es ist einfacher, dem armen Tier einen kleinen Gefallen zu tun als seinem Herrn und Meister.

Als ich wieder im Haus war, konnte ich hören, dass sich der Herr Pfarrer von seinem Stuhl erhoben hatte und hin und her ging. Die Böden des Pfarrhauses sind alt und dünn. Das Knarzen der Dielen verriet mir jeden seiner Schritte. Hin und her ging das, hin und her. Wenn ich ihn doch nur dazu bringen könnte herunterzukommen und im Garten auf und ab zu gehen. Aber als ich das einmal andeutete, sah er mich an, als hätte ich die Besteigung des White Peak vorgeschlagen. Als ich seinen Teller holen ging, lagen die Apfelschnitze immer noch völlig unberührt da. Sie wurden schon braun. Morgen werde ich mit der Arbeit an der Saftpresse beginnen. Auch wenn ich ihn zu keinem Bissen Essen bewegen kann, so wird er manchmal doch etwas trinken, ohne es recht zu merken. Außerdem wäre es unsinnig, einen Keller voller Obst verderben zu lassen. Denn eines kann ich ganz sicher nie mehr ertragen: den Geruch eines faulenden Apfels.

 

Wenn ich mich am Ende des Tages vom Pfarrhaus auf den Heimweg mache, gehe ich lieber durch den Obstgarten als die Straße entlang, wo ich Gefahr laufe, Menschen zu begegnen. Nach allem, was wir gemeinsam überstanden haben, kann man nicht einfach mit einem höflichen »Guten Abend« aneinander vorübergehen. Doch zu mehr fehlt mir die Kraft. Diese Erinnerungen an glückliche Tage sind nur flüchtig, gleichen Spielgelbildern in einem Fluss, die eine Sekunde lang, in Einzelteile zerbrochen, aufschimmern und anschließend im Strom der Trauer, der nun unser Leben prägt, mitgerissen werden. Ich kann nicht behaupten, dass ich je das empfinde, was ich damals empfunden habe, damals, als ich glücklich war. Aber manchmal rührt doch etwas an jenen Ort, wo dieses Gefühl gelebt hat, eine Berührung wie von Mottenflügeln, die uns im Dunkeln im Vorüberflattern geschwinde streifen.

Wenn ich in einer Sommernacht im Obstgarten meine Augen schließe, kann ich die hohen Kinderstimmen hören: Flüstern und Lachen, Füßegetrappel und Blätterrascheln. Immer zu dieser Zeit im Jahr denke ich an Sam – den starken Sam Frith, und wie er mich um die Taille fasst und auf den Ast eines knorrigen alten Baumes hebt. »Heirate mich«, sagte er. Und warum sollte ich nicht? Die Kate meines Vaters war seit je ein freudloser Ort. Mein Vater liebte das Bier mehr als seine Kinder, obwohl er jahrein, jahraus immer welche bekam. Für meine Stiefmutter Aphra war ich in erster Linie ein Paar Hände und erst danach ein Lebewesen, eine, die sich um ihre Jüngsten kümmert. Und doch war sie es, die sich für mich einsetzte. Ihre Worte beeinflussten meinen Vater so, dass er seine Zustimmung gab. In seinen Augen war ich noch immer ein Kind, zu jung, um in die Ehe versprochen...

Erscheint lt. Verlag 28.2.2013
Übersetzer Eva L. Wahser
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Year of Wonders. A Novel of the Plague
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte 17.Jahrhundert • Aberglaube • Dorf • eBooks • England • Frau • Heldin • Hexenverfolgung • Hexenwahn • Historische Romane • Historischer Roman • HistorischerRoman • Hysterie • Liebe • New-York-Times-Bestseller • Panik • Pest • Pulitzerpreisträgerin • Roman • Schwarzer Tod • SchwarzerTod • Seuche
ISBN-10 3-641-10487-4 / 3641104874
ISBN-13 978-3-641-10487-0 / 9783641104870
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