Der glückliche Tod (eBook)

Cahiers Albert Camus

(Autor)

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2013 | 1. Auflage
208 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-02631-5 (ISBN)

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Der glückliche Tod -  Albert Camus
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«Und ein Stein zwischen Steinen, ging er in der Freude seines Herzens wieder in die Wahrheit der unbeweglichen Welten ein.» Camus' erster, postum veröffentlichter Roman: In einer beherrschten sinnlichen Prosa beschreibt der Autor die geliebte algerische Landschaft, die mediterrane Sonne, den tiefblauen Himmel, die glühende Erde, die erlösende See, aber auch das Gefühl der Entfremdung und das vertraute Verhältnis zum Tod.  

Albert Camus wurde am 7. November 1913 als Sohn einer Spanierin und eines Elsässers in Mondovi, Algerien, geboren. Er studierte an der Universität Algier Philosophie, 1935 trat er der Kommunistischen Partei Algeriens bei und gründete im Jahr darauf das «Theater der Arbeit». 1937 brach er mit der KP. 1938 entstand sein erstes Drama, Caligula, das 1945 uraufgeführt wurde, 1947 sein Roman «Die Pest». Neben seinen Dramen begründeten der Roman Der Fremde und der Essay Der Mythos des Sisyphos sein literarisches Ansehen. 1957 erhielt Albert Camus den Nobelpreis für Literatur. Am 4. Januar 1960 starb er bei einem Autounfall. Das Gesamtwerk von Albert Camus liegt im Rowohlt Verlag vor.

Albert Camus wurde am 7. November 1913 als Sohn einer Spanierin und eines Elsässers in Mondovi, Algerien, geboren. Er studierte an der Universität Algier Philosophie, 1935 trat er der Kommunistischen Partei Algeriens bei und gründete im Jahr darauf das «Theater der Arbeit». 1937 brach er mit der KP. 1938 entstand sein erstes Drama, Caligula, das 1945 uraufgeführt wurde, 1947 sein Roman «Die Pest». Neben seinen Dramen begründeten der Roman Der Fremde und der Essay Der Mythos des Sisyphos sein literarisches Ansehen. 1957 erhielt Albert Camus den Nobelpreis für Literatur. Am 4. Januar 1960 starb er bei einem Autounfall. Das Gesamtwerk von Albert Camus liegt im Rowohlt Verlag vor.

II


Der Sommer füllte den Hafen mit Stimmenlärm und Sonne. Es war halb zwölf Uhr vormittags. Der Tag strömte sein Innerstes aus, um die Quais mit dem ganzen Gewicht seiner Hitze zu erdrücken. Vor den Lagerschuppen der Handelskammer von Algier nahmen ‹Schiaffinos› mit schwarzem Rumpf und rotem Schornstein Kornsäcke an Bord. Ihr feiner Staubduft vermischte sich mit den kompakten Teergerüchen, die eine heiße Sonne zur Entfaltung brachte. Vor einer kleinen Baracke, wo es nach Firnis und Anisette roch, saßen Männer und tranken, während arabische Akrobaten in roten Trikots vor dem sonnenblitzenden Meer auf den glühend heißen Steinplatten ihre Körper verrenkten. Ohne sie zu beachten, betraten die Säcke schleppenden Hafenarbeiter die beiden schwingenden Planken, die vom Quai auf das Deck der Frachtdampfer führten. Oben angekommen, hoben sie sich plötzlich vor dem Himmel über der Bucht, zwischen Winden und Masten, silhouettenhaft ab. Mit nach oben gewendetem Blick blieben sie eine Sekunde lang geblendet stehen, wobei ihre Augen in den mit einer weißlichen Schicht aus Schweiß und Staub überzogenen Gesichtern funkelten, bevor sie sich blindlings in den Laderaum stürzten, aus dem ein Geruch wie von warmem Blut aufstieg. In der glühenden Luft heulte beständig eine Sirene.

Auf der Planke machten die Männer plötzlich entgegen der Ordnung Halt. Einer von ihnen war zwischen die Bohlen gefallen, die nahe genug beieinanderlagen, um ihn festzuhalten. Doch sein Arm war hinter ihm eingeklemmt, zerquetscht durch das ungeheure Gewicht des Sackes, und er schrie vor Schmerz. In diesem Augenblick trat Patrice Mersault aus seinem Büro. Schon auf der Schwelle verschlug ihm die Sommerhitze den Atem. Er sog mit weit offenem Mund den Teergeruch ein, der ihn in der Kehle kratzte, und blieb bei den Hafenarbeitern stehen. Sie hatten den Verletzten befreit. Auf den Planken mitten im Staub hingestreckt, die Lippen bleich vor Schmerz, ließ er seinen gebrochenen Arm vom Ellbogen ab herunterhängen. Ein Knochensplitter war durch das Fleisch gedrungen, sodass eine hässliche Wunde entstand, aus der das Blut sickerte. Die Tropfen liefen am Arm entlang und fielen dann, einer nach dem andern, mit einem leichten Zischen auf die glühenden Steine, wo sie verdampften. Mersault starrte regungslos auf dieses Blut, als jemand seinen Arm ergriff. Es war Emmanuel, der ‹Kleine für die Botengänge›. Er wies auf einen Lastwagen, der mit lautem Kettengerassel und Geknatter auf sie zukam. «Wollen wir?» Patrice begann zu laufen. Der Lastwagen fuhr an ihnen vorbei. Und sogleich rannten sie ihm nach, verschlungen von Lärm und Staub, keuchend und blind, gerade noch klar genug, um zu fühlen, wie sie durch diese wilde Lauferei hineingerissen wurden in einen betäubenden Rhythmus von Trossen und Maschinen, begleitet vom Tanz der Masten am Horizont und dem Schlingern der leprösen Schiffsrümpfe, an denen sie vorüberjagten. Auf seine Kraft und Gelenkigkeit vertrauend, packte Mersault als Erster zu und schwang sich hinauf. Er half Emmanuel, bis auch er mit herunterhängenden Beinen auf dem Wagen saß, und in dem weißen, kreidigen Staub, dem gleißenden Dunst, der sich vom Himmel herabsenkte, der Sonne, der ungeheuren, phantastischen Dekoration des von Masten und schwarzen Kränen überquellenden Hafens brauste der Wagen in vollem Tempo dahin, über das holperige Pflaster des Quais, sodass Emmanuel und Mersault hin und her geschleudert wurden und in einem Taumel der Erregung lachten, bis ihnen die Luft ausging.

In Belcourt angekommen, sprang Mersault zusammen mit dem singenden Emmanuel ab. Er sang laut und falsch. «Du musst verstehen», sagte er immer zu Mersault, «es drängt einfach aus der Brust herauf. Wenn ich vergnügt bin. Wenn ich bade.» Das stimmte. Emmanuel sang, wenn er schwamm, und seine durch den Druck von außen her rau gewordene und auf dem Meer kaum hörbare Stimme bestimmte dann den Takt der Bewegungen seiner kurzen muskulösen Arme. Sie bogen in die Rue de Lyon ein. Mersault schritt kräftig aus, er war sehr groß und wiegte seine breiten sehnigen Schultern. An der Art, wie er den Fuß auf den Gehsteig setzte, den er entlangzuschreiten gedachte, wie er mit einer gleitenden Hüftbewegung der Menge auswich, die ihn zuweilen umgab, spürte man, dass sein Körper überraschend jung und kraftvoll und durchaus imstande war, seinen Besitzer bis an die äußersten Grenzen physischer Lust zu tragen. Wenn er sich nicht bewegte, ließ er ihn auf der einen Hüfte ruhen, mit einer leicht affektierten Geschmeidigkeit wie jemand, der durch Sport den richtigen Stil gelernt hat. Seine Augen blitzten unter den Bögen der etwas starken Brauen, und während er mit Emmanuel sprach, zog er unter einer zuckenden Bewegung seiner geschwungenen lebhaften Lippen an seinem Kragen, um seinen Hals freizumachen. Sie traten in ihr Restaurant. Sie setzten sich und nahmen schweigend ihre Mahlzeit ein. Im Schatten war es kühl. Man hörte Fliegen summen, Teller klirren und Gespräche. Der Wirt, Céleste, kam auf sie zu. Groß und mit einem Schnurrbart geschmückt, kratzte er sich den Bauch unter seiner Schürze, die er dann wieder fallen ließ. «Es geht», sagte Emmanuel. «Wie es alten Leuten so geht.» Sie redeten. Céleste und Emmanuel tauschten Anreden wie «Na, Kamerad!» und Schulterklopfen aus. «Die Alten, weißt du», meinte Céleste, «sind ja blöd im Kopf. Sie sagen, ein richtiger Mann ist einer von fünfzig Jahren. Das sagen sie aber nur, weil sie selber in den Fünfzigern sind. Ich habe da einen Kumpel gehabt, der nur mit seinem Sohn glücklich war. Sie gingen zusammen aus. Sie trieben es ziemlich bunt. Sie gingen ins Casino, und mein Kumpel sagte: ‹Warum soll ich mich mit all den Alten abgeben? Sie erzählen mir täglich, dass sie Abführmittel genommen haben, dass sie ihre Leber spüren. Da ist es besser, ich gehe mit meinem Jungen aus. Manchmal schnappt er sich eine kleine Hure, ich tue dann, als sehe ich nichts, und steige in die Tram. Auf Wiedersehen und danke. Ich bin sehr zufrieden.›» Emmanuel lachte. «Natürlich», erklärte Céleste, «wusste der auch nicht alles besser, aber ich mochte ihn gern.» Zu Mersault gewendet fuhr er fort: «Und außerdem ist mir so einer lieber als ein anderer Kumpel, den ich hatte. Als der es zu was gebracht hatte, winkte er mich nur noch mit dem Kopf heran oder gab mir kleine Zeichen. Inzwischen ist er nicht mehr so stolz, er hat alles verloren.»

«Geschieht ihm recht», meinte Mersault.

«Oh, man soll sich nicht kleinkriegen lassen im Leben. Er hat sich eine gute Zeit gemacht, und warum auch nicht. Neunhunderttausend Francs hat er gehabt … Ah, wenn ich das gewesen wäre!»

«Was würdest du tun?», fragte Emmanuel.

«Ich würde mir eine kleine Hütte kaufen, mir ein bisschen Vogelleim auf den Nabel schmieren und eine Fahne draufsetzen. Und dann würde ich warten und sehen, von welcher Seite der Wind kommt.»

Mersault verzehrte in Ruhe sein Mahl, bis Emmanuel auf den Gedanken kam, dem Wirt seine berühmte Geschichte von der Marneschlacht vorzusetzen.

«Uns, die Zuaven, haben sie als Tirailleurs eingesetzt …»

«Du ödest uns an», erklärte Mersault ruhig.

«Der Kommandeur befahl: ‹Angriff!› Und wir alle hinunter, es war da so eine mit Bäumen bestandene Schlucht. Er hatte uns gesagt, wir sollten angreifen, aber vor uns war kein Mensch. Wir sind also marschiert und immer weiter vorgegangen. Dann aber gab es auf einmal Maschinengewehrfeuer. Sie schossen mitten in uns hinein. Alles purzelte nur so übereinander. Es gab so viele Verwundete und Tote, und auf dem Grund der Schlucht war so viel Blut, dass man in einem Kanu hätte hinüberfahren können. Da waren welche, die schrien: ‹Mama!› Es war fürchterlich.»

Mersault stand auf und knüllte seine Serviette zusammen. Der Wirt ging und notierte sein Mittagessen mit Kreide hinten auf der Küchentür. Das war sein Rechnungsbuch. Wenn einer protestierte, hob er die Tür aus den Angeln und schleppte die Rechnung auf seinem Rücken herbei. In einer Ecke saß René, der Sohn des Wirtes, und aß ein weiches Ei. «Der Arme», sagte Emmanuel, «er geht an der Schwindsucht zugrunde.» Das stimmte. René war gewöhnlich still und ernst. Er war nicht allzu sehr abgemagert, doch seine Augen glänzten. Gerade war ein Gast dabei, ihm zu erklären, Tuberkulose sei heilbar, «wenn man abwartet und vorsichtig lebt». Er nickte und antwortete ernst zwischen zwei Bissen. Mersault stützte sich neben ihm mit den Ellbogen auf den Schanktisch, um noch einen Kaffee zu trinken. Der andere redete weiter: «Du hast wohl nicht Jean Pérez gekannt? Den von der Gasanstalt? Der ist gestorben. Er hatte eine kranke Lunge. Aber er wollte fort aus dem Spital und wieder nach Hause. Und da war seine Frau. Und seine Frau ist ein Pferd. Seine Krankheit hatte ihn so gemacht. Du verstehst schon, ständig war er auf seiner Frau. Sie wollte gar nicht. Er aber trieb es ganz schrecklich damit. Na ja, und zwei-, dreimal täglich, das bringt einen kranken Mann ja schließlich um.» René hatte zu essen aufgehört und starrte, noch ein Stück Brot zwischen den Zähnen, den anderen an. «Ja», meinte er schließlich, «die Krankheit kommt schnell, doch mit dem Gehen nimmt sie sich Zeit.» Mersault malte mit dem Finger seinen Namen auf die beschlagene Kaffeemaschine. Er blinzelte mit den Augen. Zwischen diesem friedlichen Lungenkranken und dem von Liedern überquellenden Emmanuel pendelte sein Dasein Tag für Tag im Geruch von Kaffee und von Teer hin und her, von ihm selbst und allem, was für ihn sinnvoll war, losgelöst, seinem Herzen und seiner Wahrheit entfremdet. Die gleichen Dinge, die ihn unter anderen Umständen leidenschaftlich bewegt haben würden, erzeugten bei ihm jetzt, da er sie...

Erscheint lt. Verlag 1.2.2013
Nachwort Jean Sarocchi
Übersetzer Eva Rechel-Mertens, Gertrude Harlass
Vorwort Jean Sarocchi
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Algerien • Der Fremde • Die Pest • Entfremdung • Erinnerungen • Existentialismus • Klassiker • Literaturnobelpreis • Literaturnobelpreisträger • Milan Kundera • Nobelpreis für Literatur • Nobelpreis Literatur • Nobelpreisträger Literatur • Philosophie • Prosa • Sinnlichkeit • Streben nach Glück • Tod
ISBN-10 3-644-02631-9 / 3644026319
ISBN-13 978-3-644-02631-5 / 9783644026315
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