MUH! (eBook)
336 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-30861-9 (ISBN)
David Safier, 1966 geboren, zählt zu den erfolgreichsten Autoren der letzten Jahre. Seine Romane, darunter «Mieses Karma», «Jesus liebt mich», «Happy Family» und «MUH!» erreichten Millionenauflagen im In- und Ausland. Der erste Band seiner Krimireihe rund um die Ex-Kanzlerin gehört zu den bestverkauften Büchern des Jahres 2021. Als Drehbuchautor wurde David Safier unter anderem mit dem Grimme-Preis sowie dem International Emmy ausgezeichnet. Er lebt und arbeitet in Bremen, ist verheiratet und hat zwei Kinder.
David Safier, 1966 geboren, zählt zu den erfolgreichsten Autoren der letzten Jahre. Seine Romane, darunter «Mieses Karma», «Jesus liebt mich», «Happy Family» und «MUH!» erreichten Millionenauflagen im In- und Ausland. Der erste Band seiner Krimireihe rund um die Ex-Kanzlerin gehört zu den bestverkauften Büchern des Jahres 2021. Als Drehbuchautor wurde David Safier unter anderem mit dem Grimme-Preis sowie dem International Emmy ausgezeichnet. Er lebt und arbeitet in Bremen, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Oliver Kurth wurde 1974 in Ostfriesland geboren und hat schon immer gerne gezeichnet. Seit seinem Studium der Visuellen Kommunikation in Hannover arbeitet er als Illustrator und Character Designer und entwirft Figuren für Kinofilme wie «Urmel aus dem Eis», «Konferenz der Tiere» oder «Happy Family». Oliver Kurth lebt in Hannover und zeichnet lieber Tiere als Autos.
Kapitel 1
«MUH» kann so vieles bedeuten. Wenn eine stinknormale Kuh wie ich zum Beispiel panisch muht, kann das heißen: «Der Bauer hat mal wieder kalte Hände» oder «Hilfe, der Bauer fährt betrunken Mähdrescher» oder gar «Oh nein, sie wollen unseren Stier kastrieren!»
Wir Kühe können wütend muhen: «Blöder Elektrozaun!» oder schimpfend «Kinder, hört auf, euch über die Ochsen lustig zu machen» oder einfach nur aus vollstem Herzen glücklich «Gras, Sonnenschein und keinen Bandwurm im Leib – was will man mehr?»
Selbstverständlich sind wir auch in der Lage, traurig zu muhen: «Meine Mama ist gestorben», auch fragend «Was die Menschen wohl mit Mamas Körper machen?» und durchaus skeptisch «Ich finde dieser Big Mac, von dem der Bauer geredet hat, klingt irgendwie nicht gut.»
Wir sind sogar imstande, wenn wir auf der Weide stehen und wiederkäuen, philosophisch zu muhen: «Was hat sich unsere Schöpferin, die Gotteskuh Naia, nur dabei gedacht, als sie den Menschen erfand? Oder die blöden Fliegen? Es wäre doch viel schöner, wenn anstatt der Fliegen bunte Schmetterlinge um uns herumschwirrten. Oder wenn die Fliegen wenigstens schmecken würden. Am besten wären natürlich Schmetterlinge, die auch noch schmecken.»
Und manchmal, ja manchmal muhen wir Kühe zutiefst geschockt.
So wie ich, als ich das fürchterlichste Muhen meines bisherigen Lebens muhte. Es war an jenem Frühlingsnachmittag: Ich stand auf der Weide, sah die dunklen heranziehenden Regenwolken bereits und wollte nicht warten, bis der Bauer die Herde in den Stall trieb. In der letzten Zeit hatte der blöde Kerl uns nämlich öfter mal vergessen. Er war einfach nicht mehr der Alte: Er trank immer mehr von der Flüssigkeit, die die Bäuerin – wir hatten sie schon lange nicht mehr gesehen – Scheißkorn nannte, und er fluchte dabei über Dinge mit merkwürdigen Namen wie Milchquoten, Agrarsubventionen und Prostatitis.
Jedenfalls hatte ich keine große Lust, schon wieder nass zu werden, trottete zurück in den Stall und entdeckte dort, dass die große Liebe meines Lebens, der stattliche schwarze Stier Champion, überraschenderweise bereits in seiner Box stand. Bei seinem Anblick muhte ich den Satz, den wohl keine Kuh gerne über ihren Geliebten muht: «Sag mal, besteigst du da gerade Susi?»
Champion drehte hastig seinen Kopf zu mir, schaute für einen kurzen Moment erschrocken drein und stammelte dann: «Das … das ist nicht das, wonach es aussieht, Lolle!»
Ja, wir Kühe konnten auch bekloppte Ausflüchte muhen.
«Du stehst aufrecht an ihrem Hinterteil und hast deine Vorderhufe auf ihren Rücken gelegt», erwiderte ich mit zittriger Stimme. «Was soll es denn sonst sein?»
Bei diesem fürchterlichen Anblick hatte ich das Gefühl, dass mein Herz in tausend Stücke gerissen wurde. Gleichzeitig zogen sich meine drei Mägen zusammen, von meinem Pansen ganz zu schweigen.
«Lolle, ich kann dir das alles erklären», versprach Champion mit seiner wunderbar tiefen Stimme und sah mich aus seinen noch wunderbareren tiefen schwarzen Augen an. Ich wäre sicherlich von seinem Augenaufschlag wie immer hin und weg gewesen, wenn er nun mal nicht gerade so bei Susi gestanden hätte. Diese fiese Kuh hatte viele schlechte Eigenschaften: Sie war durchtrieben, eitel, und – das war das Schlimmste von allem – sie sah unglaublich gut aus. Um so vieles besser als ich. Susi war eine richtig dralle Kuh mit glänzendem Fell, und beim Anblick ihres Euters war schon mancher Stier aus Versehen in den Elektrozaun gelaufen. Mein schwarz-weißes Fell hingegen war matt, nichts an meinem Körper veranlasste mich dazu, mich stundenlang beglückt in einer Pfütze zu betrachten. Und kein Stier war jemals wegen meines Euters vom rechten Wege abgekommen.
Susi hatte schon lange ein Auge auf Champion geworfen, aber ich hatte gehofft, seine Liebe zu mir wäre stärker als ihre Verführungskünste. Tief im Innern wusste ich natürlich, dass dies naiv war, wobei naiv noch eine nette Untertreibung ist und selbst schweinedämlich es nicht ganz trifft. (Und Schweine sind ganz schön dämlich, die denken doch tatsächlich, die Welt bestünde nur aus unserem Bauernhof, während wir Kühe von unserer Weide aus bis zu den Bäumen am Ende der Welt sehen können. Jene Bäume, die man nicht passieren darf, weil man dahinter in einen Abgrund stürzt und tagelang fällt, um schließlich in der unendlichen Milch der Verdammnis zu landen.)
Auch wenn Susis Euter so viel verführerischer als der meine war und die Szene vor meinen Augen eindeutig zu sein schien, hoffte ich inständig, Champion würde die Wahrheit sagen. Dass es wirklich nicht das war, wonach es aussah, und dass er mir eine plausible Erklärung für alles liefern konnte. Falls er dies nicht tun könnte, wäre mein Lebenstraum zerstört. Jener Traum, den ich seit dem letzten Sommer träumte: Damals war ich noch eine junge Kuh von gerade mal zwei Sommern gewesen, und in meinem Herzen herrschte eine große Unruhe. Ich war begierig zu erfahren, was der Sinn des Lebens war, doch wenn ich die alten Kühe auf der Weide danach befragte, hörte ich nur: «Grasen ist doch eine ziemlich feine Sache.»
Diese Antwort reichte mir ganz und gar nicht. Das Leben, so dachte ich, musste doch aus mehr bestehen als nur Grasen, Wiederkäuen und den anderen Kühen zu erzählen, was man für einen gigantischen Fladen produziert hatte.
An einem besonders heißen Tag zeigten mir ausgerechnet zwei Eintagsfliegen, was dieses «mehr» sein könnte. Am frühen Morgen wurde ich Zeuge, wie sie aus einer kleinen Gewitterwasserpfütze vor mir schlüpften. Ganz zerbrechlich wirkten die beiden kleinen Geschöpfe in ihren ersten Minuten auf dieser Welt. Schon in diesem jungen Alter fühlten sich die beiden Fliegen zueinander hingezogen. Ich beschloss, sie zu beobachten, und gab ihnen die Namen «Summ» und «Herum». Die beiden niedlichen Wesen verbrachten ihre gesamte Kindheit zusammen mit gemeinsamem Fliegen und Umhertollen, also ungefähr eine halbe Stunde.
Mittags wurden sie zu Mann und Frau. Summ befruchtete seine Herum, ein Vorgang, bei dem ich selbstverständlich dezent wegsah. Die beiden bekamen Kinder. Eintausend Stück. Und ich verzichtete lieber darauf, ihren Babys ebenfalls Namen zu geben.
Liebevoll zogen die beiden Eintagsfliegen ihre Kleinen auf, auch wenn das ziemlich anstrengend war, besonders am Nachmittag, als alle tausend Kinder wilde Heranwachsende waren – anscheinend war dies ein Lebensabschnitt, in dem man nur bedingt zurechnungsfähig war.
Am Nachmittag wurden die Kinder endlich erwachsen. Summ und Herum genossen fortan ihr Leben zu zweit und machten immer wieder Ausflüge zu anderen Pfützen. Gegen Sonnenuntergang wurde ihr Leben noch mal richtig anstrengend, aber auf eine schöne, befriedigende Art und Weise, denn sie halfen ihren Kindern dabei, sich um die eine Million Enkelkinder zu kümmern. Als der Mond schon aufgegangen war, flogen die Liebenden schließlich, vom Alter erschöpft, aber glücklich, Flügel an Flügel umher, bis sie zu Boden sanken. Dort schliefen sie, vom Sternenlicht beschienen, sanft ein, die Flügel liebevoll ineinandergelegt.
Nachdem ich das gesehen hatte, wusste ich: So ein Leben wollte ich auch haben.
Natürlich etwas länger.
Und mit etwas weniger Kindern.
Und darauf, dass auf meinem toten Körper, wie bei den beiden geschehen, noch ein Kuhfladen landet, konnte ich auch gut verzichten. Ansonsten aber sollte mein Leben genauso sein wie ihres. Und ich hatte immer gedacht, Champion würde mein Summ sein.
Jetzt aber war mein Traum dabei zu zerplatzen, es sei denn, Champion hatte wirklich eine plausible Erklärung dafür, warum er so bei Susi stand.
«Lolle, es war so», hob er an, «Susi hat der Rücken gejuckt, und da hat sie mich gefragt, ob ich mal kratzen kann.»
Das war nicht gerade die plausible Erklärung, auf die ich gehofft hatte.
«Für wie blöd hältst du mich eigentlich?», fragte ich, während mir die ersten Tränen in die Augen schossen.
Champion wusste nicht, was er darauf antworten sollte, dafür grinste Susi: «Nun, für wahnsinnig schlau hält er dich offensichtlich nicht.»
Sie hatte sichtlich Spaß daran, mich zu reizen. Aber ich wollte ihr nicht die Genugtuung geben, vor ihr auszurasten oder – noch schlimmer – gar zu weinen. So atmete ich tief durch, hielt meine Tränen mit geradezu überkuhlicher Kraft zurück und erwiderte ganz gefasst: «Dich hingegen schätzt Champion sicherlich für deinen Geist.»
«Genau.»
«Und für deine große Persönlichkeit.»
«So ist es.»
«Deswegen beugt er sich ja auch gerade über dein Hinterteil.»
Susi schnappte sauer nach Luft. Champion wandte sich an mich und erklärte zerknirscht: «Lolle, das hier bedeutet mir nichts …»
«Na, vielen Dank!», motzte Susi beleidigt.
Für mich war es leider in diesem Moment nur ein geringer Trost, dass ihm das Fremdgehen nichts bedeutete.
Champion versuchte weiter, mich zu beschwichtigen: «Du weißt doch, wir Männer nehmen das nicht so ernst, wenn wir mit einer Frau Liebe machen …»
Diesmal sagte ich getroffen: «Na, vielen Dank!»
«Ups», erkannte Champion seinen Fehler und versuchte, ihn gleich wieder wettzumachen. «Bei dir ist es was anderes, Lolle. Du weißt, was ich für dich empfinde!» Seine Stimme vibrierte dabei. Womöglich empfand er wirklich noch etwas für mich. Bestimmt sogar. Dummerweise war es nicht so viel, dass er Susis Hinterteil widerstehen konnte.
«Lolle, was kann ich tun, um das alles wiedergutzumachen?», fragte er zerknirscht.
«Zwei Dinge», antwortete...
Erscheint lt. Verlag | 5.11.2012 |
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Illustrationen | Oliver Kurth |
Zusatzinfo | Mit 1 4-farb. Ill. u. 3 s/w Ill. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | heilige Tiere • humorvoll • Indien • Kuh • Ostfriesland • witzig |
ISBN-10 | 3-644-30861-6 / 3644308616 |
ISBN-13 | 978-3-644-30861-9 / 9783644308619 |
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