Abgeschnitten (eBook)
400 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-41569-6 (ISBN)
Sebastian Fitzek, geboren 1971 in Berlin, ist Deutschlands meistverkaufter Autor. Er studierte Jura, promovierte im Urheberrecht und arbeitete als Programmdirektor für verschiedene Radiostationen in Deutschland. Seit 2006 schreibt Fitzek Psychothriller, die allesamt zu Bestsellern wurden. Sein erster Roman 'Die Therapie' eroberte innerhalb kürzester Zeit die Bestsellerliste und wurde als bestes Krimidebüt für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert. Fitzeks Bücher wurden bisher in 36 Sprachen übersetzt und weltweit über 19 Millionen Mal verkauft. Viele davon sind inzwischen erfolgreich verfilmt - so wurde 'Die Therapie' jüngst als sechsteilige Miniserie für Prime Video produziert und stieg sofort auf Platz 1 der meistgesehenen deutschsprachigen Sendungen ein. Zudem ist Sebastian Fitzek ist für seine spektakulären Buchvorstellungen bekannt, die er als Shows inszeniert. 2017 wurde er als erster deutscher Autor mit dem Europäischen Preis für Kriminalliteratur ausgezeichnet. Er ist Preisstifter des Viktor Crime Awards und engagiert sich als Schirmherr für den Bundesverband 'Das frühgeborene Kind' e.V. Sebastian Fitzek lebt mit seiner Familie in Berlin. www.sebastianfitzek.de www.facebook.de/sebastianfitzek.de Insta @sebastianfitzek
Sebastian Fitzek, geboren 1971, ist Deutschlands erfolgreichster Autor von Psychothrillern. Seine Bücher werden in vierundzwanzig Sprachen übersetzt und sind Vorlage für internationale Kinoverfilmungen und Theateradaptionen. Sebastian Fitzek lebt mit seiner Familie in Berlin. Michael Tsokos, 1967 geboren, ist Professor für Rechtsmedizin und international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Forensik. Seit 2007 leitet er das Institut für Rechtsmedizin der Charité. Seine Bücher über spektakuläre Fälle aus der Rechtsmedizin sind allesamt Bestseller.
1. Kapitel
Das Blut gefällt mir nicht!
Linda betrachtete erschöpft das Opfer. Stunden schon mühte sie sich mit dem Mann ab. Mit dem Messer in seinem behaarten Bauch war sie zufrieden, auch mit den hervorquellenden Gedärmen und den glasigen Augen, in denen sich die Mörderin spiegelte.
Aber das Blut sieht nicht echt aus. Ich hab’s schon wieder versaut.
Wütend riss sie das Papier vom Zeichenblock, zerknüllte es und warf es auf den Boden neben ihren Schreibtisch zu den anderen misslungenen Versuchen. Sie zog sich die Stecker ihrer Kopfhörer aus den Ohren und tauschte die düstere Rockmusik gegen das Rauschen des Meeres. Dann schenkte sie sich heißen Kaffee aus der Thermoskanne nach. Sie wärmte die klammen Finger am Becher, bevor sie gedankenverloren den ersten Schluck nahm.
Verdammte Gewaltszenen.
Die Darstellung des Todes hatte ihr schon immer die größten Schwierigkeiten bereitet, dabei kam es genau darauf an. Ihre Comics wurden vor allem von weiblichen Teenagern gelesen, und aus irgendeinem Grund hatte ausgerechnet das schwache Geschlecht eine Vorliebe für explizite Gewaltdarstellungen.
Je härter, desto Frau, wie der Verlagsleiter nicht müde wurde zu betonen.
Sie selbst bevorzugte Naturszenen. Nicht die lieblichen Rosamunde-Pilcher-Motive, keine Blumenwiesen oder wogenden Kornfelder. Sie war von den Urgewalten des Planeten fasziniert. Von Vulkanen, Steilklippen und Wellenbergen, von Geysiren, Tsunamis und Zyklonen. Und in dieser Hinsicht bot sich ihr gerade eine atemberaubende Vorlage. Von dem kleinen Atelier unter dem Dach genoss sie einen großartigen Blick über die tosende Nordsee vor Helgoland. Das schmale, zweigeschossige Holzhaus war eines der wenigen freistehenden Gebäude oberhalb der Westküste der Insel. Es stand am Rand eines dieser unzähligen Krater, die die Bomben der Engländer nach dem Zweiten Weltkrieg ins Mittelland der Insel gerissen hatten.
Während Linda den blauen Bleistift spitzte, mit dem sie stets die ersten Konturen eines Bildes zeichnete, sah sie durch das Sprossenfenster zum Meer.
Wieso bezahlt mich niemand dafür, diese Aussicht festzuhalten?, fragte sie sich nicht zum ersten Mal, seitdem sie hierhergeflüchtet war.
Die schäumende See und die tiefhängenden Wolken erzeugten eine sogartige Wirkung. Es schien, als wäre die Insel in den letzten Tagen weiter ins Meer vorgerückt. Das Wellensturzbecken direkt neben dem Südhafen war vollgelaufen, und von den vierarmigen Betonpfeilern, die zum Schutz der Küste ins Meer geworfen worden waren, ragten nur noch die ufernahen Spitzen heraus. Trotz der Unwetterwarnung hätte Linda sich am liebsten ihre Gummistiefel und die Outdoorjacke übergezogen und sich bei einem Spaziergang zum Strand den kalten Regen ins Gesicht wehen lassen. Doch dafür war es zu früh. Noch.
Du musst den großen Sturm abwarten, bevor du hier rausdarfst, ermahnte sie sich in Gedanken.
Kein Tag verging, an dem der Katastrophenschutz nicht erneut im Radio dringend empfahl, Helgoland zu verlassen, bevor der Orkan mit dem harmlosen Namen »Anna« die Insel erreicht hatte. Und mittlerweile hatten die drastischen Vorhersagen Wirkung gezeigt. Dabei hatte zu Anfang kaum jemand den Meldungen Glauben geschenkt, die Insel könnte dieses Jahr vom Festland abgeschnitten werden. Doch dann riss ein Vorbote des Sturms das Dach über dem Südflügel des Krankenhauses ab. Auch wenn es in den anderen Gebäudeteilen nicht hereinregnete, war die medizinische Versorgung nicht mehr sichergestellt, denn Teile der Stromzufuhr waren gekappt, was beinahe zu einem Brand geführt hätte. Als schließlich nicht einmal mehr die Lebensmittellieferungen garantiert werden konnten, überdachten als Erstes die Alten ihre Entscheidung, auf der Insel zu bleiben.
Die wenigen Touristen wurden als Nächste evakuiert; ihnen schlossen sich die meisten einheimischen Familien mit Kindern an, und wenn heute Nachmittag die letzte Fähre ging, dürfte sich die Einwohnerzahl Helgolands auf knapp siebenhundert Menschen halbiert haben. Diese trotzten dem schlechten Wetter und den noch schlechteren Prognosen und hofften darauf, dass die Schäden schon nicht so dramatisch ausfielen, wie die Meteorologen es vorhersagten. Ihr harter Kern traf sich täglich im Bandrupp, dem Gasthaus des gleichnamigen Bürgermeisters, zur Lagebesprechung.
Während die Zurückgebliebenen ihr Haus und Gut nicht kampflos im Stich lassen wollten und sich verpflichtet sahen, auch in schlechten Zeiten die Stellung zu halten, hielt es Linda aus einem gänzlich anderen Grund auf der Insel. Vermutlich war sie die Einzige, die den Orkan mit all seinen Folgen sogar herbeisehnte, auch wenn das bedeutete, dass sie noch eine ganze Weile länger nur von Konservendosen und Leitungswasser würde leben müssen.
Denn war Helgoland erst einmal komplett von der Außenwelt abgeschnitten, konnte das Grauen, vor dem sie geflüchtet war, nicht mehr zu ihr auf die Insel gelangen. Und erst dann würde sie keine Angst mehr haben, ihr Versteck zu verlassen.
»Genug für heute«, sagte sie laut und stand von ihrem Zeichentisch auf. Seit dem frühen Morgen hatte sie an der Szene gearbeitet, dem Showdown, in dem sich die amazonenhafte Heldin an ihrem Widersacher rächt, und jetzt, sieben Stunden später, war ihr Nacken steif wie Beton.
Eigentlich gab es keine Veranlassung, weshalb sie die letzten Tage wie eine Besessene durchgearbeitet hatte.
Es gab keinen neuen Auftrag, der Verlag wusste nicht, dass sie erstmals an einer eigenen Geschichte arbeitete, nachdem sie bislang immer nur die Manuskripte anderer Autoren illustrieren durfte. Verdammt, der Verlag wusste nicht einmal, dass sie überhaupt noch existierte, nachdem sie von einem Tag auf den anderen wortlos von der Bildfläche verschwunden war, ohne ihr letztes Projekt vollendet zu haben. Vermutlich würde sie jetzt, da sie einen wichtigen Abgabetermin hatte verstreichen lassen, nie wieder einen Auftrag erhalten, weswegen es ihr eigentlich freigestanden hätte, nur noch das zu zeichnen, was sie wollte. Doch wann immer sie sich hingesetzt hatte, um ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen, waren es nicht die von ihr so geliebten Naturmotive gewesen, sondern das Bild des sterbenden Mannes, das sich vor ihrem geistigen Auge aufbaute. Und auch wenn sie mit dieser Gewaltdarstellung ihre gewohnten Schwierigkeiten hatte, so spürte sie tief in ihrem Innersten, dass es genau diese Szene war, die sie unbedingt zu Papier bringen musste, wenn sie endlich wieder einmal eine Nacht durchschlafen wollte.
Erst wenn ich das geschafft habe, werde ich das Meer zeichnen. Zuvor muss ich mir die Gewalt von der Seele malen.
Linda seufzte und ging ein Stockwerk tiefer ins Bad. Am Ende eines Arbeitstags fühlte sie sich stets wie nach einem Marathon. Müde, ausgelaugt und dreckig. Auch wenn sie sich kaum bewegt hatte, brauchte sie dringend eine Dusche.
Das Haus war noch nie renoviert worden, was in dem spartanisch eingerichteten Bad besonders augenfällig war: Die Fliesen an den Wänden waren von einem Dunkelgrün, das Linda das letzte Mal auf der Toilette einer Autobahnraststätte gesehen hatte, und der Duschvorhang war zu einer Zeit in Mode gewesen, als Telefone noch Wählscheiben hatten. Immerhin wurde das Wasser in wenigen Sekunden warm, und das war weitaus besser, als Linda es von der Dusche ihrer Wohnung in Berlin gewohnt war. Unter anderen Umständen hätte sie sich in dem kleinen Haus mit seinen schiefen Wänden, den verzogenen Fenstern und den niedrigen Decken sogar ganz wohl gefühlt. Linda legte keinen Wert auf Luxus, und der Ausblick aufs Meer entschädigte für Blümchentapeten, ockerfarbene Sesselbezüge und den ausgestopften Fisch über dem Kamin.
Aber leider nicht für die dunklen Träume, die mir den Schlaf rauben.
Sie zupfte die dunkle Bluse, mit der sie bei ihrem Einzug den Spiegelschrank verhängt hatte, wieder zurecht, dann zog sie sich aus. Sie wusste, die letzten Monate hatten tiefe Spuren hinterlassen, und die wollte sie nicht täglich im Spiegel sehen.
Unter der Dusche schäumte sie zuerst ihre braunen, schulterlangen Haare ein, dann verteilte sie den Rest des Schaums auf dem dünnen Körper. Früher hatte sie etwas zu viel auf den Rippen gehabt, heute ahnte man nur noch beim Anblick ihrer ausladenden Hüften, dass sie einst »gut im Futter gestanden« hatte, wie Danny einmal scherzhaft gesagt hatte. Sie erschauerte bei der Erinnerung und drehte das Wasser noch heißer. Wie immer versuchte sie, beim Waschen das Gesicht auszusparen.
Um meine Wunden nicht berühren zu müssen.
Aber heute hatte sie nicht schnell genug reagiert, und etwas Schaum war vom Haaransatz nach unten und damit über das poröse Narbengeflecht der Stirn gelaufen, das man zum Glück nur sah, wenn ihr dichter Pony ungünstig fiel.
Mist.
Widerwillig hielt sie das Gesicht unter den heißen Strahl der Dusche, was fast noch schlimmer war, als wenn sie die Spuren der Verätzungen mit den eigenen Fingern nachgezeichnet hätte.
Linda hatte viele Narben. Die meisten von ihnen waren größer als die auf der Stirn und schlechter verheilt, denn sie lagen an Stellen, an die keine Wundsalbe und kein Chirurg jemals herankommen würden: tief unten, verborgen im Seelengewebe ihrer Psyche.
Nachdem sie sich etwa zehn Minuten lang mit dem Duschstrahl den Nacken massiert hatte, spürte sie, dass die Verspannung sich zu lösen begann. Womöglich würde eine Ibuprofen den schlimmsten Kopfschmerz verhindern, wenn sie die Tablette rechtzeitig vor dem Einschlafen nahm. Vorgestern hatte sie es vergessen und war mitten in der Nacht mit einem...
Erscheint lt. Verlag | 26.9.2012 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Abgefackelt • Abgeschlagen • Abgeschnitten • abgeschnitten audible • abgeschnitten film • abgetrennt • action thriller • als die Wirklichkeit • Bestseller • bestseller bücher thriller • buch entführung • Buch zum Film • Christian Alvart • deutsche thriller autoren • Die Zeichen des Todes • Entführung • Entschlüsselung • Film-Buch • Fitzek Bücher • Fitzek Tsokos • forensik bücher krimi • Gerichtsmedizin • Hannah Herzfeld • Helgoland • Jasna Fritzi Bauer • Kino-Blockbuster • Michael Tsokos • Michael Tsokos Bücher • Mord Krimi • Moritz Bleibtreu • moritz bleibtreu film • nichts ist spannender • nichts ist spannender, als die Wirklichkeit • Obduktion • Orkan • Paul Herzfeld • paul herzfeld reihenfolge • Professor Michael Tsokos • Psychopath • psycho Thriller • Psychothriller • Rätsel • Rechtsmedizin Buch • Rechtsmediziner • Schnitzeljagd • Sebastian Fitzek • Sebastian Fitzek Bestseller • Sebastian Fitzek Psychothriller • Selbstjustiz • serial-killer • Serienmörder Thriller • Serientäter • serie thriller • spannende Bücher • spannende krimis bücher • Spannung • SPIEGEL-Bestseller • Thriller • Thriller Action • Thriller Berlin • Thriller Bestseller • Thriller deutsche Autoren • Thriller Deutschland • thriller entführung • thriller nordsee • thriller reihe • thriller serienkiller bücher • Thriller Taschenbuch • True Crime • True-Crime-Podcast • Tsokos Bücher • tsokos bücher reihe |
ISBN-10 | 3-426-41569-0 / 3426415690 |
ISBN-13 | 978-3-426-41569-6 / 9783426415696 |
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Größe: 21,3 MB
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