Was vorhaben muß man (eBook)

Aphorismen
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2012 | 1. Auflage
144 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-02151-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was vorhaben muß man -  Rolf Hochhuth
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«Umweltkritik», sagt Hochhuth, «hat in Deutschland nach dem Krieg, schon vor über sechzig Jahren, zuerst Adorno durch die ?Minima Moralia? wieder aufleben lassen.» Doch Hochhuths Aphorismen gründen, anders als die Adornos, nicht auf Ethik - sie sind notwendigerweise eher amoralisch-erotisch, da sie Verhaltensforschung in den drei Lebensbereichen versuchen, die jeden Menschen formen: das Private, das Politisch-Historische und das Künstlerisch-Kulturelle. Tatsächlich hat Hochhuth, seit mit dem «Stellvertreter» die Frage in die Welt kam: Warum schwieg der Papst zum Holocaust?, und seit seine «Soldaten» die Frage umkreisten: Ermordete Churchill den polnischen Ministerpräsidenten Sikorski?, in allen weiteren Dramen und Komödien, auch oft in Essays und Gedichten sich diesen drei Themengruppen besonders verschrieben: Seine Aphorismen sind komprimierte, pointierte, doch auch ebenso detaillierte Skizzen zum Studium von menschlichen Beziehungen wie von Geschichte und Kunst. Sie sind eine Art Fazit seines Denkens, reine Essenz.

Fritz J. Raddatz nannte ihn einen «Kaltnadelradierer der Poesie, schmucklos, scharf ritzend, aber nicht ätzend ... ein besessener Aufklärer, wo er die Täter am Werk sieht, ob Diktatoren oder Shareholder.» Rolf Hochhuth war einer der erfolgreichsten Dramatiker des heutigen Theaters - mit sicherem Gespür für brisante Stoffe und Themen. Am 1. April 1931 in Eschwege geboren, erzielte er mit dem «christlichen Trauerspiel» Der Stellvertreter Internationalen Erfolg. Es thematisiert die Rolle der katholischen Kirche, speziell die von Papst Pius XII., im Zweiten Weltkrieg. Als rigoroser «Moralist und Mahner» setzte sich Hochhuth mit aktuellen politisch-sozialen Fragen auseinander; in einer Vielzahl offener Briefe plädierte er für die «moralische Erneuerung» der Politik. Er verfasste ein umfangreiches dramatisches, essayistisches und lyrisches Werk. Ausgezeichnet wurde er u.a. mit dem Kunstpreis der Stadt Basel (1976), dem Geschwister-Scholl-Preis (1980), dem Lessing-Preis der Freien Hansestadt Hamburg (1981), dem Elisabeth-Langgässer-Preis (1990) und dem Jacob-Grimm-Preis für Deutsche Sprache (2001). Hochhuth starb am 13. Mai 2020 in Berlin.

Fritz J. Raddatz nannte ihn einen «Kaltnadelradierer der Poesie, schmucklos, scharf ritzend, aber nicht ätzend … ein besessener Aufklärer, wo er die Täter am Werk sieht, ob Diktatoren oder Shareholder.» Rolf Hochhuth war einer der erfolgreichsten Dramatiker des heutigen Theaters – mit sicherem Gespür für brisante Stoffe und Themen. Am 1. April 1931 in Eschwege geboren, erzielte er mit dem «christlichen Trauerspiel» Der Stellvertreter Internationalen Erfolg. Es thematisiert die Rolle der katholischen Kirche, speziell die von Papst Pius XII., im Zweiten Weltkrieg. Als rigoroser «Moralist und Mahner» setzte sich Hochhuth mit aktuellen politisch-sozialen Fragen auseinander; in einer Vielzahl offener Briefe plädierte er für die «moralische Erneuerung» der Politik. Er verfasste ein umfangreiches dramatisches, essayistisches und lyrisches Werk. Ausgezeichnet wurde er u.a. mit dem Kunstpreis der Stadt Basel (1976), dem Geschwister-Scholl-Preis (1980), dem Lessing-Preis der Freien Hansestadt Hamburg (1981), dem Elisabeth-Langgässer-Preis (1990) und dem Jacob-Grimm-Preis für Deutsche Sprache (2001). Hochhuth starb am 13. Mai 2020 in Berlin.

Politisch-historisch


Adolph von Menzel: Musiksalon der Gräfin Schleinitz

Der Staat ruft zu Spenden für die Krebshilfe auf – übrigens ein riskantes Wort: Wer spendet schon, dem Krebs zu helfen! –, kassiert aber an Tabak so ruchlos Steuern wie an Alkohol, während er dessen Konsum zu bekämpfen vorgibt: Da hat die Heuchelei schon das Niveau, das die Maßnahme jener ach so christlichen Bonner CDU-Regierung hatte, die zuerst Dirnen besteuerte. Neulich wurde ruchbar, daß die Britische Medizinische Gesellschaft, die öffentlich beklagt, daß einhunderttausend Engländer pro Jahr am Tabak sterben, einen Teil ihres Vereinsvermögens in der englischen Tabakindustrie investiert hat. Wie liebenswürdig war dagegen jener italienische Bischof, der Enthaltsamkeit predigte und voriges Jahr im Bordell starb!

 

Die alles und alle beherrschende Idee heute, die meine Generation und die meiner Kinder zu Tode verbraucht – erst die Enkel werden das Verhängnisvolle an ihr erkennen und es zumindest teilweise und mühsam rückgängig machen –, ist das Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen. Zweitens der Vereinigungswahn der Europäer, ihr Globalisierungs- und Euro-Rausch, die satzungswidrige Albernheit, z. B. Griechenland müsse von den übrigen Europäern subventioniert werden, um «den Euro zu retten». Erweist die Einheitswährung sich nun schon zehn Jahre lang als untauglich – warum kehrt man nicht um zur Länderwährung? Jeder Grieche erhielt bis 2012 von anderen EU-Ausgebeuteten 33 000 Euro. Das seit Odysseus listigste aller Völker machte Betrugs-Bankrott.

 

Parlamentarische Absprachen – so liebenswürdig wie wirkungslos.

 

Wer könnte noch sagen von der Partei, die er wählt, sie repräsentiere das Vertrauen, das er mit dem Wahlzettel in sie gesetzt hat?

 

Bundeskanzler Kohls unwirsche Frage, wieso er die Menschen entschädigen müsse, denen Ulbricht die Grundstücke geklaut hat, auf die er dann seine Berliner Mauer baute, da doch – so Kohl – «noch nicht einmal alle Angehörigen derer, die an der Mauer ermordet worden sind, entschädigt» seien, ist ebenso logisch, als würde er fragen, wieso will denn Frau Müller im Krankenhaus geheilt werden, Frau Schulze ist dort auch gestorben!

 

Burckhardts Heimatliebe zu Basel ließ ihn verzichten, als ihm die größte Ehrung seines Lebens angetragen wurde: den Lehrstuhl seines Lehrers Ranke in Berlin zu übernehmen. Deshalb erhielt Treitschke ihn, der ein bedeutender Schriftsteller, vor allem aber ein ruchloser Nationalist war. Unzählige Jahrgänger, die Burckhardt ausgerechnet in der siegestrunkenen Hauptstadt des neugegründeten Kaiserreichs nach 1871 zu human denkenden Studenten ausgebildet hätte, verfielen nun der Überredungsgewalt eines verhängnisvollen Chauvinisten und Antisemiten: der Beweis, daß sogar ein hochherziger Verzicht kaum denkbar ist, der nicht auch üble Folgen hätte 

 

«Mal ist der Bundestag voller, mal ist er leerer, doch stets ist er voller Lehrer», klagte SPD-Chef Wehner. Tatsächlich ist keine Verfassung, die nicht auch den Numerus clausus gegen die Übermacht einzelner Berufe enthält, ein Schutz gegen die Herrschaft von Berufscliquen, also von Interessenverbänden. Wenn achtzig Prozent der Abgeordneten Juristen sind – wer vertritt dann im Parlament das Volk?

 

Die Buchhaltung der Geschichte ist nicht die Gewinn-Verlust-Rechnung eines Jahres, sondern eines Jahrhunderts.

 

Entlassungen bei Riesengewinnen, also Felonie, wie die «Untreue des Herrn gegenüber dem Knecht» 1000 Jahre genannt wurde, ist die totale Rechtfertigung der geschichtlichen Erfahrung Jacob Burckhardts: daß «man bei Abwesenheit aller legalen Rechtsmittel Richter in eigener Sache wird». Wie kommt es, daß keiner der kürzlich wieder 500 aus der Deutschen Bank, trotz kontinuierlicher Riesengewinne seit Jahrzehnten, von Ackermann Rausgeschmissenen den nicht tötet? Denn zweifellos fehlt doch allen das «legale Rechtsmittel» dagegen – nicht von diesem Gangster weggetan zu werden wie die Zeitung von gestern.

 

Gemessen an dem, was einer anzielte, je höher das Ziel, je heimlicher – das Wenige, was ihm glückte: Wer kann sich da auch nur im Spiegel ansehen? Gelang ihm aber Höchstes, machen es Söhne, spätestens die Enkel kaputt. Beispiel Bismarck – sein Bedeutendstes der «Geheime Rückversicherungsvertrag mit Rußland»: Berlin und Petersburg vereinbarten «wohlwollende Neutralität», werde einer von ihnen in Krieg mit einer Großmacht verwickelt. Dieser Vertrag garantierte, daß innerhalb Europas ein Weltkrieg nicht möglich gewesen wäre. Aus allerlächerlichstem «Grund» – da geheim, sei diese Absprache mit den Russen «Bigamie» gegenüber den Österreichern – lehnte der achtundzwanzigjährige Wilhelm der Letzte die Verlängerung des Vertrages ab. Prompt fand Paris in Petersburg den Verbündeten zum ersehnten Revanchekrieg wegen Bismarcks Annexion Lothringens.

 

Die Dummheit der Epigonen: Haben die Deutschen Beobachter in ausländische Kriege geschickt nach 1864, 66, 70? Die Engländer sehr wohl, zum Beispiel den jungen Churchill! Der hat später in einem glanzvollen Essay «Die Deutsche Pracht» über zwei Besuche bei Wilhelms Manövern berichtet; da er schon im Burenkrieg, dem ersten modernen, mitgekämpft hatte, konnte er – sichtlich beruhigt – über einige Vorgänge in kaiserlichen Manövern schreiben: «Was immer das bedeuten mochte, mit der Wirklichkeit hatte es überhaupt nichts zu tun.»

 

Angehörige nie als Mitwisser belasten: Als nach dem Attentat auf Hitler auch Konrad Adenauer, da ihn der zivile Hauptverschwörer Carl Goerdeler mehrfach besucht hatte, untertauchen wollte, sagte er zu seiner Frau: «Ick jehe zu den Mönchen!» Als die Bullen ihn holen wollten, sagte Frau Adenauer, sie wisse nicht, wohin ihr Mann sei. «Wenn wir an seiner Stelle Ihre drei schönen Töchter mitnehmen, wird Ihnen einfallen, wohin er gegangen ist!» war die Drohung. Da gab sie an: «Ins Kloster Maria Laach», wo sie ihn herausholten. Die Töchter wären nie hingerichtet worden, er aber durchaus, hätte nicht das Kriegsende ihn befreit.

 

Bei uns auch «sollte es ein Gesetz geben, das unsere jungen Männer eine Zeitlang ins Ausland schickt», schreibt Lord Byron: «Ich bin von den Vorteilen, die es hat, auf die Menschheit zu schauen, statt über sie zu lesen, so überzeugt, wie auch von den bitteren Folgen des Daheimbleibens mit all den engherzigen Vorurteilen eines Inselbewohners.» Sprach der 1788 Geborene nur von jungen Männern – heute, natürlich, sind es auch Mädchen.

Auch erteilt er Jungen den Rat, aus der Ratlosigkeit so vieler Unsicherer in jungen Jahren in die Politik sich zu retten. Jedenfalls verunsichert nichts so sehr wie Alleinbleiben. Zum Abseitsstehen ist der einzelne nicht gemacht; das können allenfalls Gruppen sich leisten; ja die müssen das zuweilen 

 

Bewundernswert: Der polnische Jude Zygmunt Bauman, Jahrgang 1925, als einziger seiner Familie durch Flucht nach Rußland dem Holocaust entkommen, riskierte 2011 zu sagen: «Ich bin besorgt über die moralische Verwüstung, die die Besatzung Palästinas bei Israelis anrichtet, besonders bei den Jüngeren, die direkt als Teil einer Besatzungsmacht geboren werden»! Man hat Angst, Bauman wird ermordet: Denn er verglich seine Forderung, die Mauer in Gaza müsse weg, mit der Lösung des Gordischen Knotens. Heute das Kühnste, was ein Israeli von seinesgleichen fordern kann – schon morgen nur noch banal. Denn das Vorbild USA lehrt seit seinem Bestehen, jedem ist in seinem Geburtsland Mitbestimmungsrecht angeboren. Religion, Hautfarbe spielen keine Rollen. Sowenig wie ideologische Mauern.

 

Der Hund liebt den Herrn, das Volk den Führer: «Attentatshausen» nannten verächtlich alle Dörfler aus der Umgebung Hermaringen, wo 1903 Elser geboren wurde, der Tell des Jahres 1939. Kein einziger Volksgenosse ahnte, daß Elser ein Heros mythischen Ranges war – als einziger Deutscher seit Jahrhunderten.

 

Hans Saner erzählt im September 2000 entsetzt, daß 70 Prozent befragter Deutscher, ob jung, ob alt, gesagt haben, sie könnten sich nicht vorstellen, mit Juden befreundet zu sein … Selbstverständlich kennen sie Juden nur vom Hörensagen: so gründlich hat die Hitlerzeit sie «ausgerottet», wie Hitler das dreimal öffentlich ankündigte.

Dagegen Bismarck in Versailles 1871 bei Tisch: Die hervorragende Intelligenz einiger bekannter Familien sei zweifellos das Ergebnis dessen, daß «ein christlicher Hengst eine jüdische Stute besprungen» habe, «und ich weiß noch nicht, ob ich das nicht auch meinen Jungen empfehlen soll, wenn sie einmal heiraten wollen».

 

«Ruchloser» (Burckhardt) Optimismus und abgründiger Pessimismus kommen in zwei Grundsätzen von Zeitgenossen am exaktesten zum Ausdruck: in Hegels Prämisse: «Vorausgesetzt, daß die Vernunft in der Geschichte ist», und in Goethes Verdikt, Geschichte sei «das Absurdeste, was es gibt», weshalb er es in höheren Jahren ablehnte, sich überhaupt...

Erscheint lt. Verlag 21.9.2012
Nachwort Uta Ranke-Heinemann
Zusatzinfo Mit 4 s/w Abb.
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Aphorismen
Schlagworte Aphorismen • Deutschland • Geschichte • Kultur • Kunst • Politik
ISBN-10 3-644-02151-1 / 3644021511
ISBN-13 978-3-644-02151-8 / 9783644021518
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