Herzzeit (eBook)
399 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73090-4 (ISBN)
Ingeborg Bachmann, geboren am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, wurde durch einen Auftritt vor der Gruppe 47 als Lyrikerin bekannt. Nach den Gedichtbänden<em> Die gestundete Zeit</em> (1953) und <em>Anrufung des Großen Bären</em> (1956) publizierte sie Hörspiele, Essays und zwei Erzählungsbände. <em>Malina</em> (1971) ist ihr einziger vollendeter Roman. Bachmann starb am 17. Oktober 1973 in Rom.
Fahr gut, freu Dich und laß Dich von nichts Kleinlichem, das es immer gibt, stören in der Freude. Ich werde noch nachdenken über den Ort und schreibe Dir nach Bremen. Diesmal beschütz ich Dich!
Ingeborg
86 Paul Celan an Ingeborg Bachmann, Paris, 21.1.1958
Dienstag
Ich fahre übermorgen, Ingeborg, bleibe dann bis Samstag früh in Köln, ich will Dich Freitag gegen zehn Uhr vormittags anrufen.
Auf jeden Fall telegraphiere ich Dir aus Bremen (bzw. Hamburg), wenn ich alles hinter mir habe.
Ob es nicht am einfachsten wäre, wenn ich nach München komme?
Entschuldige die Eile (und das häßliche Papier)
Paul
Denk doch darüber nach, ob wir uns nicht irgendwo auf halbem Wege treffen sollten. Es gäbe ja Würzburg, Frankfurt, Heidelberg etc. Oder Freiburg im Breisgau, Basel, Straßburg.
Aber ich kann auch nach München kommen, mit einem der schnellen Züge.
Meine Adresse in Bremen kenne ich nicht; offenbar: Gästehaus des Senats (oder so ähnlich)
87 Ingeborg Bachmann an Paul Celan, München, 26.1.1958
ICH DENKE AN DICH
INGEBORG
88 Paul Celan an Ingeborg Bachmann, Hamburg, 27.1.1958
MORGEN ZEHN UHR DREIUNDREISSIG
PAUL
89 Ingeborg Bachmann an Paul Celan, München, 2.2.1958
Sonntag abend
Paul,
die Arbeit, die mich so gequält und belastet hat, ist zu Ende. Und jetzt sollst Du gleich Deinen Brief haben, eh mir die Augen zufallen.
Zu dem neuen Goll-Unfall: ich bitte Dich, laß die Geschichten in Dir zugrunde gehen, dann, meine [ich], gehen sie auch aussen zugrund. Mir ist oft, als können die Verfolgungen [uns] nur [etwas anhaben], solang wir bereit sind, uns verfolgen zu lassen.
Die Wahrheit macht doch, daß Du darüber stehst, und so kannst Du's auch wegwischen von oben.
Ich bekomme »Facile«? Es ist wirklich leicht und einfach geworden, und mußt keinen Augenblick denken, daß mir bang ist. Nach Köln war mir sehr bang. Jetzt nicht mehr.
Meine letzte Angst betrifft nicht uns, sondern Gisèle und Dich und daß Du ihr schönes schweres Herz verfehlen könntest. Aber Du wirst jetzt wieder sehen und die Verdunklung auch für sie aufheben können. Ich sprech nur noch ein letztes Mal davon, und Du mußt mir darauf nicht antworten.
Nach Deiner Abreise habe ich zum ersten Mal wieder gern gearbeitet, sogar das stundenlange, monotone Abtippen war mir eine Freude, und ich bin in hellem Eifer.
Ist das nicht auch gut? Jetzt geht es bald nach Tübingen. Auf Deinen Spuren.
Ingeborg
90 Paul Celan an Ingeborg Bachmann, Paris, 8.2.1958
8.2.58.
Der Mai – die Lesung in Düsseldorf – ist weit, ich weiß nicht, ob ich so lang warten kann, ich versuch, mich durch die viele Zeit hindurchzuschreiben.
Seltsam, ich hab diesmal etwas aus dem Russischen übersetzt, es ist, glaub ich, das Gedicht der Revolution, hier ists (verzeih, ich hab das Original dem Fischer Verlag geschickt, Du bekommst nur einen Durchschlag) – sag mir, wenn Du kannst, ob's Dir gefällt, ich zieh da ja merkwürdige Register...
Das zweite, gestern übersetzte, ist ein Gedicht von Jessenin, eins seiner schönsten.
Hast Du ›Facile‹ bekommen? Sag mirs.
Wenn Du mir eine Abschrift des Hörspiels schicken könntest!
Du weißt, Ingeborg, Du weißt ja.
Paul
Beilagen: Übertragungen von Alexander Block, »Die Zwölf« und Sergej Jessenin, »In meiner Heimat leb ich nicht mehr gern«.
91 Paul Celan an Ingeborg Bachmann, Paris, 12.2.1958
12.2.58.
Eine Bitte, Ingeborg:
Schick Gisèle Deine beiden Gedichtbände – ich habe ihr gesagt, du würdest es tun.
Paul
92 Ingeborg Bachmann an Paul Celan, München, 17.2.1958
17. Feber 1958
Paul, ich bin kaum fähig, zu schreiben, zu antworten. Soviel Arbeit, soviel Müdigkeit und Erschöpfung. Ich schicke die Bücher heute oder morgen!
Die Übersetzung von den »Zwölf« war eine große Überraschung; ich meine, sie ist sehr gut – und waghalsig, aber sehr gut deswegen! Das Jessenin-Gedicht muß man lieben. Als ich die letzte Zeile las, dachte ich aber unwillkürlich anstatt »rollen« noch einmal »fallen«. Fallen erscheint mir schöner und, gerade wiederholt, eindringlicher.
Nach Tübingen und Würzburg – beide Orte waren sehr freundlich – bekam ich die Grippe, und jetzt ist Föhn seit ein paar Tagen, große Wärme und Irrsinn in der Luft. Ich bin niedergeschlagen, aber nur deswegen.
Ingeborg
93 Paul Celan an Ingeborg Bachmann, Paris, 27.2.1958
27.2.1958
Paul Eluard
Nous avons fait la nuit
Die Nacht ist begangen, ich halt deine Hand,
ich wache, ich stütz dich
mit all meinen Kräften.
Ich grabe, tiefes Gefurch, deiner Kräfte
Stern in den Stein: deines Körpers
Gütigsein – hier
soll es keimen und aufgehn.
Ich sage mir deine
Stimmen vor, beide, die heimliche und
die von allen gehörte.
Ich lache, ich seh dich
der Stolzen begegnen, als bettelte sie, ich seh dich, du bringst
den Umnachteten Ehrfurcht entgegen, du gehst
zu den Einfachen hin – du badest.
Leise
stimm ich die Stirn jetzt ab auf die deine, stimm sie
in eins mit der Nacht, fühl jetzt
das Wunder dahinter: du wirst mir
zur Unbekannt-Fremden, du gleichst dir, du gleichst
allem Geliebten, du bist
anders von Mal zu Mal.
94 Ingeborg Bachmann an Paul Celan, München, 4.3.1958
Paul, ich bin nicht nach Berlin gefahren. Gleich nach unserem Gespräch wurde ich krank (Grippe, Mittelohrentzündung) – und jetzt geht es endlich etwas besser. Das Klima hier ist so ungut. Ende dieser Woche darf ich wieder ins Freie. Und am 19. erst fahre ich nach Berlin. Ich wollt' es Dir nur endlich sagen, aber mach Dir keine Sorgen!
Schreib mir ein Wort von Dir. Nur ob alles gut geht, ob Du arbeitest, mein Lieber.
Ingeborg
Dienstag, 4. März 1958
95 Paul Celan an Ingeborg Bachmann, Paris, 14.3.1958
WIE GEHT ES DIR DAS HOERSPIEL IST SO SCHOEN SO WAHR UND SCHOEN DU WEISST ES JA DAS HELLE UND HELLSTE INGEBORG ICH DENK AN DICH IMMER
PAUL
96 Ingeborg Bachmann an Paul Celan, München, nach dem 23.3. 1958 und am 3.4.1958
Ende März
Paul,
soviel wird nicht hier stehn, in dem Brief. Ich bin ganz leer seit Berlin, ganz zermürbt von Laufereien auf Ämter, denn in meinem Pass fehlt ein Stempel, und ich soll abreisen, »ausgewiesen« werden im April. Aber heute hat sich der Rundfunk »eingeschaltet« und es wird vielleicht alles gut. Diese Vokabeln und diese Welt! Trotzdem war der Schock so, daß ich nicht mehr Lust habe, lange hier zu bleiben, auch die Anstellung am Rundfunk werde ich wohl nicht annehmen. Ich kann es nicht, das habe ich in diesen Tagen erfahren, obwohl ich noch nicht weiß, wie es dann weitergehen soll. Ich kann nicht.
Und dazu – und vor allem – kommt die Niedergeschlagenheit über die politische Entwicklung in Deutschland.
3. April: Mit den Papieren dürfte doch alles gut gehen.
Ich fahre jetzt für 8 Tage weg, über Ostern, und freue mich auf Luft und Land.
Mein Lieber, jetzt scheint sogar die Sonne, und bald wird Mai. Darauf wollen wir uns freuen. Ich sage mir oft vor, daß Du an mich denkst. Sag Du auch Dir vor, daß ich an Dich denke.
Ingeborg
97 Paul Celan an Ingeborg Bachmann, Paris, 6.6.1958
Paris, den 6. Juni...
Erscheint lt. Verlag | 16.11.2010 |
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Co-Autor | Max Frisch, Gisèle Celan-Lestrange |
Mitarbeit |
Kommentare: Barbara Wiedemann, Andrea Stoll, Höller Hans, Badiou Bartrand |
Zusatzinfo | Mit Abbildungen |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Briefe / Tagebücher |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Bachmann • Bachmann, Ingeborg • Briefe • Briefsammlung • Briefsammlung 1948-1961 • Briefsammlung 1948-1967 • Celan • Celan, Paul • Ingeborg • Paul • ST 4115 • ST4115 • suhrkamp taschenbuch 4115 |
ISBN-10 | 3-518-73090-8 / 3518730908 |
ISBN-13 | 978-3-518-73090-4 / 9783518730904 |
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