Nackt unter Krabben (eBook)
272 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-0195-2 (ISBN)
Marie Matisek führt einen chaotischen Haushalt mit Mann, Kindern und Tieren im idyllischen Umland von München. Neben dem Muttersein und dem Schreiben pflegt sie ihre Hobbys: kochen, ihren Acker umgraben und Kröten über die Straße helfen.
Marie Matisek führt einen chaotischen Haushalt mit Mann, Kindern und Tieren im idyllischen Umland von München. Neben dem Muttersein und dem Schreiben pflegt sie ihre Hobbys: kochen, ihren Acker umgraben und Kröten über die Straße helfen.
3.
Zwischen Fetzen weißer Wolken strahlte die Sonne am blauen Nordseehimmel. Der Wind zerzauste Falks dunkle Locken, bauschte seine weiten Leinenshorts. Die Kapuze seiner Windjacke flatterte munter. In den Händen hielt er einen Becher Filterkaffee. Wenn er ehrlich war, ließ er den ganzen szenigen Latte-Karamel-Shot-Topping-Kram aus Hamburg jederzeit stehen für eine Tasse vom seit hundert Jahren gleich bitteren Kaffee auf der Fähre nach Heisterhoog.
Falk saß auf dem Oberdeck der »Aurora«, einem betagten Mitglied der weißen Flotte. Schon als Kind war er auf ihr gefahren. Es war ein Tag vor Saisonbeginn und die Fähre fast leer. Falk saß auf seinem Lieblingsplatz, der letzten Bankreihe an Backbord, nah am Schott zur Brücke. Auf dieser Seite hatte er auf der Hinfahrt die ganze Zeit Sonne, und wenn er den Kopf drehte, sah er den Rudergänger bei der Arbeit und kam sich vor wie auf einer Kreuzfahrt.
Seine Füße hatte er auf der gegenüberliegenden Bank geparkt und am Boden lag sein abgewetzter Trekkingrucksack, prall gefüllt mit Klamotten für die nächsten Wochen, Büchern, dem Laptop samt externen Lautsprechern und einem Erbschein, der ihn als neuen Besitzer von »Thomsens Strandkörbe« auf Heisterhoog auswies.
Es war ein Schock gewesen beim Notar. Falk hatte allenfalls mit einem kleinen Geldbetrag gerechnet oder irgendwelchen Kleinigkeiten aus der verträumten Hütte seines Onkels. Aber tatsächlich waren Falk und sein Vater die einzigen noch lebenden Verwandten des alten Sten, und der hatte seinem Hamburger Neffen testamentarisch seine Strandkorbvermietung, sein Häuschen und ein bisschen Geld vermacht. Falks Vater, der seit zehn Jahren in Amerika lebte und nichts mehr von der alten Heimat wissen wollte, hatte schriftlich auf den Pflichtteil verzichtet.
Bille hatte sich schier ausschütten wollen über Falk, den Strandkorbvermieter. Der hatte nicht mitgelacht, also hatte sie ihn zuerst geknufft und dann in den Arm genommen. »Ist doch supi. Jetzt düsen wir erst Mal nach Goa, und dann vertickerst du den ganzen Krempel.«
Falk hatte sich aus der Umarmung gewunden. »Das geht nicht.«
»Was? Wieso?« Bille war sofort auf hundertachtzig gewesen.
»Jetzt ist Saison. Wenn ich nicht hinfahre, vermietet ein anderer seine Strandkörbe an dem Abschnitt und der Laden ist pleite, wenn wir aus Goa zurück sind. Dann kriege ich dafür gar nichts mehr.«
Bille hatte dramatisch die Arme nach oben geworfen. »Fahr halt jetzt hin und verscherbel alles so schnell wie möglich. Dann gibt’s schöne Strandkörbe für die Nordseespießer und Dance the Trance in Goa für uns.«
Falk hatte sie nicht anschauen wollen.
»Was? Wo ist das Problem?« Billes Ton verhieß nichts Gutes für Falks seelisches Gleichgewicht.
»Ich weiß nicht …«
»Du weißt nicht? Was weißt du nicht?«
»Es ist nicht so einfach. Mein Onkel hatte das Geschäft doch schon in dritter Generation. Das ist eine Institution auf der Insel.«
Bille verdrehte die Augen. »Schön, dann gehört die Institution eben bald einem anderen glücklichen Insulaner. Der ist doch froh, wenn er gleich Geld damit verdienen kann.«
Falk hatte gespürt, wie sich der Widerstand in ihm regte.
»Ich will mir das in Ruhe angucken. Das geht nicht so schnell. Ich muss erst mal Erbschaftssteuer zahlen … Und überhaupt, erst mal gucken.«
Bille hatte die Hände in die Hüften gestemmt, ihre schönen Augen zusammengekniffen und ihn scharf angesehen.
Falk begann zu schwitzen, aber er hielt Billes Blick stand und guckte ebenso scharf zurück. Bille hatte genickt, ein paar Mal, dabei tief eingeatmet und schließlich die Luft ausgepustet.
»Weißt du was, Falk? Ich finde, dreizehn Semester Soziologie ohne Abschluss in Sicht sind die perfekte Ausbildung fürs Strandkorbvermieten.«
»Bille …«
»Nein, ganz ehrlich. Und ich finde, Strandkorbvermieten ist die optimale Beschäftigung für dich und bietet dir doch die besten Voraussetzungen, um nachzudenken. Wenn du da so sitzt und deine Körbe anguckst.«
Falk hatte sie angestarrt und Bille zurückgestarrt. Dann war sie mit einem »Ts!« abgegangen und für die nächsten Tage bei ihrer besten Freundin eingezogen.
Falk trank den letzten Schluck Kaffee, in knapp zehn Minuten würde die »Aurora« in Heisterhoog festmachen. Er stand auf, schulterte den Rucksack und machte sich auf den Weg nach unten, um den Becher zurückzubringen.
Das Schlimmste war eigentlich gewesen, dass er Bille über seine wahren Beweggründe und Gefühle belogen hatte, dass er sich ihr nicht anvertrauen wollte.
Der Tod seines Onkels hatte ihm wirklich wehgetan. Ein Stück seiner Kindheit war gestorben, und zwar eines der schönsten. Als Jugendlicher war ihm der jährliche Urlaub auf Heisterhoog auf den Senkel gegangen, aber als Kind war es auf der Insel traumhaft gewesen. Vor allem wegen dieses knorrigen alten Onkels und seiner verschrobenen Kate voller herrlichem Krimskrams, der Werkstatt und der gemeinsamen Stunden am Strand. Falk war tief gerührt, dass er das Geschäft geerbt hatte, und er hätte es nicht über sich gebracht, alles einfach zu verscherbeln.
Aber andererseits hatte er auch nicht die kleinste Ahnung, was er bitte schön mit einer Strandkorbvermietung auf Heisterhoog machen sollte, wenn die Saison vorbei war. Er konnte doch nicht auf diesem hübschen, aber spießigen und toten Sandhaufen sein Leben verbringen?
Falk stellte die leere Tasse auf dem Tresen ab und durchquerte das Bordrestaurant. Im Lautsprecher kam schon die Verabschiedungsdurchsage, als er den Salon der Fähre in Richtung Treppe verließ. In der Tür kam ihm eine junge Frau entgegen, der Falk den Vortritt lassen wollte. Doch kaum war er ein kleines Stück zurückgewichen, blieb die blonde Frau mit ihren atemberaubend hochhackigen Pumps an der Schwelle hängen, verlor das Gleichgewicht und fiel vornüber. Dabei schwappte die braune Kaffeebrühe aus dem Pappbecher, den sie in der rechten Hand hielt, und traf mit voller Wucht auf Falk. Dieser ließ seinen Rucksack fallen und schnappte nach Luft, als die heiße Flüssigkeit ihn traf und T-Shirt, Shorts und Haare durchnässte. Die Blonde hatte sich gefangen und warf einen verächtlichen Blick auf Falk.
»Kannst du nicht aufpassen, Mensch?!« Ihre goldenen Kreolen klimperten empört, und Falk war zu perplex, um ihr Paroli zu bieten. Wer war denn hier der begossene Pudel?
Hinter der Zicke kam noch eine zweite, wesentlich ältere, dem Zwillingslook nach zu urteilen, ihre Mutter. Besorgt beugte sich diese über die Blonde, und gemeinsam begutachteten sie den gut 15 Zentimeter hohen spitzen Absatz des Schuhs.
»Nancy, mein Schatz, ist dir etwas passiert?«
»Mein Manolo«, jammerte Nancy.
»Dem ist nichts passiert. Hauptsache, du hast dir nicht den Hals gebrochen. Und wenn doch was ist, Papa bestellt dir neue Manolos. Komm, Schatzilein, wir müssen.«
Die Grazien zogen ab, ohne den tropfenden Falk weiter zu beachten. Fassungslos starrte er den Frauen hinterher. Beide trugen sie enge weiße Jeans, die der Tochter allerdings wesentlich besser standen als der Mutter. Sie stolzierten auf Schuhwerk von dannen, das Falk niemals so bezeichnet hätte, Schuhgerippe traf es schon eher. Die Tochter hatte hellblonde Haare, die ihr bis auf den kleinen Jeanshintern fielen und sich in den goldenen Nieten ihrer knapp geschnittenen weißen Lederjacke verfingen. Goldene Armreifen, die das Mutter-Tochter-Pärchen im Großpack erstanden haben musste, mit glitzernden Steinchen besetzte Uhren und gesteppte Lackledertaschen rundeten das Bild ab. Dieser Sorte protzigsten Neureichtums konnte man in Blankenese auch begegnen, aber Falk machte um diese Ecke Hamburgs stets einen großen Bogen. Jetzt wusste er auch, warum. Falk sah an sich herab. Er hatte die volle Ladung Kaffee abbekommen und Shorts und T-Shirt waren erst mal nicht zu gebrauchen.
Und die Blondine hatte ihm doch glatt die Schuld gegeben! Kein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung. Falk trottete, die Windjacke notdürftig vor dem braunbefleckten T-Shirt zusammengezogen, übers Achterschiff. Seine Ankunft in Heisterhoog hatte er sich anders vorgestellt, jetzt war ihm die Laune ordentlich verhagelt.
Kaum hatte er den ersten Fuß auf die Heisterhooger Landungsbrücke gestellt, brauste ein Mini Cooper Cabrio hupend an ihm vorbei. Am Steuer die aufgebrezelte Mutter, neben ihr die Horrortochter. Die beiden winkten, und Falk dachte zunächst, das gelte ihm, bis er ein Stück weiter weg auf dem Parkplatz des Fähranlegers einen Mann bemerkte, auf den der Mini zuhielt. Er stand neben einem großen weißen Geländewagen mit funkelnden messingfarbenen Felgen und sah aus wie JR Ewing aus »Dallas« als Friese verkleidet. Er war ebenso breit wie lang, das feiste Gesicht bluthochdruckrot, auf dem Kopf einen überdimensionierten Stetson und an den Füßen weiße Cowboystiefel mit Schlangenlederapplikationen. Von der Westernverkleidung abgesehen, war er ganz Friese: blauweiß gestreiftes Fischerhemd mit passendem Halstuch und dunkelblaue Baumwollhose. Der Mini bremste scharf am Geländewagen, die beiden Tussis des Grauens sprangen heraus und umarmten den Friesencowboy. Falk überlegte angesichts des Trios, ob Bille nicht doch recht gehabt hatte. Vielleicht entspräche das touristische Personal auf Goa eher seinem Stil. Hier auf Heisterhoog schien sich die Urlauberklientel ganz schön gewandelt zu haben. Er hatte an Heisterhoog immer geschätzt, dass die Urlauber meist recht entspannt und eher alternativ als überkandidelt waren – Omis und Opis mit...
Erscheint lt. Verlag | 16.4.2012 |
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Reihe/Serie | Ein Heisterhoog-Roman | Ein Heisterhoog-Roman |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Familie • Humor • Inseln • Liebe • Meer • Nordsee • Roman • Strand • Unterhaltung |
ISBN-10 | 3-8437-0195-4 / 3843701954 |
ISBN-13 | 978-3-8437-0195-2 / 9783843701952 |
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