Das Grab im Wald (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2012
480 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-08434-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Grab im Wald - Harlan Coben
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Zwanzig Jahre ist es her, dass vier Jugendliche nachts aus einem Sommercamp in den Wald liefen. Zwei von ihnen wurden kurz darauf brutal ermordet aufgefunden, von den anderen beiden, Gil und Camille, fehlt seither jede Spur. Camilles großer Bruder Paul, mittlerweile ein angesehener Staatsanwalt, sitzt gerade an seinem ersten großen Mordprozess, da wird plötzlich Gils Leiche gefunden - und über Nacht holt die Vergangenheit Paul wieder ein. Verzweifelt versucht er herauszufinden, was damals wirklich geschah. Und gerät immer tiefer in einen wahren Albtraum. Denn auch er spielte eine Rolle in dem Drama vor zwanzig Jahren ...

Harlan Coben wurde 1962 in New Jersey geboren. Nachdem er zunächst Politikwissenschaft studiert hatte, arbeitete er später in der Tourismusbranche, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Thriller wurden bisher in 45 Sprachen übersetzt, erobern regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten und wurden zu großen Teilen verfilmt. Harlan Coben, der als erster Autor mit den drei bedeutendsten amerikanischen Krimipreisen ausgezeichnet wurde - dem Edgar Award, dem Shamus Award und dem Anthony Award -, gilt als einer der wichtigsten und erfolgreichsten Thrillerautoren seiner Generation. Er lebt mit seiner Familie in New Jersey.

1


Drei Monate später

 

Ich stand in der Turnhalle einer Grundschule und sah meiner sechsjährigen Tochter Cara dabei zu, wie sie vorsichtig auf einem Schwebebalken balancierte, der gerade einmal zehn Zentimeter über dem Boden schwebte. In nicht einmal einer Stunde würde ich einem Mann ins Gesicht sehen, der grausam ermordet worden war.

Das dürfte eigentlich niemanden schockieren.

Im Lauf der Jahre habe ich gelernt – auf die schrecklichste Art, die man sich vorstellen kann –, dass die Grenze zwischen Leben und Tod, zwischen außergewöhnlicher Schönheit und grauenerregender Hässlichkeit, zwischen einem absolut unschuldigen Szenario und einem fürchterlichen Blutbad außergewöhnlich durchlässig sein kann. Es dauert keine Sekunde, dann hat man diesen schmalen Grat überschritten. Gerade ist das Leben noch die reinste Idylle. Man befindet sich an einem so unschuldigen Ort wie einer Schulturnhalle. Die kleine Tochter macht gerade eine Pirouette. Sie juchzt ausgelassen. Ihre Augen sind geschlossen. Man sieht ihre Mutter in ihr, weil sie genauso lächelt und dabei die Augen zusammenkneift, und in diesem Moment fällt einem wieder ein, wie schmal dieser Grat eigentlich ist.

»Cope?«

Greta, meine Schwägerin, musterte mich mit dem üblichen, besorgten Gesichtsausdruck. Ich lächelte dagegen an.

»Woran denkst du gerade?«, flüsterte sie.

Sie wusste ganz genau, dass ich sie sowieso belügen würde.

»An Mini-Videokameras«, sagte ich.

»Was?«

Die anderen Eltern saßen auf den Klappstühlen. Ich lehnte mit verschränkten Armen hinter ihnen an der Zementwand. Über dem Eingang hing die Hallenordnung, und an den Wänden standen diverse unangenehm bedeutungsschwangere Sinnsprüche, wie: »Du kannst mehr, als du meinst, nur wollen musst du.« Die zusammengeklappten Esstische lehnten neben mir an der Wand und boten einen weiteren Beweis dafür, dass sich Grundschulturnhallen nicht verändern. Sie werden nur kleiner, wenn man älter wird.

Ich deutete auf die Eltern. »Hier sind mehr Videokameras als Kinder in der Halle.«

Greta nickte.

»Und die Eltern filmen alles. Einfach alles. Was machen sie mit den ganzen Videos? Guckt sich die wirklich noch mal jemand von Anfang bis Ende an?«

»Tust du das nicht?«

»Lieber würde ich ein Kind gebären.«

Sie lächelte. »Nein«, sagte sie, »würdest du nicht.«

»Also gut, das vielleicht nicht, aber sind wir nicht alle Teil der MTV-Generation? Es geht um schnelle Schnitte. Viele Perspektivwechsel. Aber so etwas einfach abzufilmen und diese Bilder dann nichts ahnenden Verwandten oder Freunden vorzusetzen, erfüllt doch …«

Die Tür ging auf. Den beiden Männer, die die Turnhalle betraten, sah ich sofort an, dass sie Polizisten waren. Selbst ohne meine Erfahrung mit Polizisten – ich bin der Bezirksstaatsanwalt von Essex County, zu dem auch die recht gewalttätige Stadt Newark gehört – wäre mir das aufgefallen. Manchmal zeigt das Fernsehen doch die Wahrheit. Dazu gehören zum Beispiel gewisse Vorlieben vieler Polizisten bei der Wahl ihrer Kleidung  – die Väter im grünen Ridgewood kleiden sich einfach anders. Wir kommen nicht in Anzügen, um unseren Kindern beim Turnen zuzugucken. Wir tragen Kordhosen oder Jeans und einen Pullunder über dem T-Shirt. Die beiden Männer trugen schlecht sitzende Anzüge in einem Braunton, der mich an Holzspäne nach einem Gewitter erinnerte.

Sie lächelten nicht. Ihre Blicke durchstreiften die Halle. Ich kenne die meisten Polizisten aus dieser Gegend, die beiden hatte ich jedoch noch nie gesehen. Das irritierte mich. Irgendetwas stimmte nicht. Ich wusste natürlich, dass ich nichts getan hatte, trotzdem empfand ich dieses »Ich war’s nicht, komme mir aber trotzdem ein bisschen schuldig vor«-Gefühl.

Meine Schwägerin Greta und ihr Mann Bob hatten drei Kinder. Madison, die Jüngste, war sechs Jahre alt und ging mit meiner Cara in eine Klasse. Greta und Bob haben mir sehr geholfen. Nach dem Tod meiner Frau Jane – Gretas Schwester – waren sie nach Ridgewood gezogen. Greta hat immer behauptet, sie hätten das sowieso vorgehabt. Ich habe da meine Zweifel. Aber ich bin ihnen so dankbar, dass ich nicht allzu viele Fragen stelle. Ich weiß nicht, ob ich es ohne sie geschafft hätte.

Die anderen Väter stehen normalerweise mit mir hinten an die Wand gelehnt, aber bei solchen Veranstaltungen mitten am Tag haben nur wenige Zeit. Die Mütter – außer der, die mich jetzt mit finsteren Blicken über ihre Videokamera anstarrte, weil sie meinen kurzen Anti-Videokamera-Vortrag mitgehört hatte – himmeln mich an. Das liegt natürlich nicht an mir, sondern an meiner Vorgeschichte. Meine Frau ist vor fünf Jahren gestorben, und ich erziehe meine Tochter allein. Hier in Ridgewood gibt es eine ganze Menge alleinerziehende Eltern, vor allem geschiedene Mütter, aber mir lässt man fast alles durchgehen. Wenn ich vergesse, eine Nachricht zu schreiben, meine Tochter zu spät abhole oder ihr Mittagessen auf dem Küchentisch stehen lasse, springen die anderen Mütter oder die Büroangestellten in der Schule ein, indem sie ihr helfen oder etwas zu essen beisteuern. Männliche Hilflosigkeit finden sie niedlich. Wenn das einer alleinstehenden Mutter passieren würde, würden sie ihr vorwerfen, dass sie ihr Kind vernachlässigt, und übel über sie herziehen.

Die Kinder kullerten und stolperten weiter eifrig herum. Ich beobachtete Cara. Sie konnte sich sehr gut konzentrieren und machte ihre Sache gut, trotzdem konnte ich mich des Verdachts nicht ganz erwehren, dass sie etwas von den Koordinationsproblemen ihres Vaters geerbt hatte. Ein paar Mädchen aus dem Turn-Team der Highschool gaben Hilfestellung. Sie waren im letzten Schuljahr, mussten also siebzehn oder achtzehn Jahre alt sein. Das Mädchen, das Cara beim Versuch, einen Purzelbaum zu schlagen, unterstützte, erinnerte mich an meine Schwester. Meine Schwester Camille war gestorben, als sie etwa so alt war wie diese Mädchen, und die Medien hatten dafür gesorgt, dass ich das nie vergaß. Aber das war vielleicht auch besser so.

Meine Schwester wäre jetzt Ende dreißig gewesen, also mindestens so alt wie diese Mütter hier sind. Das ist ein seltsamer Gedanke. Ich sehe Camille immer als Teenager. Ich kann mir nicht vorstellen, was sie jetzt tun würde – eigentlich müsste sie mit diesem etwas debil-glücklich-besorgten »Zuerst einmal bin ich Mutter«-Lächeln in einem von diesen Stühlen sitzen und ihren Nachwuchs filmen. Ich frage mich, wie sie jetzt wohl aussehen würde, aber wieder habe ich nur den verstorbenen Teenager vor Augen.

Es macht vielleicht den Eindruck, dass ich etwas besessen vom Tod bin, aber zwischen der Ermordung meiner Schwester und dem verfrühten Ableben meiner Frau besteht ein riesiger Unterschied. Erstere hat meine Berufswahl bestimmt und mir meine heutige Karriere beschert. Im Gerichtssaal kann ich solche Ungerechtigkeiten bekämpfen. Und das tue ich auch. Ich versuche, die Welt sicherer zu machen, indem ich die Menschen, die anderen Schaden zufügen, hinter Gitter bringe, um dadurch anderen Familien das zu geben, was meiner Familie nie vergönnt war – einen Schlusspunkt.

Beim zweiten Tod, dem meiner Frau, war ich hilflos und habe Mist gebaut, und das werde ich – ganz egal, was ich jetzt oder in der Zukunft noch tue – nie wiedergutmachen können.

Die Schulleiterin, die zu viel Lippenstift aufgelegt hatte, setzte ein besorgtes Lächeln auf und ging zum Eingang. Sie sprach die Polizisten an, die sie aber kaum beachteten. Ich verfolgte ihre Blicke. Als der größere Polizist – der Chef der beiden – mich sah, zögerte er kurz. Wir sahen uns einen Moment lang in die Augen. Mit einem fast unmerklichen Nicken forderte er mich auf, ihm nach draußen zu folgen, heraus aus diesem Refugium aus Lachen und Luftsprüngen. Ich bestätigte mit einem ebenso knappen Nicken, dass ich ihn verstanden hatte.

»Wo gehst du hin?«, fragte Greta.

Ich will nicht herzlos klingen, aber Greta war die hässliche Schwester. Sie sah ihr ähnlich, meiner lieblichen, toten Braut. Man sah, dass sie Schwestern waren. Doch die Merkmale, die die Schönheit meiner Jane noch erhöht hatten, hatten bei Greta eine andere Wirkung. Meine Frau hatte eine markante Nase, die irgendwie sexy war. Greta hat eine markante Nase, die, na ja, irgendwie groß war. Die weit auseinanderliegenden Augen hatten meiner Frau eine exotische Ausstrahlung verliehen. Greta sieht mit diesem großen Augenabstand ein wenig reptilienhaft aus.

»Weiß ich selbst nicht genau«, sagte ich.

»Arbeit?«

»Möglich.«

Sie blickte kurz zu den beiden vermeintlichen Polizisten hinüber und sah mich dann wieder an. »Ich wollte mit Madison bei Friendly’s zu Mittag essen. Soll ich Cara mitnehmen?«

»Klar, das wäre prima.«

»Ich kann sie auch nach der Schule abholen.«

Ich nickte. »Das wäre eine große Hilfe.«

Dann gab Greta mir einen kurzen Kuss auf die Wange – das tut sie nur sehr selten. Ich machte mich auf den Weg. Lautes Kinderlachen begleitete mich. Ich öffnete die Tür und trat in den Flur. Die beiden Polizisten folgten mir. Auch Schulflure verändern sich nicht sehr. Mit ihrer fast vollständigen Stille und dem schwachen, aber charakteristischen Geruch, der gleichzeitig beruhigt und anregt, erinnern sie mich ein bisschen an Spukschlösser.

»Sind Sie Paul Copeland?«, fragte der größere Polizist.

»Ja.«

Er sah seinen kleineren Partner an. Der war fleischig und hatte keinen Hals. Er war gebaut wie ein Betonblock, ein Eindruck, der durch die grobporige Haut noch verstärkt wurde. Ein paar Schüler kamen um die Ecke. Vermutlich Viertklässler. Ihre Gesichter...

Erscheint lt. Verlag 19.3.2012
Übersetzer Gunnar Kwisinski
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Woods
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte dunkles Geheimnis • düstere Vergangenheit • eBooks • New England • Sommercamp • Sommerlager • Spiegel-Bestseller-Autor • Staatsanwalt • Thriller
ISBN-10 3-641-08434-2 / 3641084342
ISBN-13 978-3-641-08434-9 / 9783641084349
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