Je oller, je doller (eBook)
320 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-401414-2 (ISBN)
Bill Mockridge, Jahrgang 1947, ist Comedian, Kabarettist, Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor. Den gebürtigen Kanadier verschlug es 1968 nach Deutschland, wo er vor über vierzig Jahren das erste Mal auf deutschen Theaterbühnen stand. Der Gründer des renommierten »Springmaus Improvisationstheaters« erobert mit eigenen Soloprogrammen die deutschen Comedy- und Kabarettbühnen. Bill Mockridge - u.a. bekannt als Erich Schiller aus der »Lindenstraße« - lebt mit seiner Frau und ihren gemeinsamen sechs Söhnen in Bonn.
Bill Mockridge, Jahrgang 1947, ist Comedian, Kabarettist, Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor. Den gebürtigen Kanadier verschlug es 1968 nach Deutschland, wo er vor über vierzig Jahren das erste Mal auf deutschen Theaterbühnen stand. Der Gründer des renommierten »Springmaus Improvisationstheaters« erobert mit eigenen Soloprogrammen die deutschen Comedy- und Kabarettbühnen. Bill Mockridge – u.a. bekannt als Erich Schiller aus der »Lindenstraße« – lebt mit seiner Frau und ihren gemeinsamen sechs Söhnen in Bonn. Lars Lindigkeit wurde geboren und wird aller Voraussicht nach sterben. Dazwischen lebt er in Hamburg.
Wie gut die grauen Zellen noch arbeiten, beweist nicht zuletzt dieses Buch. Sein Debüt. Mit fast 65. Gratulation!
Warum fällt einem das Haar aus? Sex im Alter? Der Lindenstraße-Schauspieler kennt Antworten.
1. Willkommen in der Senioren-Zielgruppe! Oder: Mein 60. Geburtstag
Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Wir Alten werden nicht sonderlich gemocht – und zwar von keiner Geringeren als der Natur höchstpersönlich. Die möchte nämlich gar nicht, dass wir alt werden. Von der Natur aus erreicht der Mensch mit achtzehn fast schon seinen körperlichen und geistigen Höhepunkt. Dann wird man volljährig, und wie der Begriff schon andeutet: Man hat sein volles Leben ausgeschöpft. Danach geht’s nur noch bergab. Das kann ich auch beweisen: In der Steinzeit, vor vielen, vielen Jahren, ganz kurz vor der Geburt von Jopi Heesters, war der Mensch mit fünfundzwanzig schon tot. Wirklich! Heutzutage sind viele mit fünfundzwanzig immer noch dabei, sich irgendwie erst mal zu »finden«. Nicht so damals: Da wurde man mit fünfundzwanzig von anderen gefunden. Nämlich, ich sagte es bereits: tot in der Landschaft liegend. Vergiftet durch irgendwelche Beeren, von einem Nebenbuhler erschlagen, von einem wild gewordenen Mammut zerstampft, einem tollwütigen Säbelzahntiger zerfleischt, was weiß ich. Der Steinzeitmensch hat auf jeden Fall sehr früh die Keule für immer und ewig beiseitegelegt, nach dem Motto: Du sollst einziehen in die ewigen Jagdgründe jung, stark und sexy – und nicht alt, schlapp und faltig. Damit hat es die Natur nicht so, und dass wir sie inzwischen mit der modernen Medizin ziemlich hinterfotzig überlistet haben, nimmt sie uns krumm. Sie sträubt sich dagegen mit allen Mitteln. Das beste Beispiel: die Gesichter der Rolling Stones – das ist Rache pur. Das Gesicht von Mick Jagger ist inzwischen identisch mit dem Stadtplan von Timbuktu in Blindenschrift. Ja, die Natur ist eine Meisterin des Gegenschlages!
Auch mit der Selbstwahrnehmung im Alter ist das so eine Sache. Alle wollen sich mit achtzig noch wie sechzig fühlen. Umgekehrt ist das weit seltener der Fall. Umso härter treffen dich deshalb natürlich auch die Schlüsselerlebnisse, wenn das Leben dir den Wink nicht mehr nur mit dem Zaunpfahl, sondern schon mit dem ganzen Lattenzaun gibt: »Hey Alter, aufwachen – auch du bist jetzt ein Greis!«
Ein Beispiel: Es begab sich letzten Sommer – ich sitze in Toronto, wo ich geboren und aufgewachsen bin, in der U-Bahn. Mir gegenüber ein älterer Herr. Ich beobachte ihn eine ganze Weile und denke: »Verdammt, den Kerl kenn ich von der Schule … Aber das kann nicht sein – der ist doch viel zu alt.«
Nach langem Grübeln spreche ich ihn dennoch an. »Entschuldigung … Sie waren nicht zufällig auf dem Upper Canada College?«
Der Mann hebt seinen Blick. »War ich«, nickt er überrascht.
»Das gibt’s ja nicht! Waren Sie Captain der Football-Mannschaft 1959?«
Seine Augen fangen an zu leuchten. Jetzt nickt er noch heftiger. »War ich, war ich!«
»Doug!«, breite ich zum Wiedersehen weit die Arme aus. »Doug Graham! Mensch, Douggie, altes Leder – wir kennen uns von der Schule!«
»Ja …«, entgegnet er zögerlich. Ich sehe in Dougs Augen, wie es in seinem Kopf rattert. »Jaaaaaa, das kann gut sein … Sorry, helfen Sie mir: Welches Fach haben Sie damals unterrichtet?«
Das Bremsen der U-Bahn an der nächsten Station übertönte mein schmerzvolles Seufzen nach diesem Stich ins Herz.
Es ist also umso wichtiger, gut darauf vorbereitet zu sein. Sich selbst rechtzeitig zu hinterfragen: Bin ich wirklich schon alt – oder laufe ich mit zugedrücktem, stargetrübtem Auge noch unter »semijung«? Fragen, die uns ab einer gewissen Lebenserfahrung auf dem schon leicht schrumpeligen Buckel automatisch beschäftigen. Gut, natürlich gibt es eindeutige Symptome. Zum Beispiel, wenn sie di esennä chsten schwac hsinnigens a tz nicht lesen können – dann sollten Sie schleunigst zum Augenarzt! Oder wenn die eigene Akustikkompetenz langsam nachlässt. Wie bitte? WENN SIE SCHLECHTER H-Ö-R-E-N! Oder wenn man plötzlich nachts häufiger raus muss als alle Schichtarbeiter zusammen. Wollen Sie jedoch frühzeitig merken, dass bei Ihnen was im Altersbusch ist, kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung nur einen wichtigen Tipp geben: Achten Sie auf Ihre Briefpost.
Es begab sich ausgerechnet an meinem sechzigsten Geburtstag – ein schon per se äußerst sensibles Datum in meinem Leben. Bitte nicht falsch verstehen: Ich habe grundsätzlich nichts gegen die Zahl »60«. In irgendeinem Paralleluniversum, wo mein dortiger Bankberater mir strahlend Blumen überreicht mit dem Satz »Herzlichen Glückwunsch, Herr Mockridge – zu Ihrer sechzigsten Million!«, sind die »60« und ich wahrscheinlich sogar beste Freunde. Im weit weniger attraktiven Universum, in dem dieses Buch erschienen ist, wurden mir aber leider nur strahlend Blumen überreicht mit dem Satz: »Herzlichen Glückwunsch, Herr Mockridge – zu Ihrem 60. Geburtstag!« Und genau da liegt der Hund begraben: Es ist und bleibt ein schwieriges symbolisches Alter. Die »6« stellte optisch recht akkurat meinen in den Jahren zuvor deutlich gewachsenen Bauchumfang dar. Die »0« dahinter stand mengenmäßig für all die Dinge, die ich mir noch mühelos merken konnte. Kurz: Das Alter hatte sich körperlich wie geistig bereits mehr oder weniger höflich bei mir vorgestellt, doch ich war noch längst nicht bereit, gastfreundlich seine Hand zu schütteln. Stattdessen griff ich mir meine Geburtstagspost, suchte gezielt nach den Werbeglückwünschen. Ich hoffte, dass da was dabei wäre, was mich in meiner jugendlichen, kraftvollen Männlichkeit bestätigen würde: Post von 200-PS-Quad-Herstellern, Veranstaltern von Wildwasser-Kanufahrten, Mount-Everest-Besteigungen (natürlich ohne Sauerstoffmaske!) und Weltraumflügen, Anbietern von Büffelhodenfleisch – bei wem auch immer meine Daten als wirklich noch sehr, sehr rüstiger Sechzigjähriger zielgruppengenau im Computer gelandet waren.
Ich öffnete den ersten Brief und fing an zu lesen:
Sehr geehrter Herr Mockridge,
herzlichen Glückwunsch zu Ihrem 60. Geburtstag! Lassen Sie sich heute richtig groß feiern – wer weiß, ob Gott Ihnen dazu noch einmal die Gelegenheit gibt. Wollen Sie die zukünftige unvermeidliche Bürde Ihrer Beerdigung tatsächlich Ihren trauernden Hinterbliebenen überlassen? Schon ein kleiner monatlicher Beitrag von 24,60 Euro schenkt Ihnen das gute Gefühl, Ihren Nachkommen einen finanziell sorglosen Neustart ermöglicht zu haben! Herr Mockridge, entscheiden Sie heute – morgen kann es schon zu spät sein!
Eine Unverschämtheit! Da fehlte nur noch ein Päckchen »Friedhofserde!« Etwas erblasst im Gesicht schaute ich auf den Brief – dachte mir aber: Gut, das ist Zufall. Da musste es noch irgendeinen anderen Bill Mockridge hier in der Nachbarschaft geben, der heute sechzig wurde und deutlich klapperiger war als ich. Einfach falsch zugestellt, der Brief. Ich entsorgte ihn sofort zum Altpapier und widmete mich lieber dem kleinen Geburtstagspäckchen mit der liebevollen roten Schleife, das mich schon die ganze Zeit anlächelte. Ich ahnte es schon. Wahrscheinlich hat mir meine Fernsehehefrau Marie-Luise wieder einen Eierwärmer gestrickt. Ich schaute auf den Absender: nicht Mutter Beimer, sondern eine gewisse Frau Hartmann. »Hartmann, Hartmann, Hartmann …«, überlegte ich – ist das vielleicht Sabine aus der Schulzeit, die neu geheiratet hat? Gespannt schüttelte ich den Karton, doch es war nicht viel zu hören. Was da wohl drin war? Ein Überlebensmesser? Ein schönes Fläschchen zum Sammeln meines überschüssigen Testosterons? Ich riss den Päckchendeckel auf und zog zwischen kleinen Styropor-Teilchen einen Zettel heraus:
Lieber Herr Mockridge,
die allerbesten Glückwünsche senden wir Ihnen heute zu Ihrem 60. Geburtstag! Wir erlauben uns heute, Ihnen unser Inko-Management vorzustellen …
Inko-Management? Ah, eine Investmentfirma hatte an mich gedacht! Richtig so! Schließlich sollte ich mir auch mit meinen erst sechzig Jahren, wo das Alter noch so unendlich fern scheint, schon mal über meine Zukunft Gedanken machen.
… Wir übersenden Ihnen anbei ein Probeexemplar unseres neuen, jetzt noch saugstärkeren Inko-Systems zur Ansicht …
Hä? Ich wühlte mit der Hand durch das Styropor und zog ein längliches, weiches Etwas heraus – wie ein Wesen von einem anderen Planeten starrte ich das Ding mit den Flügeln ungläubig an.
Es war eine Herrenbinde. Die meinten wohl, ich wäre nicht ganz dicht!
Und falls Sie glauben, dass ich damit in Sachen Geburtstagspost schon die größte Schmach überstanden hatte – nein, es ging scheinbar endlos weiter: Ein Optiker bot mir plötzlich sechzig Prozent auf alle Brillen an. Ganz schön viel, Mann. Irgendjemand wollte mir, für sage und schreibe 99 Euro, »blütenweiße Zähne aus Rumänien« andrehen. »Nur leicht gebraucht.« Ich erhielt einen Gutschein für eine kostenlose Prostatauntersuchung. Außerdem ein Angebot für eine schnelle Probefahrt mit einem Treppenlift. War von einer großen medizinischen Praxis in Bonn auserwählt worden für das »Goldene Senioren-Kombi-Ticket« – Magen- und Darmspiegelung am selben Tag.
Während ich meine Geburtstagspost tapfer abarbeitete, wurde selbst mir klar: Es hatte sich etwas verändert. Seit heute war ich nicht mehr der, der ich früher einmal war. Ich gehörte jetzt zu einer neuen...
Erscheint lt. Verlag | 23.2.2012 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga ► Humor / Satire |
Schlagworte | 50 plus • 60 plus • alt • Alter • Älterwerden • Comedy • Humor • Rentner • Satire |
ISBN-10 | 3-10-401414-0 / 3104014140 |
ISBN-13 | 978-3-10-401414-2 / 9783104014142 |
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