Wie Dracula den Kopf verlor und Sissi die Lust (eBook)
224 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30572-2 (ISBN)
Ronald Feisel, Jahrgang 1958, Studium der Journalistik und Politik, Kölner Journalistenschule, Print- und Rundfunk-Volontariat. Seit 2004 Leiter der Redaktion »Stichtag / ZeitZeichen «. Seit 1985 beim WDR als Redakteur, Reporter, Radio und Fernsehmoderator. Seit 1988 Dozent und Coach in der Aus- und Fortbildung für den WDR, Hochschulen, Journalisten und Sportler.
Ronald Feisel, Jahrgang 1958, Studium der Journalistik und Politik, Kölner Journalistenschule, Print- und Rundfunk-Volontariat. Seit 2004 Leiter der Redaktion »Stichtag / ZeitZeichen «. Seit 1985 beim WDR als Redakteur, Reporter, Radio und Fernsehmoderator. Seit 1988 Dozent und Coach in der Aus- und Fortbildung für den WDR, Hochschulen, Journalisten und Sportler.
2.
455 n.Chr.: Üble Nachrede
Vandalen waren besser als ihr Ruf
Namen sind nicht immer Schall und Rauch. Die Goten zum Beispiel haben bis heute einen guten Nachklang, denn nach ihnen ist eine Bauepoche benannt. Genauso die Franken; ihr Reich ist berühmt für feine Mode, teuren Wein und selbstbewusste Frauen. Anders dagegen die Vandalen: Wer Wände beschmiert oder Scheiben einwirft, Mülleimer ansteckt oder Autos verbeult, der »wütet wie ein Vandale«. Was müssen das für hirnlose Dumpfbacken gewesen sein. Oder?
Die Vandalen kommen! Am 2. Juni 455 bricht in Rom Panik aus. Vandalen-König Geiserich ist mit seinen schnellen Schiffen an der Küste der Ewigen Stadt gelandet, bald schon stürmen sie durch die Tore, die germanischen Hünen mit ihren langen Haaren und Bärten, zweischneidigen Schwertern und komisch runden Schilden. Ist das der Untergang Roms?
Doch was in den kommenden zwei Wochen geschieht, hat mit Vandalismus nichts zu tun. Die Angreifer schlagen nicht alles sinnlos kaputt, sondern zeigen ein feines Gespür für Kunst und Kommerz. Ihr König Geiserich schickt Spürkommandos mit Lastkarren durch die Straßen; seine disziplinierten Untertanen durchsuchen die Prachtvillen und nehmen nur die wertvollsten Dinge mit, Schmuck und Gold, alles, was auf die Schiffe passt und Wert hat. Geiseln gehören auch dazu. Später wird man Lösegeld für die vornehmen Römer erpressen oder sie, falls die Angehörigen knausern, als Sklaven verkaufen. Die Vandalen benehmen sich nicht wie eine Horde tumber Toren, sondern wie kluge Diebe. Sie legen in Rom weder Feuer noch randalieren sie.
Wie konnte ausgerechnet dieses Volk einen dermaßen schlechten Ruf in der Weltgeschichte hinterlassen? Tatsächlich handelt es sich um Rufmord. Die Vandalen machten den historischen Fehler, dass sie zu wenig aufschrieben. Alles, was über sie notiert wurde und erhalten blieb, stammt von ihren Feinden: der katholischen Kirche und den Römern. Einer davon war Prokop, ein oströmischer Geschichtsschreiber. In seinem Report über die germanischen »Barbaren« beginnt er eher harmlos nüchtern: »Alle haben sie eine weiße Hautfarbe, blonde Haare, sind groß von Gestalt und schön von Gesicht. Von alters her saßen sie jenseits der Donau.«
Als Barbar galt jeder, der nicht römisch-griechisch gebildet war. Laut Prokop sahen die Angehörigen der barbarischen Stämme aus dem Osten Europas alle gleich aus: Ostgoten, Vandalen, Westgoten. »Kein Wunder«, erklärt Harald Siebenmorgen, Direktor des badischen Landesmuseums in Karlsruhe und ausgewiesener Vandalen-Experte: »Wir sprechen heute eher von wandernden Volksgruppen, die sich mal mehr, mal weniger zu größeren Menscheneinheiten zusammenschlossen und dann im Laufe der Zeit auch irgendwo eine Art Stammesnamen erhielten.« Die Franken zum Beispiel waren ein Verband der unterschiedlichsten Völker und Sippen. Frank, das Wort bedeutet kühn oder frei. Der Stammesverbund der Sachsen wiederum kam durch seine Waffe zum gemeinsamen Namen, den Sax, ein robustes Langmesser, mit dem Sachsen auf ihre Feinde einstachen.
Vandalen, der Begriff steht für »schnell, beweglich«. Ein Name, der passt, denn kein anderer Stamm der Völkerwanderungszeit kam so weit wie dieser kleine Verband. Die Vandalen starteten weit im Osten, in etwa dort, wo heute Südpolen, Ungarn und Rumänien liegen. Ab dem Jahr 400 n.Chr. zog ein kunterbunter Haufen Richtung Westen, eine Multikulti-Truppe. Harald Siebenmorgen: »Zu den Vandalen haben auch Schweden gehört, auch Alanen und weitere Völker mit anderen Namen; man hat sich geteilt, man hat sich wieder zusammengetan.«
Die Alanen waren ein kaukasischer Reiterstamm. Solch eine Kavallerie konnten die Vandalen gut gebrauchen und verbündeten sich bis zum Untergang mit ihnen. Warum die ganzen Völker überhaupt loszogen, bleibt bis heute ein Rätsel. Von Osten her drängten sicherlich die Hunnen, aber es gibt auch die These, dass im Westen ein Platz an der Sonne lockte: das reiche, römische Imperium. Eine schwächelnde Supermacht, ein Land, in dem Milch und Honig flossen. Wohl dem Volk, das römischer Föderat, also Bundesgenosse werden konnte. »Damit waren die großen, existenziellen Sorgen des Lebens bei vielen dieser Völker zu beheben«, so Vandalen-Experte Siebenmorgen. Rom hingegen wollte all die Barbaren-Völker ganz pragmatisch auf Distanz halten. Man siedelte sie notgedrungen an den Rändern der Provinzen an – und konnte sie geschickt gegeneinander ausspielen.
Die Vandalen wollen im Jahr 406 allerdings weiter nach Westen ins Imperium hinein, dorthin, wo noch keine anderen Germanen sind, nach Gallien und weiter nach Spanien; Fakten schaffen und dann Föderat werden an einem sonnigen Platz. Silvester 406 setzen sie irgendwo zwischen Worms und Mainz über den Rhein.
Wie man sich solch heranstürmende Germanen vorstellen muss, das malte der römische Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus bei früherer Gelegenheit in düsteren Farben: »Nur kurze Zeit schleuderte man Wurfspeere. Dann eilten die Germanen – mehr in jagendem als in besonnenem Lauf – heran und stürzten sich, den Speer in der Rechten schwingend, mit unbeschreiblicher Wut auf unsere Reiter. Noch unmäßiger als gewöhnlich wüteten sie, dass sich ihre Haare flatternd sträubten, und aus ihren Augen leuchtete eine Art Wahnsinn.« Mittendrin im Gewühl ist Silvester 406 der 16-jährige Geiserich. Er sieht seinen Vater, den Vandalen-König, sterben und erlebt in den kommenden zweieinhalb Jahren eine grauenhafte Zeit; die ausgehungerten Vandalen ziehen durch Gallien und machen dabei keine Gefangenen.
Solch eine Katastrophe hatten die Gallier seit über 400 Jahren nicht mehr erlebt, denn seit Cäsars Eroberung herrschte hier die Pax Romana, der innere Frieden des Römischen Reiches. Gekämpft wurde nur an den Außengrenzen. Bis die Vandalen kommen. »Ganz Gallien rauchte als ein einziger Scheiterhaufen«, schrieb der schockierte Bischof Orientius in Südgallien, »wo sie gewesen waren, da lagen unsere Landsleute tot als Futter der Hunde. Anderen wurden die brennenden Häuser zum Scheiterhaufen, der sie des Lebens beraubte.«
Eine Tragödie. Allerdings führten andere Germanenvölker sich auch nicht besser auf, ganz zu schweigen von den Römern. Wo sie gesiegt hatten, galt: Vae Victis, Wehe den Besiegten.
Nach zweieinhalb Jahren verließen die Vandalen Frankreich und zogen nach Spanien. Aus Rom wurden ihnen allerdings unfreundliche Nachbarn hinterhergeschickt, die Übermacht der Westgoten. Sollten sich die Barbaren doch gegenseitig umbringen. Taten sie auch: Vom vandalischen Stamm der Silingen blieben nur Reste übrig, die sich dem stärkeren vandalischen Stamm der Hasdingen anschlossen.
Diese vereinten Vandalen bekamen einen neuen König, Geiserich, der sich zu einem der klügsten Herrscher der Spätantike entwickeln sollte. Kein blonder Recke, sondern eher ein hinkender Schrumpf-Germane, erklärt Peter Johanek, Mittelalter-Historiker aus Münster: »Geiserich war körperlich nicht von großer Statur und hatte aufgrund eines Unfalls eine Gehbehinderung. Er hinkte offenbar, aber dennoch war er in der Lage, seine Leute sehr gut zu führen.« Geiserich war weitblickend und erkannte, dass die Vandalen in Spanien auf Dauer untergehen würden. Er machte aus seinen Bauern Seefahrer und sah nur einen Ausweg: ab nach Afrika. »Es gibt zwei Gründe«, so Johanek, »die zahlenmäßige Unterlegenheit gegenüber den Westgoten und die Tatsache, dass Nordafrika die reichste Getreide-Provinz des Römischen Reichs war.«
Im Sommer 429 machen die Vandalen rüber, eine logistische Meisterleistung. Bis zu 80000 Menschen werden bei Gibraltar samt Pferden, Vieh und Ausrüstung mit einer Art Fährbetrieb verladen und nach Afrika gebracht. Geiserich hat sein Volk zuvor zählen lassen, damit er weiß, wie hoch die Verluste sind. Der König befehligt um die 15000 Krieger, eine vergleichsweise kleine Truppe; dennoch schafft er es schnell, große Teile Nordafrikas zu erobern. Denn die Römer haben in ihrer reichsten Provinz nur wenige Einheiten stationiert. In der belagerten Küstenstadt Hippo Regius sitzt der alte Kirchenvater Augustinus und wettert gegen die Vandalen, noch bevor sie da sind: Der alte Mann unterstellt ihnen zahllose Grausamkeiten, obwohl er sie persönlich nie kennenlernt. Denn er stirbt während der Belagerung seiner Stadt. »Die Vandalen brachten überall, wo sie vorüberzogen, Verwüstungen mit sich. Plünderungen, Blutbäder, Feuersbrünste und eine Fülle grauenvoller Leiden. Sie achteten nicht Alter noch Geschlecht. Sie schonten die Priester, die Diener des Herrn, ebenso wenig wie die Zierrate der Kirchen, die Weihegefäße und die heiligen Bauten selber.« Das stimmt offensichtlich nicht, denn bei Ausgrabungen in Hippo Regius zeigte sich, dass zum Beispiel die berühmte Bibliothek des heiligen Augustinus keineswegs abgefackelt worden war.
Spätestens mit Augustinus setzte die Glaubenspropaganda gegen die Vandalen ein, denn sie waren zwar Christen, aber keine Katholiken. Die Vandalen wie auch die Goten hingen dem Arianismus an, einer Glaubensrichtung, die von der Dreifaltigkeit nichts wissen will. Für Arianer spielt der Heilige Geist keine Rolle, und Jesus ist nach ihrem Glauben auch nicht mit Gott auf eine Stufe zu stellen. Hinter diesen religiösen Feinheiten verbarg sich allerdings mehr – es ging um Macht. Denn Augustinus stand für die römisch-katholische Kirche – mit Betonung auf römisch, und für Geiserich war die Glaubensfrage auch ein Mittel der Macht. Der Historiker Johanek erklärt, wonach Geiserich strebte: »Entscheidend war für ihn, ein Reich zu erobern und...
Erscheint lt. Verlag | 16.2.2012 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Zeitgeschichte ab 1945 | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte | |
Schlagworte | 21 Geschichten • 40 Jahre ZeitZeichen • Episoden • historische Ereignisse • Jubiläum • Radiosendung • Radio-Sendung • Ronald Feisel • Sammlung • Unterhaltung • Zeitzeichen • Zeit-Zeichen |
ISBN-10 | 3-462-30572-7 / 3462305727 |
ISBN-13 | 978-3-462-30572-2 / 9783462305722 |
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