Der Anschlag (eBook)

(Autor)

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2012 | 1. Auflage
1072 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-06440-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Anschlag -  Stephen King
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Stephen King schreibt die amerikanische Geschichte neu
Am 22. November 1963 fielen in Dallas, Texas, drei Schüsse. John F. Kennedy starb, und die Welt veränderte sich für immer. Wenn man das Geschehene ungeschehen machen könnte - wären die Folgen es wert? Jake Epping kann in die Vergangenheit zurückkehren und will den Anschlag verhindern. Aber je näher er seinem Ziel kommt, umso vehementer wehrt sich die Vergangenheit gegen jede Änderung. Stephen Kings neuer großer Roman ist eine Tour de Force, die ihresgleichen sucht - voller spannender Action, tiefer Einsichten und großer Gefühle.

Stephen King, 1947 in Portland, Maine, geboren, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Bislang haben sich seine Bücher weltweit über 400 Millionen Mal in mehr als 50 Sprachen verkauft. Für sein Werk bekam er zahlreiche Preise, darunter 2003 den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk und 2015 mit dem Edgar Allan Poe Award den bedeutendsten kriminalliterarischen Preis für Mr. Mercedes. 2015 ehrte Präsident Barack Obama ihn zudem mit der National Medal of Arts. 2018 erhielt er den PEN America Literary Service Award für sein Wirken, gegen jedwede Art von Unterdrückung aufzubegehren und die hohen Werte der Humanität zu verteidigen.

Seine Werke erscheinen im Heyne-Verlag.

Ich war nie das, was man eine Heulsuse nennt.

Meine Exfrau gab meinen »nicht vorhandenen emotionalen Gradienten« als Hauptgrund dafür an, dass sie mich verließ (als ob der Kerl, den sie bei den Anonymen Alkoholikern kennengelernt hatte, ganz nebensächlich wäre). Christy sagte, sie könne mir zur Not verzeihen, dass ich auf der Beerdigung ihres Vaters nicht geweint habe; ich hätte ihn nur sechs Jahre gekannt und könne daher nicht sehen, was für ein wundervoller, großzügiger Mensch er gewesen sei (was beispielsweise ein Mustang-Cabrio zum Highschool-Abschluss bewies). Aber als ich auch auf den Beerdigungen meiner Eltern nicht weinte – sie starben im Abstand von nur zwei Jahren, Dad an Magenkrebs, Mutter an einem Herzschlag bei einem Strandspaziergang in Florida –, begann sie die Sache mit dem nicht vorhandenen Gradienten zu verstehen. »Ich war unfähig, meine Gefühle zu fühlen«, wie es im AA-Sprech hieß.

»Ich habe dich niemals weinen sehen«, sagte sie in dem ausdruckslosen Tonfall, in dem einem in einer Beziehung der andere den ultimativen Trennungsgrund verkündete. »Nicht mal, als du mir erklärt hast, ich müsste eine Entziehungskur machen, sonst würdest du mich verlassen.« Dieses Gespräch hatte etwa sechs Wochen vor dem Tag stattgefunden, an dem sie ihre Sachen packte, sie quer durch die Stadt karrte und bei Mel Thompson einzog. »Mann trifft Frau auf dem AA-Campus« – das ist eine weitere Redensart, die sie bei diesen Meetings haben.

Ich habe nicht geweint, als wir uns verabschiedeten. Ich habe auch nicht geweint, als ich wieder in das kleine Haus mit der großen Hypothek ging. In das Haus, in das nie ein Baby gekommen war und in das nun auch niemals eines kommen würde. Ich legte mich nur auf das Bett, das jetzt mir allein gehörte, und legte einen Arm über die Augen und trauerte.

Tränenlos.

Aber ich bin nicht emotional blockiert. In diesem Punkt hatte Christy unrecht. Als ich neun war, erwartete meine Mutter mich eines Tages an der Haustür, als ich aus der Schule kam. Sie erzählte mir, dass Rags, mein Collie, von einem Laster totgefahren worden sei und der Fahrer sich nicht einmal die Mühe gemacht habe anzuhalten. Später, als wir ihn begruben, habe ich nicht geweint, obwohl mein Dad mir versicherte, niemand werde deswegen schlecht von mir denken. Aber als sie mir erzählte, was passiert sei, da habe ich geweint. Teilweise, weil dies meine erste Erfahrung mit dem Tod war; hauptsächlich, weil es meine Aufgabe gewesen war, dafür zu sorgen, dass Rags immer sicher im Garten hinter unserem Haus eingesperrt war.

Und ich weinte, als Mutters Arzt anrief und mir mitteilte, was an jenem Tag am Strand geschehen sei. »Tut mir leid, aber sie hatte keine Chance«, sagte er. »Es passiert manchmal ganz plötzlich, aber wir Ärzte tendieren eher dazu, das als Segen zu betrachten.«

Christy war an diesem Tag nicht da – sie musste länger in der Schule bleiben und mit einer Mutter reden, die Fragen zum letzten Zeugnis ihres Sohnes hatte –, aber ich weinte tatsächlich. Ich ging in unseren kleinen Wäscheraum und zog ein gebrauchtes Bettlaken aus dem Korb und weinte hinein. Nicht lange, aber mir kamen wirklich Tränen. Ich hätte ihr später davon erzählen können, aber ich sah keinen Sinn darin, teils weil sie geglaubt hätte, ich wollte Mitleid schinden (das ist kein AA-Ausdruck, aber es sollte vielleicht einer sein), und teils weil ich nicht finde, dass die Fähigkeit, praktisch auf Kommando loszuheulen, zu den Voraussetzungen für eine gute Ehe gehören sollte.

Wenn ich’s mir recht überlege, habe ich meinen Vater niemals weinen sehen; in seinen emotionalsten Augenblicken seufzte er vielleicht schwer oder grunzte ein paar widerstrebende Lacher – für William Epping gab es kein Sich-an-die-Brust-Schlagen oder dröhnendes Lachen. Er war der starke, schweigsame Typ, und meine Mutter weitgehend ebenso. Vielleicht ist die Tatsache, dass ich nicht leicht weine, also genetisch bedingt. Aber blockiert? Unfähig, meine Gefühle zu fühlen? Nein, beides war ich nie.

Abgesehen von dem Tag, an dem ich vom Tod meiner Mutter erfuhr, kann ich mich an nur ein einziges Mal erinnern, dass ich als Erwachsener geweint habe, und das war, als ich die Geschichte von dem Vater des Hausmeisters las. Ich saß allein im Lehrerzimmer der Lisbon High School und arbeitete einen Stapel Aufsätze durch, die meine Klasse »Englisch für Erwachsene« geschrieben hatte. Vom Ende des Korridors her konnte ich das dumpfe Aufprallen von Basketbällen, das Plärren der Time-out-Hupe und das Geschrei der Menge hören, während die Sportbestien kämpften: Lisbon Greyhounds gegen Jay Tigers.

Wer kann wissen, wann das Leben auf der Kippe steht oder weshalb?

Das von mir gestellte Thema lautete: »Der Tag, der mein Leben veränderte«. Die meisten Antworten waren tief empfunden, aber schauderhaft: sentimentale Geschichten von einer lieben Tante, die eine schwangere Jugendliche aufgenommen hatte; ein Kamerad in der Army, der demonstriert hatte, was Tapferkeit wirklich bedeutete; eine zufällige Begegnung mit einer Berühmtheit (Jeopardy-Showmaster Alex Trebek, glaube ich, aber vielleicht war es auch Karl Malden). Die Lehrer unter Ihnen, die sich zusätzlich drei- bis viertausend Dollar pro Jahr verdienen, indem sie eine Klasse mit Erwachsenen übernommen haben, die aufs General Equivalency Diploma lernen, werden wissen, wie entmutigend es sein kann, solche Aufsätze zu lesen. Die Benotung spielt dabei kaum eine Rolle, zumindest nicht für mich: Ich ließ alle durchkommen, weil ich nie einen erwachsenen Schüler oder eine Schülerin hatte, der oder die sich nicht den Arsch aufgerissen hätte. Jeder, der ein beschriebenes Blatt Papier einreichte, bekam garantiert ein Häkchen von Jake Epping vom English Department der LHS, und wer das Geschriebene auch noch in Absätze unterteilt hatte, dem war wenigstens ein B minus sicher.

Was meinen Job so hart machte, war die Tatsache, dass mein wichtigstes Lehrmittel nicht mein Mund war, sondern der Rotstift, den ich regelrecht abnutzte. Was den Job so entmutigend machte, war die Gewissheit, dass bei diesem Rotstiftunterricht nur sehr wenig hängen bleiben würde; wer das Alter von fünfundzwanzig oder dreißig Jahren erreicht, ohne zu wissen, wie man richtig schreibt (totally, nicht todilly), wann man großschreibt (White House, nicht whitehouse) oder wie man einen Satz schreibt, der sowohl ein Substantiv als auch ein Verb enthält, wird es vermutlich nicht mehr lernen. Trotzdem machen wir unermüdlich weiter, kringeln tapfer das falsch verwendete Wort ein, in Sätzen wie Mein Mann war immer zu flink dabei, mich zu verurteilen, oder streichen schwimmte in dem Satz Danach schwimmte ich oft zum Floß hinaus durch und ersetzen es durch schwamm.

Solch hoffnungsloser, mühseliger Arbeit widmete ich mich an jenem Abend, während sich nicht weit von mir entfernt ein weiteres Basketballspiel zweier Highschool-Teams auf eine weitere Schlusssirene zubewegte, Welt ohne Ende, amen. Das war, nicht lange nachdem Christy aus der Entziehungskur gekommen war, und falls ich überhaupt etwas dachte, dann vermutlich dass ich sie beim Heimkommen nüchtern antraf (was übrigens der Fall war; sie hat sich ihre Nüchternheit besser bewahrt als ihren Ehemann). Ich weiß noch, dass ich leichte Kopfschmerzen hatte und mir die Schläfen rieb, wie man es tut, um möglichst zu verhindern, dass aus einem kleinen Pochen ein großes Dröhnen wird. Ich weiß noch, wie ich dachte: Noch drei davon, nur noch drei, dann kann ich hier raus. Ich kann nach Hause fahren, mir einen großen Becher Instantkakao machen und mich in den neuen Roman von John Irving vergraben, ohne an diese aufrichtigen, aber schlecht geschriebenen Ergüsse denken zu müssen.

Es gab keine Geigenklänge oder Warnsignale, als ich den Aufsatz des Hausmeisters von dem Stapel nahm und vor mich hinlegte; keine Vorahnung davon, dass sich bald nicht nur mein eigenes kleines Leben, sondern das Leben aller Menschen auf der ganzen Welt ändern würde. Aber das wissen wir nie, nicht wahr? Das Leben schlägt oft unerwartete Kapriolen.

Er hatte mit einem billigen Kugelschreiber geschrieben, der auf den fünf Seiten mehrfach ausgelaufen war und offenbar Flecken an seinen Fingern zurückgelassen hatte. Seine Handschrift war ein verschlungenes, aber noch lesbares Gekritzel, und er musste stark aufgedrückt haben, weil die Wörter förmlich in das billige linierte Papier eingraviert waren; hätte ich die Augen geschlossen und meine Fingerkuppen über diese herausgerissenen Seiten gleiten lassen, wäre es gewesen, als läse ich Blindenschrift. Unter jedem g war wie zur Verzierung ein kleiner Schnörkel angefügt. Daran erinnere ich mich besonders deutlich.

Ich weiß auch noch, wie der Aufsatz begann. Ich kann mich an jedes einzelne Wort erinnern.

Es war kein Tag sondern ein Ahmd. Der Ahmd der mein Leben veränderte, war der Ahmd an dem mein Vater meine Mutter und meine zwei Brüder...

Erscheint lt. Verlag 23.1.2012
Übersetzer Wulf Bergner
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte 1963 • 22. November 1963 • action • Alternativwelt • Anschlag • Attentat • Attentäter • Brown Sugar • CIA • Dallas • Derry • eBooks • FBI • Gegenwart • Geschichte • Jackie • JFK • J. F. Kennedy • JohnF.Kennedy • kennedy • Kubakrise • Lee Harvey Oswald • Maine • Präsident • Rolling Stones • Roman • Schüsse • Spannung • Texas • Thriller • USA • US-Präsident • Vergangenheit • Zeitreise
ISBN-10 3-641-06440-6 / 3641064406
ISBN-13 978-3-641-06440-2 / 9783641064402
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